Bundesregierung beschönigt die Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt

Ein Artikel von Karl Mai

Vom 30.9. datiert die Antwort der Bundesregierung zur „Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt 20 Jahre nach der Einheit“ [PDF – 182 KB] auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag mit insgesamt ernüchternden Angaben und den zu erwartenden Beschönigungen. (Drucksache 17/3093). Hierzu ein kurzer Kommentar von Karl Mai

Nach bereits zuvor bekannten Daten erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Westdeutschland zwischen 1989 und 2009 um 4.359 Tsd. Personen, während sie in den NBL um -3.142 Tsd. und in Berlin um -230 Tsd. Personen sank. Seit 1989 fand ein enormer Verlust/Abgang der Arbeitspotenziale von Ost nach West statt, der Westdeutschland einen hohen Zuwachs an volkswirtschaftlichem Leistungsvermögen im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern einbrachte. Den Anstoß zu dieser dramatischen „Entleerung“ im Osten gab zunächst die Wirkung der Maueröffnung, die zwischen 1989 und 1991 schlagartig zum Abgang von ca. 2,3 Mio. Erwerbstätigen im Osten (einschl. Berlin) führte, danach die durch die Treuhand forcierte Deindustrialisierung in Verbindung mit der Eroberung des ostdeutschen Marktes durch die westdeutschen Konzerne, ergänzt um durchgreifende personelle „Sparmaßnahmen“ im Osten.
Trotz des gewaltigen Abstroms liegt auch zwanzig Jahre nach der Vereinigung der Anteil der Erwerbstätigen je 100 Erwerbsfähige noch 5 Prozentpunkte unter dem westdeutschen Niveau, wenn man von arbeitsmarktpolitischen Sondermaßnahmen absieht, die ca. 2 Prozentpunkte davon abdecken. (IWH, „Wirtschaft im Wandel“, Heft 2/2010, S. 87) Dies zeugt davon, dass die Chancen auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt vergleichsweise schlechter als im Westen sind.

Nach Tabelle 8 der Drucksache 17/3093 sind 2009 unter den 6.889 Tsd. ostdeutschen Erwerbstätigen Personen 719 Tsd. oder 10,4% nur „befristet Beschäftigte“.
In Westdeutschland beträgt der Anteil der „befristet Beschäftigten“ an den Erwerbstätigen 6,9%. Dies spiegelt u. a. die generell höhere Beschäftigungsunsicherheit auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt wider.

Drucksache 17/3093

Nach Tabelle 10 nahm die Zahl der Vollzeitjobs in Ostdeutschland in der Zeit des Aufschwungs ab 2005 bis ins Krisenjahr 2009 nur um 17,7 Tsd. Vollzeitjobs zu, während die Zahl der sozialverschicherungspflichtigen Teilzeitjobs um 224,5 Tsd. (+28,5%) anwuchs.

Tabelle 10

Der jüngste Verlust an Vollzeitjobs mag hiernach gering erscheinen, betrug aber zwischen 1992 und 2001 bereits 944,7 Tsd. und zwischen 2001 und dem Tiefpunkt im Jahre 2005 weitere 578 Tsd., so dass sich der Verlust an Vollzeitjobs zwischen 1992 und 2009 auf 1.515,4 Tsd. summiert – ein gravierender Schwund an Vollzeitarbeitsplätzen.

Von den verlustigen Arbeitsplätzen entfielen nach Tabelle 9 seit 1991 874 Tsd. auf den öffentlichen Bereich, der folglich den überwiegenden Anteil der Verluste in Ostdeutschland zu tragen hat, indem er sich kontinuierlich verringerte und zuletzt halbierte.

Tabelle 9

Der zwischen 2005 und 2009 gesunkene Bestand an „Arbeitslosen“ um ca. 500.000 Personen ist statistisch z. T. auf den demographischen Effekt der Verminderung der arbeitsfähigen Altersgruppen (ca. 186 Tsd.) und noch stärker auf den Ost-West-Abwanderungseffekt (ca. 250 Tsd.) sowie auf das Anwachsen der Ost-West-Pendler (ca. 34 Tsd.) zurückzuführen. Dies zeugt keineswegs von einem ursächlichen Aufschwung der Beschäftigung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt. Diese Verdrehung der Sachlage würde eine gravierende Beschönigung suggerieren.

Die atypischen Arbeitsverhältnisse haben zugenommen, wobei die „geringfügig Beschäftigten“ 2009 ca. 450 Tsd. Personen sowie die „Zeitarbeitnehmer“ 133 Tsd. Personen erreichten. Auch ein Teil der Teilzeitbeschäftigten von ca. 600 Tsd. Personen strebt nach existenzsichernden Vollzeitjobs, die der Arbeitsmarkt in den NBL und Berlin nicht anbieten kann. Die ca. 720 Tsd. „befristet Beschäftigten“ jedoch lassen klar erkennen, welcher Mangel an unbefristeten Normalarbeitsplätzen inzwischen besteht.

Unter diesem Aspekt ist es obendrein zynisch von der Bundesregierung, die ostdeutschen Arbeitsmarktverhältnisse als „insgesamt positiv“ zu werten, vor allem sofern man sie mit der Lage in der DDR-Zeit vergleicht. Doch um die gegenwärtige Lage zu beschönigen muss nach 20 Jahren immer noch der „desolate Zustand“ der DDR im Jahre 1990 herhalten. „Der offiziell hohe Beschäftigungsstand in der DDR Ende der 80er-Jahre resultierte nicht zuletzt aus einem hohen Ausmaß versteckter Arbeitslosigkeit“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Man müsste ehrlicherweise hinzufügen, dass die „versteckte Arbeitslosigkeit“ heute zur offenen Arbeitslosigkeit bzw. zur (überwiegend erzwungenen) Teilzeitbeschäftigung geworden ist und dass Millionen von Menschen, die nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland keine Arbeit mehr fanden, in den Westen (oder sonst wohin) abgewandert sind.

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