Feindbild-Aufbau des „Spiegel“ – das wird noch schlimmer enden als beispielsweise am 1. März 1945 in Bruchsal

Feindbild-Aufbau des „Spiegel“ – das wird noch schlimmer enden als beispielsweise am 1. März 1945 in Bruchsal

Feindbild-Aufbau des „Spiegel“ – das wird noch schlimmer enden als beispielsweise am 1. März 1945 in Bruchsal

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Heute muss ich zwei Ereignisse kombinieren, die scheinbar weit auseinanderliegen und doch so viel miteinander zu tun haben: Ein Artikel von drei Spiegel-Redakteuren über das russische Medium RT DE und die dort Beschäftigten und einen Bericht der BNN (Badische Neueste Nachrichten) über den tödlichen Bombenangriff auf Bruchsal vor 76 Jahren. Mit beiden Vorgängen verbinde ich persönlich etwas. Beim Angriff auf Bruchsal war ich knapp 7 Jahre alt; wir hatten Verwandte in Bruchsal; mein Heimatdorf lag 34 km davon entfernt und wir sahen in der Nacht den roten Himmel. Einige der vom „Spiegel“ pauschal geschmähten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RT DE kenne ich persönlich. Die Hetze des „Spiegel“ ist unberechtigt. Sie wird, wie vieles, was zurzeit bei uns abläuft, die Konfrontation mit Russland verschärfen. Unser Volk wird durch solche Artikel aufgehetzt und es wird verdrängt, was Krieg bedeutet. Mit jedem dieser und ähnlicher Artikel wächst die Konfrontation und die Kriegsgefahr. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  1. So war der letzte Krieg in D. – Ein Atomkrieg ist noch schlimmer
    Diese im gestrigen Artikel der BNN geschilderte Bombardierung der badischen Stadt Bruchsal steht für viele ähnlich dramatische Ereignisse und für das Leiden im Krieg, wörtlich:

    Bombardierung am 1. März
    Bombenangriff auf Bruchsal vor 76 Jahren: Fotosammlung dokumentiert die Ruinenstadt

    Am 1. März 1945 wurde Bruchsal durch Bomben weitgehend zerstört. Eine Woche nach Pforzheim. Jahrelang blieb auch Bruchsal Ruinenstadt. Der Fotograf Carl Ohler hat sie eindrucksvoll und systematisch dokumentiert.

    Am schönen Frühlingstag des 1. März 1945 hielt sich Carl Ohler nicht in seinem Fotogeschäft in der Wörthstraße auf. Der 57-Jährige war in diesen letzten Wochen vor Kriegsende mit nähernder Front zu Arbeiten außerhalb der Stadt verpflichtet. So entging er dem Inferno, das er von erhöhter Stelle aus fassungslos beobachtete. Dieser Zweite Weltkrieg war längst verloren für Deutschland und doch ließen die Nazis ohne Rücksicht auf die Bevölkerung weiter kämpfen. Besonders schlimm litt sie unter dem Luftkrieg.

    Am frühen Nachmittags jenes Bruchsaler Schicksalstages warfen über 100 amerikanische Flugzeuge ihre tödliche Fracht über der Kreisstadt ab. Der Bahnhof und Industriebetriebe konnten als militärische Ziele gelten. Aber rund 900 Sprengbomben und 50.000 Stabbrandbomben verwandelten in 40 Minuten über drei Viertel der Stadt in eine tödliche Hölle.

    Sobald es möglich war, sich durch die rauchende und heiße Stadt zu bewegen, machte sich Ohler wie viele Andere auf, seine Angehörigen zu suchen. Er hatte überlebt, aber zu welchem Preis? Im Keller seines Hauses fand er seine zweite Frau, zwei Töchter und Mitarbeiter des Geschäfts – alle tot. Erstickt im vermeintlichen Rettungsraum, weil gegen das von Bomben entfachte 2.000 Grad heiße Feuer kein Schutz möglich ist.

    Von 1.000 Toten ersticken viele im Keller

    600 Bruchsaler Einwohner starben durch jenen Nachmittagsangriff, außerdem 400 dort Arbeitende oder Soldaten. Von den über 1.000 Kriegstoten waren 400 Frauen und 200 Jugendliche. „Unter dem wenigen, was mein Vater retten konnte, waren zwei Bademäntel. Mit denen bedeckte er am Abend die Toten.

  2. Haben wir aus der Kriegserfahrung gelernt?

    Haben wir gelernt, dass wir uns mit unseren Nachbarn vertragen müssen, wenn wir überleben wollen? Gilt noch der Kernsatz der Regierungserklärung Willy Brandts von 1969 „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein…“? Er gilt offensichtlich nicht mehr. Für diese Einschätzung spricht vieles, herausragend der Spiegel-Artikel über RT DE „So arbeitet Putins Propagandasender“.

    Es lohnt sich, diesen Artikel zu lesen, jedenfalls zu überfliegen. Sie finden ihn hier als PDF.

    Dazu ein paar subjektive Anmerkungen:

    1. An diesem Artikel wird beispielhaft sichtbar, was für eine gewissenlose und in gewisser Weise geschichtslose Generation von Journalistinnen und Journalisten heute tätig ist, vermutlich sogar das Sagen hat.
    2. Sie sind unberührt von Kriegserfahrung. Dafür können die meisten nichts. Aber offensichtlich war der Geschichtsunterricht für viele von ihnen auch nicht so eindrucksvoll, dass dabei hängen blieb, dass man tunlichst alles tut, um Konfrontationen mit Nachbarn zu vermeiden.
    3. Der Geschichtsunterricht war offenbar so schlecht und/oder so einseitig, dass die Autoren eines solchen Stückes nicht sehr viel wissen über die produktive und zugleich leidvolle Geschichte des Verhältnisses von Deutschland und Russland und insbesondere nichts oder wenig über die von Deutschland zusammen mit dem damaligen Osten und dem Hauptpartner Sowjetunion gepflegte Entspannungs- und Friedenspolitik. Man muss bei diesem Text des „Spiegel“ den Eindruck gewinnen, dass die Gedankenwelt und der Geist, der sie prägt, beim Kalten Krieg der Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts ansetzt und von diesem Geist geprägt ist.

      Einer der Autoren, Marc Baumgärtner, ist 1982 geboren, die Mit-Autorin Ann-Katrin Müller 1987. Der 3. Autor Roman Höfner dürfte aus der gleichen Altersgruppe kommen. Sie waren also 2 bzw. 7 Jahre alt, als die Mauer fiel. Sie können also aus eigener Erfahrung nicht mehr wissen, welche positive Rolle das Sich-Vertragen und die Entspannungspolitik mit dem Vorgänger Russlands, der Sowjetunion, gespielt hat. Vermutlich war der ihnen zugemutete Geschichtsunterricht geprägt von der reaktionären Geschichtsauffassung des Ronald Reagan, der Fall der Mauer und das Ende der Konfrontation – genauer gesagt: das zwischenzeitliche Ende der Konfrontation – sei dem Umstand zu verdanken, dass der Westen den Osten niederkonkurriert habe, allenfalls ergänzt durch die polnische Solidarnosc. Alles andere, die gesamte Ost- und Entspannungspolitik wie auch das Wirken des inneren Widerstandes zum Beispiel in Deutschland mit „Schwertern statt Pflugscharen“ und auch das, was sich mit Dubcek in der Tschechoslowakei getan hatte, ist nach dieser Geschichtsauffassung gestrichen. Eine große Zahl der Generation der heute 30- bis 40-jährigen Journalisten scheint gedanklich vom ersten Kalten Krieg direkt in die Neuzeit gesprungen zu sein.

    4. Diese Journalistengeneration ist offensichtlich auch nicht mit der Fähigkeit ausgestattet, sich in die Lage eines anderen Volkes und auch nicht in die Lage der politisch aktiven führenden Kräfte eines anderen Landes zu versetzen, auch nicht in die Lage von Journalistinnen und Journalisten, die für und in einem Nachbarland tätig sind. Andernfalls würden diese hiesigen Journalistinnen und Journalisten wissen, was ein Artikel wie der im „Spiegel“ vom 26. Februar und die darin enthaltenen bösartigen Unterstellungen beim Nachbarn, in diesem Fall bei den betroffenen und abgekanzelten Journalistinnen und Journalisten, aber auch in Russland selbst, auslöst.

      Von den in dem Artikel erwähnten Journalistinnen und Journalisten weiß ich, dass sie Freundschaft mit uns Deutschen wollen. Deshalb kann ich mir auch gut vorstellen, was bei ihnen die Erkenntnis auslöst: Die Deutschen, jedenfalls diese deutschen Journalisten und die vielen ähnlich denkenden Politikerinnen und Politiker, wollen nicht mehr Annäherung und Freundschaft. Sie wollen Konfrontation. Es gilt nicht mehr: Wandel durch Annäherung. Es wird auf Konfrontation gesetzt und es wird hingenommen, dass dabei unter Russen und in Russland ein Wandel zum Schlechteren eintritt.

    5. Ein Ausbund von unkritischen Journalismus

      Ich hatte in einem NachDenkSeiten-Beitrag 2007 schon darauf hingewiesen, dass der Spiegel leider seinen Charakter als kritisches Medienorgan aufgegeben hat. Darauf hatten wir am vergangenen Samstag noch einmal hingewiesen.

      Die Autoren des Artikels über RT Deutsch haben auf vielfältige Weise bewiesen, dass dem „Spiegel“ der kritische Biss abhandengekommen ist:

      • So wird die Behauptung im Artikel, RT DE „versuche, das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Institutionen in Deutschland“ zu schwächen, mit Hinweis auf den deutschen Verfassungsschutz belegt. Wörtlich: „Für die Verfassungsschützer zählen Nachrichten von RT DE zu einer vom russischen Staat orchestrierten Desinformationskampagne“.

        An anderer Stelle zitieren die Autoren des „Spiegel“ den anonymen Chef eines Landesamtes für Verfassungsschutz mit der Behauptung, RT Deutsch sei eine Gefahr für die Demokratie.

        Der „Spiegel“ beruft sich auf Verfassungsschützer. Frühere Spiegel-Kollegen und -Kolleginnen würden sich die Haare raufen, wenn sie so etwas noch lesen könnten. Ich denke dabei an Marion Schreiber, Jürgen Leinemann oder an Klaus Wirtgen. Man könnte noch eine große Zahl anderer Spiegel-Journalistinnen und -Journalisten nennen, auch noch lebende Personen. Ihre Unabhängigkeit, ihr kritischer Geist und ihre Qualität unterscheidet sich schrecklich von dem, was uns heute vom „Spiegel“ geboten wird.

      • Unkritischer Umgang mit dem Vorgang Nawalny. Die Version der Bundesregierung, die Version des Westens wird 1 zu 1 übernommen. Dabei müsste es für echte „Spiegel“-Redakteure eine wahre Lust sein, den Umgang der deutschen Bundeskanzlerin mit dem Fall Nawalny und ihre eigene genuine Rolle als Zeugin für die Vergiftung mit einem bestimmten Stoff zu untersuchen. Aber offensichtlich glaubt die Generation Merkel – so könnte man Journalisten nennen, die wie die Autorin Müller 18 und der Autor Baumgärtner gerade 23 Jahre waren, als Angela Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde – nahezu alles, was von dort oder auch von anderen angepassten Journalistenkollegen kommt.
      • Das gilt insbesondere für den Umgang der Spiegel-Redakteure mit ihrem RT-DE-Kollegen Florian Warweg. Dieser ist einer der wenigen Journalisten, die bei der Bundespressekonferenz kritische Fragen stellen. Das nennen die drei Spiegel-Redakteure „Selbstinszenierungen“. Da spricht ähnlich wie bei der Kritik der Süddeutschen Zeitung an den kritischen Fragen in der Bundespressekonferenz schlicht und einfach Neid oder die Aufarbeitung des eigenen Versagens die entscheidende Rolle. Siehe dazu den Beitrag von Tobias Riegel vom 22. Februar: Reitschuster, RT und die Grabes-Ruhe der Bundespressekonferenz .
      • Besonders apart sind jene Passagen in dem Spiegel-Artikel darüber, wie weisungsgebunden und abhängig die RT-DE-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter seien. Daran mag ja etwas sein. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die Moskauer Zentrale aufmerksam verfolgt, was der deutsche Ableger von RT schreibt und sendet. Aber die Spiegel-Autoren wissen selbst, wie das in deutschen Redaktionen aussieht, wie sehr sie in den privaten Medien den Weisungen der Eigentümer folgen müssen und in den öffentlich-rechtlichen von Verbänden und Politik kontrolliert werden. Es ist sogar anzunehmen, dass der Artikel, den die 3 Autoren über RT DE geschrieben haben, auf Weisung geschrieben worden ist. Das kann von ganz oben gekommen sein: von Bertelsmann, wozu der Spiegel weitgehend gehört. Es kann die eigene Chefredaktion gewesen sein. Dass die 3 Autoren sich das Thema und die Quellen ganz alleine ausgesucht haben, glaube ich nicht. Aber dies einzuschätzen, ist selbstverständlich jedem selbst überlassen.
      • Jede Rückblende, jeder Vergleich auf ähnliche Medien im Westen, auf die Deutsche Welle oder die US-Sender, die in Europa tätig waren und sind, auf Radio Free Europe zum Beispiel, fehlt in dem Artikel. Zumindest ein kleiner Hinweis darauf, dass es solche Medieneinrichtungen auch im Auftrag westlicher Staaten gibt, wäre sinnvoll und nötig gewesen.
    6. Die Spiegel-Autoren machen sich über Ihre Kolleginnen und Kollegen in einem anderen Medium her und kennzeichnen diese als Erfüllungsgehilfen Moskaus. Ich kenne drei der genannten bzw. abgebildeten RT-Mitarbeiter persönlich – von Interviews und von Gesprächen. In Kenntnis dieser Personen und nach Lektüre des Spiegel-Artikels maße ich mir ein Urteil an: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des russischen Mediums sind Glanzlichter an Charakter und Anstand, verglichen mit den Spiegel-Autoren, von denen man nach diesem hier beleuchteten Stück annehmen muss, dass sie jeden noch so unanständigen Auftrag erfüllen.
    7. RT DE ist eine Bereicherung für die demokratische Willensbildung in Deutschland. Darauf haben wir auf den NachDenkSeiten schon mehrmals hingewiesen und dieses auch belegt. RT berichtet über und kommentiert Ereignisse, die bei deutschen Medien leider nicht vorkommen. Deshalb hatte RT Deutsch mit Recht eine Sparte, die hieß: der andere Part. Vielleicht reagieren die Spiegel-Autoren und damit der Spiegel und ein etabliertes Medium in Deutschland deshalb so allergisch auf RT DE, weil dieses Medium ihnen den Spiegel vorhält und sie darin erkennen, dass sie eine wichtige Funktion in der deutschen Medienlandschaft nicht erfüllen.

    Zum Schluss muss ich noch einmal darauf zurückkommen, warum ich diesen Text geschrieben habe und warum ich das schreckliche Ereignis in Bruchsal vor 76 Jahren mit der erkennbaren intensiven Arbeit am Feindbild-Aufbau verbunden habe. Die Aggression im Umgang mit Russland nimmt zu. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Darauf wollte ich als einer der wenigen noch lebenden und journalistisch tätigen Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch einigermaßen bewusst erlebt haben, aufmerksam machen.

  3. Titelbild: Bruchsal nach dem Bombenangriff vom 1.3.1945/ Foto Carl Ohler

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