Es braut sich was zusammen

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Weniger die Tatsache, dass Obamas Demokratische Partei, bei den „midterm Elections“, von 256 Sitzen im Repräsentantenhaus auf 185 Sitze geschrumpft und die Republikaner sich von 179 Sitze auf 239 Sitze verbessert haben und damit die Mehrheit in der größten Kammer des US-Kongresses gewonnen haben (die Kongresswahlen in Zahlen), sondern wie der Wahlkampf geführt wurde, lässt aufschrecken. Neben dem großen Geld und der Wall Street, die hinter den Republikanern standen, war die inhaltliche Auseinandersetzung vor allem von der sogar noch weit rechts von der Republikanischen Partei stehenden Tea-Party-Bewegung geprägt. Gegen die Macht des Bundesstaats, gegen Steuererhöhungen, gegen Bankenregulierung, gegen die Gesundheitsreform und gegen alles Sozialstaatliche, gegen Einwanderung das waren die Themen, mit denen die Rechtspopulisten die Stimmung im Lande vergiftet haben.
Beim Siegeszug des Rechtspopulismus steht jedoch Amerika nicht alleine, in ganz Europa erleben wir ein Anwachsen rechtskonservativer bis rechtsextremer Strömungen. Ein Vergleich mit dem Ende der zwanziger Jahre drängt sich auf. Auch nach der ersten Weltwirtschaftskrise gab es in der Welt eine Welle des Rechtspopulismus. Und zum Unglück – wie in vielen Staaten, so auch vor allem in Deutschland – zu wenig Demokraten, die noch daran glaubten, dass die Demokratie die wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen könnte. Wolfgang Lieb

In Europa toleriert der rechtsradikale Anti-islamist Geert Wilders genauso die von VVD und CDA gestellte konservative Regierung wie die Dänische Volkspartei die liberal-konservative Koalition im Kopenhagener Folketing. Selbst in Schweden gelang den „Schweden-Demokraten“ der Sprung ins Parlament. Die französische Front National des Rechtsextremisten Le Pen hat zur Wahl von Nicolas Sarkozy aufgerufen und ihm zum Sieg verholfen. In Italien regiert der „Unternehmerpopulist“ Berlusconi mit der ausländerfeindlichen Lega Nord. Die postfaschistische Alleanza Nazionale macht sich breit.
In England hat sich der marktradikale David Cameron gegen die Labour Party durchgesetzt. Zwar haben rechtspopulistische Parteien, wegen des dortigen Mehrheitswahlrechts (noch) keine Chance ins Parlament zu gelangen, doch die British National Party hat bei Kommunalwahlen beachtliche Erfolge erzielt.
In Österreich war die ausländer- und islamfeindliche FPÖ unlängst bei den Wahlen in Wien der große Gewinner und bei der Parlamentswahl vor zwei Jahren kamen die rechtspopulistischen Parteien FPÖ und Jörg Haiders BZÖ auf fast 30 Prozent der Stimmen.
Fast überall in Europa – vielleicht bis derzeit noch auf Spanien und Portugal – haben sich rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien etabliert. In Ungarn regiert der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz mit einer Zweidrittelmehrheit und baut im Eiltempo demokratische Strukturen ab. In Polen hat die ultrakatholische Liga Polnischer Familien einen starken Einfluss.

Und auch in Deutschland könnten sich 18 Prozent vorstellen eine Partei zu wählen, deren Vorsitzender Thilo Sarrazin hieße. Der politische Diskurs hat sich in den letzten Monaten spürbar nach rechts verlagert.

Zwar gibt es – wie z.B. mit der Tea-Party-Bewegung in den USA – nationale und historisch bedingte Besonderheiten bei der Ausprägung des Rechtspopulismus, doch in der der Tendenz gibt es viele Gemeinsamkeiten. Der Rechtspopulismus wendet sich gegen alles, was er als politisch links definiert. So gilt etwa die Gesundheitsreform in den USA für die Rechtskonservativen als „Sozialismus“. Die Rechtsaußen schlüpfen in die Rolle derjenigen, die „kein Blatt vor den Mund nehmen“, die sich auszusprechen trauen, was „die schweigende Mehrheit“ denkt oder fühlt. Ihr Stil ist parolenhaft, demagogisch, sie argumentieren mit emotionalisierendem Freund-Feind-Denken und sie tun so als hätten sie einfache Lösungen für die politischen Probleme zu bieten. Sie spielen vor allem mit latenten Ängsten der Menschen. Das schüren von Ängsten gegenüber Ausländern und den Folgen der Immigration spielt dabei die wichtigste Rolle. Politische Unzufriedenheit, materielle Not, Statusängste und Orientierungslosigkeit der „Modernisierungsverlierer“ verschaffen einfachen Rezepten und demagogischen Führungsfiguren Gehör.

Der Rechtspopulismus findet fast überall in den Boulevard-Medien einen wichtigen Resonanzboden, das gilt für Springers Bild-Zeitung genauso, wie für Murdochs Fox News.

Auffallend ist, dass vor allem das „Große Geld“ wie in den USA den Rechtspopulismus massiv unterstützt oder wie bei uns stillschweigend duldet oder gar mit Sympathie verfolgt.
Die zumindest wohlwollende Duldung des Rechtspopulismus durch das Finanzkapital oder durch die Wirtschaftsoligopolisten hat sein Grundmotiv darin, dass gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Wut von den Gewinnern der Krise auf Minderheiten, also auf Ausländer oder auf vermeintlich faule „Sozialschmarotzer“ abgelenkt werden kann. Denn es sind vor allem die Verlierer bei der zunehmenden Spaltung der Gesellschaften und die vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichten, die nach rechts schwenken. Die Großwirtschaft und die Rechtspopulisten verbindet weiter – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – eine Abwehrhaltung gegen „diesen“ Staat. Bei der Wirtschaft aus dem Glauben an den Markt, der alles besser kann als der Staat. Bei den „Verlierern“ aus dem Gefühl, dass die Politik nur Klientel bedient und die Politiker sich nur selbst bedienen und damit aus dem Verlust an Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie.

In Amerika lässt sich an der „Abstrafung“ Obamas der Mechanismus ablesen, warum ein noch vor zwei Jahren von den Massen begeistert unterstützter Hoffnungsträger scheitern muss. Obama hat versprochen mit dem System Bush ein Ende zu machen. Er ist für einen „Change“ gewählt worden. Doch ins Amt gewählt, hat er zwar – wie etwa bei der Gesundheitsreform oder mit leichten Steuererleichterungen – eine stattliche Anzahl von sogar einigermaßen erfolgreichen Anläufen zu einem Wechsel gemacht, aber letztlich konnte er das Gefühl vieler seiner Kernwähler nicht nehmen können, dass nach wie vor die Wall Street die finanz- und wirtschaftspolitische Macht im Lande hat. Er hat vor allem wirtschaftspolitisch keine erkennbare Alternative aufzeigen können, die vor allem den mit der Finanz- und Wirtschaftskrise aus ihren Häusern und ihren Jobs Vertriebenen Hoffnung hätte machen können. Warum wurden nur die Banken gerettet und nicht die Masse der Menschen, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten? Zocken die Banker nicht munter weiter? Zu sehr hat Obama auf die überparteiliche Zusammenarbeit mit den Republikanern gesetzt, so dass der versprochene Wechsel offenbar für Viele nicht mehr sichtbar war.

Ganz ähnlich wie bei den sozialdemokratischen Regierungen in Europa und deren Einschwenken auf die herrschende ökonomische Lehre hat auch Obama im Wesentlichen am wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs der Bush-Ära festgehalten (oder sich nicht offensiv genug dagegen abgegrenzt) und wurde deshalb sogar noch für den Scherbenhaufen, dem ihm die Vorgängerregierung hinterlassen hat, verantwortlich gemacht werden.

Durch die Angleichung der Volksparteien von links und rechts an den neoliberalen Mainstream verspielten auch die sozialdemokratische Parteien in Europa ihre Chancen. Wenn sie regieren, laufen ihnen ihre Anhänger weg, weil ihre politischen „Reformen“ für die Masse der Menschen keine Verbesserungen, ja sogar eher Verschlechterungen mit sich bringen und schließlich verlieren sie auch die Wahlen. Das war exemplarisch in Deutschland und Großbritannien mit dem Niedergang von SPD und Labour zu beobachten. Und wenn die Sozialdemokraten dann wieder in der Opposition sind, können sie mangels wirtschaftspolitischer Alternative bestenfalls wieder auf das Scheitern der Konservativen warten oder von Auswüchsen einer Klientelpolitik (so z.B. Steinmeier als SPD-Fraktionschef) oder von Skandalen bzw. Skandälchen aufgrund von persönlichem Fehlverhalten (siehe z.B. die Abwahl von Rüttgers in NRW) profitieren. Und wenn dann die Konservativen und Wirtschaftsliberalen wieder abgewirtschaftet haben, beginnt das Wechselspiel des Scheiterns von vorne. (Diesen Gedanken habe ich aus Heiner Flassbecks Buch „Gescheitert“)

Dieses Wechselspiel des Scheiterns führt zu Politikverdrossenheit, zu Mitglieder- und Stimmverlust der „Volksparteien“ und zunächst in die politische Resignation (ablesbar in steigender Wahlenthaltung). Was aber viel schlimmer ist: Dieses Drehen im Kreise, ja noch mehr die Spirale nach unten ist auf Dauer das Einfallstor des Rechtspopulismus und rechtsextremer politischer Kräfte und Parteien. Sie suchen und finden dann die „Sündenböcke“, auf die sich dann Enttäuschung oder gar Zorn vieler Menschen über einen politischen Kurs abladen lassen, der nun seit drei Jahrzehnten und in der Kulmination der Finanzkrise sein Scheitern bewiesen hat. Die neoliberal ausgerichtete Politik gefährdet so die demokratische Kultur und letztlich auch die Demokratie als politisches System.
Da braut sich was zusammen.

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