Wie wir durch Verschweigen von den Medien manipuliert werden: z. B. zu Deutschlands Verantwortung für die Wirtschaftskrise

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 29.9. 2010 hat die Europäische Kommission ein so genanntes Legislativpaket vorgelegt. Darin ist auch eine „Neue Verordnung zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ enthalten. Damit ist vor allem Deutschland und seine Verantwortung für die Krise des Euro-Raums gemeint. In den deutschen Medien kommt der Brüsseler Vorstoß nahezu nicht vor. Im einzelnen siehe unten Beispiel A. Ähnlich ergeht es der Stellungnahme des IMK für den Deutschen Bundestag mit der Botschaft „Sparkurs dämpft Konjunktur spürbar“, die gestern veröffentlicht wurde. Nahezu keine Resonanz in den deutschen Medien. Albrecht Müller

Das war absehbar. Wenn den Medien die Richtung nicht passt, dann wird darüber nicht berichtet, auch wenn es sachlich richtig und notwendig wäre, endlich in eine Diskussion darüber einzutreten, was Deutschland wirtschaftspolitisch und finanzpolitisch einbringen müsste, damit die Ungleichgewichte in der Europäischen Union und insbesondere in der Währungsunion abgebaut werden. Wir haben es offensichtlich mit einem Kartell von wahrlich bornierter Wirtschaftswissenschaft, Bundesbankern und Medien zu tun.

Hier im einzelnen ein paar relevante Informationen zu den beiden Beispielen:

Beispiel A:

Bei Recherchen im Netz mithilfe von Google findet man ein paar wenige Beiträge zur Veröffentlichung der Kommission vom 29.9.2010. Hier der Link zur Originalmeldung bei LexisNexis:

Umfassende Reform für Stabilität und Wachstum in der EU – Europäische Kommission legt Legislativpaket vor

Die Europäische Kommission hat am 29.09.2010 ein Legislativpaket angenommen, das auf die umfassendste Verstärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU und im Euroraum seit Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion abzielt. Angestrebt wird nicht nur eine breitere und verbesserte Überwachung der Haushaltspolitik, sondern auch der allgemeinen Wirtschafts- und Strukturreformpolitik.

(…)

5. Neue Verordnung zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte

Das Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht (Excessive Imbalance Procedure, EIP) ist ein neuer Bestandteil des EU-Rahmens für die Überwachung der Wirtschaftspolitik. Er umfasst eine regelmäßige Bewertung des Risikos von Ungleichgewichten anhand eines Satzes ökonomischer Indikatoren. Ausgehend von dieser Bewertung kann die Kommission bei Mitgliedstaaten mit entsprechendem Risiko eine eingehende Überprüfung einleiten, bei der die ursächlichen Probleme ermittelt werden. Bestehen bei einem Mitgliedstaat schwerwiegende Ungleichgewichte oder Ungleichgewichte, die das ordnungsgemäße Funktionieren der WWU gefährden, kann der Rat eine Empfehlung abgeben und das “Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht (EIP)” einleiten.
Im Rahmen dieses Verfahrens müsste der betreffende Mitgliedstaat einen Korrekturmaßnahmenplan vorlegen, den der Rat bewertet und für den er eine Umsetzungsfrist festlegt. Versäumt es ein Mitgliedstaat wiederholt, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, werden Sanktionen gegen ihn eingeleitet.“

Dann gab es hier noch eine Meldung.

Und einen einzigen der Sache gerecht werdenden Kommentar in der Wiener Zeitung:

Brisante Ideen für bessere Balance
Von Hermann Sileitsch
Wie die Europäische Kommission die Budgetdisziplin der EU- und Eurostaaten sicherstellen will, wurde ausgiebig kommentiert. Fast unbeachtet blieben Vorschläge, die langfristig viel wichtiger sein werden. Die Eckdaten der EU- und Eurostaaten entwickeln sich nämlich seit Jahren massiv auseinander. Ob Finanzkraft, Wettbewerbsfähigkeit, Zahlungs- und Handelsbilanz, Wachstum oder Arbeitslosigkeit – die Schere öffnet sich krisenbedingt noch stärker als zuvor. In den “makroökonomischen Ungleichgewichten” steckt enorme Sprengkraft für die Wirtschafts- und Währungsunion.
Die nun präsentierten Ideen der Kommission sind reichlich vage, aber politisch höchst brisant: Nicht nur Schuldensünder sollen Strafzahlungen leisten müssen, sondern auch Länder, deren Wirtschaftsdaten aus der Balance geraten.
Was in dem Papier weder explizit erwähnt noch ausgeschlossen ist: Ein “Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht” könnte auch die Exportstärke von Ländern wie Deutschland treffen, die sich aus Sicht anderer mit kargen Löhnen Vorteile verschafft haben (das gilt in geringerem Maß auch für Österreich).
Brüssel erhielte so einen Hebel, der bis in die Lohnpolitik reicht. Das ist politisch freilich kaum vorstellbar; erbitterter Widerstand gegen den Frontalangriff auf das deutsche Erfolgsmodell ist fix.“
Quelle: WienerZeitung

Die Ignoranz der deutschen Medien ist bemerkenswert. Das gleiche gilt für den Umgang mit der Veröffentlichung des IMK/Hans-Böckler-Stiftung von gestern:

Beispiel B:

Betreff: Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung: IMK: Sparkurs dämpft Konjunktur spürbar

Stellungnahme im Deutschen Bundestag

IMK: Sparkurs dämpft Konjunktur spürbar

Der Sparkurs der Bundesregierung wird im kommenden Jahr die Konjunkturentwicklung in Deutschland spürbar dämpfen. Budgetkürzungen, die Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge und das Auslaufen der Konjunkturprogramme summieren sich 2011 zu einem negativen fiskalischen Impuls von 0,7 Prozent oder knapp 18 Milliarden Euro. Diese Zahlen nennt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung in einer Stellungnahme zum geplanten Haushaltbegleitgesetz 2011.

In den folgenden Jahren werde der negative Wachstumsimpuls kontinuierlich zunehmen, weil die Regierung ihre Haushaltspolitik an den Anforderungen der ab 2016 wirkenden “Schuldenbremse” ausrichte. Eine gefährliche Zielsetzung, warnt das IMK: “Das Einschwenken und die mittelfristige Verpflichtung der deutschen Finanzpolitik auf einen stark restriktiven Kurs ohne Rücksicht auf die zu erwartende konjunkturelle Lage stellt ein großes wachstums- und beschäftigungspolitisches Risiko dar”, schreiben Prof. Dr. Gustav A. Horn und Dr. Achim Truger in ihrer Stellungnahme für den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, die heute als IMK Policy Brief erscheint.*

Allzu schematische Konsolidierungsbemühungen könnten ein Übergreifen der derzeit vor allem vom Export getragenen wirtschaftlichen Erholung auf die Binnennachfrage und damit einen selbsttragenden Aufschwung verhindern. Dadurch erhöhe sich das Risiko eines konjunkturellen Rückschlags, “übrigens auch mit kontraproduktiven Auswirkungen auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.”

Die Wissenschaftler erneuern in diesem Zusammenhang ihre Kritik an methodischen Schwächen der “Schuldenbremse”. Die scheinbar objektive Abgrenzung von konjunkturellen und strukturellen Defiziten sei unpräzise und intransparent. “Dass die geäußerten Einwände gegen die Schuldenbremse keinesfalls akademisch-theoretischer Natur sind, sondern hohe Praxisrelevanz besitzen, war in den vergangenen Monaten auch für die Öffentlichkeit bereits ersichtlich, als die zulässigen `strukturellen´ Defizite (insbesondere das Startdefizit des Jahres 2010) mehrfach in Abhängigkeit von der Konjunkturlage variierte”, so das IMK.

* Gustav Horn, Achim Truger: Haushaltsbegleitgesetz 2011: Die falsche Antwort auf die finanz- und steuerpolitischen Herausforderungen. IMK Policy Brief Oktober 2010. Download [PDF – 63 KB ]

Eine Recherche bei Google News ergab folgendes:
Ergebnisse 1 – 1 von ungefähr 1 für “Hans-Böckler-Stiftung IMK Sparkurs dämpft”

Dass es gute Argumente dafür gibt, den so genannten Sparkurs nicht fortzusetzen, interessiert die deutschen Medien nicht. Es passt nicht ins Konzept.
Das oben verlinkte PDF Dokument enthält eine Zusammenfassung, deren Lektüre empfohlen wird.

Zur Veröffentlichung des IMK wäre kritisch anzumerken:
Mit dem Gebrauch des Wortes „Sparkurs“ macht sich das IMK den Sprachgebrauch der Bundesregierung, der einschlägigen Wissenschaft und Medien zu eigen. Fälschlicherweise. Denn mit dem neuerlichen Einbruch der Konjunktur macht dieser so genannte Sparkurs seinen Erfolg selbst zunichte. Es ist kein Sparkurs. Es ist ein Sparversuchskurs.

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