Wie Demoskopen Wahlniederlagen schön reden und den politischen Blick auf die Wirklichkeit verzerren

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Die CDU hat in Hamburg mit über zwanzig Prozent Zugewinn einen historisch einmalig hohen Sieg bei einer Landtagswahl feiern können. Für die SPD gab es das schlechteste Wahlergebnis nach dem Krieg im über vierzig Jahre “roten” Hamburg. Doch in der Spitze der SPD wird so getan, als sei das nichts Besonderes, als wären dramatische Wahlniederlagen die selbstverständlichste Folge einer richtigen Politik.
Zwar gestand man noch zu, dass diese Niederlage “keinen Rückenwind” (Müntefering) bringe, es sei nun aber auch “kein katastrophales Ergebnis” (Mirow), schließlich hätte man gemessen an früheren Umfragen sogar “aufgeholt” (Müntefering). Die Partei habe nach dem Führungswechsel in der Parteispitze “wacker gekämpft” (Scholz) und im übrigen sei die Bundespolitik für dieses Ergebnis “nicht letztlich entscheidend” (Müntefering) gewesen, sondern der Sieg habe “viel mit der Personalisierung auf Ole von Beust” (Scholz) zu tun.

Das Signal der SPD-Führung sollte also sein: Der Wechsel an der Parteispitze hat die SPD mobilisiert, sie ist im Kommen, wenn wir unsere Reformen noch besser “vermitteln” haben wir gute Chancen, schließlich war die Bundespolitik nicht Ausschlag gebend. Fazit: Bloß keinen Kurswechsel, sondern noch mehr werben für die Agenda 2010. Das war die zu kommunizierende Botschaft der SPD am Wahlabend.

Nun hätte man hoffen können, dass ein paar Tage nach der Wahl die Ergebnisse etwas genauer analysiert würden. Dass die SPD etwa bei den jungen Wählern nicht nur durchschnittlich 6 sondern gar 10% verlor, dass die CDU bei den über 60-jährigen Männern fulminante 28% und bei den Arbeitern 25% gut machte, dass die SPD bei den Arbeitslosen um 12% einbrach usw. usw. Man hätte eigentlich von einer Partei, die solche Wahldebakel künftig vermeiden will, erwarten dürfen, dass wenigstens eine Suche nach den Gründen für die Niederlagen beginnen würde, warum welche Wählergruppe und auf Grund welcher Enttäuschungen sie weggebrochen ist. Um für seine Politik werben oder sie besser vermitteln zu können, hätte man fragen müssen, warum kommen wir und vor allem was kommt bei den Wählerinnen und Wählern nicht an? Mit welchen Argumenten könnte man überzeugen?

Nichts dergleichen, statt dessen nur die alte bekannte Leier: Kurs halten, besser vermitteln, mehr werben, Geschlossenheit! Alles andere zerstöre die Glaubwürdigkeit und wäre tödlich. Nach vier schlimmen Wahlniederlagen in Folge seit der Bundestagswahl für die SPD fragt man sich, leiden die Verantwortlichen dieser Partei an Realitätsverlust oder haben sie sich gar entschlossen Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen? Gibt es in der SPD keinen Selbsterhaltungstrieb mehr?

Eine Teilantwort auf diese Fragen kann man der Wahlanalyse des Chefs des Berliner Forsa-Instituts von Manfred Güllner entnehmen, die am 2. März in der Frankfurter Rundschau abgedruckt war.
Danach kann sich die SPD nach der Hamburger Wahl in der Tat beruhigt zurück lehnen, denn die CDU hat nur deshalb einen historisch einmaligen Sieg davon getragen, weil “sich die Stimmen aus dem bürgerlichen Wählerlager” auf sie “konzentrierten” und das sei eben “in erster Linie Ole von Beust zu verdanken”. Bei der Bürgerschaftswahl sei für 69% der Wahlbürger “die politische Situation in Hamburg und nicht die in Deutschland insgesamt Ausschlag gebend” für die Wahlentscheidung gewesen.

Die SPD habe zwar im Vergleich zur letzten (schlecht gelaufenen) Bürgerschaftswahl vor drei Jahren 20% ihrer Wähler verloren, aber – und, ab hier muss man wörtlich zitieren, damit der Leser nicht etwa denkt, es ginge bei diesem Beitrag um Satire:

“Dieser Wählerschwund bei der Bürgerschaftswahl ist aber geringer als bei den Landtagswahlen des letzten Jahres. So verlor die SPD im Vergleich zur jeweils vorhergehenden Landtagswahl in Hessen 28 Prozent, in Niedersachsen 37 Prozent und in Bayern 42 Prozent ihrer Wähler.”

Das naheliegende Fazit: Es geht also aufwärts mit der SPD von Minus 42% auf nur noch Minus 20%. Kein Grund zur Beunruhigung also, sondern weiter so, dann wird der Wählerschwund z.B. in Thüringen oder im Saarland um Minus 15% geringer und vielleicht “holt” die SPD 2005 in Nordrhein-Westfalen auf Minus 10% “auf”. Dann stellte im bevölkerungsreichsten Land erstmals nach siebenunddreißig Jahren zwar wieder die CDU die Regierung und dann wäre Rot-Grün in Berlin vollends handlungsunfähig, weil dann die Union im Bundesrat eine zwei Drittel Mehrheit hätte, aber immerhin: Der Wählerschwund hätte sich erheblich verringert. Es ginge weiter aufwärts mit der SPD, bis sie dann bei der Bundestagswahl 2006 mit nur noch Minus 5% abschneiden würde. (Vorausgesetzt allerdings, dass die Konjunktur anspringt.)
Der Verlust der Regierungsmacht und der Gang in die Opposition würde nach dieser Logik womöglich als Renaissance des sozialdemokratischen Zeitalters gefeiert. (Vielleicht ist das ja, der so schwer vermittelbare Kurs?)

Nun könnte man über solche “Analysen” – schmunzeln und zur Tagesordnung übergehen, wenn sie von einem “Feld, Wald und Wiesen”-Demoskopen kämen. Aber um einen solchen handelt es sich beim Forsa-Chef Manfred Güllner leider nicht. Güllner rangiert in einer Schautafel des Stern unter den engsten Freunden und Beratern des Kanzlers auf Platz acht. Der Spiegel nennt ihn gar “Kanzlerflüsterer” und es gilt in sog. eingeweihten Kreisen als ziemlich gesichert, dass Gerhard Schröder nur wenige Entscheidungen trifft, ohne vorher Güllners “demoskopische” Meinung eingeholt zu haben. Der Spiegel behauptet jedenfalls, dass Forsa im Jahr etwa 660.000 Euro an Umfrage-Aufträgen erhält.

Wenn man sich einmal vorstellt, dass mit derartigen Analysen der Kurs der Regierung und der SPD abgesteckt wird, dann bleiben eigentlich nur noch zwei Schlussfolgerungen offen:
Entweder man duldet nur noch Ja-Sager und Schönredner am Hofe, um bloß nicht in Gefahr zu geraten, die Stimmung im Lande zu erfahren.
Oder man folgt der politischen Maxime: Um so schlimmer für die Wirklichkeit, dass sie nicht dem Rat unserer Berater folgt.

Vielleicht kommen deshalb die Demoskopen und Berater ja noch auf die Idee, der Regierung und der SPD zu empfehlen, um Wahlen zu gewinnen, einfach ein neues Volk zu wählen.