Julian Assange „feiert“ 50. Geburtstag im Gefängnis, während die US-Anklage weiter zu bröckeln scheint

Julian Assange „feiert“ 50. Geburtstag im Gefängnis, während die US-Anklage weiter zu bröckeln scheint

Julian Assange „feiert“ 50. Geburtstag im Gefängnis, während die US-Anklage weiter zu bröckeln scheint

Ein Artikel von Moritz Müller

Am kommenden Samstag, den 3. Juli, wird der Wikileaks-Gründer Julian Assange 50 Jahre alt. Er, der zurzeit Untersuchungshäftling ist, dessen Auslieferung in die USA vor einem halben Jahr abgelehnt wurde, erlebt nun zum 11. Mal seiner Freiheit beraubt einen Geburtstag. Für Samstag sind rund um den Globus Solidaritätskundgebungen mit dem Geburtstagskind und seiner Familie geplant. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass einer der Hauptzeugen der US-Anklage Teile seiner Aussage nicht aufrechterhält. Sigurdur Ingi Thordarson arbeitete vor 10 Jahren für einige Monate ehrenamtlich für Wikileaks, bevor er wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten entlassen wurde und dann zum FBI-Informanten wurde. Von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 4. Januar dieses Jahres lehnte Bezirksrichterin Vanessa Baraitser die Auslieferung von Julian Assange an die USA ab. Sie verwies auf Suizidgefahr und die Haftbedingungen, die Julian Assange in den USA bevorstünden. Die US-Anklage kündigte an, in Berufung zu gehen, und zwei Tage später lehnte Baraitser das Kautionsersuchen von Assanges Anwälten ab und beließ ihn in ähnlich unmenschlichen Haftbedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Londoner Südosten. Diese Haftbedingungen sind sicherlich für Assanges desolaten Gesundheitszustand mitverantwortlich.

Nachdem das schwedische Verfahren gegen Assange, welches über Jahre am Köcheln gehalten, aber nie zur Anklage gebracht wurde, eingestellt ist und er seine Haftstrafe wegen Kautionsvergehens abgesessen hat, ist er nun ein Untersuchungshäftling, dem von den USA Spionage und Einbruch in Computer vorgeworfen wird. Für ihn sollte wie für jeden Menschen in dieser Situation die Unschuldsvermutung gelten, und selbst wenn man Fluchtgefahr gelten ließe, sollte er im Gefängnis ein möglichst normales Leben führen können, was Kontakt mit der Außenwelt, Vorbereitung auf seinen Prozess und auch seine Arbeit als Publizist angeht.

Stattdessen bekam er vor einigen Wochen das erste Mal seit acht Monaten Besuch von seiner Verlobten Stella Moris und den 2 und 4 Jahre alten Söhnen, die ihren Vater deswegen kaum kennen. Die Behörden haben ihm zur Vorbereitung auf seinen Prozess einen Computer zur Verfügung gestellt, dessen Tasten mit Epoxidharz verklebt sind und er befindet sich für den Großteil des Tages (letzter Stand: 22 Stunden) allein in seiner Zelle. Der UN-Sonderbeauftrage für Folter, Nils Melzer, bezeichnet dies nach eingehender Untersuchung als Folter.

Der wahre Grund für diese Behandlung ist die Tatsache, dass Julian Assange unliebsame Wahrheiten über Kriege und andere Machenschaften von US- und anderen Regierungen ans Licht gebracht hat und an ihm anscheinend ein öffentlich sichtbares Exempel statuiert werden soll.

Die Bundesregierung schweigt oder schaut weg und beruft sich darauf, dass das Vereinigte Königreich ein Rechtsstaat sei, in dem alles mit rechten Dingen zugeht. Dass es in jüngerer Zeit schwere Justizskandale wie im Fall der Guildford Four oder Judith Ward gegeben hat, wird bequem ausgeblendet.

Dass diese Dinge passieren, ist nicht ausgeschlossen, da die Justiz auch nur von manchmal irrenden Menschen bevölkert wird, aber ein großer Apparat wie die Bundesregierung könnte auch zu dieser Erkenntnis gekommen sein und sollte Mitarbeiter abstellen, die solche wichtigen Vorgänge auch offiziell beobachten.

Man fragt sich, was die Menschen, die Julian Assange so zusetzen, und die, die als Mitläufer und Duldende involviert sind, dabei denken. Regen sich Zweifel und werden diese beiseitegeschoben oder überdeckt durch die Rechtfertigung, dass dies im Interesse des Staates, für den man arbeitet, sei? Wir Menschen haben eine sehr ausgeprägte Fähigkeit, uns unsere Realität so zurechtzulegen, dass es für den Kurs, den wir im Leben steuern, passt.

Wahrscheinlich wird man in einigen Jahren klarer sehen, was im Fall Assange vor sich gegangen ist und auch meine Ausführungen könnten sich als falsch herausstellen, aber derzeit sieht es im Fall Assange nach einem Justizirrtum bzw. Justizskandal aus.

So denken wohl auch die vielen Menschen, die am Samstag auf Julian Assange und sein Schicksal aufmerksam machen wollen. Hier findet sich eine Liste der Orte, an denen Veranstaltungen geplant sind. Wer etwas für Julian Assanges Freiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit tun will, ist herzlich eingeladen, bei diesen Aktionen mitzumachen. Die Organisatoren dieser Mahnwachen sind teilweise schon seit Jahren mit der Unterstützung von Julian Assange beschäftigt und ihnen gebührt ein großer Dank für ihr Engagement.

Auch in London, Australien, den USA und anderswo werden Menschen Julian Assange und seine Verdienste würdigen und dabei mithelfen, Druck auf die Beteiligten aufzubauen, damit er freigelassen wird.

Dazu passt das folgende Zitat von Nils Melzer, das seine Gedanken zum Folteropfertag 2021 abschließt, von mir übersetzt:

„Alles zu tun, was in unserer Macht steht, und trotzdem zu versagen, ist eine Sache. Aber nicht zu tun, was in unserer Macht steht, ist eine ganz andere. Wie auch immer das Ergebnis ausfällt: Beides, das Aussprechen und das Schweigen, wird immer einen Preis haben. Was mich betrifft, so zahle ich lieber den Preis für das Aussprechen als den Preis für das Schweigen!“

„To do all we can and still to fail is one thing. But to fail to do what we can is quite another. Whatever the outcome: both speaking out & keeping silent will always come at a price. As for me, I would rather pay the price for speaking out than the price for keeping silent!“

Diese Worte sind vielleicht auch interessant für diejenigen, die Julian Assange seit Jahren misshandeln, und für die, die dies dulden und schweigend dabei zuschauen oder bekunden, dass diese Behandlung nötig oder sogar in Ordnung sei.

Vor einigen Tagen erschien dieser Artikel in der isländischen Zeitung Stundin, in dem es darum geht, dass einer der wichtigsten Zeugen der US-Anklage gegen Assange seine Aussage widerruft. Hier auch ein Bericht über den Vorgang auf Deutsch. Bei Sigurdur Ingi Thordarson handelt es sich um eine schillernde Figur, auf den die US-Anklage anscheinend zurückgegriffen hat, weil die Punkte in der Original-Anklage sich als zu fadenscheinig erwiesen. Es gibt in dieser Anklage 17 Punkte wegen Spionage und Geheimnisverrat. Diese Punkte sind alle sehr angreifbar, weil man argumentieren kann, dass es sich dabei um Journalismus handelt, oder weil es sich um eine politische Anklage handelt, die im Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien explizit ausgeschlossen ist.

Wohl aus diesem Grunde schoben die USA in letzter Minute im vergangenen August, kurz vor Prozessbeginn, eine weitere Anklage nach, die den 18. Anklagepunkt des Einbruchs in Computer, auch „Hacken“ genannt, untermauern sollte. Sigurdur Ingi Thordarson hatte gegenüber dem FBI ausgesagt, dass Assange ihn zum Einbruch in Computer von Banken und Politikern angestiftet habe.

Diese Aussagen hat der mehrfach wegen Sexualdelikten und Betrugs vorbestrafte Zeuge nun zurückgezogen. Warum er dies tat, ist nicht richtig klar. Warum die US-Ankläger sich auf einen, schon vor den aktuellen Entwicklungen, so unglaubwürdigen Zeugen stützten, ist auch unklar bzw. zeigt, auf welch tönernen Füßen die Anklage gegen Assange steht.

Eigentlich ist dies wieder mal ein Punkt in dieser an Wendungen reichen Tragödie, an dem das Verfahren eingestellt und Julian Assange sofort freigelassen werden müsste. Edward Snowden ist sogar davon überzeugt, dass dies nun geschieht. Ich weiß nicht, ob ich seinen Optimismus teilen soll oder ob die Erfahrung lehrt, dass Craig Murray mit diesem Artikel recht behält und der Assange-Skandal um eine weitere Unregelmäßigkeit angereichert wird.

Ich hoffe, dass Snowdens Einschätzung zutrifft und die Verantwortlichen endlich einsehen, dass diese Farce beendet werden muss. Wer dabei mithelfen will, dass die Unterstützung von Julian Assange sichtbarer wird, und damit die Regierungen merken, dass sie hier auf der falschen Seite stehen, kann wie gesagt bei diesen Kundgebungen mitmachen.

Titelbild: © Julian Assange & Martina Haris