Liste der Steueroasen: Warum fehlt die größte, der US-Bundesstaat Delaware?

Liste der Steueroasen: Warum fehlt die größte, der US-Bundesstaat Delaware?

Liste der Steueroasen: Warum fehlt die größte, der US-Bundesstaat Delaware?

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Das internationale Netzwerk für Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network, TJN) hat jetzt wieder seine aktualisierte Liste der wichtigsten Steueroasen veröffentlicht, die von Unternehmen genutzt werden (NachDenkSeiten 9.3.2021). An der Spitze stehen die drei britischen Territorien Virgin Islands, Cayman Islands und Bermuda, dann folgen die Niederlande, die Schweiz, Luxemburg und Hongkong, dann die britische Kanalinsel Jersey und schließlich Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate VAE. Das ist gut gemeint und gut recherchiert, aber da fehlt zweimal ganz Wesentliches: Erstens fehlt die größte Unternehmens-Steueroase der Welt, nämlich der US-Bundesstaat Delaware, zweitens fehlt ein wesentliches Merkmal von Delaware und der aufgezählten Steueroasen. Sie sind nicht nur Steueroasen, sondern viel umfassender: Sie sind auch Finanzoasen. Es geht nicht nur um Steuern, sondern um viel mehr, nämlich um ein besonders „liberales“ Unternehmensrecht. Von Werner Rügemer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Delaware: Sitz der global wichtigsten Konzerne

Kommen wir zunächst zu Delaware. Vier Fünftel der 500 größten US-Banken und -Konzerne (Liste S&P 500) und die Mehrheit der sonstigen wichtigen, global agierenden US-Unternehmen haben ihren rechtlichen und Steuersitz in Delaware. Und nicht nur das: Da diese Unternehmen selbst aus hunderten, teilweise tausenden von Tochterfirmen bestehen, in den USA und in vielen Dutzend anderen Staaten, haben sie dafür auch hunderte und tausende Briefkastenfirmen, wiederum zum großen Teil in Delaware.

Und das handhaben auch die großen US-Filialen ausländischer Konzerne so, etwa von Daimler und Deutscher Bank. Man braucht nur das Beteiligungsverzeichnis der Deutschen Bank durchzusehen: Mehr als hundert Briefkastenfirmen haben ihren Sitz in Delaware, neben den von TJN genannten Steueroasen. Delaware: Ein Finanzinstrument für „America First“

US-Präsident Joe Biden: Lobbyist aus und für Delaware

Es hätte schon deshalb nahegelegen, Delaware einzubeziehen, wegen des neuen, ach so netten US-Präsidenten Joe Biden: Er ist einer der wichtigsten Lobbyisten des Kapitalstandorts Delaware – und zwar seit über vier Jahrzehnten.

Biden war von 1973 bis 2009 Senator für den US-Bundesstaat Delaware. Schon als 29-jähriger Wirtschaftsanwalt hatte er sich um dieses Amt beworben und hielt es 35 Jahre lang in Washington.

Dieser Ministaat mit nicht einmal einer Million Einwohnern wurde vom aufsteigenden US-Chemie- und Rüstungskonzern DuPont, der hier seinen Gründungsstandort hatte, seit den 1920er Jahren als Finanzoase ausgebaut. Die Zahl der Briefkastenfirmen ist heute um ein Mehrfaches höher als die Zahl der Wahlberechtigten. Die Briefkästen werden hier bei gutverdienenden Treuhändern verwaltet: Das ist die bestimmende Industrie von Delaware in der idyllischen Hauptstadt Wilmington.

In Delaware regiert der Biden-Clan mit dem Senator an der Spitze. Sohn Beau Biden wurde hier, ohne sich besonders anstrengen zu müssen, General-Staatsanwalt. Sohn Hunter Biden agiert als umtriebiger Finanzspekulant unter anderem in der Ukraine – bei Bedarf setzte sich der mit Steuerhinterziehung und Finanzspekulation vertraute Vater Biden auch vor Ort in Kiew für den teuren Sohn ein.

Joe Biden wurde für seine Wahlkämpfe zuletzt von den großen Digitalkonzernen wie Alphabet/Google, Microsoft, Amazon, Apple, Facebook, Netflix, aber auch etwa von JP Morgan Chase, Blackstone und dem Walmart-Clan bespendet: Sie alle nutzen Delaware vielfach. Aber auch Unternehmen mit operativem Sitz in Delaware förderten ihren einflussreichen Senator, darunter die Kreditkarten-Firma MBNA und John Hynansky, der aus der Ukraine stammt und den Export von Premium-SUVS für die oligarchische Elite der Ukraine in der Hand hat.[*]

Biden, führendes Mitglied der Demokratischen Partei, stimmte als Senator in Washington bei wichtigen Deregulierungen des Finanzsektors immer mit den Republikanern ab. Mithilfe ihres Senators wurde Delaware zur größten Finanzoase der Welt ausgebaut.

BlackRock in Delaware

Der gegenwärtig größte Kapitalorganisator der westlichen Welt, BlackRock, Miteigentümer von 18.000 Banken, Unternehmen und Finanzdienstleistern, hat zwar seinen operativen Sitz in New York, aber seinen rechtlichen und Steuersitz in Delaware.

BlackRock ist zudem der größte Organisator und Beihelfer der globalen Steuerflucht der Superreichen. Sie überlassen ab etwa 50 Millionen Dollar oder Euro oder Pfund aufwärts BlackRock ihr freies Kapital. Damit kauft BlackRock die Anteile an immer mehr Unternehmen, etwa an IBM, General Motors, Coca Cola, Goldman Sachs, Amazon, Google, Facebook, Apple, Microsoft, Twitter, Tesla und etwa der New York Times, in Deutschland etwa an allen 30 DAX-Konzernen, inklusive solcher Betrugskonzerne wie Wirecard oder der Deutschen Bank und der Commerzbank und der staatsgestützten Lufthansa.

Die jeweils 50 oder 70 oder 120 Millionen seiner superreichen Geldgeber platziert BlackRock, selbst mit Sitz in Delaware, mithilfe von „renommierten“ Wirtschafts„prüfern“ in Briefkastenfirmen auf den Cayman Islands oder in Luxemburg und eben auch in Delaware.

So sind die 5 Prozent der von BlackRock am deutschen Braunkohlekonzern RWE gehaltenen Aktien auf 154 Briefkastenfirmen verteilt, in Jersey, Luxemburg, den Niederlanden, Singapur und eben auch in Delaware. Ähnlich ist es beim Betrugskonzern Wirecard. Die 9 Prozent der von BlackRock am drittgrößten Wohnungskonzern in Deutschland, LEG (ehemalige öffentliche Wohnungsgesellschaft des Landes NRW), gehaltenen Aktien sind auf 204 Briefkastenfirmen verteilt, die 8 Prozent am größten Wohnungskonzern in Deutschland, Vonovia, gehaltenen Aktien sind in gleicher Weise auf 203 Briefkastenfirmen verteilt.

Man kann sich in etwa die Größenordnung vorstellen: Wieviele Briefkastenfirmen organisiert BlackRock zugunsten seiner superreichen Klientel, dessen Kapital in weltweit 18.000 Unternehmen untergebracht ist?

Extrem-liberales Unternehmensrecht

Aber es geht nicht nur um organisierte Steuerflucht. Diese okkulte Parallelwelt der westlichen Wirtschaft und des westlichen Finanzsystems beherbergt auch ein extrem „liberales“ Unternehmensrecht:

  • Extrem niedrige Veröffentlichungspflichten
  • Die eigentlichen Eigentümer, die letztlich wirtschaftlich Berechtigten, die dann auch die Gewinne einstreichen, werden anonymisiert. Die Kapitalisten waren noch nie so gesichtslos wie heute.
  • Diese gesichtslosen Eigentümer sind damit auch verantwortungslos. Die Haftung im Unternehmensrecht von Delaware ist extrem begrenzt.
  • Diese gesichts- und verantwortungslosen Eigentümer sind nicht nur vor den Finanzämtern versteckt, sondern auch vor den jeweiligen Börsen- und Finanzaufsichten.
  • Diese neuen Eigentümer sind zudem versteckt vor Miteigentümern, Konkurrenten und ggf. auch Ehefrauen und Erben.

Extrem niedrige Veröffentlichungspflichten

Während die Schweiz seit dem 19. Jahrhundert der Pionier der individuellen Steuerflucht der Superreichen war, ist Delaware der weltweit prägende Pionier des extrem „liberalen“ Unternehmensrechts, in dem die Steuerflucht nur eines der wichtigen Elemente darstellt.

Titelbild: SevenMaps/shutterstock.com


[«*] Joseph DiStefano: Joe Biden’s Friends and Backers Come Out on Top – at the Expense of the Middle Class, The Nation 7.11.2019

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