Gefühlte 24 Stunden Hofberichterstattung aus unserer Hauptstadt Washington – die US-Hörigkeit nimmt zu

Gefühlte 24 Stunden Hofberichterstattung aus unserer Hauptstadt Washington – die US-Hörigkeit nimmt zu

Gefühlte 24 Stunden Hofberichterstattung aus unserer Hauptstadt Washington – die US-Hörigkeit nimmt zu

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Vorgestern, am 20. Januar, hat der öffentlich-rechtliche Sender Phoenix, den ich gelegentlich einschaltete, unentwegt von der Krönungszeremonie in Washington berichtet. Ähnlich andere Sender. Dauerthema. Am nächsten Tag konnte man auf Besserung hoffen. Vergeblich. ZDF-Heute 19 Uhr: Zu Anfang, 5 Minuten und 29 Sekunden lang wird berichtet, wie sich unser neuer Chef Biden einrichtet und wie er Akten unterzeichnet. Diese Fortsetzung der Hofberichterstattung ist unerträglich. Aber das Mediengeschehen bildet die Realität gut ab. Wir sind eine Kolonie. Das war nicht immer so eindeutig. Es gibt Zeichen dafür, dass wir uns entgegen der Notwendigkeit von diesem Status nicht befreien, sondern weiter hineinwachsen – mit allen Konsequenzen für die Zusammenarbeit bzw. die Konfrontation in Europa, für Rüstung statt Abrüstung, für die Beteiligung am offensichtlich geplanten Konflikt mit China usw. Hierzu zwei Indizien – zusätzlich zu dem zuvor skizzierten Medienverhalten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  1. Am 28. Oktober 2014 erschien auf den NachDenkSeiten dieser Artikel mit der Überschrift „Einige interessante Dokumente zum Kolonie-Status Deutschlands und Europas“. Ich hatte damals das devote Verhalten der deutschen Seite anlässlich der Grundsteinlegung zum US-Hospital in Landstuhl verglichen mit den selbstbewussten Äußerungen des SPD-Ministerpräsidenten-Kandidaten Scharping im Vorfeld der Landtagswahl von 1991. Damals, 1991, mahnte dieser Repräsentant der SPD an, Rheinland-Pfalz dürfe nicht weiter der Flugzeugträger der USA in Europa sein.

    Der selbstbewusste und kritische Umgang mit den USA, die Kritik an der Lagerung von Giftgas und an den militärischen Tiefflugübungen der US Airforce ist einer devoten Haltung gewichen.

  2. Ein markantes aktuelles Zeichen für die Tendenz zur noch weitergehenden Anlehnung an die USA und die von ihnen geprägte NATO ist das Erscheinen und der Inhalt eines Papiers mit dem Titel

    Transatlantisch? Traut euch!
    Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika

    Absender dieses am Tag der Installation des neuen US-Präsidenten vorgestellten Papiers sind Vertreterinnen und Vertreter verschiedener einschlägiger Organisationen wie des Aspen Institutes, des German Marshall Fund, der Hanns-Seidel-Stiftung, der Münchner Sicherheitskonferenz, der Brookings Institution, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und auch die Spitze der Heinrich-Böll-Stiftung.

    Das ist äußerst markant. Die Stiftung der Grünen-Partei hätte sich vor 20 oder 30 Jahren für diesen Akt der Propaganda und der für die Ewigkeit geplanten Abhängigkeit von den USA nicht hergegeben. Auch das ein Indiz dafür, dass sich die Dinge zum Schlechteren wandeln und nicht zum Besseren.

    Hier eine Inhaltsübersicht zum Papier:

    Inhalt

    1. Neustart: Warum und wie?
    2. Covid-19: Internationale Zusammenarbeit neu einüben
    3. Klima: Ambition mit Ambition beantworten
    4. Nato: Mehr Verantwortung wagen
    5. China: eine neue Herausforderung mit Amerika koordinieren
    6. Handel: den Stillstand überwinden
    7. Technologie und Digitalpolitik: Gemeinsame Standards setzen
    8. Das transatlantische Verhältnis auf Dauer anlegen
    9. Es geht um was: Taten, bitte!
    • Die Autoren und Unterzeichner

    Typisch für den Geist, der dieses Papier und die neue Zeit der Anlehnung und Abhängigkeit von den USA prägt, ist die Formulierung der Einladung zur Präsentation des Papiers am 20.1.2021:

    Transatlantisch? Traut Euch! ist eine Handlungsempfehlung an die Bundesregierung und den Bundestag, erarbeitet von einer Gruppe von Expertinnen und Experten für Amerika-Politik. Das Papier ruft dazu auf, die große Chance zu Reparatur und Neuausrichtung der erodierten transatlantischen Beziehungen zu nutzen und eine Neue Übereinkunft mit der amerikanischen Regierung zu treffen. Mit der Vereidigung Joe Bidens ist der Moment gekommen zu handeln. Die Bundesrepublik braucht dazu Führung, politischen Willen, Ideen und einen Plan – ausgehend von dem vitalen Interesse Deutschlands, dass Amerika eine europäische Macht bleibt.

    Der Vorschlag für eine Neue Übereinkunft ist getragen von dem Willen, über eine Legislaturperiode hinaus zu denken, überparteilich zu agieren sowie die Energie junger Menschen und vielfältiger Minderheiten für die Zukunftsgestaltung zu nutzen. Die Neue Übereinkunft konzentriert sich auf sechs Politikfelder: Covid-19 und Klima, NATO und China, Technologie und Handel.

    Ein besonders markanter Satz ist gefettet. Amerika, also die USA, soll eine „europäische Macht“ bleiben. Dass die USA im wörtlichen Sinne eine europäische Macht sind, ist mir bisher entgangen. Aber wir müssen offensichtlich dazulernen. Ich könnte es auch in meinem Sprachgebrauch so formulieren: Deutschland ist die Kolonie und deshalb sind die USA auch eine europäische Macht.

    Interessant an dem Text der erwähnten Einladung ist auch noch die Ansprache junger Menschen. Die neue Qualität der Bindung an die USA ist langfristig angelegt.

    Die Liste der Unterzeichner offenbart auch eine gewisse Verknüpfung mit den Medien. So ist zum Beispiel Dr. Constanze Stelzenmüller, Brookings Institution, Dauergast bei deutschen Medien.

    Nebenbei noch eine Anmerkung: Dass in diesem Papier ganz selbstverständlich von Amerika gesprochen wird, wenn die USA gemeint sind, spricht Bände. Wer sich in Mittel- und Lateinamerika auskennt, weiß, wie sensibel und verstört man dort diese Art von Sprachgebrauch beobachtet.

Titelbild: Screenshot ZDF Heute