Die Reformen beginnen zu greifen? Die Krankenkassenbeiträge sind nicht gesunken, sie drohen zu steigen.

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Man kann sich nicht rückwärts auf den Sattel setzen und das Pferd vom Schwanz her aufzäumen und sich dann wundern, dass sich das Pferd in die falsche Richtung bewegt. Mit diesem Bild lässt sich zusammenfassen, was wir auf den „NachDenkSeiten“ an der „Reformpolitik“ der Agenda 2010 kritisiert haben.
Dass es statt vorwärts eher rückwärts geht, zeigt sich einmal mehr bei der Gesundheitsreform: Statt der versprochenen Senkung der Beiträge wollen Krankenkassen wegen steigender Arzneimittelausgaben die Sätze erhöhen.

Die Gesundheitsreform verlangt den Patienten einiges ab: Eine Praxisgebühr, Selbstbeteiligung bei den Medikamenten und außerdem fallen etliche Leistungen bei der Zahnbehandlung, bei Sehhilfen oder das Krankengeld aus dem Versicherungsschutz. Rund 7 Milliarden Kostenentlastung sollte das bringen. Das alles, damit die Beiträge zur Krankenversicherung sinken sollten, um damit die Lohnnebenkosten zu senken.
Zum 1. Juli 2005 wurde ein Sonderbeitrag für die Krankenversicherung eingeführt, mit dem der historische Grundsatz der paritätischen Finanzierung aufgegeben wurde. Die Arbeitgeber wurden um 0,45 % entlastet, die Arbeitnehmer und Rentner um 0,45% zusätzlich belastet.
Die Senkung der Lohnnebenkosten sollte neue Arbeitsplätze schaffen.

Schon diese Begründung der Gesundheitsreform war und ist eine Legende: Ein Zusammenhang zwischen den Lohnnebenkosten für Gesundheit und der Beschäftigungsentwicklung konnte nie nachgewiesen werden, er ist immer nur behauptet worden. Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) belegte in einer wissenschaftlichen Untersuchung, dass es „keinen Zusammenhang zwischen der Belastung der Arbeitgeber durch Gesundheitsausgaben und der Entwicklung der Beschäftigung (gibt) – weder in Deutschland noch im internationalen Vergleich“. (vgl. NachDenkSeiten)

Wir haben auf den NachDenkSeiten immer wieder kritisiert, dass mit der Gesundheitsreform überwiegend nur den Patienten in die Tasche gegriffen wurde, die Pharmaindustrie, die Apotheken oder die Ärzte aber weitgehend geschont würden.

Die Ärzte wurden geschont: Sie bekommen auch bei weniger Patienten insgesamt genauso viel Geld wie vorher. Die Krankenkassen zahlen nämlich auf der Grundlage ihrer Mitglieder- bzw. Versichertenzahlen Kopfpauschalen an die Kassenärztlichen Vereinigungen und die wiederum verteilen das Geld an die Ärzte weiter. Auch wenn die Fallzahlen zurück gingen, bleibt die Gesamtvergütung unverändert. (vgl. NachDenkSeiten)

Die Apotheker wurden geschont: Sie sollten als Ausgleich für Einbußen bei rezeptpflichtigen Rezepten von den Kassen eine Nachzahlung von 390 Millionen Euro erhalten. Als dann im Mai dieses Jahres festgestellt wurde, dass die Apotheker ihren Gesamtumsatz durch Mehreinnahmen bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneien sogar steigern konnten, hat es zwischen Kassen und Apothekern einen Kompromiss gegeben, wonach die Rabattzahlungen an die Kassen gesenkt wurden und die Apotheker immerhin insgesamt 37 Millionen Euro zusätzlich einnehmen. Die Apotheker haben also nach der Gesundheitsreform eher mehr als weniger. (vgl. heute.de)

Die Pharmaindustrie wurde geschont: Die Zwangsrabatte wurden schon längst wieder abgesenkt und die Ausgaben der Kassen für Arzneien sind allein im ersten Halbjahr 2005 um über 20% auf 11,1 Milliarden Euro angestiegen.

Nach wie vor verschreiben die Ärzte teure Originalpräparate für die es bewährte billigere Alternativen gibt. Nach wie vor zeigt die massive Bewerbung etwa durch Pharmareferenten oder durch „Anreize wie Reisen oder Geschenke“ ihre Wirkung (Gerd Glaeske, Arzneimittelversorgungsforscher, FR. v.30.7.05).

Das Kernproblem bei der Finanzierung des Gesundheitssystems wurde jedoch durch die Gesundheits-„Reformer“ völlig aus den Augen verloren:
Es besteht darin, dass durch die hohe Arbeitslosigkeit, durch stagnierende und insgesamt sogar sinkende Löhne, durch die Verdrängung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen durch die Hartz-Reformen, also wegen der Mini- und 1-Eurojobs und andere prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die Beiträge auch an die Krankenversicherung stagnierten oder zurück gingen. Und übrigens die von Arbeitslosigkeit und Sorgen um den Arbeitsplatz belasteten Menschen sicher auch nicht gesünder geworden sind.
Wie bei der Arbeitsmarktreform wurden auch bei der Gesundheitsreform die Patienten und Arbeitnehmer einseitig belastet und es wurde an Symptomen kuriert, statt an den Ursachen, nämlich der Wachstums-, Konjunktur und Beschäftigungsschwäche anzusetzen und damit wieder für mehr Beitragszahler, mit höherem Einkommen und damit höheren Beitragssätzen zu sorgen.

Nun will man versuchen diese Einnahmeschwäche durch Bürgerversicherung oder Kopfpauschale aufzufangen. Das wird allerdings weder bei Ärzten, noch bei Apothekern noch gar bei der Pharmaindustrie Kosten sparen helfen. Nach der Reform wird also wieder einmal vor der Reform sein.