„Ein Widerstand gegen diese Zustände ist möglich“

„Ein Widerstand gegen diese Zustände ist möglich“

„Ein Widerstand gegen diese Zustände ist möglich“

Ein Artikel von: Redaktion

Wie sieht es eigentlich mit unseren Nahrungsmitteln aus und wie gehen wir mit diesen um? Der Schweizer Koch David Höner setzt sich schon lange mit diesen Fragen auseinander und er weiß, dass man bei ihrer Beantwortung schnell in so manchen Abgrund schaut. „Wir werden wie die Schweine zum Futtertrog in die Supermärkte getrieben, wo wir uns Fett kaufen können“, sagt Höner im Interview mit den NachDenkSeiten. „Wir verlieren gerade den Bezug zum elementarsten Bedürfnis, zum Essen, zu den Lebensmitteln, lassen uns industriell gefertigte Ware andrehen bis zur Abhängigkeit. Und bezahlen teuer dafür“, so Höner weiter. Ein Interview darüber, warum Köche endlich „die Signale“ hören sollen, „verkümmerte Sinne“ und warum das Kochen nach Klima und Jahreszeit eigentlich die Normalität sein sollte. Von Marcus Klöckner.

Herr Höner, Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich als Koch nicht nur auf das Essen als solches konzentrieren. Ihnen geht es um mehr. In Ihrem neuen Buch wenden Sie sich direkt an die Köche und sagen: „Hört die Signale!“?
Von welchen „Signalen“ sprechen Sie?

Es gibt Signale aller Art, doch in diesem Fall gibt es einige wesentliche, die zu hören sind und deren Lautstärke ständig zunimmt. Das eine sind die Warnsignale, die sich durchs Band weg mit apokalyptischen Weltsichten verknüpfen. Die Zunahme der Zivilisationskrankeiten, von Alzheimer über Gicht, zum Übergewicht und hin zur Zöliakie, die Liste kann ins Endlose verlängert werden, die ständig zunehmen. Unser Immunsystem scheint arg in Bedrängnis geraten zu sein. Die Ursachen lassen sich zwar nicht ausschließlich, aber doch über weite Strecken mit der Nahrung, den Lebensmitteln, der industriellen Agrarwirtschaft und deren Produkten, die wir täglich zu uns nehmen, verknüpfen. Ich möchte mich hier eingliedern in den anwachsenden Chor von Protesten und Warnungen. Eine andere, positivere Art von Signal ist das Signal zum Aufbruch. Ein Widerstand gegen diese Zustände, so wird es immer klarer, ist möglich. Sei es über den eigenen Herd, den politischen Protest und vor allem mit der Erkenntnis, dass es sich hier nicht um abstrakte Themen handelt, sondern das gelebte Leben. Kochen oder Gastgeber zu sein, sind nicht nur der Schlüssel zu einer besseren Ernährung, sondern öffnen die Tür zum „guten Leben“.

Köche gibt es viele in unserem Land. Profis, Hobby-Köche, aber auch letztlich all diejenigen, die eben für ihre Familie oder auch nur für sich alleine „kochen“.
Worauf sollten diese Köche achten? Oder anders gefragt: Was gilt es zunächst beim Kochen zu beachten?

Wir alle müssen wieder lernen, unseren Sinnen zu vertrauen. Sehen, hören, riechen, schmecken und anfassen, das sind die fünf Sinne, die wir einsetzen können. Dann kommt der Rest fast von selbst. Einen Apfel riechen, hören wie der Wind durch ein Maisfeld rauscht, die Brombeeren sehen im Dornengestrüpp, die einen beim Pflücken stechen, ein lebendiges Huhn aufheben und festhalten, wenn es mit den Flügeln schlägt. Diese, und tausend andere, einfache Dinge, die mit Essen und Trinken zu tun haben, sind immer weniger auf dem Bildschirm der urbanen Gesellschaft. Wir verlieren gerade den Bezug zum elementarsten Bedürfnis, zum Essen, zu den Lebensmitteln, lassen uns industriell gefertigte Ware andrehen bis zur Abhängigkeit. Und bezahlen teuer dafür. Wer beim Kochen versucht, an das „Eigene“ anzuknüpfen, ist schon auf dem richtigen Weg. Und wer damit beginnt, wird feststellen, dass es gar nicht mehr so einfach ist, das „Eigene“ hinter all dem Schwurbel in bunten Tütchen und Säckchen zu finden.

Worauf achten Sie als nächstes?

Die unverfrorene Respektlosigkeit, die sich manifestiert in der Tatsache, und das geht wahrscheinlich fast Jede und Jeden an, mit der wir in den Industriestaaten das Essen wegwerfen, ist an Öbszönität kaum zu überbieten. Es ist Alltag. Vermehrt bin ich der Meinung, das ist kein Zufall, sondern Absicht. Wir werden wie die Schweine zum Futtertrog in die Supermärkte getrieben, wo wir uns fettkaufen dürfen. Aber das Yoghurt ist gerade mal drei Tage frisch, dann muss es weggeworfen werden, damit man wieder Neues in den Kühlschrank schichten kann. Brot ist nach einem Tag bereits in den Abfalleimern, eine Banane mit ein paar braunen Flecken wirft man in den – getrennten – Müll. Diese Tendenz, immer zu viel zu kaufen, ist sehr archaisch, Überfülle ist Konzept. Das geht auch anders.

Sie sprechen in Ihrem Buch von den „elementaren Sünden“ unserer Zeit im Hinblick auf die Nahrungszubereitung. Was meinen Sie damit genau?

Neben den verkümmerten Sinnen sind es die falsch gesetzten Werte. Sorry, aber noch vor 50 Jahren wurde in praktisch jedem Haushalt gekocht, ein Viertel des Einkommens verbrauchte eine Familie für die Lebensmittel. Heute sind es zwischen 10 und 14 Prozent.

Nun, gut Ding will Weile haben. Offenbar ist mittlerweile die mehrstündige Präsenzzeit vor dem Bildschirm oder mit dem Smartphone es wert, dafür eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben, die einem all das abnimmt, was man eh schon verlernt hat.

Der kochenden Hausfrau hat man tüchtig den Garaus gemacht. Nicht zuletzt, weil man sie nicht respektiert hat. Heute hat man zwar Wichtsackküchen, die 50.000 Euro kosten mit allem Drum und Dran, aber kochen tut darin kaum jemand. Die Mikrowelle macht’s.

Wenn man auf die Speisekarte in Restaurants blickt, liest man immer wieder von „saisonaler“ und „regionaler“ Küche. Das ist doch ein guter Ansatz. Oder stört Sie daran etwas?

Nein, es stört mich daran überhaupt nichts, es ist die beste, einfachste und gesündeste Ernährung. Was mich stört, ist das Gedöhns von regional und saisonal, als ob man jetzt etwas Neues, ganz Tolles herausgefunden hätte. Und bei den Großverteilern kommen die mexikanischen Avocados, die Himbeeren von irgendwo und der Spargel aus Peru auf die Ladentheke. Nach Klima und Jahreszeiten zu kochen, ist nicht das neuerfundene Rad, es ist das, was man gesunde Normalität nennt. Wenn man es ernst nehmen will, und da werden wir auf die Dauer nicht drumherum kommen, kostet dann in nicht allzu ferner Zukunft eine Tafel Schokolade 30 Euro, den Kaffee gibt es für 12 Euro – pro Tasse. Und da wir das billige Quälschwein auch nicht mehr in der Blutwurst haben wollen, kostet auch diese dann das Dreifache. Und das ist richtig so!

Was ist Ihr Eindruck: Wie könnte man die Grundhaltung vieler Köche, ob nun Profi oder einfach nur der Koch zu Hause am Herd, beschreiben?

Es ist ihnen unwichtig, was sie tun. Man muss sehen, dass der Profikoch, der nicht gleichzusetzen ist mit den Stars aus den Kochshows, einen sehr harten Beruf ausübt. Meist ist er auch schlecht bezahlt, leidet unter seinen unregelmäßigen Arbeitszeiten und steht auf der sozialen Skala ziemlich weit unten. Die Stimmung in diesen Küchen ist dementsprechend. Man hat kaum Zeit, sich mit dem Einkauf auseinanderzusetzen. Das machen die, die nicht kochen, sondern wirtschaften studiert haben. So kaufen sie auch ein. Billig eben. Der Starkoch, der morgens auf den Markt geht und mit der Gemüsefrau schäkert, ist ein Bild aus vergangenen Zeiten.

Das führt auch zu einer Resignation. Der Koch lässt den Kopf hängen und wird Polizist.

Wer zuhause noch kocht, steht auch unter Zeitdruck. Also kauft er oder sie Convenience-Produkte. Das fängt bei der Babynahrung an. Der Schaden, der dadurch angerichtet wird, ist schleichend. Haushalt führen ist kein Beruf. Egal ob Mann oder Frau. Das hat man aus unserem Leben weggemobbt. So sind Profis und Nichtprofis in der Küche gleichermaßen Opfer einer verfehlten Lebensmittelpolitik.

Woher kommt diese Haltung?

Achtstundentag, zehn Stunden mit Arbeitsweg, in der Familie arbeiten beide Elternteile, der Single arbeitet auch wie blöd. Da geht’s noch um eine Stunde Ruhe auf der Couch, etwas Sport am Wochenende und die Social Media frisst den Rest der Zeit. Kochen können tun auch immer weniger Leute. Ja, wann denn? Es ist zu etwas Lästigem degradiert worden. Wozu gibt es Uber Eats? Dazu das ständige Bombardement mit Billigprodukten, die schreien, „Kauf mich, kauf mich!“

Was müsste sich in der Gastronomie ändern?

Die Grundbedingungen müssen neu gedacht werden. Ein selbstständiger Gastronom, oder Wirt, ist Milchkuh für ganz viele. Die Personalkosten, welche den größten Teil seines Budgets verschlingen, sind enorm, der höchste Posten in der Buchhaltung. Die Mieten sind hoch, die Arbeitszeiten lang, der Behördendschungel undurchdringlich, die Auflagen immer komplizierter. Die Konkurrenz aus der Systemgastronomie ist billiger und kommt für seine Angebote mit ungelernten Kräften aus. Jetzt, Coronazeit, werfen die selbstständigen Wirte das Handtuch reihenweise. Um Polizist zu werden, sind sie jetzt zu alt, Sozialfall sein ist kein Beruf. In den Startlöchern stehen schon die Wirtschaftler von McDonald’s, Nordsee, Subway und Marengo, kaufen sich die verlumpten Gaststätten. Und bunt und schön wird’s neu. Es muss eine subventionierte Gastronomie angedacht werden. Die Gasthäuser, die früher auf dem Land das Vereins- und Kulturleben mitgetragen haben, sind zu wichtig, als dass sie einfach auf dem neoliberalen Amboss zu Coca-Cola-Automaten umgeschmiedet werden.

Wie sieht es denn in der Kochausbildung aus? Wo liegen da, Ihrer Meinung nach, die Schwachstellen?

Köche werden schlecht ausgebildet, weil sie im eigentlichen Sinne gar keine Köche mehr sind, sondern unterbezahlte Industriearbeiter. Das Überangebot an Halbfertig- und Fertigprodukten ist da keine Hilfe. Auch hier müssen die Weichen wieder zurückgestellt werden. Das heißt eben, wieder Köche ausbilden, die auch ein Tier zerlegen können, die mit den Landwirten direkt arbeiten, die keinen Seehecht aus dem Nordatlantik als Fischstäbchen kaufen.

Kochen muss ein ganzheitliches Konzept sein, vom Einkauf bis zur Buchhaltung, das gehört alles zusammen. Es wäre wünschenswert, in einer gastronomischen Ausbildung verschiedenste Module anzubieten. Verschiedene Richtungen. Nicht alle Betriebe haben die gleichen Anforderungen, eine Spitalküche ist keine Werkskantine, ein Ausflugsrestaurant kein Gourmettempel.

Vor allem muss das berufliche Umfeld auch attraktiver werden. Wer nichts wird, wird Wirt? Ja, danke für die ermunternde Volksweisheit.

Sollte man eine Art neues Bewusstsein für unsere Nahrung und den Umgang damit entwickeln?

Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, muss es auch nicht. Doch es ist wichtig, sich gerade in der Gastronomie nicht zu lösen von dem Althergebrachten. Die Werte, die in einem gut gemachten Suppenhuhn, das auf der Wiese gepickt hat, stecken, Tradition, Identität, Wissen, lassen sich, wenn sie verloren sind, nicht einfach zurückholen. Eine ganze Reihe von Fehlentwicklungen, die als modern gelten, müssen auch nicht beibehalten werden. Eine Welt ohne Coca-Cola ist möglich.

Welche Rolle spielt die Lebensmittelindustrie? Die dürfte wohl kaum ein Interesse an dieser Grundhaltung haben, oder?

Interessanterweise haben die vielen Proteste und die heftige Kritik, die an Nestlé und Konsorten herangetragen wurden, dort zu einem teilweisen Umdenken geführt. In einer Gesellschaft, deren Mehrheit sich kaum mit Ernährungssouveränität beschäftigt, braucht es Verteiler. Wenn dann noch eine klima- und umweltbewusste Grundhaltung, eine menschenfreundliche Politik im Umgang mit den Bauern, Fischern und Entwicklern dazukäme und ein Handels- und Geschäftskonzept ohne neoliberale Klammern … dann sehe ich nicht ein, wieso diese Strukturen verschwinden sollten. Auch hier geht es um einen Systemwandel. Man kann auch auf anständige Weise Geld verdienen.

Ich denke gerade an den Zucker. Zucker ist in unzähligen Lebensmitteln enthalten und längst nicht nur in Süßigkeiten. Was läuft da schief?

Da steckt eine lange Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Ausbeutung dahinter. Raffinierter, weißer Zucker würde heute als Lebensmittel und nach eingehaltenen Vorschriften wahrscheinlich gar nicht mehr zugelassen. Ein Suchtmittel mit heftigen Nebenwirkungen. Zucker ist als Konservierungsstoff in unzähligen „salzigen“ Produkten ebenfalls vorhanden. Aber wenn allein die Coca-Cola Company zehn Prozent der weltweiten Zuckerproduktion benötigt, hat man eine Vorstellung davon, was da für eine Lobby dahintersteckt.

In Ihrem Buch heißt es zum Ende hin, wir Menschen sollten einfach aufhören „mitzumachen“, „unser Hirn anschalten“ und uns „aus der Knechtschaft derer befreien, die unser Blut saugen“. Das sind klare, aber auch drastische Worte. Wer „saugt“ unser Blut? Und wie können sich Menschen davon befreien?

Ich gebe zu, es ist etwas plakativ. Doch wir haben es in der Hand, das nicht mitmachen. Augen auf beim Einkauf. Blut saugen? Vielleicht nicht direkt, aber das Wasser saugen sie uns weg. Und natürlich bezahlen wir dann an der Tankstelle für ein PET-Fläschchen „stilles Wasser“, welches noch nicht mal eine bessere Qualität hat als das, was zuhause aus dem Hahn fließt, 3 Euro für drei Deziliter. Durch unsere Schwächen, die sie hegen und pflegen, konstruieren sie die Knechtschaft, in die wir uns freiwillig begeben haben. Und wer sind sie? Großkonzerne im Verbund mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die den Mitbürger nur noch als Konsumenten wahrnehmen. Unterdessen pressen sie ganz ungeniert das Geld aus dem Mittelstand, aus den unteren Klassen und geradezu gnadenlos aus der Dritten Welt. Angst zu machen, gehört dazu. Sinnlose Kriege zu führen, bringt auch Geld. Es sind dieselben, die die Umwelt und das Essen vergiften, jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren haben, so lange nur die Kasse stimmt. Das Essen gehört da zu den sichersten Einkommensquellen.

Titelbild: KarepaStock/shutterstock.com

Lesetipp: Höner, David: Köche hört die Signale. Ein kulinarisches Manifest. Westend. März 2021. 176 Seiten. 18 Euro.

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