Sinnlose Panikmache wegen der Registrierung traditioneller, pflanzlicher Heilkräuter

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Die EU-Richtlinie 2004/24/EG, THMPD (Traditional Herbal Medical Product Directive), sieht ein vereinfachtes Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel vor und ist bereits seit 2004 in Kraft. Es handelt sich bei dieser Richtlinie um die Änderung der Richtlinie 2001/83/EG „Zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel“. Die NachDenkSeiten erhielten in letzter Zeit nahezu täglich Bitten von Leserinnen und Lesern, die Online-Petition gegen diese Richtlinie zu unterstützen. In dieser Petition hieß es: “Der Deutsche Bundestag möge beschließen …dass das Verkaufsverbot von Heilpflanzen in der EU ab dem 1. April 2011 in Deutschland nicht greift.”.
Unzählige Panikartikel kursieren im Internet, in welchen zu lesen ist, die genannte Richtlinie verdränge traditionelle pflanzliche Heilkräuter vom Markt, wodurch Pharmaunternehmen künftig nahezu allein den Arzneimittelmarkt beherrschten. Das keineswegs neue Registrierungsverfahren hat jetzt, sechs Jahre nach Inkrafttreten der geänderten EU-Richtlinie, im Internet für reichlich Wirbel gesorgt und bei vielen Menschen den Eindruck erweckt, es handele sich um eine neue Richtlinie, die erst nächstes Jahr in Kraft tritt. Was steht in der EU-Richtlinie und welche pflanzlichen Arzneimittel sind nun wirklich betroffen? Von Christine Wicht

Die Bestimmungen der Richtlinie 2004/24/EG, THMPD, mussten bereits bis 30. Oktober 2005 von den EU-Staaten umgesetzt werden

Richtlinien müssen generell in nationales Recht umgesetzt werden, ohne Wahlfreiheit. Die Umsetzung liegt nicht im Belieben eines Mitgliedsstaats, sondern es besteht eine Pflicht umzusetzen. Die Richtlinie (Traditional Herbal Medical Product Directive) ist also Schnee von gestern, sie wurde bereits vor Jahren in deutsches Recht umgesetzt. Der Bundestag ist auch nicht die richtige Adresse für diese Petition. Das wäre in diesem Fall der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments gewesen. Dieser hatte sich bereits 2006 mit dem Thema [PDF – 143 KB] auseinandergesetzt, als Gérard Weidlich aus Frankreich gegen die im Oktober 2005 in Kraft getretene Europäische Richtlinie Nr. 2004/24/EG protestierte. Nach seiner Auffassung stelle diese Richtlinie eine Gefahr für die europäischen Verbraucher von Naturheilmitteln dar, weil sie ihren Zugang zu Mineralstoffen und Vitaminen beschränke. Er befürchtete, dass die Richtlinie die gesamte Biobranche bedrohe und dass zahlreiche Läden von Schließung bedroht seien.

Die Implementierung in das Deutsche Arzneimittelgesetz

Deutschland hat die besagte EU-Richtlinie bereits in das Arzneimittelgesetz (AMG) implementiert. „Ziel der Richtlinie war es, bisher unreguliert im europäischen Markt befindlichen Produkten eine Möglichkeit für die Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel zu eröffnen.“ Da es zuvor in Deutschland bereits die Option einer Zulassung als “Traditionelles Arzneimittel” gab, wurden im § 141 des AMG Übergangsregelungen vorgesehen. Daher gibt es keine direkten problematischen Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen (so die Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM).

Die Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel ist in §39a AMG geregelt. Jeder Hersteller konnte bis zum 31.12. 2008 einen Antrag zur (Neu-) Registrierung nach 39a-d AMG für das identische Arzneimittel stellen, um die Verkehrsfähigkeit des nach § 105 in Verbindung mit § 109a AMG verlängerten Arzneimittels über den 30. April 2011 hinaus zu gewährleisten. Das neue Registrierungsverfahren (§ 39a AMG) bezieht sich auf Fertigarzneimittel.
Bisher bereits nach §109a-AMG zugelassene pflanzliche Arzneimittel waren verpflichtet, bis Ende Dezember 2008 einen Registrierungsantrag zu stellen, sonst hätte das Produkt nach dem 30. April 2011 seine Verkehrsfähigkeit (§ 141 Abs. 14) verloren. Solange ein solcher Antrag nicht negativ beschieden wird, bleibt das Produkt im Markt. Die Hersteller haben entsprechend reagiert und für ihre bislang schon als Arzneimittel nachzugelassenen/registrierten Produkte die Unterlagen eingereicht oder auch ggf. nach eigener unternehmerischer Entscheidung darauf verzichtet (siehe hier eine offizielle Stellungnahme [PDF – 50 KB] der Firma Salus-Unternehmensgruppe, die pflanzliche Arzneimittel herstellt).

Sind hömöopathische Arzneimittel von der Richtlinie betroffen und was sind traditionelle pflanzliche Arzneimittel?

Das Verfahren sollte nicht für homöopathische Arzneimittel gelten, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen oder eine Registrierung gemäß der Richtlinie 2001/83/EG in Frage kommt (siehe Artikel 4 der EU-Richtlinie). Die Definition eines pflanzlichen Arzneimittels, kann in der EU-Richtlinie nachgelesen werden. Es muss die in Artikel 16a Absatz 1 der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen:

„Ihre Anwendungsgebiete entsprechen ausschließlich denen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt und konzipiert sind, ohne ärztliche Aufsicht zwecks Stellung einer Diagnose, Verschreibung oder Überwachung der Behandlung angewendet zu werden.“

Darüber hinaus werden als pflanzliches Arzneimittel alle Arzneimittel definiert, „die als Wirkstoff(e) ausschließlich einen oder mehrere pflanzliche Stoffe oder eine oder mehrere pflanzliche Zubereitungen oder eine oder mehrere solcher pflanzlichen Stoffe in Kombination mit einer oder mehreren solcher pflanzlichen Zubereitungen enthalten.“ Pflanzliche Stoffe sind „alle vorwiegend ganzen, zerkleinerten oder geschnittenen Pflanzen, Pflanzenteile, Algen, Pilze, Flechten in unverarbeitetem Zustand, gewöhnlich in getrockneter Form, aber zuweilen auch frisch.“

Bestimmte pflanzliche Ausscheidungen, die keiner speziellen Behandlung unterzogen wurden, werden ebenfalls als pflanzliche Stoffe angesehen. Außerdem sind „pflanzliche Stoffe durch den verwendeten Pflanzenteil und die botanische Bezeichnung nach dem binomialen System (Gattung, Art, Varietät und Autor) genau definiert.“

Unter pflanzliche Zubereitungen fallen:

„Zubereitungen, die dadurch hergestellt werden, dass pflanzliche Stoffe Behandlungen wie Extraktion, Destillation, Pressung, Fraktionierung, Reinigung, Konzentrierung oder Fermentierung unterzogen werden. Diese umfassen zerriebene oder pulverisierte pflanzliche Stoffe, Tinkturen, Extrakte, ätherische Öle, Presssäfte und verarbeitete Ausscheidungen von Pflanzen.“

Die Registrierung eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels benötigt:

„bibliografische Angaben oder Berichte von Sachverständigen, aus denen hervorgeht, dass das betreffende oder ein entsprechendes Arzneimittel zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens 30 Jahren, davon mindestens 15 Jahre in der Gemeinschaft, medizinisch verwendet wird. Auf Antrag des Mitgliedstaats, in dem die Registrierung als traditionelles Arzneimittel beantragt worden ist, erarbeitet der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel eine Stellungnahme zu der Frage aus, ob der Nachweis der langjährigen Anwendung des Arzneimittels oder des entsprechenden Arzneimittels ausreicht. Der Mitgliedstaat legt entsprechende Unterlagen zur Begründung seines Antrags vor“ (siehe Richtlinie Artikel 16c).

Laut telefonischer Auskunft eines großen Herstellers pflanzlicher Arzneimittel ist beispielsweise Fenchelhonig von dem Registrierungsverfahren nicht betroffen, da Honig kein pflanzliches Produkt ist. Ein pflanzlicher Hustensaft, der verschiedene Kräuter enthält, ist hingegen ein Arzneimittel, fällt unter §29a AMG und ist daher zulassungspflichtig. Des Weiteren gilt z.B. Gingko als zugelassenes Arzneimittel, da seine Wirksamkeit mit Studien belegt ist.

Gemäß Auskunft dieses Herstellers belaufen sich die Kosten für eine Registrierung zwischen 50.000 und 300.000 Euro. Aufgrund der hohen Kosten, könnten möglicherweise Produkte, die wenig verkauft werden, nicht mehr registriert werden, da sich der finanzielle Aufwand nicht lohnt. Wahrscheinlich würde aber die Produktion von Artikeln mit niedrigen Verkaufszahlen über kurz oder lang sowieso eingestellt werden. Das BfArM beurteilt die Möglichkeit einer Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel durchaus als interessante Option, da die Inanspruchnahme eines “Health claims” (gesundheitsbezogene Anforderungen) im Bereich der Lebensmittel schwieriger werde.

Gemäß einer schriftlichen Auskunft des BfArM werden „Heiltees und Heilkräuter mit der Regelung nicht grundsätzlich vom Markt verschwinden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit Arzneitees mit einer Information entsprechend dem Arzneimittelgesetz in Verkehr zu bringen. Es besteht kein Unterschied zur bisherigen Praxis, da auch bislang Tees aus dem Lebensmittelbereich nicht mit einem Anwendungsgebiet ausgelobt werden durften. Das BfArM begrüßt aus Gründen der öffentlichen Gesundheit den primären Ansatz der Registrierung, im Markt befindliche pflanzliche Fertigarzneimittel zu regulieren. Entsprechende grundlegende Regelungen, die sich auch bewährt haben, gab es in Deutschland bereits vor der Richtlinie. In anderen europäischen Ländern könnte es in bislang weniger regulierten Märkten durchaus zu der Situation kommen, dass Produkte vom Markt genommen werden“.
Eine Statistik der zugelassenen pflanzlichen Arzneimitteln kann unter folgendem Link abgerufen werden.

Erstellung von Pflanzenmonographien

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union hatten bereits in der Richtlinie vorgeschlagen, wegen der Besonderheiten pflanzlicher Arzneimittel, im Rahmen der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates, einen Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel einzusetzen. Dieser wurde dann mit der Wahrnehmung von Aufgaben im Zusammenhang mit der vereinfachten Registrierung und Genehmigung von Arzneimitteln gemäß dieser Richtlinie beauftragt, insbesondere mit der Erstellung gemeinschaftlicher Pflanzenmonographien, die für die Registrierung sowie die Genehmigung pflanzlicher Arzneimittel von Bedeutung sind. Der Rat sollte aus Sachverständigen für pflanzliche Arzneimittel bestehen (siehe Artikel 9 der EU-Richtlinie). Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee for Herbal Medicinal Products, HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erarbeitete daraufhin eine Liste, die pflanzliche Stoffe, pflanzliche Zubereitungen und Kombinationen daraus zur Verwendung in traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln enthält (siehe hier).

In Deutschland hatte die „Kommission E“, die früher zum Bundesgesundheitsamt (BGA) gehörte, von 1978 bis 1994 Monographien verfasst, die nun durch die Monographien des HMPC ersetzt werden. Die bereits erwähnte Liste muss für jeden pflanzlichen Stoff das Anwendungsgebiet, die spezifizierte Stärke und Dosierung, den Verabreichungsweg und alle anderen für die sichere Anwendung erforderlichen Informationen enthalten. Der Ausschuss hat auch die Aufgabe, in Zweifelsfällen festzulegen, ob für eine bestimmte Arzneipflanze die Tradition innerhalb Europas ausreicht, beispielsweise wenn diese Pflanze traditionell in der chinesischen Medizin angewendet worden ist, (Quelle: Dr. Barbara Steinhoff , Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) , Harmonisierte Bewertungskriterien für Phytopharmaka. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – die Leitlinien des Herbal Medicinal Products Committee, Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 236–238 ).

Gemeinschaftsmonographien für pflanzliche Arzneimittel

Das Committee for Herbal Medicinal Products (HMPC) hat beispielsweise 16 Gemeinschaftsmonographien für traditionelle und bekannte pflanzliche Arzneimittel im Entwurf zur Konsultation veröffentlicht. Dies betrifft: Birkenblätter, Stechender Mäusedorn, Ringelblumenblüten, Holunderblüten, Eleutherococcus-Wurzel, Echte Goldrute, Hopfenzapfen, Schachtelhalmkraut, Weißer Steinklee, Königskerzenblüten, Brennnesselkraut, Haferfrüchte, Haferkraut, Pfefferminzblätter, Purpursonnenhutkraut und Weidenrinde. Außerdem wurden 13 Gemeinschaftsmonographien für traditionelle und bewährte pflanzliche Arzneimittel fertiggestellt wie Anissamen, Anisöl, Bitterfenchelfrucht, Bitterfenchelfruchtöl, Faulbaum, Melissenkraut, Passionsblume, Pfefferminzöl, Primelwurzel, Primelblüte, Rhabarber, Süßfenchelfrucht und Thymiankraut. Darüber hinaus hat das HMPC zwei Einträge für die „Gemeinschaftsliste pflanzlicher Stoffe, Zubereitungen und deren Kombinationen zur Verwendung in traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln” zu Bitterfenchelfrucht und Süßfenchelfrucht verabschiedet und der Europäischen Kommission zur Genehmigung übermittelt. Vier Einträge der Liste wurden zur öffentlichen Konsultation freigegeben (diese betreffen: Anissamen, Ringelblumenblüten, Eleutherococcus-Wurzel und Purpursonnenhutkraut).

Konsultation zu den Erfahrungen mit der Richtlinie zu pflanzlichen Arzneimitteln

Im August 2007 hat das Committee for Herbal Medicinal Products (HMPC) zum Mitteilungsentwurf der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Stellung genommen. Dieser Entwurf wurde im Mai 2007 zur Konsultation freigegeben und bezog sich auf die Erfahrungen, die bei der Anwendung von Kapitel 2a der Richtlinie 2001/83/EG (eingeführt durch Richtlinie 2004/24/EG: Besondere auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen) gesammelt worden waren. Der Zustandsbericht des HMPC zu den Fortschritten bei der Umsetzung der Richtlinie seit ihrem Inkrafttreten, der der Europäischen Kommission zur Vorbereitung ihres Mitteilungsentwurfs übermittelt worden war, wurde auf der EMA-Website veröffentlicht. (Quelle: Die Europäische Arzneimittel-Agentur im Jahr 2007 , Zusammenfassung des 13. Jahresberichts der EMA , Seite 26, 2.8 Pflanzliche Arzneimittel [PDF – 219 KB]).

Zulassungspflicht für Nahrungsergänzungsmittel

Im Internet kursierte Mails, in welchen behauptet wurde, dass ab dem 01.04.2011 Naturstoffe, die bis dahin als Nahrungsergänzungsmittel oder Heilpflanzen den Lebensmitteln zugeordnet waren, künftig in die Kategorie der Lebensmittel-Zusatzstoffe gesetzlich “verschoben” würden. Wenn kein Zulassungsverfahren vorliege, sei der Verkauf nicht mehr erlaubt. Als Reaktion auf laufende Mailaktionen zum Lebensmittelgesetzbuch (LMBG) und zum Aufruf der Petition gegen die EU-Richtlinien für traditionelle Pflanzenpräparate (THMPD), hat Arne Krüger, stellvertretender Sprecher der Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker, Heilpraktiker & Tierarzt Fachverband Deutscher Heilpraktike, eine aufschlussreiche Stellungnahme veröffentlicht: (Quelle: www.freieheilpraktiker.com):

„Nach deutschem Recht waren Zusatzstoffe in Lebensmitteln zulassungspflichtig und in Kombination mit dem Verbot vor schädlichen Inhaltsstoffen in Lebensmitteln stellte dies einen Schutz des Verbrauchers vor in der Dosierung möglicherweise problematischen Zusatzstoffen dar. Dies galt auch für Nahrungsergänzungsmittel. Darüber hinaus konnten z.B. Vitamine und Mineralstoffe als Arzneimittel oder als Medizinprodukte zugelassen werden und damit auch durch den Heilpraktiker ordnungsgemäß verordnet werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einem Urteil vom 25. Juli 2007 (BVerwG 3 C 21.06) festgestellt, dass ein bestimmter Pflanzenextrakt aus Traubenkernen als charakteristische Zutat eines im Wesentlichen hieraus bestehenden Nahrungsergänzungsmittels einzustufen sei und deshalb nicht einer vorherigen Zulassung als ein den Zusatzstoffen nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches bedürfe. Diese unklare Rechtssituation soll durch eine Neufassung dieses Gesetzes derzeit klar gestellt werden. Mit diesem Gesetz soll im Interesse des vorbeugenden Gesundheitsschutzes klargestellt werden, dass derartige Stoffe der Zulassungspflicht unterliegen.

Wenn nun seitens der Lebensmittelindustrie bzw. der Hersteller der Nahrungsergänzungsmittel die Sorge verbreitet wird, das hier die tradierten und bewährten Anwendungen gefährdet seien, muss beachtet werden, dass es sich um eine gerichtliche Auslegung des Gesetzes seit 2007 handelt, also sicher nicht um eine langjährige Tradition. Es ist aber so, dass auch nach der Neufassung des Gesetzes alle Nahrungsergänzungsmittel, die kein Gesundheitsrisiko haben, als Zusatzstoffe zugelassen werden können. Vitamine, Mineralstoffe o.ä. in Arzneimitteln und Medizinprodukten werden durch diese Gesetzesregelung nicht betroffen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker ist bei der Prüfung des Gesetzes eingebunden und wird im Falle einer Relevanz für den Heilpraktikerberuf auch Stellung beziehen.“

Europäische Richtlinie für traditionelle Pflanzenpräparate

„Die EU-Richtlinie zu traditionellen Pflanzenpräparaten (THMPD 2004/24/EG), die – wie gesagt – schon seit vielen Jahren in den europäischen Ländern umgesetzt wird und bis 2011 endgültig wirksam wird, ist in Deutschland seit vielen Jahren umgesetzt und wirksam. Dazu ist festzustellen, die Europäische Richtlinie keine aktuelle Brisanz hat, sondern alt ist. Es gibt inzwischen die deutsche und die europäische Registrierung für traditionelle Pflanzenpräparate und diese hat sich bewährt. Alle Pflanzenpräparate mit einem Wirksamkeitsnachweis und dem Anspruch auf Indikationen müssen zugelassen werden. Bei den Zulassungsverfahren sind auch die Vertreter der Arzneimittelkommission in der Zulassungskommission E eingebunden. Die Begrenzung bei der Mischung von Pflanzenpräparaten, Vitaminen und Mineralstoffen in einem Arzneimittel hat ja durchaus Sinn, denn eine therapeutische Gabe unterscheidet sich doch von der Substitution von Vitaminen und Mineralstoffen. Die Verordnung von einzelnen Pflanzendrogen (mit Positiv- oder Nullmonographie) bleibt unverändert und wird in Deutschland auch nicht eingeschränkt.

Die ganze Diskussion ist übrigens eine alte Diskussion, da die Richtlinie schon aus dem Jahr 2004 ist und auch damals waren Arzneimittelkommission und die Heilpraktikerverbände involviert und haben gerade auf die traditionelle Registrierung der Pflanzenpräparate Einfluss genommen. Alles was eine “jahrhundertalte oder jahrtausendalte” Tradition ist, hat doch die Registrierungsmöglichkeit, denn es müssen doch nur 30 Jahre Anwendung da sein.“
(Stellungsnahme der Landesapothekenkammer Baden-Württemberg zur EU-Richtlinie 2004/24/EG)

Eine unseriöse Petition

Es ist anzunehmen, dass kaum ein Petent die Richtlinie 2004/24/EG wirklich gelesen hat, obwohl sie im Internet abzurufen und obendrein sogar auf deutsch zu lesen ist. Es ist weiter zu vermuten, dass kaum ein Petent beim Heilpraktikerverband oder der Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker Informationen eingeholt hat. Die Heilpraktiker hätten als Betroffene wohl zuerst davon erfahren hätten, wenn traditionelle pflanzliche Arzneimittel vom Markt genommen werden würden.
Die Unterzeichner haben sich offenbar blind, ohne selbst den Inhalt zu hinterfragen, auf die Richtigkeit der Petition verlassen. Vermutlich haben sich selbst die Initiatoren der Petition nicht ernsthaft mit der Thematik auseinandergesetzt. Im Übrigen sollte eine Petition an die richtige Adresse gerichtet sein. Vor allem aber sollte eine Petition sachlich richtig sein, da sich die Bürger darauf verlassen können müssen, wenn sie unterzeichnen.
Generell ist es schädlich, wenn Petitionen einen inflationären Charakter erhalten. Das führt letztlich dazu, dass wirklich wichtige Themen untergehen und sich die Chance, dass sich der Bundestag damit befasst, verringert.

Die Petition ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Institutionen der EU

Viele EU-Bürger neigen aufgrund leidvoller Erfahrungen mit der EU-Politik von vorn herein zum Vorurteil, dass das Meiste was „aus Brüssel“ kommt, zum Nachteil der Bürger und eher zum Vorteil der Konzerne ist (siehe etwa die Lissabon-Strategie – Agenda 2010 in Deutschland, Flexicurity Konzept, EuGH-Urteile oder die Dienstleistungsrichtlinie).

Dies liegt unter anderem daran, dass viele Entscheidungen in Gremien getroffen werden, in denen letztendlich Institutionen der Europäischen Union (z.B. General Direktion Handel) mit dem „Big Business“ und dessen Lobbyorganisationen kollaborieren. Auch der Anspruch auf Transparenz ist bei weitem nicht erfüllt. Den Brüsseler Lobbyismus-Dschungel durchblickt kaum jemand, der EU-Bürger schon gar nicht. Gerade auch die Interessen der Pharmaindustrie werden von einer starken Lobby vertreten [PDF – 93 KB].
Den übermächtigen Einfluss der Pharmalobby konnten wir ja in Deutschland zuletzt bei dem am 11. November 2010 durch den Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in Deutschland beobachten.

Ist es den Bürgerinnen und Bürgern zu verdenken, dass sie zunächst erst einmal das Schlimmste hinter einer EU-Richtlinie vermuten? Wie sollen die Europäerinnen und Europäer nach all den teilweise unsäglichen Reformen und der Macht der Lobbyisten noch Vertrauen in die EU-Politik haben?

Dieser Petitionsaufruf hat im Übrigen gezeigt, dass EU-Richtlinien, wenn überhaupt, ziemlich spät im Blickfeld der Bürger ankommen, dass die Komplexität häufig nicht überblickt wird und nur noch Skepsis und Verunsicherung bleiben. Darüber hinaus ist die Existenz eines Petitionsausschusses des EU-Parlaments kaum bekannt.
Die beteiligten Politiker, EU-Parlamentarier, der Europäische Rat, der EU-Ministerrat und die EU-Kommission müssen sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie sie den Lobbyismusdschungel in Brüssel massiv lichten, indem sie beispielsweise eine wirkliche Transparenz etwa durch zwingende Lobbyregister schaffen. Sie müssen vor allem aber auch darum kümmern, wie sie den Bürgern die Politik der EU näher bringen und wie sie das Vertrauen der EU-Bürger (zurück)gewinnen können. Sonst wird die Europäische Union keine Zukunft haben.

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