Ukraine-Konflikt: Wie Medien die Realität auf den Kopf stellen

Ukraine-Konflikt: Wie Medien die Realität auf den Kopf stellen

Ukraine-Konflikt: Wie Medien die Realität auf den Kopf stellen

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Viele Journalisten beschreiben die aktuelle Zuspitzung als Eskalation von russischer Seite. Dieser medienübergreifende Tenor führt die Bürger in die Irre. Die aktuelle Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt ist ein weiteres Beispiel massiver Manipulation. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Angesichts der aktuellen Eskalation an der russisch-ukrainischen Grenze läuft ein Meinungskampf über die Deutung der Vorgänge und um die Zuschreibung der Verantwortlichkeiten. Die realen Hintergründe der Vorgänge, nämlich eine massive Eskalation von westlicher Seite, hat gerade Reiner Braun auf den NachDenkSeiten in dem Artikel „Ukraine: Stehen wir vor dem nächsten (großen) Krieg?“ beschrieben. Eine „Chronologie der Eskalation“ hat Thomas Röper verfasst. Unter vielen anderen Aspekten werden in den Artikeln etwa innerukrainische Aufrüstungen und Eskalationen sowie NATO-„Übungen“ in der Region thematisiert.

Sind die Aggressoren die Opfer?

Angesichts dieser Hintergründe ist die aktuelle Berichterstattung in vielen großen deutschen Medien sehr irreführend. Die Realität wird praktisch auf den Kopf gestellt – vor allem durch das Mittel der Verkürzung, das man bereits vom Syrien-Konflikt oder von der Berichterstattung zu den politischen Folgen des Maidan-Umsturzes kennt: Viele Medien verschweigen westliche Eskalationen und skandalisieren ausschließlich die russischen Reaktionen darauf, die dann zum „Angriff“ umgedeutet werden. Man ist aktuell Zeuge einer, wie Reiner Braun schreibt, „kampagnenhaften, geradezu primitiven Verurteilung Russlands“.

Ich habe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in den großen privaten Medien keinen aktuellen Artikel finden können, der den Ansprüchen an eine ausgewogene Berichterstattung gerecht würde und in angemessener Weise die Interessen und Haltungen beider Seiten betrachten würde, sowie in angemessener Weise die Ereignisse thematisieren würde, die zum aktuellen Konflikt hingeführt haben. Wenn unsere Leser positive Gegenbeispiele entdecken konnten, wären wir über einen Hinweis dankbar. Nach der Verweigerung der Ausgewogenheit vieler großer Medien beim Thema Corona ist die aktuelle Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt ein weiteres Beispiel massiver Manipulation.

Allumfassende antirussische Meinungsmache in vielen Medien

Es folgt eine unvollständige und beispielhafte Auswahl an fragwürdigen Medienbeiträgen. Hier sei betont, dass auch führende deutsche Politiker in den Chor einstimmen und damit auch gegen deutsche Interessen handeln. Diese Interessen liegen eindeutig in einer friedlichen Koexistenz mit Russland. Dass man sich mit der Vertretung dieser Meinung nicht mit allen Standpunkten und Handlungen der russischen Regierung gemein macht, ist selbstverständlich. Dennoch unterstützen Teile der deutschen Politik ebenfalls die aktuellen einseitigen Schuldzuweisungen: So fordert etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel nun gemeinsam mit US-Präsident Joe Biden einen (wohl einseitigen) russischen „Truppenabzug“.

Die antirussische Meinungsmache in den Medien ist aktuell (einmal mehr) allumfassend und von einem weitgehend medienübergreifenden Tenor geprägt. Als ein Beispiel dieses Tenors kann etwa auf den Artikel „Russischer Militäraufmarsch: Die schleichende Annexion“ in der „Süddeutschen Zeitung” verwiesen werden. Hier wird die russische Reaktion auf die (von Russland nur „konstruierte“) westliche Eskalation als mögliches Wahlkampfmanöver des russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnet:

„Im September steht die nächste Parlamentswahl an. Putin könnte deshalb zum einem allzeit bewährten Werkzeug greifen: Ein kleiner, siegreicher Krieg wird die Popularität schon befördern.“

„Angebliche Aggressionen des Westens werden konstruiert“

Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) erklärt zudem das Abkommen von Minsk indirekt für beendet, der Westen tue aber so, „als gäbe es einen Friedensprozess“. Bezüglich der Anstifter der aktuellen Eskalation schreibt die SZ in Umkehrung der Realität:

„Seit Monaten nimmt die dafür notwendige propagandistische Vorbereitung an Fahrt auf. Russlands Aufmarsch wird verschwiegen, angebliche Aggressionen der Ukrainer und des Westens werden konstruiert.“

Zudem erklärt die SZ, dass ein Festhalten am Friedensprozess gegen die ukrainischen Interessen verstoße:

„Es wäre staatlicher Selbstmord, trotz der Moskauer Rechtsbrüche nun die Führer der Marionettenregime in Donezk und Lugansk als Verhandlungspartner anzuerkennen, Gesetze über Autonomie zu beschließen oder in ‚DNR‘ und ‚LNR‘ abgehaltene ‚Wahlen‘ anzuerkennen.“

Friedensprozess „ist eine Illusion“

Denn, so die SZ:

„Doch der Minsker Prozess ist eine Illusion, verkündet aus politischer Opportunität, gepflegt in Berlin oder Paris, um die harte Entscheidung über den eigentlich notwendigen Umgang mit Moskau zu vermeiden.“

Wenn man den Weg des Friedensprozesses also nicht weiter verfolgen soll – wie sähe laut SZ der „eigentlich notwendige Umgang“ mit Moskau aus? Deutschland müsste sich den Eskalationen und der „neuen Härte“ der USA anschließen:

“US-Präsident Joe Biden hat bereits angedeutet, dass er zu neuer Härte gegenüber Russland bereit ist. Es wäre wünschenswert, dass auch die Regierungen in Berlin und Paris eine ähnliche Richtung einschlagen, Sanktionen beschließen und etwa die Pipeline-Politik ändern.“

Putin, der „Gelegenheitsdieb“

Der „Tagesspiegel“ bezeichnet Putin in diesem Artikel als „Gelegenheitsdieb“ und fährt fort:

„Er (Putin) greift zu, wenn es günstig scheint. Höchste Zeit also, dass die Kanzlerin mit anderen westlichen Partnern ein großes Preisschild aufstellt, das deutlich macht: Neue Gewalt gegen die Ukraine wird ihn teuer zu stehen kommen.“

Auf „tagesschau.de“ kann Susan Stewart von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin behaupten:

„tagesschau.de: Die russische Regierung macht ihrerseits der ukrainischen Regierung Vorwürfe – sie sei es, die aktuell im Konflikt im Osten des Landes zündele, sodass Russland gegebenenfalls die Interessen seiner Bürger in der Region schützen müsse. Wie stichhaltig ist dieser Vorwurf?

Stewart: Ich würde das eher als eine Art Desinformation bezeichnen. Tatsächlich hat die ukrainische Regierung in den vergangenen Monaten wiederholt Vorschläge unterbreitet, um im Rahmen des Normandie-Formats und der Minsker Vereinbarung voranzukommen. Vor Ort sehen wir nichts, was auf eine massive militärische Eskalation durch die Ukraine hindeuten würde.“

In einem anderen Bericht der Tagesschau wird immerhin festgestellt, dass es die ukrainische Regierung in Kiew war, die 2014 mit einer „Anti-Terror-Operation“ den Krieg in der Ost-Ukraine begann und eskalierte.

Vom Impfstoff bis zur Pipeline – Alles „Russische“ ist suspekt

Nicht nur eine angeblich einseitige russische militärische Eskalation wird skandalisiert. Es hat den Anschein, als müsse nun alles, was „russisch“ ist, mit einem Bann belegt werden, darunter auch der Impfstoff „SputnikV“ oder die deutschen Interessen entsprechende Pipeline Nord-Stream-2.

Bei Nord-Stream-2 ist bisher bei einigen deutschen Politikern eine gewisse Standhaftigkeit zu beobachten, die der intensiven Meinungsmache durch viele Journalisten und Politiker (hier vor allem von den Grünen) noch widerstehen. Und das, obwohl die USA laut „Tagesspiegel“ Nord-Stream-2 „um jeden Preis“ verhindern wollen. Dass zu den von Pipeline-Gegnern genutzten Mitteln angeblich auch „regelmäßige Provokationen durch ausländische zivile und militärische Schiffe“ gegen die Pipeline gehören würden, berichtet der österreichische „Kurier“.

Umso alarmierender sind nun die aktuellen Äußerungen der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die sich nach einem Treffen mit ihrem US-Amtskollegen Lloyd Austin offen für einen Aufschub des Baus der fast fertiggestellten Pipeline zeigte: “Diese Frage kann man sich stellen.“

„Der Brandstifter spielt Feuerwehr“

Gegen den russischen Impfstoff „SputnikV“ bringt sich in einem Artikel im „Spiegel“ der ehemalige Leiter der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, in Stellung. Sputnik V sei kein „unpolitischer Impfstoff“, sondern ein Prestigeprojekt der russischen Führung. Fücks spannt den Bogen vom Impfstoff zur Ukraine:

„Noch während die Sputnik-Vereinbarungen als Ausweis politischer Tatkraft zelebriert werden, bringt Putin Kampftruppen und schwere Waffen an den Grenzen der Ukraine in Stellung. Panzerkolonnen rollen Richtung Ukraine, russische Kanonenboote und Landungsschiffe beziehen vor der ukrainischen Schwarzmeerküste Position, atomwaffenfähige »Iskander«-Raketen werden aus dem Ural in die Grenzregion verlegt.“

Mit dem Urteil von Fücks über Russlands Handlungen könnte man aber auch treffend die aktuellen Eskalationen des Westens beschreiben:

„Der Brandstifter spielt Feuerwehr – abgefeimter geht’s kaum.“

Foto: Symbolbild/Ukraine 2017 (Volodya Senkiv / Shutterstock)