„Bild“ gegen „Spiegel“: Eine Krähe hackt der anderen (k)ein Auge aus

„Bild“ gegen „Spiegel“: Eine Krähe hackt der anderen (k)ein Auge aus

„Bild“ gegen „Spiegel“: Eine Krähe hackt der anderen (k)ein Auge aus

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Affäre um „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt offenbart Heuchelei auf allen Seiten. Der aktuelle „Konflikt“ zwischen den beiden hochproblematischen Medien „Spiegel“ und „Bild“ sollte außerdem nicht von deren Einigkeit auf vielen Feldern der Politik ablenken. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die „Bild“-Zeitung und der „Spiegel“ sind zwei einflussreiche und problematische Medien. Wenn diese beiden Medien sich nun einen öffentlichen Hahnenkampf liefern – was ist das dann? Eine gute Nachricht, weil es ein Beweis dafür ist, dass sich die großen Medien entgegen der Beobachtung doch gegenseitig kritisieren und dadurch kontrollieren? Oder ist der aktuelle Vorgang nur eine unterhaltsame Simulation einer solchen Kontrolle, durch die viel größere Missstände und auch inhaltliche Überschneidungen verdeckt werden – ähnlich wie bei den öffentlichen Krokodilstränen des „Spiegels“ anlässlich der Relotius-Fälschungen? Dazu hatte Albrecht Müller geschrieben:

„Mit der meisterhaft formulierten Offenlegung der Fälschungen des Claas Relotius werden zugleich all die ähnlichen Fälle des Versagens des „Spiegel“ verdeckt, obwohl die anderen Fälle von Manipulation um vieles gravierendere Folgen haben als die Fälschungen des gerade ertappten Redakteurs.“

Zwei dominante Krähen im Clinch

Hintergründe zu dem öffentlichen Konflikt zwischen „Bild“ und „Spiegel“ werden etwa in diesem Artikel zusammengefasst: Demnach hat der „Spiegel“ unter dem Titel “Vögeln, fördern, feuern“ (Bezahlschranke) ein „System Reichelt“ beschrieben: Das habe etwa aus angeblichen Affären und Machtmissbrauch bestanden und sich unter dem „Bild“-Chef Julian Reichelt entfaltet. Reichelt weist die Vorwürfe zurück, ist aber nun vorübergehend freigestellt, zunächst übernimmt die Chefredakteurin von «Bild am Sonntag», Alexandra Würzbach, die Führung der „Bild“-Redaktion. Die Vorwürfe gegen Reichelt (Details folgen weiter unten) sollen bis zu einer Konkretisierung hier nicht näher bewertet werden.

Gegen den „Spiegel“-Bericht will Reichelt nun presserechtlich vorgehen, wie etwa die NZZ berichtet. So soll der „Spiegel“ Reichelt vor der Berichterstattung nicht mit den darin kolportierten Vorwürfen konfrontiert haben. Der “Spiegel”-Bericht stelle also eine unzulässige Form der Verdachtsberichterstattung dar. Das Medienmagazin „Kress“ zitiert eine Mitteilung Reichelts:

“Ich werde mich gegen die wehren, die mich vernichten wollen, weil ihnen BILD und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt. Die über mich schreiben, ohne mich vorher anzuhören, weil meine Antworten ihnen noch nie gepasst haben.“

Der „Spiegel“ sagt dazu: “Natürlich haben wir Herrn Reichelt mit den Vorwürfen gegen ihn über seinen Arbeitgeber konfrontiert und eine Stellungnahme erhalten”, so die NZZ.

Wenn ausgerechnet die „Bild“ journalistische Sorgfalt einfordert

Es wäre nun leicht, mit großer Häme über Reichelt herzufallen und an all die Beispiele einer mutmaßlichen Verdachtsberichterstattung durch die „Bild“-Zeitung zu erinnern. Die Heuchelei, dass ausgerechnet die „Bild“ nun journalistische Sorgfalt einfordert, ist so offensichtlich, dass dieser Aspekt hier nicht weiter vertieft werden muss. Als Illustration sei hier nur auf eine aktuelle Mitteilung des Springer-Konzerns zum internen Umgang mit dem Fall Reichelt verwiesen, die eigentlich mit öffentlichem Hohngelächter beantwortet werden müsste:

„Axel Springer hat immer und sehr grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Gerüchten, Hinweisen und Beweisen. (…) Auf Basis von Gerüchten Vorverurteilungen vorzunehmen, ist in der Unternehmenskultur von Axel Springer undenkbar.”

„Spiegel“: Die „Bild“ als “mittelalterlicher Königshof”

Die im „Spiegel“-Artikel geschilderten Zustände in den „Bild“-Redaktionen wären einerseits skandalös, wenn die Berichte zutreffen. Andererseits klingen diese Beschreibungen in etwa so, wie ich mir den Alltag bei „Bild“ immer vorgestellt habe. Gänzlich überrascht können neue Mitarbeiter davon nicht gewesen sein. Damit sollen die mutmaßlichen unhaltbaren Zustände natürlich nicht verteidigt werden!

So schildert der „Spiegel“-Artikel etwa, dass Volontärinnen und Praktikantinnen vom Chefredakteur über Instagram zum Abendessen eingeladen worden seien. Junge Mitarbeiterinnen seien mitunter rasch befördert worden. Ähnlich rasant hätte sich bisweilen ihr Absturz gestaltet. Intern sei das System auch mit den Worten “vögeln, fördern, feuern” beschrieben worden. Was Angestellte des Boulevardblatts über Reichelt erzählten, erinnere an einen “mittelalterlichen Königshof”. Wer in der Gunst des “Herrschers” oben stehe, werde gelobt und bisweilen sehr schnell befördert, “Konkubinen inklusive”. Aber wer im Ansehen sinke, der oder die werde “verbannt, geschnitten, traktiert oder bloßgestellt“.

Deutsche Medienlandschaft: Die Simulation von Kontrolle

Zur eingangs geäußerten Theorie der Simulation einer gegenseitigen Kontrolle großer Medien: Der „Spiegel“ kann nun simulieren, dass er auch vor mächtigen Kollegen wie Julian Reichelt nicht einknickt. Und die „Bild“ simuliert nun mit dem Pochen auf mediale Seriosität gegenüber dem „Spiegel“, dass auch sie diese journalistischen Regeln prinzipiell anerkennen würde. Beide zusammen simulieren eine gegenseitige Kontrolle und erreichen dabei mutmaßlich große Werbeeinnahmen durch die Klickzahlen. Erleben wir also gerade, wie eine Krähe doch einmal einer anderen Krähe ans Leder geht? Oder verdeckt dieser „Konflikt“ nicht viel mehr ein größeres (und gegenteiliges) Problem: das der destruktiven inhaltlichen Einigkeit vieler großer Medien?

Dieser inhaltliche Gleichklang ist ein zentrales Problem der deutschen Medienlandschaft. Durch die große Einigkeit der großen deutschen Medien auf zahlreichen politischen Feldern bleibt keine einflussreiche Instanz, die durch öffentliche Kritik an Medienkampagnen wenigstens einen moralischen Druck dagegen ausüben könnte. Der Konflikt zwischen „Spiegel“ und „Bild“ sollte also nicht über die weitgehende prinzipielle Einigkeit der beiden Medien hinwegtäuschen, wenn es etwa darum geht, US-Kriege zu beschönigen, eine liberale Wirtschaftsordnung zu verteidigen oder Russland zu dämonisieren. Interessant am aktuellen Vorgang ist auch, dass hier persönliches Fehlverhalten kritisiert wird – politische Kampagnen durch große Medien bleiben dagegen viel zu oft unbehelligt.

Bei diesen politischen Medienkampagnen bleiben auch die großen Eingeständnisse oder gar Entschuldigungen vonseiten verantwortlicher Redakteure aus, wie man etwa am Beispiel Syrien sieht: Die gleichen Zeitungen, die den Krieg gegen die syrische Regierung zehn Jahre lang mit vorbereitet und begleitet haben, klagen heute über die Folgen dieses Krieges – und niemand ist mehr da, der hier eine Verbindung herstellte oder die Verantwortlichkeiten der Redakteure für eben diese Kriegsfolgen einklagen könnte. Diese Aufgabe übernehmen nur die Alternativmedien, darum werden die auch diffamiert und zensiert, um diesen lästigen Gegenpol wieder loszuwerden, wegen dem man sich immerhin manchmal moralisch rechtfertigen muss.

Auch Verleumder müssen vor Verleumdung geschützt werden

Der „Spiegel“ hat kürzlich bereits den Stab über eine andere Redaktion gebrochen: In dem Fall die von RT DE, wie Albrecht Müller in diesem Artikel beschreibt. Zum erschütternden politisch-moralisch-ethischen Zustand der „Bild“-Zeitung ist bereits viel Richtiges gesagt worden. Nun sollte man aber auch entgegentreten, wenn sich der „Spiegel“ zum Gewissen der deutschen Medienlandschaft aufspielt. Zumal der (bisher unbelegte) Vorwurf im Raum steht, der „Spiegel” habe im aktuellen Fall Reichelt handwerklich nicht seriös gearbeitet.

Das führt zu der Frage: Muss man bei Vorwürfen gegen den „Bild“-Chef Reichelt weniger Seriosität walten lassen, weil die „Bild“ eben die „Bild“ ist und deren Mitarbeiter ihre Rechte „verwirkt“ haben? Nein! Zum einen genießt jeder Mensch den Schutz vor Verleumdung, auch wenn er oder sie sich zuvor selber der Verleumdung schuldig gemacht haben sollte. Außerdem sind Seriosität und Moral die einzigen Mittel, die gegen den ansonsten haushoch überlegenen Springer-Konzern ins Feld geführt werden können, diese Werkzeuge sollte man nicht beschädigen.



Titelbild: Vladimir Turkenich / Shutterstock

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