Die Wut in Myanmar wächst

Die Wut in Myanmar wächst

Die Wut in Myanmar wächst

Ein Artikel von Jinthana Sunthorn

Die Protestbewegung in Burma nimmt nach dem Putsch am 1. Februar eine neue Dimension an. Die Militärs waren überrascht über den starken Widerstand der Bevölkerung gegen ihre erneute totalitäre Machtübernahme und gegen die Verhaftung der gewählten Regierungsmitglieder sowie der wichtigsten politischen Führer und Führerinnen, allen voran der bekannten Friedensnobelpreisträgerin Aung Suu Kyi. Aber nicht nur Politiker, auch Künstler, Journalisten und andere Oppositionelle wurden verhaftet. Von Jinthana Sunthorn, Hongkong, aus dem Englischen von der Redaktion.

Es dauerte nur ein paar Tage, bis sich die burmesische Bevölkerung von der anfänglichen Schockstarre erholt hatte und damit begann, sich zu organisieren. In Burma ist, wie in anderen Ländern auch, eine neue, aufgeklärte Jugend herangewachsen. Die Burmesen sind längst nicht mehr das Bauernvolk von früher. Die Jugend hat studiert und ist mit den sozialen Medien und dem Internet vertraut und aufgewachsen. Die Jugend ist international vernetzt und will nicht mehr unter der Knute des Militärs leben, das ihnen keine Zukunft und Entfaltungsmöglichkeiten bieten kann. Aber auch die älteren Menschen, die ihr Leben lang unter der kleptokratischen Herrschaft des Militärs gelebt haben, einer Militärdiktatur, die sich maßlos bereicherte und den Menschen in Burma kaum mehr als das Nötigste zum Überleben ließ, wollen, dass die zaghaften demokratischen Versuche und damit verbunden eine bessere Teilhabe an der Wertschöpfung weitergehen. Sie wollen schlicht und ergreifend bessere Löhne und eine gesicherte Zukunft.

Ein fünfjähriger vorsichtiger Weg zu einer demokratischen Zukunft ist am 1. Februar vom Militär abrupt beendet worden.

Aung Suu Kyi und die NLD

Im Jahre 2015, bei den ersten freien Wahlen, wurde die NLD (National League for Democracy), deren Gründerin Aung San Suu Kyi war, mit überwältigender Mehrheit ins burmesische Parlament gewählt und stellte die Regierung. Aber die Spielregeln waren schon zuvor vom Militär bestimmt worden, das 2008 eine Verfassung geschrieben und durchgesetzt hatte, die ihm auch nach demokratischen Wahlen die Herrschaft sichern würde. Die eigene Verfassung des burmesischen Militärs erlaubte es ihnen, in jedem sogenannten „Notfall” die totale Macht zu übernehmen. Und das Militär behielt viele Befugnisse, ein Monopol auf wichtige Ministerposten, zusammen mit einer Garantie von 25% der Sitze im Parlament. Unter diesen Bedingungen war das neu gewählte Parlament von Anfang an nur ein Scheinparlament.

Aung San Suu Kyi bleibt eine populäre Figur im Lande, aber sie ist nicht die Art von Führer, die bereit ist, die Diktatur zu stürzen. Sie hat in den letzten 5 Jahren ihrer Regierung mit dem Militär unter dessen scheindemokratischem System zusammengearbeitet. Sie ist eine buddhistische burmesische Nationalistin. Innerhalb ihrer Partei hat sie sich zunehmend autoritär gezeigt. Auch während Suu Kyis Amtszeit gab es zahlreiche politische Gefangene, doch ihre Regierung erlaubte weiterhin, dass die Gesetze der Junta die Rede- und Versammlungsfreiheit einschränken.

Die „burmesische Road Map zur Demokratie”, die vom Westen beklatscht wurde, erlaubte lediglich eine Fassade der Demokratie, während das Militär immer die Macht behielt. Aung San Suu Kyi wurde aus ihrem Hausarrest entlassen und es wurde ihr erlaubt, an den Wahlen teilzunehmen, weil sie zu Kompromissen bereit war. Die Militärs errichteten mit Hilfe von Suu Kyis internationalem Renommée eine Fassade der Demokratie, die vom Westen und den Mainstream-Kommentatoren beklatscht wurde, um zu erklären, dass Burma zur „Demokratie” zurückkehre. Das ist die eine Seite der Medaille.

Natürlich geht ein Militärputsch gar nicht und wir müssen uns hinter die Inhaftierten und die NLD stellen und deren Freilassung fordern. Das ist die andere Seite. Aber das bedeutet nicht die uneingeschränkte Unterstützung von Suu Kyis Führung.

Die aktuelle Lage

Als im November die NLD einen noch größeren Wahlerfolg als 2015 erzielen konnte, befürchteten die Generäle eine weitere fünfjährige Amtszeit der NLD und eine weitere Beschneidung ihrer Macht. Sie suchten die Flucht nach vorn. Gleichzeitig steht Burma damit politisch wieder auf Null.

Am letzten Wochenende fanden in ganz Myanmar große Protestkundgebungen statt, trotz Versammlungsverbots. Dabei kam es zu ersten größeren Auseinandersetzungen mit dem Militär. Diese hatten sich bisher wohlweislich zurückgehalten und die Polizei vorgeschickt. Das Militär blieb weiterhin im Hintergrund. Aber die Militärregierung versuchte ständig, die Kommunikation der Regierungsgegner über das Internet zu behindern. Da sie das Internet nicht ganz abschalten können, sie brauchen es ja selber für das weitere Funktionieren des Staates, gingen sie dazu über, nächtliche Internetsperren zu verordnen. Und nachts verhaften sie, wie die Nazis 1933 und Pinochet 1973, die Oppositionellen in ihren Häusern. Sie holen sie ab. Deshalb haben sich bereits Bürgerwehren und Straßenkomitees gebildet, um solche Verhaftungen zu unterbinden. Viele Oppositionelle sind in den Untergrund gegangen und schlafen nicht mehr als drei Nächte im selben Bett.

Vor zwei Wochen wurde eine 20-jährige Frau bei einer Demonstration in den Kopf geschossen. Woher der Schuss kam, ist unklar. Sie ist vor ein paar Tagen gestorben, was die Wut gegen das Militär weiter angeheizt hat.

Am gestrigen Sonntag schoss das Militär zu ersten Mal auf Befehl mit scharfer Munition auf Demonstranten. Zwei Demonstranten wurden erschossen. Die Bewegung für zivilen Ungehorsam, eine lose organisierte Gruppe, die den Widerstand gegen die Machtübernahme der Armee anführt, hat daraufhin zum Generalstreik aufgerufen. Heute, am Montag, soll gleichzeitig die bisher größte Kundgebung gegen den Militärputsch stattfinden. Daraufhin hat die Militärregierung als Reaktion vor einem Generalstreik gewarnt und damit gedroht, die Demonstranten zu erschießen. Sie beschuldigte die Demonstranten, dass sich unter ihnen kriminelle Banden befänden, die für Gewalt bei den Demonstrationen sorgten und dass „die Mitglieder der Sicherheitskräfte zurückschießen mussten”.

Der Militärputsch in Burma/Myanmar wird von Zehntausenden von Aktivisten in Städten im ganzen Land bekämpft. Es wird erwartet, dass Geschäfte und Betriebe aus Solidarität geschlossen bleiben, wobei der größte Einzelhändler des Landes ankündigte, dass er alle seine Filialen schließen wird.

Es gibt Berichte, dass Krankenhausmitarbeiter in bis zu 70 Krankenhäusern gegen den Putsch vorgegangen sind. Lehrer, Akademiker, Eisenbahnarbeiter und Beamte haben sich dem Protest angeschlossen. Hunderte von Arbeitern in den in chinesischem Besitz befindlichen Kyisintaung-Kupferminen in der Region Sagaing haben sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen. Darüber hinaus haben sich die Bewohner der Staaten Kachin, Kayah, Karen, Chin, Rakhine, Mon und Shan den landesweiten Kundgebungen gegen den Putsch angeschlossen und vorübergehend ihre Differenzen mit burmesischen Politikern beiseite gelegt.

Es könnte also heute zu größeren Zusammenstößen und sogar zu einem Blutbad kommen. Demonstranten haben in den letzten Tagen immer wieder in Interviews wiederholt, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, dass sie auch bereit wären, bis zum Letzten zu gehen, um die Militärregierung zu stürzen, und dass es diesmal keinen (faulen) Kompromiss mehr geben könnte. Die hauptsächlich von jungen Menschen, unter ihnen genauso viele Frauen wie Männer, angeführte Bewegung hat drei Hauptforderungen gestellt: die Freilassung der zivilen Führer einschließlich Aung San Suu Kyi, die Anerkennung des Wahlergebnisses von 2020, aus dem ihre Partei als Sieger hervorging, und den Rückzug des Militärs aus der Politik.

Opposition gegen den Putsch bedeutet auch Opposition gegen die Scheindemokratie

In den vergangenen 30 Jahren hat Aung San Suu Kyi versucht, radikale Bewegungen in Richtung parlamentarische Politik zu lenken. Jedes Mal, wenn ein Aufstand stattfand, versuchte sie, sich selbst als Galionsfigur oder Personifizierung der burmesischen Demokratie zu profilieren, anstatt Massenaktionen von unten zu ermutigen. Dies hat nur die Macht des Militärs bewahrt. Während sie sich einerseits gegen Militärdiktatur stellte, unterstützte sie andererseits die Armee, die ihr Vater Aung San nach der Unabhängigkeit aufgebaut hat.

Zudem können sich die Forderungen der demokratischen Bewegung nicht nur auf die Beendigung der Militärherrschaft beschränken. Das Selbstbestimmungsrecht für die verschiedenen ethnischen Nationen innerhalb Burmas ist seit der britischen Herrschaft ein Schlüsselthema. Aung Suu Kyi ist auch daran gescheitert, hier eine klare Stellung zu beziehen. Nicht zuletzt ihre Haltung in der Frage der Rohingya ließ sie bei der internationalen Gemeinschaft in Ungnade fallen, auch wenn das Thema, das sei hier nochmals deutlich gesagt, komplexer ist, als es die internationale Gemeinschaft und die Mainstreamjournalisten darstellen.

Die Zukunft für die Demokratie in Burma besteht darin, dass sich eine neue Generation junger Menschen unabhängig von Aung San Suu Kyi erhebt, die Lehren auch aus Thailand zieht, aber auch Aktivisten dort inspiriert. Der Erfolg des Sturzes des Militärs wird davon abhängen, die Arbeiterklasse einzubeziehen, sowohl innerhalb des Landes als auch die Millionen von Migranten, die im benachbarten Thailand arbeiten. Und nicht zuletzt auch davon, ob es gelingt, die ethnischen Minderheiten in Burma in den Kampf mit einzubeziehen und sie davon zu überzeugen, dass in einem neuen burmesischen Staat, der nach dem Sturz der Militärs neu aufgebaut werden muss, auch ihre Rechte gewahrt bleiben.

Titelbild: Chaiwat Subprasom/shutterstock.com