„Wir müssen den Wurm im Apfel lieben lernen“

„Wir müssen den Wurm im Apfel lieben lernen“

„Wir müssen den Wurm im Apfel lieben lernen“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Lasst uns heute noch beginnen, Wälder zu pflanzen, in denen die Nahrung für Mensch und Tier auf Bäumen wächst. Lasst uns Paradiese pflanzen!“ Das sagt der Autor Timm Koch im Interview mit den NachDenkSeiten. Koch hat gerade in seinem neuesten Buch Lasst uns Paradiese pflanzen! Reich werden mit der Vielfalt der Natur – statt arm durch ihre Zerstörung. ein leidenschaftliches Plädoyer für einen neuen Umgang mit der Vielfalt der Natur verfasst. Im NachDenkSeiten-Interview verdeutlicht Koch, was im Großen getan werden muss, aber auch, was jeder Einzelne tun kann. Außerdem erklärt er, was es mit dem „Wurm im Apfel“ auf sich hat. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Koch, Sie setzen sich immer wieder mit der Natur und mit der Umwelt auseinander. Mit dem Leid der Bienen, mit Wasserstoff als Antrieb für die Zukunft und nun mit Pflanzen. „Lasst uns Paradiese pflanzen!“, fordern Sie in Ihrem neuen Buch. Das Gegenstück vom Paradies ist die Hölle. Wo befinden wir uns im Hinblick auf unsere Umwelt?

Ausschlaggebend für meinen Entschluss, dieses Buch zu schreiben, war eine Reise nach Peru und Ecuador, die ich im Winter 2019/2020 mit meiner Frau unternahm. Gerade in Ecuador, einem der Biodiversitätshotspots der Erde, wurde ich Zeuge, wie nicht nur eine entfesselte Landwirtschaft, sondern auch eine absolut brutal und rigoros agierende Forstwirtschaft, die Aquakultur von Garnelen, die rücksichtslose Befischung des pazifischen Humboldtstroms und die Ölindustrie die faszinierende Artenvielfalt Südamerikas bedenkenlos, für den vermeintlich schnellen, neokolonialistischen Dollar, ohne Rücksicht auf Verluste, zermalmen.

Am meisten hat mich die tagelange Fahrt durch Eukalyptusforste deprimiert. Eine einzige, aus Australien importierte Baumart ersetzt heutzutage großflächig den einzigartigen Wolkenwald. Wo vor Kurzem noch Megabiodiversität anzutreffen war, herrscht heute eine Monokultur, in der für die heimischen Arten kein Platz mehr ist. Diese Forste sind eigentümlich still. Man hört keine Affen kreischen, keine Vögel rufen; nur das unheimliche Rascheln der Eukalyptusblätter. Den Menschen, die dort leben, wurden die Früchte des Waldes genauso geraubt, genau wie ihre Heilkräuter. Auch die Jagd entfällt komplett.

Anderswo im Lande dominieren Ölpalmen, Bananenplantagen und Teakpflanzungen das Bild der Monotonie. Nachdem ich in einem Schutzgebiet die noch erhaltenen Reste des Wolkenwaldes in ihrer ungeheuren Pracht bewundern durfte, empfand ich die Monokulturen tatsächlich als höllisch. Man braucht übrigens gar nicht so weit zu reisen, um Ähnliches empfinden zu können. Eine Fahrt durch die endlosen Kiefernforste und Maisschläge Brandenburgs weckt in mir ähnliche Emotionen.

Ihre Utopie lautet: Lasst uns „pflanzen“, dann haben wir irgendwann ein Paradies auf Erden. Erzählen Sie uns bitte, was genau Sie meinen. Was gilt es denn zu „pflanzen“? Wie sehen Ihre Ideen aus?

Das Paradies ist ein Ort, wo Früchte in Hülle und Fülle wachsen, wo Milch und Honig fließen, wo Vögel singen, Blumen blühen und Grillen zirpen. Im Paradies gibt es Fisch und Wild im Überfluss. Das Wasser ist klar und die Luft ist rein. Im Paradies wird unser Vieh nicht gequält und sind die Menschen glücklich. Paradies bedeutet die Abwesenheit von Hölle. Zum Paradies gehören Bäume. Viele Bäume. Viele unterschiedliche Bäume. Die wichtigsten Bäume sind jene, die Früchte tragen, die nahrhaft sind und die wir gut verwerten können.

Den Überlebenstrick, fruchttragende Bäume zu pflanzen, beherrscht übrigens nicht nur der Mensch. Eichelhäher und Eichhörnchen etwa beherrschen ihn auch. Sie vergraben Eicheln und Nüsse, aus denen neue Bäume entstehen. Ob sie dies bewusst im Hinblick auf ihre Zukunft tun, sei dahingestellt. Bei einer Neuausrichtung der Landwirtschaft muss der Fokus vor allem auf stärke- und fetthaltigen Früchten liegen. In unseren Breiten heißt das vor allem: Haselnüsse, Walnüsse und Esskastanien. Esskastanien liefern ein bekömmliches, schmackhaftes, glutenfreies Mehl, aus dem man prima Brot backen kann. Auch fürs Bierbrauen eignet es sich und als wertvolles Viehfutter sowieso.

Also Brot, das auf Bäumen wächst?

In der Tat, denn so macht man sich in der Landwirtschaft mit der Vertikalen die dritte Dimension zunutze. Man verringert also nicht nur den Bedarf an flächenfressendem Getreide, sondern erhöht gleichzeitig die Produktivität der Flächen und zwar bis um den Faktor 2,9. Dabei kann natürlich auch der Holzwert in die Rechnung mit einbezogen werden. Der Fachmann spricht bei diesem Konzept vom „Land Equivalent Ratio“ (LER). Gleichzeitig senkt man so den Verbrauch von Pestiziden und Kunstdünger und tut den Böden etwas Gutes.

Wie das?

Das herabgefallene Laub der Bäume nährt die Mikroorganismen in der Erde. Außerdem ziehen Bäume mit ihren Wurzeln das Grundwasser aus der Tiefe nach oben und wirken durch ihre Beschattung positiv auf das Pflanzenwachstum bei den immer häufiger vorkommenden Dürren. Ganz nebenbei entstehen vielfältige Lebensräume für zahlreiche wilde Tier- und Pflanzenarten. Man bekämpft also das Artensterben und der Landwirt macht dennoch oder gerade deswegen ein glänzendes Geschäft.

Anzustreben sind demnach also sogenannte Agroforstsysteme.

Was ist das?

Eine Feld-Wald-Wirtschaft, die auch bereits seit 2007 auf EU-Ebene als förderungsfähig gilt. Leider sind die entsprechenden Statuten in Deutschland nie umgesetzt worden. Wer als Bauer in Deutschland Baumreihen in seine Felder pflanzt, bekommt diese Flächen aus der Förderung herausgerechnet, da sie für die deutsche Landwirtschaftsbürokratie weder der Landwirtschaft noch der Forstwirtschaft zugerechnet werden können. Wer hinter dieser Politik den Einfluss der Agrochemiekartelle vermutet, die Angst haben, ihre Felle davonschwimmen zu sehen, liegt wahrscheinlich nicht ganz falsch.

Wenn wir über Bäume reden: Was sehen wir denn heutzutage in unseren Wäldern an Bäumen? Was ist das Konzept, das zum Vorschein kommt? Vermutlich geht es vor allem in erster Linie um den Rohstoff Holz, oder?

Deutsche Förster pflanzen für ihr Leben gerne gebietsfremde Nadelhölzer in Monokulturen. Nachdem die Fichte und auch die Kiefer durch drei aufeinanderfolgende Jahre der Dürre zu großen Teilen im Absterben begriffen sind, sollen nun die aus Nordamerika stammenden Douglasien und Küstentannen oder die Japanische Lärche die gigantischen Kahlschläge wieder füllen. Die Motivation hinter diesem kostspieligen Wahnsinn ist unter anderem die Legitimation des eigenen Berufsstands und der Erhalt der Baumschulen, welche die Setzlinge liefern. Wesentlich billiger und ökologisch sinnvoller wäre gezieltes Nichtstun und Abwarten, dass sich die Bäume von selber wieder ausbreiten, also die sogenannte Naturverjüngung.

Am Ende steht dann der Mischwald?

Ja, der sogenannte „gesunde Mischwald“ mit einem reichhaltigen Mix wertvoller Hölzer: von der Esche, über die Vogelbeere, bis hin zu Eiche und Buche und sicherlich immer noch jeder Menge Nadelgehölze, die von der Natur frei Haus geliefert werden. Die Försterschaft könnte getrost in ihrer Gänze gefeuert und durch Fachleute ersetzt werden, deren Aufgabe darin bestünde, durch schonende Einzelbaumentnahme die Gesellschaft weiter mit dem Rohstoff Holz zu versorgen. Die Massenversorgung mit billigem Nadelholz hat dazu geführt, dass Holz zum Wegwerfprodukt verkommen ist. Möbel aus Holz sollten Generationen lang halten können und über lange Zeiträume ihre Ästhetik bewahren. Leider sind heute die hässlichen Pressspahnprodukte die Regel, welche nach höchstens zehn bis zwanzig Jahren in der Müllverbrennung landen, gemeinsam mit Einwegpaletten und vielerlei Bauhölzern.

Angesichts explodierender Holzpreise, die entstanden sind, weil die verdorrten Monokulturen, nach dem Abrasieren, als Billiglieferanten wegfallen, könnte der Markt als Regulator greifen und Abhilfe schaffen. Leider funktioniert diese neoliberale Wirtschaftsidee aber nur in der Theorie. Schlechte Gewohnheiten, wie die bedenkenlose Verschwendung des Rohstoffs Holz, werden nicht von selbst verschwinden. Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang die vermeintlich „klimaneutrale“ Verbrennung unserer Wälder in Form von Pellets zu sehen, die mittlerweile industrielle Maßstäbe angenommen hat.

Wie ist es zu diesem Zustand gekommen? Spielen ökonomische Interessen eine Rolle?

Die Ursachen für diesen Zustand sind in der Vergangenheit zu suchen. Im ausgehenden Mittelalter machte sich eine Übernutzung der Wälder bemerkbar. Schiffbau, Bergbau, Hausbau, Kochfeuer, der Bedarf an Ackerland, etc. verbrauchten mehr Holz, als nachwachsen konnte. Eine Überweidung der Wälder führte dazu, dass zu wenig Naturverjüngung stattfand. Damals entstand der Gedanke der Nachhaltigkeit. Den Wäldern sollte nur so viel Holz entnommen werden, wie nachwuchs. Leider ging bei der Verfolgung dieses, an sich sinnhaften, Zieles einiges schief. Es kam zur künstlichen Trennung von Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Rinder und Schweine, die früher glücklich mit ihren Hirten durch die Wälder streifen durften, fristen heute in den Ställen der Massentierhaltung ein kümmerliches Dasein. Statt Wäldern entstanden vielerorts, ökologisch extrem instabile, Baumplantagen.

Einerseits geht es in Sachen Wald ums Geld. Am Rohstoff Holz hängt viel. Andererseits ist es aber doch nicht so einfach, oder?

Es ist komplizierter. Die „schnellwachsende“ Fichte braucht immerhin etwa siebzig Jahre, also ein ganzes Menschenleben, bis sie reif ist für den „Hieb“. In dieser Zeit kostet sie jede Menge Geld. Erst müssen kostspielige Spezialisten die Fichtenzapfen aus den Kronen ernten, um an die Samen heranzukommen. Die Aufzucht in den Baumschulen gibt es nicht zum Nulltarif, genauso wenig wie die Pflanzung der Setzlinge, das Anlegen von Gattern als Verbissschutz oder die Durchforstungsmaßnahmen. Eine Esskastanie, eine Kirsche oder ein Nussbaum hingegen liefern jedes Jahr Erträge, die zu Geld gemacht werden können, und am Ende ihres Lebens ein wesentlich wertvolleres Holz als die Fichte. Ähnliches gilt für die Eiche, deren Früchte auch heute noch in Spanien wertvolle Mast liefern für das „Pata Negra“, eine robuste Schweinerasse, deren Fleisch sehr begehrt ist und hohe Preise erzielt.

Zudem gibt es volkswirtschaftlich unverzichtbare Ökosystemdienstleistungen, wie etwa sauberes Wasser, saubere Luft, Wild, Pilze und der Erhalt der Artenvielfalt, die ein gesunder, artenreicher Wald am besten leistet. Man kann schon von einer erheblichen Chuzpe sprechen, wenn Förster und „Waldbesitzer“, die mit Monokulturen agieren, heute Geld verlangen für die Ökosystemdienstleistungen ihrer artenarmen, instabilen Gebilde. Darin setzen sie riesige Harvester bedenkenlos ein und die sensiblen Waldböden werden allein durch deren ungeheures Gewicht bedeutend geschädigt. Auch der Einsatz von hochgiftigen Insektiziden, Glyphosat und sogar Mäusegift ist bei deutschen Forstbetrieben an der Tagesordnung. Tendenz steigend!

Welchen Stellenwert haben Obstbäume aus Ihrer Sicht, wenn es darum geht, „Paradiese zu pflanzen“?

Auf die Bedeutung tropischer Obstgewächse bin ich ja eben bereits eingegangen. Es gibt sie in immenser Vielfalt. Erwähnenswert ist hier natürlich, dass etwa mit dem Brotfruchtbaum oder der Pfirsichpalme auch bedeutende Stärkelieferanten ins Spiel genommen werden könnten. Hierzulande erleben die guten alten Streuobstwiesen ein zaghaftes Comeback. Sie bieten Nahrung und Lebensraum für viele selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Außerdem benötigen sie keine Pestizide und spielen als Genbank eine bedeutende Rolle, weil sie dem Erhalt alter Obstsorten dienen. In Kirgistan hingegen existieren Urwälder aus Apfelbäumen, Pflaumenbäumen und Walnussbäumen. Sie sollten uns als Vorbild dienen, wenn es heute darum geht, die Nadelholzmonokulturen zu ersetzen.

Natürlich dürfen auch Kirschen, Birnen, Speierlinge und Vogelbeeren nicht fehlen. Anstelle der Wildformen sollten Ertragssorten zum Einsatz kommen. Dieser neue Waldtyp wäre nicht nur in der Lage, einen erheblichen Beitrag zum Erhalt unserer Biodiversität und der Ernährungssicherheit zu leisten (vor allem, wenn in ihm auch wieder eine Weidewirtschaft stattfände), er wäre auch aus ökonomischer Sicht äußerst interessant und zukünftige Generationen könnten in ihren Häusern Dielenböden aus Birnenholz verlegen, statt minderwertiges Klickparkett verwenden zu müssen. Helmut Kohls Floskel der „blühenden Landschaften“ würde mit Sinnhaftigkeit beladen.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Sag einfach Bidi!“ Was meinen Sie damit?

Hier sprechen Sie eine zentrale Forderung an, die ich in meinem Buch an die Gesellschaft stellen will. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschheit das größte Artensterben seit dem Niedergang der Dinosaurier ausgelöst hat. Gerechterweise muss an dieser Stelle angemerkt sein, dass nicht die Menschheit an sich wie eine Naturkatastrophe über die Tier- und Pflanzenwelt gekommen ist. Vielmehr sind es die knallharten Profitinteressen von Großbanken, wie etwa der Credit Suisse, von Lebensmittelkonzernen wie Nestlé und Chemiegiganten, wie Bayer-Monsanto, die als Hauptursache für diese Tragödie verantwortlich sind. Um hier gegensteuern zu können, brauchen wir ein System von Biodiversitätszertifikaten!

Bitte erklären Sie uns, worum es geht.

Weil dieses Wort sehr schwer auszusprechen ist, spreche ich einfach von Bidis. Bei der Etablierung dieser Bidis können wir aus den Fehlern des CO2-Zertifikatehandels lernen. Letzterer ist ja eigentlich ein reines Bonus-System. Die unsäglichen „Verschmutzungsrechte“ wurden zu Schleuderpreisen an die Konzerne verteilt und nun können sie mit dem Handel davon noch mehr Profit generieren. Bei den Bidis benötigen wir ein klares Bonus-Malus-Konzept. Wer mit seinem Wirtschaften der natürlichen Biodiversität schadet, der muss dafür zahlen. Wer hingegen die Artenvielfalt fördert und erhält, der muss von dem System profitieren. Die Produkte von Konzernen, die etwa aus ehemaligen Regenwaldgebieten gifthungrige Gentech-Soyawüsten gemacht haben, müssen so teuer werden, dass dieses Geschäftsmodell sich bald erledigt hat.

Wichtig ist, dass ein solches System nicht ökosystemübergreifend funktionieren darf. Wer zum Beispiel mit seinen riesigen Netzen die Meere leerräubert, darf nicht einfach irgendwo zur Kompensation ein paar Streuobstwiesen unterhalten. Vielmehr müssten die Strafzahlungen für die verantwortungslose Ausbeutung der Meere einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Küstenfischerei zugutekommen. Naturerhalt und Naturförderung darf kein Luxus sein, der sich auf ein paar Schutzgebiete beschränkt, sondern muss allumfassend gewährleistet und auch in unseren Kulturlandschaften stattfinden, die bei richtiger Pflege sehr artenreich sein können.

Wie sieht es mit der Rolle des einzelnen Menschen aus? Was kann er tun? Wie sollte er handeln? Oder anders gefragt: Muss ein grundsätzliches Umdenken auch bei dem Einzelnen stattfinden?

Jeder Einzelne sollte sich fragen, in welcher Welt er oder sie leben will und welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen wollen. Wälder aus Obstbäumen können sich viele nicht vorstellen, weil es sie kaum gibt. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft existiert ein solches Gebiet. Es sind aufgegebene Streuobstwiesen, die ein paar Jahrzehnte lang sich selbst überlassen wurden und nun von Singvögeln und seltenen Insekten, wie etwa dem Hirschkäfer, nur so wimmeln. Leider ist dieses kleine Stück Paradies in Teilen nun zum Baugebiet erklärt worden. Eine fantasielosere Nutzung kann einem gar nicht einfallen.

Den Menschen muss der Wert von Obstwäldern erst noch vermittelt werden. Dann kann jeder Einzelne politischen Druck auf seine Gemeinderäte oder seinen Bundestagsabgeordneten ausüben, damit Pilotprojekte angeschoben werden. Gerade auf Flächen der öffentlichen Hand haben Monokulturen nach wie vor Hochkonjunktur. Weiterhin sollten wir alle beginnen, nicht immer nur mit dem Finger auf die Landwirte zu zeigen, sondern auch endlich mal die Machenschaften der Forstverwaltungen kritisch zu durchleuchten und zu korrigieren. Wälder sind komplexe Systeme, in denen es Platz für sehr vieles geben muss, damit sie zu Paradiesen werden können. Jeder Einzelne ist gut beraten, „Wald“ einmal als etwas ganz Anderes zu denken, als das, was er vor seiner Nase sieht.

Lassen Sie uns über den Wurm im Apfel reden. Ist der „gut“ oder „schlecht“?

Der Wurm im Apfel ist die Made des Apfelwicklers. Dieser heimische Schmetterling spielt eine bedeutende Rolle im Ökosystem Apfel und ist unter anderem als Beutetier für unsere Singvögel wie etwa der Blaumeise von enormer Bedeutung. Befallene Äpfel reifen früher. Man kann die Erntezeit also nach vorne ziehen, denn zur Saftgewinnung eignen sich diese Früchte natürlich immer noch ohne Probleme. Man kann den Wurm mit einem Messer aus der Frucht herausschneiden und den Rest einfach aufessen. Das mundet mir persönlich wesentlich besser als ein Apfel aus dem Erwerbsobstbau, der zwar ohne Wurm ist, dafür aber über dreißig Mal während seines Wachstums die Pestiziddusche zu schmecken bekommen hat. Auf der Webpage des Deutschen Fachverbandes für Agroforstwirtschaft (DeFAF) findet sich folgender interessanter Eintrag des Arche Wilhelminenhofs, Bakum:

Nachdem in den letzten Jahren bei den klassischen Schaderregern ständig mehr Resistenzen gegen chemische Pflanzenschutzmittel sichtbar wurden – wir aber dem Problem nicht mit noch mehr Chemie begegnen wollten – haben wir seit 2015 in einer ca. 1 ha großen Apfelplantage den Pflanzenschutz komplett eingestellt und unsere Schafe zum Weiden reingeschickt. Wir haben keinen Schorfpilz mehr in der Anlage, außerdem sind Apfelwickler-, Blattlaus und Frostspannerschäden zu vernachlässigen.

Diese Landwirte sparen nicht nur viel Geld, das sie sonst für Pestizide ausgegeben hätten, sondern auch Arbeitszeit, die sie sonst mit Wildkrautbekämpfung, Sprühen und Mähen verbracht hätten. Außerdem haben sie durch das Fleisch, die Milch und die Wolle der Schafe auch noch einen bedeutenden wirtschaftlichen Vorteil. Den Schafen schließlich munden die verwurmten Äpfel ganz ausgezeichnet. Der Kot der Tiere ist wertvoller Dünger, zieht Insekten an und in der Folge wiederum Vögel, die sich von den Insekten ernähren. Wir müssen den Wurm im Apfel lieben lernen. Haben wir das geschafft, wird uns das grundsätzliche Neudenken unserer Land- und Forstwirtschaft leichter fallen.

Was kann der Einzelne noch tun?

Jeder Einzelne muss begreifen, dass es hier nicht um irgendwelche grünen Spinnereien geht. Das Artensterben ist ein gewaltig größeres Problem als die Klimakrise. Dem wir jedoch mit einem klugen Agieren viel einfacher begegnen können. Die Konzepte reichen von Palludikultur (dem Wiedervernässen ehemaliger Feuchtgebiete mit dem Ziel der Gewinnung von Torf und Schilf) über Agroforstsysteme und Waldgärten bis hin zur Idee der Permakultur.

Wie ist Ihre Wahrnehmung? Kann es sein, dass sich gerade ziemlich viel tut? Dass weltweit eine Art Umdenken stattfindet? Kann es sein, dass mehr und mehr Menschen begreifen, wie man mit der Natur und der Umwelt und nicht gegen sie lebt?

Meine Wahrnehmung ist in dieser Hinsicht zweigespalten. Einerseits wächst das Problembewusstsein unter den Menschen. Andererseits ist es der Lebensmittelindustrie gelungen, weite Teile der Gesellschaft in absolute Abhängigkeit zu treiben. Wenn die Regale der Supermärkte nicht mehr gefüllt werden, werden auch unsere Bäuche leer bleiben, weil der allergrößte Teil unserer Gesellschaft verlernt hat, sich seine Lebensmittel selber herzustellen. Dann wird das große Hungern und Sterben beginnen. Eins ist klar: Wenn wir nicht gegensteuern, wird dieser Tag kommen – früher oder später. Umdenken und Begreifen allein reicht nicht. Wir müssen handeln. Lasst uns heute noch beginnen, Wälder zu pflanzen, in denen die Nahrung für Mensch und Tier auf Bäumen wächst. Lasst uns Paradiese pflanzen!

Lesetipp: Koch, Timm: Lasst uns Paradiese pflanzen! Reich werden mit der Vielfalt der Natur – statt arm durch ihre Zerstörung. Westend. 14. Juni 2021. S. 224. 18 Euro.

Titelbild: Karin Hildebrand Lau/shutterstock.com

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