Ergänzung von Heiner Flassbeck zum Wahnsinn der Institute

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

In Ergänzung zu dem, was Wolfgang Lieb in den „Nachdenkseiten“ zur Gemeinschaftsdiagnose der „führenden Wirtschaftsforschungsinstitute“ bereits gesagt hat, hier noch eine kleine Nachkritik, schreibt Flassbeck. Beachten Sie auch die Einladung von gestern. Albrecht Müller.

Die Institute schaffen es tatsächlich, sich auf mehreren Seiten mit der „Dynamik der Binnennachfrage in Deutschland“ auseinanderzusetzen. Das ist löblich. Doch was dann kommt, ist ein akademischer Eiertanz, bei dem so viele Eier zertrampelt werden, dass die Autoren heute noch mit gelben Füßen herumlaufen müssen.

Zunächst ist der Sprung von einer richtigen Diagnose zu einer dubiosen Investitionstheorie beachtlich und lässt das Eigelb nur so spritzen. Die Institute stellen richtigerweise fest, dass der Wachstumsbeitrag der Binnennachfrage in Deutschland wesentlich geringer als in anderen europäischen Ländern war, folglich also der Beitrag des Außenhandelssaldos (oder Leistungsbilanzüberschusses) besonders hoch. Ein normaler Mensch hätte an der Stelle gefragt, was denn der wichtigste Bestandteil der Binnennachfrage ist und was dessen wichtigste Determinanten sind.

Man wäre dann zwanglos auf den privaten Konsum gekommen, der mit Abstand die wichtigste Größe in der Binnennachfrage ist (lt. Tabelle der Institute 59 %). Um diesen Gottseibeiuns zu umgehen, springen die Institute aber in bester Sinnscher Manier und über jede Logik hinweg vom Überschuss der Leistungsbilanz, dem „definitionsgemäß“ ein Defizit in der Kapitalbilanz gegenübersteht“ (S. 57), auf die Investitionen (knapp 20 %). Die Eierbrühe rinnt in Strömen, aber die Institute haben es mit dieser artistischen Leistung geschafft, sich nun bis fast zum Ende des ganzen Abschnitts mit ihrem Lieblingsthema, der Investitionsschwäche befassen zu können, statt über die ungeliebten Determinanten des Konsums zu sprechen.

Was folgt sind mehrere Seiten virtuosesten Eiertanzes, bei dem wir lernen, dass die schwachen Länder in Südeuropa zu viel investierten, die starken wie Deutschland aber zu wenig, weil sie ihr eigenes Kapital nicht wollten, sondern es lieber den Südeuropäern vor die Füße warfen, die wegen niedriger Zinsen auf Teufel komm raus investierten und so ihre Zukunft verspielten. Lieber Leser, wenn sie an dieser Stelle nichts mehr verstehen, ist ihr Verstand in Ordnung – man kann so etwas nämlich nur verstehen, wenn einem an einer deutschen Universität oder einem deutschen Institut über Jahre der Verstand zersinnt wurde.

Aber am Ende dann, im allerletzten von sage und schreibe 20 Absätzen, lässt sich der Gottseibeiuns nicht mehr vermeiden. Der private Verbrauch! Und siehe da, er hat etwas mit den Löhnen zu tun. Wer aber glaubt, er würde erfahren, dass geringe Lohnzuwächse und stagnierendes Realeinkommen der Arbeitnehmer etwas mit stagnierendem privaten Verbrauch zu tun hätten, hat die Kunst der Eiertänzer unterschätzt. Mit einem einzigen langen Satz, der geeignet wäre, eine neue Theorie der Logik zu begründen, wird die absurde Idee vom Tisch gewischt, die Menschen würden weniger kaufen, wenn sie weniger Geld in der Tasche hätten. Bravo, so ist der Wissenschaft Recht getan, man widerlege den dummen gesunden Menschenverstand und verhelfe der Wahrheit der Wirtschaft zum Durchbruch.

Übrigens: Nach der Prognose der Institute werden im nächsten Jahr die Masseneinkommen – das sind die Einkommen der Massen, die in einer „richtig organisierten Marktwirtschaft“ eigentlich nicht mehr gebraucht werden – um 1,4 % steigen. Dummerweise steigen nach der Prognose auch die Preise um 1,4 %, so dass den Massen real kein Zuwachs bleibt. Dennoch steigen die realen Konsumausgaben selbst bei konstanter Sparquote aller Haushalte um 1,4 %. Auch dieses Wunder ist ein Wirtschaftswunder: Die Einkommen der Unternehmen und der Vermögenden steigen in diesem Jahr um 14 % und nächstes um 3,6, womit sie nicht nur die Verluste des Vorjahres leicht ausgleichen, sondern auch den Zuwachs des privaten Verbrauchs bestreiten. Man sieht, in der schönen neuen Welt der Wirtschaftsökonomen braucht man die Massen in der Tat nicht mehr, die Unternehmen machen alles, konsumieren, investieren und exportieren. Wenn das in Europa die anderen Länder auch noch kapieren, müssen wir nur noch die Wesen vom Mars davon überzeugen, dass wir von nun an alles produzieren, was sie brauchen, und schon ist die Sache geritzt.

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