Wie der Mainstream gegen alternative Medien kämpft

Wie der Mainstream gegen alternative Medien kämpft

Wie der Mainstream gegen alternative Medien kämpft

Ulrich Heyden
Ein Artikel von Ulrich Heyden

In den letzten Wochen haben sich die Angriffe deutscher Medien gegen die russische Regierung nochmals zugespitzt – Stichworte: Nawalny oder die Verhinderung von Nord-Stream-2. Wie erklärt man ausländischen Studenten die fragwürdigen Mechanismen der deutschen Medienlandschaft? Unser Autor Ulrich Heyden hat das in einem Vortrag an der Universität Woronesch in Russland getan. Dabei zeichnet er auch die Entwicklung seit 2014 nach – einer Zeit, in der sich viele große deutsche Medien unter anderem gegen Russland radikalisiert haben. Immerhin alternative Medien würden aber Kritik an den Corona-Maßnahmen und an der Dämonisierung Russlands üben. Wir geben den Vortrag hier wieder. Von Redaktion.

Wie weit das offizielle Deutschland sich seit der Ukraine-Krise 2014 gegen Russland in Stellung gebracht hat, lässt sich leicht am Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“[1] nachprüfen, der im Dezember 2014 vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem Film-Regisseur Wim Wenders und 60 anderen Personen des öffentlichen Lebens unterschrieben wurde.

Wer sich den Aufruf „Wieder Krieg in Europa?“ heute durchliest, hat das Gefühl, er stammt aus einer anderen Welt. In dem Aufruf wird noch das „Sicherheitsbedürfnis Russlands“ anerkannt. Und das, obwohl die Krim damals schon seit neun Monaten mit Russland vereinigt war und es in der Ost-Ukraine schon seit acht Monaten Krieg gab.

Russland als Bedrohung

Seit dem Staatsstreich in der Ukraine wird Russland von den großen deutschen Medien in einer Weise dämonisiert, wie es das seit dem Beginn der Entspannungspolitik Ende der 1960er Jahre nicht mehr gab.

Als am 17. Juli 2014 die malaysische Passagiermaschine MH 17 über dem Gebiet Donezk abgeschossen wurde, herrschte in Deutschland schlagartig Kriegsangst, das erste Mal seit der Kuba-Krise 1962. Der Kriegstreiber war nach Meinung der großen deutschen Medien Russland. „Stoppt Putin jetzt!“ stand auf der Titelseite des „Spiegel“. Außerdem sah man auf dem Titelblatt Fotos der bei dem Abschuss getöteten Passagiere.

Von Russland unterstützte Separatisten hätten das Flugzeug abgeschossen, so die Behauptung in großen deutschen Medien. Die Recherche-Gruppe Bellingcat hat versucht, mit aus dem Internet gesammelten Fotos nachzuweisen, dass das Flugzeug von einer aus Russland herangefahrenen Buk-Rakete abgeschossen wurde. Doch diese Foto-„Recherche“ reichte nicht aus, um eine juristisch wasserfeste Anklage gegen Russland zu starten. Warum die Ukraine das Kriegsgebiet über Donezk nicht für den Luftverkehr gesperrt hatte, wurde von den deutschen Medien nicht thematisiert.

Um Russland als Bedrohung zu darzustellen, wurden von den Medien seit 2014 immer wieder Themen in Skandal-Wellen hochgepuscht. Russische Geheimdienste seien Schuld an der Vergiftung des ehemaligen KGB-Agenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia in England. Russische Agenten hätten den Oppositionspolitiker Aleksej Navalny vergiftet und im Berliner Tiergarten einen Georgier, der mit Tschetschenen gegen Russland kämpfte, umgebracht. Doch statt Beweisen wurden nur Vermutungen für Russlands Schuld vorgebracht.

Sieben Jahre Trommelfeuer

„Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer“, heißt es in dem Aufruf von 2014. Weiter heißt es:

„Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden.“

Sieben Jahre Verdächtigungen und mediales Trommelfeuer gegen Russland haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Über ein „Sicherheitsbedürfnis“ von Russland wagt heute kaum noch ein Journalist oder Politiker zu sprechen. Fast alle Gegenstimmen wurden ins außerparlamentarische Abseits gedrängt.

Dass sich seit 2014 vermehrt alternative Medien gründeten und Friedensaktionen gestartet wurden (Anmerkung der Redaktion: Die ersten Beiträge auf den NachDenkSeiten sind bereits 2003 erschienen), sah die politische Elite in Deutschland als Bedrohung ihrer Macht. Die Kritiker wurden als Bedrohung für die Demokratie hingestellt. Seit 2015 erscheinen jährlich Studien von staatlichen sowie von Parteien finanzierten Stiftungen, welche versuchen, die alternativen Medien in die Ecke von Rechtsextremisten, Antisemiten und Spinnern zu rücken.

Den Anfang machte 2015 die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung mit ihrer „Querfront“-Studie[2]. In der von dem ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, herausgegebenen Studie wird vor einer „Querfront“ von Friedensaktivisten und anti-liberalen rechten Kräften gewarnt. Es wurde behauptet, in dem sich neu herausbildenden alternativen Spektrum fehlten „positive Bekenntnisse zur demokratisch-repräsentativen Gesellschaftsordnung und den ihr zugrunde liegenden Werten“. Nach einem außergerichtlichen rechtlichen Streit zwischen Video-Blogger Ken Jebsen und der Otto Brenner Stiftung, in dem Jebsen der Stiftung unzulässige Verallgemeinerungen vorwarf, überarbeitete Storz die Studie[3].

Zentralisierung im Medienmarkt

Um zu verstehen, warum es der politischen Elite in Deutschland gelang, die Medien auf einen aggressiv antirussischen Kurs zu trimmen, muss man sich die wirtschaftliche und politische Entwicklung der letzten zehn Jahre noch einmal vor Augen führen.

Das alte Modell eines Parteien-Systems mit zwei führenden großen Volksparteien – der CDU/CSU und der SPD – ist zerbrochen. Die Grünen wurden zur neuen Volkspartei. Die Rechtspopulisten von der AfD erreichten bei den letzten Bundestagswahlen 16,5 Prozent der Stimmen.

Der Graben zwischen einer kleinen Schicht sehr reicher Menschen und einer großen Zahl von Menschen, die am Rand des Existenzminimums leben, wird immer größer. 20 Prozent der Kinder in Deutschland leben heute in armen Familien. Sie können sich keinen Urlaub leisten und haben Probleme, sich neue Kleidung zu kaufen.

Es ist verrückt. Während die Zahl ungelöster sozialer und politischer Fragen in Deutschland rasant zunimmt, bricht ein wichtiger Teil der Medienwelt, deren Aufgabe es ist, Probleme in der Gesellschaft zu beleuchten, weg. Die Tageszeitungen in Deutschland erleben ihre größte Krise seit 1945. Seit zehn Jahren schon sinken die Auflagen auch führender Medien wie Bild und Spiegel. Die Medien haben massiv an Vertrauen verloren. Sie geben keine Antworten auf die brennenden Fragen der Zeit.

In den Zeitungsredaktionen gibt es immer neue Entlassungswellen. Die Redaktionen der Regionalzeitungen schreiben ihre Berichte über Bundespolitik und Wirtschaft oft nicht mehr selbst, sondern beziehen Texte zu diesen Themen vom „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ in Berlin, das 50 Regionalzeitungen beliefert.[4]

Wenn man früher in deutschen Bahnhofskiosken an die Zeitungsstände ging, fand man Regionalzeitungen mit unterschiedlichen Themen und Überschriften. Heute sieht man oft nur noch die gleichen Themen und fast gleiche Überschriften. Diese Entwicklung erinnert an die Sowjetunion, wo die Prawda von sich behauptete, sie – und niemand sonst – verbreite die Wahrheit.

„Effektivierung“ in allen Bereichen

In Deutschland war man bisher der Meinung, dass man in einer voll entwickelten Demokratie lebt. Doch wie kann eine Demokratie funktionieren, wenn viele Zeitungen das Gleiche berichten? Wenn es keine Reportagen mehr aus sozialen Brennpunkten und anderen Ländern gibt?

Alles, was man in Deutschland zentralisieren und effektivieren kann, wurde einer gnadenlosen „Modernisierung“ unterworfen. Krankenhäuser wurden privatisiert, die Ausgaben für Bildung gekürzt, Zeitungsredaktionen ausgedünnt oder ganz entlassen.

Früher gab es in Deutschland dicke Zeitungen, wie die Wochenzeitung „Zeit“ und die Frankfurter Rundschau. Der gut ausgebildete Teil der Bevölkerung, wie Ärzte, Juristen und Wissenschaftler, die eine sechsjährige Ausbildung durchlaufen hatten, haben diese dicken Zeitungen gelesen und fühlten sich als Träger ziviler Werte. Man glaubte an die Philosophie der Aufklärung, wo die Wahrheit nicht mehr von der Kirchenkanzel verkündet wird, sondern wo der Bürger selbst die Fakten analysiert und seine eigenen Schlüsse zieht. Das war das Ideal des aufgeklärten Bürgers.

Heute leben wir in einer Zeit des Populismus. Selbst große Teile einer Mittelschicht, die sich für aufgeklärt halten, wechselten auf die Seite der Populisten, welche die Welt mit einfachen Schwarz-Weiß-Bildern, in Imperien der „bösen“ und der „guten“ Länder aufteilte.

Das wohlhabende Bildungsbürgertum als stabiler Faktor und Werte-Träger schmilzt ab. Die Mittelschicht in Deutschland verarmt. Die Auflagen selbst angesehener Zeitungen und Magazine sinken. Nur noch die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die FAZ können ein umfangreiches intellektuelles Angebot liefern und sich Auslandskorrespondenten leisten. Der Berliner „Tagesspiegel“ leistet sich nur noch einen einzigen Auslandskorrespondenten und der sitzt in Washington. Auslandskorrespondenten sind zum Luxus geworden, den sich nur noch wenige Zeitungen leisten können.

So ist im Zeitungsmarkt eine intellektuelle Wüste entstanden, in der es nur noch wenige Oasen gibt. Linke Zeitungen mit analytischem Anspruch, wie die taz und das Neue Deutschland, passen sich an den Mainstream an.

Das Neue Deutschland, das jahrzehntelang ausführlich und konstruktiv-kritisch über Russland berichtete, vermeidet heute ängstlich alles, was man als Putin-nah auslegen könnte. So berichtete das ND mit keinem Wort über die Kündigung der Konten von RT deutsch durch die Commerzbank. Was soll man von diesem Schweigen halten? Sind die Mitarbeiter von RT deutsch keine Kollegen? Denkt man in der Redaktion des ND jetzt schon so wie der Mainstream, der immer wieder verkündet, die Mitarbeiter von RT deutsch seien „keine Journalisten“, sondern „Kreml-Propagandisten“?

Weil sich die brennenden Fragen der Menschen in den Zeitungen immer weniger widerspiegelten, bekamen ab 2014 alternative Medien, wie die NachDenkSeiten, Rubikon, Ken FM, RT deutsch und viele andere enormen zusätzlichen Zulauf, und das, obwohl sie von den großen Medien als Verschwörungstheoretiker und Antisemiten verteufelt wurden.

Sperrfeuer gegen RT deutsch

Merkwürdig. Wie schon 2015 übernahm es nochmals eine Gewerkschaft, gegen die „neue Gefahr“ vorzugehen. Im Januar 2019 forderte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, die Landesmedienanstalten auf, dem Kanal Russia Today für seine Website RT deutsch keine Rundfunklizenz zu erteilen. Überall erklärte, „Russia today ist für uns kein Informationsmedium, sondern ein Propagandainstrument des Kreml“. „Russland Today hat in der Vergangenheit immer wieder Geschichten erfunden oder tatsächliche Ereignisse einseitig dargestellt.“

Seit dem Vorstoß des DJV-Vorsitzenden gibt es für RT deutsch keine Ruhe. Im Oktober 2020 erschien eine Studie der Naumann-Stiftung, in welcher der schädliche Einfluss russischer Medien auf Deutschland beschrieben[5] wird.

Ende Februar 2021 erklärte die Commerzbank, man werde die Konten von RT deutsch Ende Mai schließen. Eine Suche nach einer anderen Bank, bei der RT deutsch Konten eröffnen kann, blieb ohne Erfolg.

Als Reaktion auf die finanzielle Abschnürung von RT deutsch kündigte das russische Außenministerium, vertreten durch Maria Sacharowa, Maßnahmen gegen deutsche Korrespondenten in Russland an.[6]

Daraufhin drehte der deutsche Außenminister Heiko Maas, der sich bisher nicht zu der Kontensperrung gegen RT deutsch geäußert hatte, den Spieß um. Er forderte von Russland, dass deutsche Korrespondenten in ihrer Arbeit nicht behindert werden dürfen.

Maas bestreitet, dass die Konto-Kündigungen für RT deutsch von deutschen Behörden durchgesetzt wurden. Gegenüber der Deutschen Welle erklärte der Außenminister:

„Wir halten uns an die Regeln der Pressefreiheit. Unabhängig davon, ob die Organe, die hier journalistisch tätig sind, Nachrichten produzieren, die uns gefallen oder nicht.“

Das ist natürlich Heuchelei. Erstens hält der Bund 15 Prozent der Aktien bei der Commerzbank und zweitens kann es kein Zufall sein, dass 20 Banken, bei denen RT deutsch wegen der Eröffnung eines neuen Kontos anfragte, entweder nicht antworteten oder das Gesuch ablehnten.

Wie groß die Angst vor alternativen Medien ist, zeigte auch eine Intervention von Redakteuren der Süddeutschen Zeitung. In dem Beitrag „Störsender“[7] dachten sie laut darüber nach, ob man nicht Störenfriede, welche die Bundespressekonferenz als „Bühne für Verschwörungsmythen und Fake News nutzen“, von der Veranstaltung ausschließen könne.[8] Namentlich genannt wurden die Journalisten Florian Warweg von RT deutsch und Boris Reitschuster. Die beiden Journalisten unterwerfen sich den Anpassungs- und Schweige-Ritualen der Hauptstadt-Journalisten nicht und stellen immer wieder kritische und für die Bundesregierung äußerst unangenehme Fragen.

Seit der Corona-Krise weht für die Alternativen ein scharfer Wind

Neben den „Russland-Verstehern“ und RT deutsch wurde von den Medien noch eine weitere Gruppe ins Visier genommen, die sogenannten Verschwörungstheoretiker. Diese Leute sammeln sich nach Meinung der Mainstream-Medien etwa um den Video-Kanal von Ken Jebsen. Der inzwischen abgeschaltete Kanal bei YouTube hatte eine halbe Million Abonnenten.

Als Verschwörungstheoretiker werden (unter anderem) die bezeichnet, welche vermuten, dass die Politiker mit den Anti-Corona-Maßnahmen nicht die Bevölkerung schützen, sondern eine Herrschaft über die Bevölkerung ausüben wollen. Die sogenannten Verschwörungstheoretiker treten demnach auf gegen Impfzwang, die Aushebelung von Grundrechten und die totale Kontrolle des Individuums.

Google und seine YouTube-Tochter gingen in die Offensive. Am 27. Oktober 2020 war auf dem YouTube-Kanal des populären Video-Bloggers Ken Jebsen kein Video mehr zu sehen. Jebsen hatte alle Videos vom Kanal genommen, weil er eine zweite Verwarnung von YouTube bekommen hatte. Anlass war ein Interview mit dem Rechtsanwalt der Bewegung Querdenken-711, Markus Haintz. Einen dritten Strike – also die endgültige Abschaltung des Kanals – wollte Jebsen nicht abwarten. Doch YouTube reichte dieser Teilrückzug nicht. Man löschte den Kanal.

Das nächste Opfer von YouTube war das Portal Rubikon. Das 2017 gegründete Internetportal wurde 2020 zu einer populären Diskussionsplattform für Kritiker der Corona-Maßnahmen. Am 13. November 2020 wurde der Kanal ohne Begründung von YouTube abgeschaltet.

So viel ist sicher: Wir gehen interessanten Zeiten entgegen. Die Nachfrage nach alternativen Medien ist groß. Viele Menschen haben erkannt, dass man für alternative Medien seine freie Zeit und auch Geld spenden muss, will man sich nicht von den großen Medien und der Regierungspropaganda einwickeln lassen.


Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor am 24. März 2021 vor Studenten der romanisch-deutschen philologischen Fakultät der Universität Woronesch hielt. Die Stadt liegt 500 Kilometer südlich von Moskau.

Ttielbild: lonndubh / Shutterstock