KenFM und Anonymus: Hacken gegen die Meinungsvielfalt

KenFM und Anonymus: Hacken gegen die Meinungsvielfalt

KenFM und Anonymus: Hacken gegen die Meinungsvielfalt

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Ein Hacker-Angriff auf das Alternativ-Medium KenFM wird von großen Medien entweder ignoriert oder verniedlicht. Solidarität von anderen Journalisten? Weitgehend Fehlanzeige. Dabei ist der Vorgang eine Attacke auf die Meinungsfreiheit, das Mittel kennt man auch aus dem Arsenal der Geheimdienste. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Hackergruppe „Anonymus“ hat nach eigenen Angaben die Webseite des Portals „KenFM“ von Betreiber Ken Jebsen gehackt und sie vorübergehend lahmgelegt. Dabei seien unter anderem „persönliche Daten von Abonnenten“, etwa „Vornamen, Nachnamen, E-Mail, Passworte“ sowie „Spenderdaten“, also „Namen, Beträge, Mailadressen von Spendern“ erbeutet worden. Einige der so identifizierten Abonnenten wurden in den vergangenen Tagen bereits mit E-Mails von „Anonymus“ behelligt.

Meinungsvielfalt muss prinzipiell verteidigt werden

Diese Aktion ist zu kritisieren, sie ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und -vielfalt: Hacker-Angriffe sind Werkzeuge, die auch aus dem Sortiment der Geheimdienste bekannt sind, und Hacker-Angriffe auf Medien müssten eigentlich prinzipiell gegeißelt werden – unabhängig von inhaltlichen Differenzen. Ausgenommen von dieser prinzipiellen Ablehnung wären unter Umständen Daten-Angriffe, um kriminelles und gesellschaftsschädigendes Verhalten von Konzernen oder Politikern zu unterbinden, etwa Geldwäsche oder Korruption in großem Stil oder die Vorbereitung von Angriffskriegen. Ebenso können Hacker-Angriffe unter Umständen akzeptabel sein, wenn sie das Ziel haben, technische Mängel bei der Datensammlung von Unternehmen oder staatlichen Institutionen zu offenbaren.

Keines dieser Kriterien kann aber auf die Aktion gegen KenFM und seine Abonnenten angewendet werden. Die Ablehnung des Vorgangs hat im Übrigen nichts mit den Inhalten des Portals zu tun. Es geht um die prinzipielle Verteidigung der Meinungsvielfalt, unabhängig vom Grad der thematischen Übereinstimmung. Dass man sich mit der Kritik an der Hacker-Aktion nicht mit allen bei KenFM verbreiteten inhaltlichen Standpunkten einverstanden erklärt, ist selbstverständlich. Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das nicht von anonymen und dubiosen Gruppen, deren Motive und Unterstützer im Dunkeln bleiben, willkürlich infrage gestellt werden darf. Zur Ausübung des Rechts auf freie Wahl der eigenen Informationsquellen gehört auch die Anonymität der Spender und Abonnenten.

Ein „Kollektiv“ von „Aktivisten“ gegen „Corona-Verharmloser“

Was die Anonymus-Gruppe vom für die Ausübung der politischen Mitwirkung wichtigen Prinzip der Vertraulichkeit hält, hat sie bereits kürzlich bewiesen, indem sie Daten von Mitgliedern der neuen Partei „Die Basis“ erbeutete, wie etwa „t-Online“ beschreibt:

„Schlag von Anonymous-Aktivisten gegen die organisierte Szene der Corona-Verharmloser: Das Hackerkollektiv ist an die Daten der mehr als 10.000 Mitglieder der Partei ‚dieBasis‘ gelangt.“

Dieser zitierte Absatz ist symptomatisch für den Umgang vieler großer Medien mit „Anonymus“: Die Gruppe wird (wenn die Wahl der Opfer in die aktuelle politische Agenda passt) verharmlosend zu „Aktivisten“ und einem „Kollektiv“ erklärt. Auf der anderen Seite wird aus der betroffenen Partei eine „organisierte Szene der Corona-Verharmloser“ gemacht. Durch beide Schritte wird der auch im Fall von „Die Basis“ abzulehnende Angriff auf politische Willensbildung indirekt gerechtfertigt.

Diffamierung statt Solidarität: Ken Jebsen, der „Verschwörungsprediger“

Auch die teils ignoranten, teils indirekt applaudierenden Reaktionen in manchen Medien auf die aktuelle Aktion gegen KenFM sind fragwürdig: Statt Kritik an der das Meinungsspektrum zensierenden Anonymus-Aktion oder Solidarität mit dem betroffenen Medium sind entweder Nichtbeachtung oder Häme zu verzeichnen. Zusätzlich fällt die un-journalistische Kategorisierung von Ken Jebsen auf, um den Hacker-Angriff indirekt zu rechtfertigen, etwa jene als „Verschwörungstheoretiker“, der ein „Geschäftsmodell“ bedienen würde. Laut Deutschlandfunk ist Jebsen ein „Verschwörungsmystiker“ und „einer der wohl einflussreichsten deutschen Verschwörungsideologen“. Bei „t-Online“ wird Jebsen zum „Verbreiter von Fake News“ und die Hacker zu „Verschwörungsgegnern“ erklärt. Laut ZDF trifft es das „Verschwörungsportal ‚KenFM’“, die „Frankfurter Rundschau“ nennt Jebsen einen „Verschwörungsprediger“ und im „Spiegel“ wird er zu einem „ehemaligen Journalisten“. Der Versuch, Ken Jebsen unmöglich zu machen, damit bei ihm andere Kriterien gelten und die Pressefreiheit hier nicht verteidigt werden muss, ist offensichtlich.

Wie aber würden die Reaktionen wohl klingen, wenn ein gegen Putin oder gegen Assad gerichtetes „oppositionelles“ Portal gehackt würde und die Unterstützer offenbart würden? Wie würden die Reaktionen klingen, wenn der „Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ gehackt würden? Anlass zu scharfer Kritik gibt es bei vielen großen deutschen Medien nun wirklich zur Genüge: die Vorbereitung und langjährige Flankierung von US-Kriegen, eine Stützung des neoliberalen Umbaus, aktuell die mediale Corona-Panik und vieles andere mehr.

Hacker-Angriffe auf Medien sind prinzipiell abzulehnen

Aber selbst diese kritikwürdigen Kampagnen von großen Medien würden keine anonymen Hacker-Angriffe auf sie rechtfertigen. Im Gegenteil: Gegen solche auch aus dem Arsenal der Geheimdienste bekannte Aktionen sollte sich eigentlich die Medienlandschaft kollektiv und deutlich aussprechen, unabhängig von den jeweiligen inhaltlichen Meinungen: Hier geht es um das Prinzip der Meinungsvielfalt, das durch Solidarität unter den Journalisten geschützt werden müsste. Wenn diese Solidarität nun durch Nichtberichterstattung ausbleibt oder gar mit Häme beschädigt wird, dann wird das ganze Prinzip beschädigt. Dieses Verhalten kann irgendwann auch auf die beteiligten Medien zurückfallen, wenn sie einst selbst Opfer solcher Daten-Attacken werden sollten. Dann wird es schwer, diese moralisch zu verurteilen, denn man hat sie bei KenFM selber geduldet.

Anonymus agiert außerdem nicht im luftleeren Raum: Die Aktion gegen KenFM reiht sich ein in eine Vielzahl von Angriffen gegen das Medium. So hat YouTube den Kanal gesperrt, seit März wird “KenFM” vom Berliner Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt und die Landesmedienanstalt Berlin hat ein Verfahren eröffnet. Die Anonymus-Gruppe sieht ihre Aufgabe offenbar in einer nochmaligen Verstärkung dieser zensorischen Angriffe von staatlicher und privater Seite.

„Anonymus“ und „Faktenchecker“: Regierungskritiker als Hauptgegner

Nicht nur KenFM oder „Die Basis“ sind betroffen. Die „Aktivisten“ vom „Hackerkollektiv“ sehen ihre Gegner anscheinend nicht zuerst in mächtigen staatlichen Institutionen oder großen Medien, die sich an der Vorbereitung von Angriffskriegen beteiligen. Selbstgewählte Aufgabe ist im Moment nach eigenen Angaben vor allem die Beobachtung und die Schikane von Kritikern der Corona-Politik, etwa mit der „Operation Tinfoil“. Die Sabotage eines unbequemen Mediums und die damit erzielte Einschränkung der Meinungsvielfalt wird von „Anonymus“ in grotesker Verdrehung als Kampf für Meinungsfreiheit, demokratisches Miteinander und natürlich „die Wahrheit“ verkauft:

„Das Kollektiv Anonymous kämpft gegen das System, wenn es notwendig ist. Aber Anonymous kämpft immer für die Meinungsfreiheit, wenn sie tatsächlich eingeschränkt ist, und für ein demokratisches Miteinander. Vor allem jedoch kämpft Anonymous immer für die Wahrheit.“

Ein „Kampf gegen das System“ ist allerdings spätestens seit 2020 bei Anonymus weit und breit nicht mehr zu entdecken. Im Gegenteil: Durch die im Zuge der Corona-Krise vorgenommene endgültige Fokussierung der „Faktenchecker“ und „Hackerkollektive“ auf die Kritiker der Regierung und deren Diffamierung als „Fake-News“ soll mutmaßlich der Anschein erweckt werden, die angepassten Journalisten der großen Medien würden im „Gegensatz“ dazu keine Fake-News verbreiten. KenFM, RT und alle alternativen Medien zusammen könnten jedoch nicht ansatzweise solche umfangreichen und langfristigen Kampagnen wie zum Syrien-Krieg oder zum Maidan-Umsturz oder zur Sabotage der staatlichen Rente ausführen, wie sie in vielen großen Medien zu beobachten waren, von der aktuellen medialen Corona-Panik ganz zu schweigen.

Die Hauptquelle der großflächigen Manipulation der Bürger sprudelt in den Redaktionen großer Medien. Und die werden von den „Faktencheckern“ und „Hackerkollektiven“ nicht behelligt. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist eine große Heuchelei und entzieht den Beteiligten die Glaubwürdigkeit. Nicht zuletzt ist festzustellen, dass der große Erfolg von Portalen wie KenFM nicht die Ursache von gesellschaftlichen Spaltungen ist: Dieser Erfolg ist erst die Folge von Spaltungen, die von Politikern, Unternehmern und von Journalisten etablierter Medien herbeigeführt wurden.

Hat die Pressefreiheit als „Staatsreligion“ ausgedient?

Wie groß muss außerdem die eigene inhaltliche Unsicherheit sein, wenn die wenigen Kritiker, die noch übrig sind, in so scharfer Form und gleichzeitig von Geheimdiensten, Tech-Konzernen, Landesmedienanstalten, Politikern, großen Medien, „Faktencheckern“ und nun Hackern bekämpft werden? Ein offensiver “Werte“-Wandel ist festzustellen: Die Zensur und die (nicht inhaltlich geführten) Attacken auf die Meinungsvielfalt werden gar nicht mehr kaschiert, höchstens notdürftig hinter einem durchschaubaren „Kampf gegen Hasssprache“ versteckt. „Werte“ werden nun ganz offen über Bord geworfen, indem YouTube inhaltliche Zensur erlaubt wird, indem öffentliche Institutionen wie die Landesmedienanstalten gegen unbequeme Medien vorgehen, indem der Verfassungsschutz unter anderem die Medien „Junge Welt“ und „KenFM“ beobachtet, indem Hacker-Angriffe nicht skandalisiert werden. Das beschädigt ganz offiziell Werte, die (wie die Pressefreiheit) bis vor Kurzem geradezu als Staatsreligion hochgehalten wurden und die noch immer als Alleinstellungsmerkmal der „westlichen Demokratien“ genutzt werden, um sich über andere Länder zu erheben.

Und Menschen, die sich früher „links“ genannt haben (und das in einer grotesken Verdrehung der Kriterien noch immer tun), applaudieren: Da kann dann von der Polizei gar nicht genug Härte gegen friedliche „Querdenker“-Demos eingefordert werden. Oder „Hacktivisten“ beziehen sich auf den Verfassungsschutz als indirekte Handlungsempfehlung, anstatt die Drangsalierung Andersdenkender durch den Geheimdienst zu geißeln.

Titelbild: Song_about_summer / Shutterstock