Nach dem Krieg war vor den Kriegen – Teil 2

Nach dem Krieg war vor den Kriegen – Teil 2

Nach dem Krieg war vor den Kriegen – Teil 2

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Nationale Befreiungskämpfe im Schatten des Kalten Krieges: Den Anfang machten Indonesien und Vietnam.

Im abschließenden siebten, zweigeteilten Teil dieser Serie mit dem Titel „75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Ost- und Südostasien – Vorgeschichte, Verlauf, Vermächtnisse“, dessen erster Teil auf den NachDenkSeiten Mitte Februar 2020 erschien, befasst sich unser Autor Rainer Werning mit den politischen Entwicklungen in den Regionen und dem Beginn des Kalten Krieges nach der offiziellen Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch hochrangige Politiker Japans am 2. September 1945. Von Rainer Werning.

Lesen Sie bitte auch die ersten sechs Teile dieser NDS-Serie (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6).

Allianz unterm Atomschirm

Japans Stärke im militärischen Dreierallianz-System (USA, Japan und Südkorea), das einerseits auf dem 1960 vereinbarten japanisch-amerikanischen Kooperations- und Sicherheitsvertrag und zum anderen auf dem Republik-Korea-US-Vertrag über gegenseitige Verteidigung vom 1. Oktober 1953 basiert, ist seitdem beträchtlich gewachsen. Bereits in seinem 1. Weißbuch für nationale Verteidigung aus dem Jahr 1970 hatte Tokio seine Verteidigungspolitik mit „drei Grundpfeilern“ dargestellt:

  • „Marine und Luftwaffe müssen die Vorherrschaft in der Umgebung“ – ein nicht näher spezifizierter Begriff – „als Lebensnerv Japans sichern“. Blieb anzumerken, dass die einige tausend Meilen entfernte Straße von Malakka (zwischen Singapur/Malaysia und Indonesien) wiederholt als ein solcher „Lebensnerv“ bezeichnet wurde, weil sie u.a. von den aus dem Nahen und Mittleren Osten kommenden Öltankern passiert wird.
  • „Die Aggression soll im Anfang unterbunden werden“. Nicht nur blieb offen, wann sich eine Aggression „im Anfang“ befindet; eine solche Erklärung könnte z.B. mit Blick auf den Vietnamkrieg eigene aggressive Absichten/Akte vertuschen und/oder rechtfertigen.
  • Drittens wurde im Weißbuch als Ergänzung zu Punkt b) vom „Entgegentreten der indirekten Aggression“ gesprochen.

Diese Ausführungen wurden von sämtlichen US-Regierungen seit Richard M. Nixon (1969-74) vorbehaltlos geteilt. Japan wurde abwechselnd als „wichtigster“, „treuester“ und „bedeutsamster“ Verbündeter in der Region gewertet, zu dessen Schutz der US-amerikanische Atomschirm aufgespannt bleibt, sofern sich Tokio im Gegenzug im Sinne eines beidseitigen Interessen- und Lastenausgleichs stärker an der Finanzierung multilateraler Organisationen (Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank, UN) beteiligt.

Mit Militärausgaben in Höhe von 30 Milliarden Dollar rangierte Japan bereits 1990 weltweit an dritter Stelle und nahm in Asien die Spitzenposition ein. Seine Marine ist nach derjenigen der USA und Russlands die drittgrößte in der Region. Sollte die Regierung in Tokio (nach der Entsendung von Soldaten im Rahmen „friedenssichernder“ Maßnahmen der UN nach Kambodscha) Artikel 9 seiner Nachkriegsverfassung revidieren, was Politiker als notwendige „Japanisierung“ gutheißen und im Sog der „internationalen Terrorbekämpfung“ Aufwind erfährt, wäre nur noch ein Tabu zu brechen – der Aufbau einer eigenen Atomstreitmacht. Das ist gegenwärtig mit Rücksicht auf die anderen Verbündeten in der Region und Opfer des japanischen Militarismus (Korea, VR China und ASEAN, Vereinigung südostasiatischer Nationen) in Washington weder politisch mehrheitsfähig noch militärisch akzeptabel.

Nationale Befreiungskämpfe im Schatten des Kalten Krieges: Den Anfang machten Indonesien und Vietnam

Mit überschwänglichem Jubel feierten allerorten in Ost-, Süd- und Südostasien die Menschen am 15. August 1945 das Ende des japanischen Kolonialjochs. Zwar hatten gleichzeitig die früheren westlichen Kolonialherren (Franzosen, Briten, Portugiesen und die Niederländer) ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit eingebüßt, doch allesamt setzten sie im Zuge ihrer Nachkriegspolitiken auf die Rekolonialisierung ihrer früheren „Besitzungen“. (****) Grund genug für die vielschichtigen – bewaffneten und politischen – antikolonialen Organisationen, Partisanengruppen und Parteien, auf ein Ende äußerer Bevormundung zu drängen und die Unabhängigkeit ihrer Länder anzustreben. Denen das als erste gelang, waren Indonesien und Vietnam.

Im Gegensatz etwa zu Birma und den Philippinen hatte Tokio ursprünglich keine „Unabhängigkeit“ für Indonesien vorgesehen. Erst in der Spätphase des Krieges versuchten die Japaner, das riesige Inselreich auch weiterhin zu kontrollieren, indem sie den zunächst kooperationswilligen, später auf Distanz zu Tokio gegangenen Führern der Unabhängigkeitsbewegung, Sukarno und Mohammad Hatta, die staatliche Souveränität in Aussicht stellten. Darum ging es noch kurz vor der Kapitulation, als Sukarno und Hatta am 9. August 1945 von den Japanern nach Vietnam geflogen wurden, um dort mit ranghohen japanischen Militärs zusammenzutreffen. Am 14. August kehrten die beiden indonesischen Politiker nach Batavia (Jakarta) zurück, wo sie am 17. August 1945 die Unabhängigkeit der freien Republik Indonesien ausriefen.

Die niederländische Regierung wollte jedoch die alte Kolonialverwaltung wieder einsetzen und ließ in sogenannten politionele acties („Polizeiaktionen“) große Teile des Inselreiches besetzen. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit waren die indonesischen Truppen den niederländischen bezüglich Ausbildung und Ausrüstung nicht gewachsen, so dass es kaum zu offenem militärischen Schlagabtausch kam. Entscheidend und bedeutsamer war ein Guerillakrieg, da die niederländischen Truppen zur Kontrolle der riesigen Gebiete bei weitem nicht ausreichten. Die eigentliche Niederlage erlitten die Niederlande jedoch in der Diplomatie, da die Weltöffentlichkeit zunehmend mit der indonesischen Seite sympathisierte. Dem politischen Druck seitens westlicher Regierungen (einschließlich Washingtons) folgend, unterzeichnete die niederländische Königin Juliana am 27. Dezember 1949 in Amsterdam die Souveränitätsübergabe an die Republik Indonesien.

Just an dem Tag, da Japan seine Kapitulationsurkunde unterschreiben musste, am 2. September 1945, ging in Vietnam die Viet Minh (Liga für die Unabhängigkeit Vietnams), die als Bündnis antikolonialer, nationalistischer und kommunistischer Kräfte sowohl gegen die Franzosen als auch gegen die Japaner gekämpft hatte, in die politisch-diplomatische Offensive. Nachdem am 18. August ein Nationaler Volkskongress der Viet Minh den allgemeinen Aufstand, die „Augustrevolution“, beschlossen hatte, verkündete Ho Chi Minh am 2. September die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Die Viet Minh hatte geschickt ein kurzzeitiges Machtvakuum genutzt und setzte auf die Unterstützung der Alliierten. Die Anfangspassagen der Unabhängigkeitserklärung orientierten sich stark am US-amerikanischen Vorbild.

Doch wie auch die Niederländer in Indonesien kämpfte Frankreich erbittert um die Wiederherstellung seiner politischen und ökonomischen Macht in seiner vormaligen Kolonie. Seine Niederlage in der Schlacht von Dien Bien Phu im Frühjahr 1954 und weltweite Proteste gegen den Krieg führten am 20./21. Juli zur Unterzeichnung der Genfer Indochina-Abkommen. Diese beendeten zwar vorerst die Kampfhandlungen, brachten aber nicht die Unabhängigkeit und Einheit Vietnams. Das sollten allgemeine, freie Wahlen im Jahre 1956 besiegeln. Bis dahin wurde entlang des 17. Breitengrads eine militärische Demarkationslinie gezogen, die das Land faktisch teilte. Während Hanoi auf die Durchführung der in den Genfer Abkommen festgelegten allgemeinen Wahlen drängte, lehnte Saigon diese rundweg ab – aus Furcht vor einem überwältigenden Wahlsieg Ho Chi Minhs. Zu Beginn der 1960er Jahre war die Chance einer friedlichen Wiedervereinigung vertan und der innervietnamesische Konflikt durch die West-Ost-Blockkonfrontation internationalisiert worden.

Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (ein vermeintlicher Angriff nordvietnamesischer Patrouillenboote auf einen US-amerikanischen Zerstörer in internationalen Gewässern, der Anfang August 1964 die sogenannte Tonkin-Affäre auslöste) provozierte die US-Regierung einen Krieg, der in Vietnam bis heute als „Amerikanischer Krieg“ und im Ausland gemeinhin als Vietnamkrieg beziehungsweise „Zweiter Indochinakrieg“ bezeichnet wird.

In seinem Hauptartikel der Ausgabe vom 7. April 1975 räsonierte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel über das Kriegsende und kam zu dem Fazit, dass „er außer Amerikas Reichtum (geschätzte 140 Milliarden Dollar – Anm.: RW) auch Amerikas politische Moral schwer schädigte und über 56.000 Amerikaner das Leben kostete“.

Weiter hieß es in diesem Beitrag:

„Binnen drei Wochen krachte dieses asiatische Pseudo-Sparta zusammen, waren von (Südvietnams General – Anm.: RW) Thieus 13 Divisionen sechs zerstoben, sah sich der Staatschef fast auf den Herrschaftsbereich des Bürgermeisters von Saigon reduziert – ein Debakel vergleichbar etwa mit dem jähen Fall Frankreichs 1940, dramatischer als die schleichende Katastrophe in Kambodscha, dessen Staatschef Lon Nol dieser Tage nach Bali entflog, ein Ergebnis überlegener Kampfmoral wie überlegener strategischer Phantasie. (…) 7,1 Millionen Tonnen Bomben hatten die Amerikaner über Vietnam abgeworfen, dreieinhalbmal so viel, wie im Zweiten Weltkrieg vom Himmel fielen. Eine Million Vietnamesen waren umgekommen, sechs Millionen verloren ihre Heimat und mussten vor den Fronten flüchten, mehr als ein Viertel des Tropenwaldes war von Bomben und Granaten zerfetzt und auf viele Jahre durch chemische Entlaubungsgifte zerstört. Selbst in Südvietnam, für das die Amerikaner den Dschungelkrieg führten, hatten die Flächenwürfe der US-Bomber zwölf Prozent der Agrarfläche zerstört; im feindlichen Norden ging fast die Hälfte der Dörfer in Flammen auf.“

Der Krieg zog auch die auf Neutralität bedachten Nachbarstaaten Kambodscha und Laos in Mitleidenschaft, wo ebenfalls massive B-52-Flächenbombardements mit Napalm Millionen Menschen zwangen, in die Städte zu fliehen. Vor allem während des am US-amerikanischen Kongress vorbei geführten „geheimen Krieges“ in Laos – und dort vorrangig die Ebene der Tonkrüge und deren Umgebung – wurden von der US-Luftwaffe allein zwischen 1965 und 1973 2,1 Millionen Tonnen Bomben ausgeklinkt – mehr als über Deutschland und Japan während des Zweiten Weltkrieges! Bis heute ist ein Großteil des Landes mit Blindgängern und dem Entlaubungsmittel Agent Orange verseucht. Hauptquartier der CIA und der von ihr rekrutierten geheimen Hmong-Armee war Long Cheng. Dort errichtete die CIA ab 1962 eine Luftbasis mit 40.000 Einwohnern, und von dort aus wurde der Krieg koordiniert mit täglichen Starts und Landungen von über 400 Flugzeugen. Eine Zeitlang war Long Cheng die zweitgrößte Stadt des Landes und der meistbeflogene Flugplatz der Welt. Ein Ort, der auf keiner Landkarte verzeichnet und dessen Existenz nicht einmal dem US-Kongress bekannt war. In diesem Zusammenhang sprach der damalige US-Senator und Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, J. William Fulbright, zu recht von der „Arroganz der Macht“ (1967).

Am 27. Januar 1973 war zwar im Abkommen von Paris das Ende eines „Krieges ohne Fronten“ (Greiner 2007) vereinbart worden. Doch noch zwei erbitterte Kampfjahre mit massiven Bombardierungen der nordvietnamesischen Großstädte Hanoi und Haiphong vergingen, bis Saigon kapitulierte und die letzten US-Staatsbürger mit Hubschraubern panisch außer Landes geschafft wurden. Wie in Korea zwei Jahrzehnte zuvor hatte ein weiterer imperialer Nachfolgekrieg des Zweiten Weltkrieges die Länder Vietnam, Kambodscha und Laos in Schutthaufen verwandelt.

Korea: „Treuhandschaft“, Teilung und erneut Krieg

Vor allem in der früheren japanischen Kolonie Korea (1910-45) bejubelten die Menschen in freudiger Festtagsstimmung das langersehnte Ende des Krieges. Dort hoffte man, nunmehr endlich in Freiheit und Selbstbestimmung leben zu können. Die in den Untergrund gedrängte antijapanische Opposition aus Nationalisten, Konservativen und Kommunisten konnte jetzt öffentlich und legal wirken. Aus ihren Reihen waren in sämtlichen Landesteilen örtliche Volkskomitees als Träger eines demokratischen Neubeginns entstanden. Am 6. September 1945 tagte die Repräsentativversammlung dieser Komitees in der Hauptstadt Seoul. Wichtigstes Konferenzergebnis war die Bildung einer gesamtnationalen Regierung der Volksrepublik Korea. Diese Republik hatte allerdings zwei Geburtsfehler: Ihr blieb internationale Anerkennung versagt und sie war kurzlebig.

Bereits vor der Kapitulation Japans hatten sich die USA und die Sowjetunion darauf verständigt, die koreanische Halbinsel entlang des 38. Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufzuteilen und zunächst treuhänderisch zu verwalten. Im Norden hatte die Rote Armee und im südlichen Teil hatten die USA das Sagen. Am 8. September 1945 landete die 7. US-Infanteriedivision in Incheon an der Westküste Koreas. Die Besatzungstruppen unter Führung von General John R. Hodge ignorierten die gerade gebildete Regierung der Volksrepublik Korea und installierten stattdessen die U.S. Army Military Government in Korea (USAMGIK) als einzig legitime Regierung. Da keines ihrer Mitglieder Koreanisch sprach, lehnte die Mehrheit der Bevölkerung diese Regierung rundweg ab und sah ihre gerade erst wiedergewonnene Freiheit durch die amerikanische „Befreiung“ gefährdet.

Als Mitte November 1945 ein Kongress der Volksrepublik es ablehnte, sich selbst aufzulösen, erklärte General Hodge ihn kurzerhand für ungesetzlich. Auf Initiative der USAMGIK konstituierte sich Mitte Februar 1946 ein sogenannter Parlamentarischer Demokratischer Rat, dessen Vorsitzender der eigens aus den USA eingeflogene Exil-Koreaner Dr. Rhee Syngman wurde. Obgleich Rhee die koreanische Nachkriegsrealität nicht kannte, wurde er mit US-amerikanischer Rückendeckung zum Chef der vormals mit den Japanern kollaborierenden Kräfte – Großgrundbesitzer, Kapitalisten und Staatsbürokraten – aufgebaut. Selbst Mitglieder der USAMGIK äußerten unverhohlen Kritik am autoritären Regierungsstil Rhees.

Im September 1946 erließen die amerikanischen Behörden Haftbefehl gegen namhafte kommunistische Führer. Diese setzten sich daraufhin in den nördlichen Landesteil ab. Wenig später kam es im Süden zu gewaltsamen Protesten, die von US-Truppen und rechten paramilitärischen Schlägertrupps niedergeschlagen wurden. Zur Überwachung und Einschüchterung der Bevölkerung entstanden sogenannte „strategische Weiler“, zentrale Sammelstellen, in die sich die Menschen zu Zehntausenden begeben mussten, um nicht als „Umstürzler“ zu gelten. Auslöser dieses als „Hungerrevolte“ in die Geschichte eingegangenen Aufstandes waren die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse; überall im Lande mangelte es an Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkünften. Protest und Widerstand gegen diese miserable Lage wurden ausgerechnet von Polizeikräften unterdrückt, die von den Japanern ausgebildet und nunmehr der US-Oberaufsicht unterstellt waren. Ihr Chef, der US-amerikanische Oberst William Maglin, sprach von „geborenen Polizisten“, die man nicht einfach wegschicken sollte, nur weil sie früher einmal unter den Japanern gedient hatten.

Die sowjetische Besatzungsmacht im nördlichen Landesteil ließ die Volkskomitees gewähren und protegierte die antijapanische Partisanentruppe um Kim Il-Sung, eine unter mehreren. Im Frühjahr 1946 setzte der Norden ein sozialpolitisches Signal, als eine weitreichende Bodenreform über 700.000 besitzlosen Bauernfamilien zu Landbesitz verhalf. Dieses Land hatte früher Großgrundbesitzern gehört, die aber in den Süden geflohen waren. Für Kim war dies zweifellos ein großer Legitimationsgewinn, zumal eine ähnliche Reform im Süden der Halbinsel ausblieb.

Da sich im Nachbarland China bereits ein Sieg der von Mao Zedong geführten Kommunistischen Partei abzeichnete, lag Korea unmittelbar an der Nahtstelle des einsetzenden Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Am 15. August 1948 konstituierte sich im Süden der Halbinsel mit US-amerikanischer Hilfe die Republik Korea. Am 9. September 1948 zog der Norden nach und rief – mit sowjetischer Unterstützung – die Demokratische Volksrepublik aus. Damit war die Teilung des Landes besiegelt. In den Hauptstädten Seoul und Pjöngjang ertönte schrille Propaganda, die Einheit notfalls gewaltsam zu erzwingen. Bewaffnete Provokationen beider Seiten an der Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrads häuften sich. Und am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen die Demarkationslinie. Wenige Tage später nahmen sie die südkoreanische Metropole Seoul ein und stießen rasch bis zur Hafenstadt Busan im tiefen Süden des Landes vor.

General Douglas MacArthur, Oberkommandierender der US-Streitkräfte im Fernen Osten und gleichzeitig Kommandeur der von den Vereinten Nationen entsandten, von 15 Ländern gestellten Truppen, holte zur Gegenoffensive aus. Als diese den Yalu erreichte, den Grenzfluss zwischen Nordkorea und der Volksrepublik China, schickte Mao Zedong sogenannte Freiwilligenverbände an die Front. General MacArthur drohte daraufhin gemeinsam mit Generalskollegen in der U.S. Air Force sogar mit dem Einsatz von Atombomben, um die grenznahen chinesischen Städte zu „pulverisieren“. Das jedoch ging der Truman-Regierung zu weit: Aus Furcht davor, die Dinge könnten aus dem Ruder laufen und die Gefahr eines Dritten Weltkrieges heraufbeschwören, musste MacArthur auf Druck des Präsidenten demissionieren.

Drei Jahre dauerte dieser Krieg, in dem die Frontverläufe mehrfach wechselten und in dessen Verlauf die modernsten Waffen eingesetzt wurden, darunter Napalm, bakteriologische, Milzbrand erregende Mittel. Die Auswirkungen von Napalm-Einsätzen beschrieb erstmalig der britische Korea-Korrespondent René Cutforth:

„Vor uns stand eine merkwürdige, etwas vorgebeugte Gestalt mit gespreizten Beinen und seitwärts gestreckten Armen. Er hatte keine Augen, und seinen ganzen Körper, der fast überall durch verbrannte Stofffetzen hindurch sichtbar war, bedeckte eine harte schwarze, mit gelbem Eiter gesprenkelte Kruste. Der Mann musste stehen, weil sein Körper keine Haut mehr hatte, sondern von einer leicht zerbrechlichen mürben Kruste überzogen war. Ich dachte an die Hunderte von niedergebrannten Dörfern, die ich persönlich gesehen hatte, und stellte mir die Verlustliste vor, die an der Koreafront ins Unermessliche wachsen musste.“

Etwa zwei Millionen Zivilisten wurden getötet. Laut Angaben der Vereinten Nationen verloren in diesem „Krieg vor Vietnam“ außerdem eine Million nordkoreanische und chinesische Soldaten sowie 250.000 Soldaten aus Südkorea und 37.000 US-amerikanische GIs ihr Leben.

In keinem vorangegangenen Krieg war die Zahl der zivilen Opfer so hoch wie im Koreakrieg. Ganze Landstriche waren auf Jahre verwüstet. Sämtliche größeren Städte lagen in Schutt und Asche. Am schwersten betroffen war die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang, wo nur noch rauchende Ruinen in den Himmel stakten. Hochrangige US-amerikanische Militärs wie Emmet „Rosie“ O’Donnell, Chef des US-Bomberkommandos im Fernen Osten, beklagten damals, dass es in Korea partout keine Ziele mehr gab. Carter J. Eckert, Direktor des Harvard Center for Korean Studies, sprach noch in den 1990er Jahren von der traumatisch nachwirkenden „permanenten Belagerungsmentalität“ der Nordkoreaner: „Praktisch die gesamte Bevölkerung“, so Eckert, „lebte und arbeitete drei Jahre lang in künstlich angelegten unterirdischen Bunkern, um den ständigen Angriffen der US-Bomber zu entgehen, von denen jeder – aus Sicht der Nordkoreaner – eine Atombombe tragen konnte.“

Erst nach monatelangem diplomatischen Ringen kam es am 27. Juli 1953 in dem unwirtlichen Ort Panmunjom auf der Höhe des 38. Breitengrads zum Waffenstillstandsabkommen. Unterzeichnet wurde es lediglich von Nordkorea, der Volksrepublik China und dem US-amerikanischen General Mark W. Clark im Auftrag der Vereinten Nationen. Südkoreas Präsident Rhee Syngman weigerte sich nicht nur, das Abkommen zu unterschreiben. Er wollte den Krieg fortsetzen. Erst als die US-Regierung einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, ihr in Südkorea stationierter Oberbefehlshaber auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen übernahm und der südkoreanischen Seite beträchtliche Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe in Aussicht gestellt wurde, erklärte sich auch Rhee bereit, die Waffenstillstandsklauseln zu respektieren. Ein Waffenstillstand, der bis heute nicht in einen Friedensvertrag überführt wurde!

Bis heute ist die Koreanische Halbinsel durch eine 240 Kilometer lange sogenannte „entmilitarisierte Zone“ gespalten. Ein Euphemismus ohnegleichen: Denn tatsächlich stehen sich dort noch heute eine Million Soldaten gegenüber, darunter im Süden etwa 35.000 US-amerikanische GIs. Und bis 1993 regierten in Südkorea Militärdiktatoren, die ihre brutale Herrschaft unter anderem mit einem Gesetz absicherten, das unter den Japanern „Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ genannt wurde und seit Ende 1948 schlicht „Nationales Sicherheitsgesetz“ heißt. Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende ahndet die südkoreanische Justiz Vergehen gegen dieses Gesetz, das heißt „Kontakte zu einer staatsfeindlichen Organisation“ (wie Nordkorea darin bezeichnet wird), noch immer mit (teils hohen Haft-)Strafen.

Während ebenfalls bis heute diplomatische Beziehungen zwischen dem einstigen Aggressor Japan und Nordkorea ausstehen, sorgte ausgerechnet der ehemalige Leutnant Okamoto Minoru im Dienste des japanischen Kaisers für eine „Aussöhnung“ zwischen Seoul und Tokio, als er 1965 den „Normalisierungsvertrag“ zwischen beiden Ländern unterzeichnete. Ex-Leutnant Okamoto Minoru war der südkoreanische General Park Chung-Hee, Seouls „starker Mann“ von 1961 bis 1979. Als Kollaborateur der Japaner hatte er deren Kaiser Hirohito einst geschworen, „wie eine Kirschblüte im Heiligen Krieg für die Errichtung der Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre und in Verteidigung des odo rakudo (Reich des Rechten) zu fallen“. In Artikel 3 des „Normalisierungsvertrages“ anerkannte Tokio Seouls Alleinvertretungsanspruch für Korea und gewährte Südkorea neben einer einmaligen Zahlung von 500 Millionen US-Dollar zinsgünstige Darlehen. Park Chung-Hee sicherte im Gegenzug japanischen Unternehmen lukrative Geschäftsmöglichkeiten zu. Widerspruch duldete Park nicht. Im Oktober 1972 setzte er die Verfassung außer Kraft und verhängte – wie einen Monat zuvor Ferdinand E. Marcos in den Philippinen – das Kriegsrecht über das Land. Eine präventive Konterrevolution: In der Region ging nämlich die Angst um, nach der (sich bereits abzeichnenden) Niederlage der USA in Indochina könnten weitere Länder kommunistisch werden, zumindest aber aus dem US-amerikanischen Herrschaftsbereich ausscheren.

Exkurs III: Wechselnde Frontverläufe, Kriege hinter Frontverläufen und das beschwiegene Massaker von No Gun Ri

Im Koreakrieg (1950–53) verübten die US-amerikanischen Besatzungstruppen und ihre Verbündeten unter der Zivilbevölkerung Massaker wie das von No Gun Ri. Jahrzehntelang wurden die Verbrechen tabuisiert.

„Ich würde sagen, dass fast die ganze Halbinsel Korea ein einziger Schutthaufen ist.“,

erklärte Emmett O’Donnell. Mit dem Unterton des Bedauerns, als sei er gerade arbeitslos geworden, fügte der US-amerikanische Luftwaffengeneral hinzu:

„Alles ist zerstört. Nichts Nennenswertes ist stehengeblieben. Kurz bevor die Chinesen in den Krieg eintraten, wurden von unseren Bombern keine Angriffe mehr geflogen. Es gab in Korea halt keine Ziele mehr.“

Drei lange Jahre, von Ende Juni 1950 bis Ende Juli 1953, setzte die US-Luftwaffe in Korea systematisch und flächendeckend Napalm gegen Mensch und Natur ein. Städte und Dörfer waren davon ebenso betroffen wie ehedem dichtbewaldete Berghänge, aus denen bald nur noch verdorrte Baumstümpfe in den Himmel ragten.

Zu Beginn des Krieges evakuierte die US-Armee vielfach ganze Dörfer im Süden Koreas. So erging es auch in den späten Julitagen des Jahres 1950 den Bewohnern von No Gun Ri. Dieser Ort, wenige Kilometer südlich der Stadt Daejeon gelegen, und die angrenzenden Gebiete waren vor der Ankunft US-amerikanischer Truppen in Korea eine Hochburg des antijapanischen Widerstandes. Nach der Kapitulation Japans Mitte August 1945 entstand hier das Yongdong-Volkskomitee, das in der vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung großen Rückhalt genoss. Noch vor der Evakuierung No Gun Ris, so erfuhren später eingerückte Einheiten der nordkoreanischen Volksarmee, waren im Zuge einer anderen Operation annähernd 2.000 Zivilisten von GIs in die nahen Berge getrieben und dort regelrecht exekutiert worden. Der US-amerikanische Historiker und Korea-Experte Bruce Cumings verwies auf ein an Generalmajor Clark Ruffner adressiertes geheimes Nachrichtenmemo der US-Armee aus jener Zeit, in dem „Hinrichtungskommandos“ gefordert wurden, um Leute „auszuschalten“, die im Verdacht standen, der Guerilla zuzuarbeiten.

Soldaten des 7. US-Kavallerieregiments gruben sich am 26. Juli 1950 bei No Gun Ri auf einem mehrere hundert Meter langen Frontabschnitt ein. Am Morgen desselben Tages funkte die Führung der 8. US-Armee folgenden Befehl an alle Truppen im Kampfgebiet: „Flüchtlinge haben die Front nicht zu überqueren. Es wird auf jeden geschossen, der versucht, die Linien zu überschreiten. Im Fall von Frauen und Kindern ist Besonnenheit zu wahren.“ Generalmajor William B. Kean erteilte der nahebei in Stellung gegangenen 25. Infanteriedivision den Befehl: „Alle Zivilisten, die sich in diesem Gebiet aufhalten, werden als Feinde betrachtet und entsprechend behandelt.“

Als sich noch am selben Tag ein Treck von 500 bis 600 Bewohnern umliegender Dörfer, die sich auf der Flucht vor anrückenden nordkoreanischen Einheiten befanden, der US-amerikanischen Frontlinie näherte, wurden die Flüchtlinge von der Straße vertrieben. Die GIs wollten diese unbedingt für US-Militärfahrzeuge freihalten, und sie zwangen die Menschen, auf einen angrenzenden Bahndamm auszuweichen. Als die Flüchtlinge dort rasteten, warfen plötzlich US-Kampfflugzeuge anstelle von Warnzetteln Bomben ab und feuerten MG-Salven auf den Konvoi. Etwa hundert Menschen kamen nach koreanischen Augenzeugenberichten allein nach mehrfachem Beschuss aus der Luft ums Leben. Die Überlebenden – hauptsächlich alte Männer, Frauen und Kinder – flüchteten sich in den Tunnel unter einer nahegelegenen Eisenbahnbrücke. Schutz fanden sie dort allerdings nicht; unablässig ward auf sie gefeuert. Einige stapelten Leichen übereinander, um Schutzwälle zu errichten, während andere mit bloßen Händen Löcher in den Boden gruben, um vor dem Kugelhagel Deckung zu finden.

Einmal mehr in seiner Geschichte hatte das 7. US-Kavallerieregiment eine Blutspur hinterlassen. Seit seiner Aufstellung im Oktober 1866 hatte es zunächst gewaltsam Native Americans im eigenen Land unterworfen (zu seinen „Heldentaten“ zählte Ende 1890 das Massaker von Wounded Knee in South Dakota an mehreren hundert wehrlosen Sioux), und um 1900 „reinigte“ es die Philippinen und Kuba von „Insurrectos“ („aufständischen Banditen“). Nun, 50 Jahre später, terrorisierte es in Korea die abschätzig „Gooks“ (für „schlitzäugige, hinterhältige Asiaten“) genannte Bevölkerung.

Fast ein halbes Jahrhundert blieben die grausamen Geschehnisse in No Gun Ri mehr oder weniger vergessen, wenngleich bereits 1982 erste Geheimdokumente über die US-amerikanische Kriegsführung in Korea deklassifiziert wurden, mithin seitdem öffentlich zugänglich sind. Doch zu der Zeit interessierte sich in den USA kaum jemand dafür. In Südkorea, seit Ende des Zweiten Weltkriegs der antikommunistische Frontstaat par excellence, wo bis 1993 Militärregime an der Macht waren, blieb No Gun Ri tabuisiert. Solche und ähnliche Massaker waren in der offiziellen Geschichtsschreibung Seouls das „Teufelswerk nordkoreanischer Kommunisten“. Und in Washington herrschte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, des neuerlichen Wettrüstens gegen die Sowjetunion und nur eineinhalb Jahrzehnte nach dem die gesamte Nation aufwühlenden Massaker im südvietnamesischen Mỹ Lai (wo US-Truppen am 16. März 1968 504 Zivilisten – darunter zahlreiche Kinder, Frauen und Greise – als „verdächtigte Vietcong“ kaltschnäuzig ermordet hatten) partout kein Interesse daran, nunmehr auch noch No Gun Ri, einer der vielen Gräueltaten vor Mỹ Lai, nachzuspüren und diese öffentlich einzugestehen.

Erst Mitte der 1990er Jahre wendeten sich 30 Überlebende und Hinterbliebene des No-Gun-Ri-Massakers mit einer Petition an das sogenannte Kompensationskomitee der südkoreanischen Regierung in Seoul. Zunächst bestritten sowohl südkoreanische als auch US-amerikanische Militärbehörden kategorisch, dass es Vorfälle wie in No Gun Ri überhaupt gegeben hatte. Doch in den südkoreanischen Medien konnten sich die Opfer Gehör verschaffen, bis am 30. September 1999 die US-Nachrichtenagentur Associated Press ihren Bericht über No Gun Ri veröffentlichte und darin auch ein Dutzend US-Kriegsveteranen zu Wort kommen ließ. Ein Armutszeugnis für die Behörden und eine Vertuschung seitens der Regierung – das jedenfalls glaubt Pete McCloskey. Er war als Veteran des Koreakrieges mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet worden und saß einst als Abgeordneter im US-Kongress: „Ich glaube“, gab er zu Protokoll, „die amerikanische Regierung, das Pentagon und die meisten Regierungsbehörden wollen nicht, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Das würde die Regierung arg in Verlegenheit bringen.“

In Südkorea und in den USA regten sich Empörung und Abscheu. Nunmehr war auch das Pentagon gefordert, sich zu den Ereignissen in No Gun Ri zu äußern. Nach 15-monatiger Untersuchung kam der Generalinspekteur der US-Armee in seinem im Januar 2001 publizierten Abschlussbericht zu einem Ergebnis, das die koreanischen Überlebenden sowie die meisten US-amerikanischen Zeitzeugen als „Schönfärberei“ bezeichneten. Im letzten Satz dieses Reports heißt es wörtlich:

„Was den Zivilisten in der Nähe von No Gun Ri im späten Juli 1950 widerfuhr, war eine tragische und zutiefst bedauernswerte Begleiterscheinung eines Krieges, der unvorbereiteten US-amerikanischen und südkoreanischen Streitkräften aufgezwungen worden war.“

Vorsätzliches Töten, gar Befehle, auf Zivilisten zu schießen, hätte es nicht gegeben. Zwar bedauerte noch der aus dem Amt scheidende Präsident Bill Clinton im Januar 2001 den Tod unbewaffneter Zivilisten in No Gun Ri. Förmlich entschuldigen mochte er sich nicht. Nach Lesart der US-Armee hatten GIs in Korea nicht vorsätzlich getötet; dann nämlich würde das US-Militär öffentlich am Pranger stehen, nicht zuletzt wäre es ein justiziables Kriegsverbrechen gewesen.

Die offizielle Darstellung der Behörden in Washington und die diese stützende Sichtweise des Ex-Offiziers Robert L. Bateman wurden schließlich durch ein Dokument widerlegt, das der Historiker Sahr Conway-Lanz (2006) im US-Nationalarchiv entdeckte. Es handelte sich um ein Schreiben des damaligen US-Botschafters in Südkorea, John J. Muccio, vom 26. Juli 1950. Darin unterrichtete der Diplomat das U.S. State Department über eine „notwendige“ Entscheidung der 8. US-Armee in Korea, die in den USA zu negativen Reaktionen führen könnte. Adressat dieses Briefes von Muccio war Dean Rusk, der als stellvertretender Außenminister für Ostasien zuständig war und während des Vietnamkrieges selbst Chef des State Department wurde. Muccio sprach von einem „sehr ernsten Problem“, das zunehmend „auch das Militär herausfordere“. Die durch Flüchtlingsströme verstopften Straßen und Zufahrtswege behinderten die eigenen Militärfahrzeuge, und außerdem befürchte man, dass sich unter den Flüchtlingen nordkoreanische Agenten befinden könnten.

Sodann verwies Muccio auf ein tags zuvor (25. Juli) stattgefundenes Treffen zwischen ihm, dem Kommandeur der 8. US-Armee einschließlich ihres Sicherheitsdiensts, Mitarbeitern des südkoreanischen Innenministeriums und des Ministeriums für soziale Angelegenheiten sowie dem Direktor der Nationalpolizei. Kernpunkt dieses Treffens war die danach ergangene Order: „Nähern sich Flüchtlinge nördlich der US-Linien, werden Warnschüsse abgefeuert. Rücken sie dennoch weiter vor, werden sie erschossen.“

Muccios Brief an Rusk wurde weder im Abschlussbericht des Generalinspekteurs der US-Armee berücksichtigt, noch ist er den südkoreanischen Behörden, die sich ihrerseits mit der Untersuchung der Geschehnisse in No Gun Ri befassten, jemals zugegangen. Yi Mahn Yol, Vorsitzender des Nationalen Instituts der Geschichte Koreas und ein Mitglied der südkoreanischen Regierungskommission zur Klärung der Vorfälle in No Gun Ri, ging deshalb davon aus, dass von Anfang an „das Kommandosystem in alles einbezogen war und es sich keineswegs um einen beklagenswerten Unfall handelte“. Manisch-repressiver Antikommunismus der US-Besatzungstruppen und ihres südkoreanischen Statthalters Rhee Syngman, manifester Rassismus unter den GIs und eine systematisch tolerierte und praktizierte Verletzung internationaler Völker- und Menschenrechtsnormen waren verantwortlich für das, was in No Gun Ri und andernorts während des Koreakrieges geschah.

Das Massaker von No Gun Ri blieb überdies kein Einzelfall. Im August 1950 erteilte US-Generalmajor Hobart R. Gay die Order, eine Brücke über den Nakdong-Fluss zu sprengen. In seinem Bericht war von Toten keine Rede. Als Pioniere eine zweite Brücke über denselben Fluss in die Luft sprengten, so der Zeitzeuge und ehemalige Feldwebel Carroll F. Kinsman aus Gautier (Mississippi), kamen zahlreiche Menschen ums Leben – „die komplette Brücke war voller Flüchtlinge“. In den Militärannalen hieß es dazu lakonisch: „Ausgezeichnete Ergebnisse.“ Im selben Monat (August 1950) fanden 80 Zivilisten den Tod, die in einem Schrein des Dorfes Kokaan Ri nahe der südkoreanischen Stadt Masan Schutz gesucht hatten. An den Stränden der Hafenstadt Pohang kamen einen Monat später weitere 400 Zivilisten durch gezielten Artilleriebeschuss der US-Marine ums Leben. Bislang sind über 60 solcher Massaker während des Krieges bekannt und dokumentiert.

Was immer die kombinierten US- und UN-Truppen an Stellungen nicht halten konnten, wurde in die Luft gesprengt, um der gegnerischen Seite nichts in die Hände fallen zu lassen. Als Hunderttausende chinesische Freiwillige auf Seiten des militärisch bedrängten Nordkorea in das Kriegsgeschehen eingriffen, schürte das erst recht eine antikommunistische Hysterie und Pogromstimmung. Als Südkoreas Präsident Rhee Syngman von US-Truppen wieder in seinen Amtssitz in Seoul, das zeitweilig unter nordkoreanischer Kontrolle gestanden hatte, eskortiert wurde, nahmen dessen Leute und Sympathisanten furchtbare Rache an allen, von denen sie glaubten, dass sie der gegnerischen Seite zuarbeiteten. Mehrere zehntausend Menschen fielen diesen Racheakten zum Opfer. Das wiederum führte zu verstärkten Guerillaaktivitäten, die Mitte Januar 1951 ihren Höhepunkt erreichten.

Das US-Oberkommando schätzte die Zahl der Aufständischen auf 30.000 bis 35.000 Personen. Um sie auszuschalten, erfanden die Militärstrategen die „Operation Rattentöter“, deren Kommando einem der schärfsten antikommunistischen Haudegen Südkoreas, General Paik Sun Yup, übertragen wurde. (Paik, Südkoreas erster Viersternegeneral, starb im Sommer vergangenen Jahres – siehe ausführlich dazu meinen Beitrag auf den NachDenkSeiten). General Matthew B. Ridgway, der zwischenzeitlich den von US-Präsident Harry S. Truman entlassenen Oberkommandierenden Douglas MacArthur abgelöst hatte, verkündete Ende Januar 1952 den Erfolg dieser Operation: „Nahezu 20.000 Freischärler – Banditen und organisierte Guerilleros – wurden getötet oder gefangengenommen. Damit war diese Irritation ein für alle Mal beendet.“ Doch noch Ende 1952 war die Guerilla in den Bergen um den Jirisan im Südwesten Koreas sehr aktiv.

Für das Magazin Life verfasste die Fotografin Margaret Bourke-White im Dezember 1952 ein Feature mit dem Titel „The Savage, Secret War in Korea“ („Der grausame, geheime Krieg in Korea“). Ein trefflicher Titel; tatsächlich bedeuteten die Guerillabewegungen hinter den Frontlinien einen Krieg im Kriege. Bourke-White interviewte mehrere Aufständische, unter ihnen auch couragierte Frauen:

„Einige der Aufständischen wechselten die Fronten und schlossen sich den Roten an. Tausende Nordkoreaner waren auch darunter, denen es glückte, sich von ihren Einheiten abzusetzen, als die UN-Truppen den Belagerungsring durchbrachen, der um die südliche Hafenstadt Pusan gelegt worden war. Andere Aufständische kamen aus dem Norden, wo sie die Frontlinien der Alliierten überwanden. Insgesamt handelte es sich also um eine Truppe, die nie mehr als zwei Jahre lang den um sie herumtobenden Krieg und die harschen Bedingungen in gebirgigem Terrain überlebt hätte, wäre sie nicht von der Bevölkerung versorgt und unterstützt worden.“

Geordnetes Comeback der Eliten, permanente Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) & geschätzte „little brown brothers“

„Die Filipinos“, sagte einmal spöttisch der bekannteste zeitgenössische Autor des Landes, Francisco Sionil José, „verbrachten annähernd 350 Jahre im spanischen Konventsmief. Es folgte nahezu ein halbes Jahrhundert unter der Herrschaft Hollywoods, unterbrochen von einem dreijährigen japanischen Intermezzo. Unser Dilemma: Wir sind das Kind zu vieler Eltern.“

In den Philippinen wurde nach dem Krieg die schlagkräftigste antijapanische Widerstandsorganisation, die Hukbalahap, von der alten und neuen Kolonialmacht USA illegalisiert und bekämpft. (Nicht anders verhielt es sich im benachbarten Malaya, dem späteren Singapur und Malaysia. Die Kommunistische Partei Malayas, die CPM, hatte den Japanern erbittert Widerstand geleistet, um nach dem Krieg von den alten und neuen Kolonialherren, den Briten, ebenso vehement als „Umstürzler“ und „kommunistische Terroristen“ – kurz „CTs“ genannt – denunziert und gejagt zu werden. Was London beschönigend „Emergency“ nannte, die von 1948 bis 1960 währende Phase des „Notstands“, war ein brutal geführter Krieg, um die Kolonialinteressen auf der malaiischen Halbinsel so lange wie möglich zu wahren.) Da die Hukbalahap nicht für den Austausch von Besatzern gekämpft hatte, führte sie ihren Kampf im Untergrund weiter und benannte sich in Volksbefreiungsarmee, Hukbong Mapagpalaya ng Bayan (kurz: HMB), um.

Erst Mitte der 1950er Jahre – nach erbitterter „Aufstandsbekämpfung“ (counterinsurgency), politischer Vereinnahmungen und versprochener Zuteilung von einem oder zwei Hektar Land an ehemalige Huk-Kämpfer auf der Südinsel Mindanao – gelang es Manila, die HMB militärisch zu besiegen. Unter anderem mit Mitteln ausgeklügelter psychologischer Kriegsführung (psywar) in Gestalt des Aswang-Projekts. Aswang ist eine dämonische, häufig weibliche Gestalt in der philippinischen Mythologie, die auch als Vampir ihr/sein Unwesen treibt und mit röhrenförmiger Zunge den Opfern das Blut aus dem Körper saugt. Da der Großteil der Filipinos ebenso gläubige Katholiken sind wie abergläubisch, nutzten ausgebildete Spezialeinheiten der Armee dies im Rahmen von psywar aus, indem sie während nächtlicher Kommandoaktionen den letzten Mann eines Huk-Trupps gefangen nahmen, ihn töteten, zwei Löcher in seinen Hals bohrten und die Leiche anschließend ausbluten ließen. Durch Mundpropaganda und/oder das Abwerfen von Flugblättern im entsprechenden Operationsgebiet wurde sodann die Nachricht verbreitet, dass selbst Vampire oder ähnliche dämonische Wesen auf Seiten der Regierungstruppen stünden und ihnen willig zu Diensten seien. (s.u.a. Lansdale 1991)

Die während des Krieges von US-Präsident Roosevelt gegebene Zusage, alle Filipinos, die Seite an Seite mit den GIs gekämpft hätten, erhielten nach Kriegsende Entschädigungen und würden wie ihre amerikanischen Kampfgefährten in den Genuss einer Krankenversicherung und Rente kommen, wurde nicht eingehalten. Bereits Anfang 1946 passierte den US-amerikanischen Kongress ein Gesetz, das diesen Gleichheitsgrundsatz ausdrücklich nicht anerkannte. Mehr noch: Eine von der Truman-Regierung zugesagte Nothilfelieferung von ursprünglich 620 Millionen US-Dollar wurde im US-Senat um 100 Millionen Dollar abgesenkt. Und die von der U.S.-Philippine War Damage Corporation ursprünglich in Aussicht gestellten 1,25 Milliarden Dollar an Reparationszahlungen flossen nicht in voller Höhe. (Immerhin war Manila neben Warschau die am meisten zerstörte Hauptstadt während des Zweiten Weltkriegs, wo allein im Februar 1945 nach offiziellen Angaben über 100.000 Tote im Zuge der Rückeroberung der Stadt durch kombinierte US-amerikanisch-philippinische Einheiten zu beklagen waren.) Als die War Damage Corporation 1950 ihren Betrieb einstellte, hatte sie lediglich 388 Millionen Dollar an private Antragsteller ausgezahlt, die meist enge Kontakte zur Regierung in Manila pflegten.

Das ebenfalls 1946 in Kraft getretene philippinische Handelsgesetz oder der Bell Trade Act garantierte sogar parity rights. So genossen die US-Amerikaner in den Philippinen dieselben Rechte wie Filipinos in den USA. Die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA in den Philippinen blieb auf Dauer so dominant, dass die am 4. Juli (zeitgleich mit dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag!) 1946 ausgerufene Republik der Philippinen faktisch eine Neokolonie blieb. Vor allem wegen der politischen Erpressbarkeit ihres ersten Präsidenten Manuel Roxas, der den japanischen Besatzern als Reiseintreiber gedient hatte. In Roxas’ Amtszeit fiel auch die Entscheidung, Washington den Unterhalt und Ausbau der größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents befindlichen Militärbasen (Clark Air Field und die Subic Naval Base der 7. US-Flotte) zu gestatten. Diese wiederum nutzte das US-amerikanische Militär als bedeutsamen logistischen Dreh- und Angelpunkt seiner Aggressionskriege gegen Korea (1950-53) sowie gegen Vietnam, Laos und Kambodscha (1965-75).

Little brown brothers war die geläufige Bezeichnung der Filipinos während der US-Kolonialherrschaft über den Archipel von 1898 bis 1946. Geprägt wurde dieser paternalistische Begriff von William Howard Taft, Washingtons erstem Generalgouverneur auf den Philippinen (1901-1904) und 27. Präsidenten der Vereinigten Staaten (1909-1913). Und gehätschelte little brown brothers blieben philippinische Politiker auch und gerade in der Nachkriegsära. Kein Wunder, dass die Philippinen als verlässlichster Vasall der USA in Südostasien auch die Hochburg par excellence für Antikommunismus und Kalten Krieg in der asiatisch-pazifischen Region bildeten.

Die am 8. September 1954 in Manila unter Federführung der USA aus der Taufe gehobene Southeast Asia Treaty Organization (kurz SEATO; dt. Südostasiatische Paktorganisation, auch bekannt als Manilapakt) mit Sitz in der thailändischen Hauptstadt Bangkok verstand sich als pazifisches Pendant zur NATO. Ihr erklärtes Ziel war gemäß der 1947 verkündeten Truman-Doktrin die „Eindämmung des Kommunismus in Südostasien“. Thailand und die Philippinen traten dem Bündnis als einzige Länder aus der Region aus Sicherheitserwägungen bei, während es den anderen Mitgliedstaaten (Frankreich, das Vereinigte Königreich, Australien und Neuseeland) nebst den USA um die Wahrung ihrer eigenen Interessen in der Region ging. Am 30. Juni 1977, zwei Jahre nach dem Debakel der USA in Vietnam, verschwand die SEATO unzeremoniell von der politischen Bildfläche. Gemeinsam mit der CENTO (*****) und der NATO im Westen ward so auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ein Cordon sanitaire gegen den „kommunistischen Machtblock“, repräsentiert durch die Sowjetunion und die Volksrepublik China, geschaffen.

Amnesie und anhaltende Konflikte

Wo nach 1945 die jeweilige Befreiungs- oder Unabhängigkeitsbewegung schnell siegte – wie im Falle Indonesiens und Vietnams – waren die politischen und sozialen Verhältnisse so undurchsichtig und die Probleme der Menschen so schwerwiegend, dass an eine Würdigung der zahlreichen Kriegsopfer nicht zu denken war. Bis heute wird weder in Indonesien, Malaysia sowie Singapur noch in Thailand und Myanmar von offizieller Seite der hunderttausenden Romushas (Zwangsarbeiter) gedacht, die beispielsweise beim Bau der Thailand-Birma-Bahn von japanischen Truppen zwangsverpflichtet worden waren und dort namenlos starben. Bis heute bleibt, vor allem aus Gründen politischer Opportunität, das Verhältnis zwischen der VR China und Japan wegen des Nanking-Massakers (1937/38) angespannt.

Duldete Beijing lange keine Opfer des japanischen Militarismus, sondern nur „Heroen des sozialistischen Aufbaus“, so ging man in Tokio davon aus, im „Großen Ostasiatischen Krieg“ für eine gerechte Sache, nämlich „gegen den weißen Kolonialismus und Imperialismus“ gekämpft zu haben. Opfer passten nicht ins (rechte Geschichts-)Bild, während einflussreiche politische Kreise in Japan keinen Hehl daraus machen, mit höchst umstrittenen Besuchen des Yasukuni-Schreins im Herzen der Hauptstadt gleichzeitig einst hochrangiger Täter einschließlich der in den Tokioter Prozessen verurteilten Kriegsverbrecher ehrenvoll zu gedenken. Ganz zu schweigen von den euphemistisch „Trostfrauen“ genannten zwangsrekrutierten ost- und südostasiatischen Mädchen und Frauen – einschließlich Niederländerinnen in Den Haags vormaliger Kolonie Indonesien – die zu Zehntausenden in japanischen Militärbordellen systematisch gedemütigt und gepeinigt worden waren. Was vor allem das südkoreanisch-japanische Verhältnis bis zum heutigen Tage in beklemmendem Maße belastet.

Last, but not least: Seitdem Birma (das heutige Myanmar) Anfang 1948 seine Unabhängigkeit erhielt, befand sich dessen gewaltiger Armee- und Geheimdienstapparat in permanentem Kriegszustand mit nationalen Minderheiten, die zumindest für Autonomie stritten oder eintreten. Und seit der 1947 erfolgten Teilung des indischen Subkontinents in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan bekämpften sich beide Seiten in Kriegen und militärischen Konflikten um Kaschmir. Während dessen indischer Teil zum Bundesstaat Jammu und Kaschmir wurde, besteht dessen pakistanischer Teil aus der autonomen Teilregion Azad-Kaschmir und dem Sonderterritorium Gilgit-Baltistan. Erst mit dem Shimla-Abkommen vom 2. Juli 1972 wurde die „Line of Control“ nach drei kriegerischen Auseinandersetzungen (1948, 1965 und 1971) um die gesamte Region Kaschmir von einer gemeinsamen indisch-pakistanischen Militärkommission vermessen, kartiert und faktisch als Grenze zwischen beiden Staaten anerkannt. Was nichts daran ändert, dass beide Seiten nach wie vor die Souveränität über das gesamte Territorium für sich beanspruchen. Seit 1962, nach dem Indisch-Chinesischen Grenzkrieg, gehören mit Aksai Chin und dem Shaksgam-Tal Teile Kaschmirs auch zur Volksrepublik. Allesamt Konflikte, die 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Teil weit davon entfernt sind, für die Zivilbevölkerungen gütlich gelöst zu sein.

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Wegen ihres Umfangs finden Sie hier separat das Quellenmaterial sowie eine Übersicht weiterführender Literatur zum vorliegenden Text.


[«1] Die Ausnahme bildeten die USA, die als einzige Kolonialmacht in der Region im Zuge der Schaffung eines Commonwealth mit den Philippinen im Jahre 1935 dem Land die Unabhängigkeit binnen eines Jahrzehnts in Aussicht gestellt hatten, was schließlich nach der unvorhergesehenen japanischen Okkupation ein Jahr später, am 4. Juli 1946, realisiert wurde.

[«2] Die Central Treaty Organization (abgekürzt CENTO, dt. Zentrale Paktorganisation, auch bekannt als Bagdadpakt und von 1955 bis 1959 als Middle East Treaty Organization, METO) war ein von 1955 bis 1979 bestehendes Militärbündnis mit Hauptquartier in Bagdad und später in Ankara. Deren Mitglieder – Iran, Irak, Großbritannien, Pakistan und die Türkei mit den USA im Beobachterstatus – ging es wie der NATO im Westen und der SEATO im Osten vorrangig um die Eindämmung des Einflusses der Sowjetunion in den Mitgliedsländern. Allerdings verfügte die CENTO über keine einheitliche Kommandostruktur, noch unterhielten die USA und Großbritannien in der Region zu der Zeit eigene Militärbasen. 1979 wurde die CENTO nach politischen Veränderungen in den Mitgliedstaaten aufgelöst – vor allem nach Verkündung der Islamischen Revolution in Iran, das sich fortan der Bewegung der Blockfreien Staaten anschloss.