Tage wie Nächte

Tage wie Nächte

Tage wie Nächte

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

In den 1970er Jahren herrscht eine Militärdiktatur in Uruguay. Sie wurde von ganz vielen westlichen Staaten, mit ganz viel Menschenrechten im Gepäck, wenn es gerade nicht zu arg drückte, unterstützt. Dagegen entwickelte sich Widerstand in Uruguay. Unter anderem entstanden die „Tupamaros“, eine Stadtguerilla. Es waren keine „Missstände“, wie es ARTE in der Filmbeschreibung beschreibt, die in Uruguay herrschten, sondern staatsterroristische Verhältnisse, in denen Willkür und systematische Folter zur Grundlage des Staatswesens wurden. Auch die Tupamaros konnten gegen die Macht der Militärs, gegen die Unterstützung des Westens, gegen die eingeübte Ohnmacht in (großen) Teilen der Bevölkerung nichts ausrichten. Von Wolf Wetzel.

„Als die Militärs im Jahr 1973 in dem kleinen Land am Río de la Plata putschten, war Uruguay der Staat mit der prozentual höchsten Zahl politischer Gefangener weltweit. Um jeden Widerstand zu ersticken, entführten die Militärs neun führende Mitglieder der geschlagenen Stadtguerilla Tupamaros aus den Gefängnissen und drohten für den Fall weiterer Aktionen mit ihrer Erschießung. Als Geiseln der Diktatur wurden sie in Dreiergruppen in Verliesen der Kasernen zwölf Jahre lang buchstäblich lebendig begraben, bis eine wieder erstarkende soziale Bewegung sie mit dem Ende der Diktatur befreite.“
(Verlag Assoziation A, Berlin)

Zwei Staatsgefangene, Mauricio Rosencof und Fernández Huidobro haben dazu ein Buch geschrieben: Wie Efeu an der Mauer (Erstauflage 1990). Ein Buch über zwölf Jahre Gefangenschaft. Man könnte meinen, dass man darüber nicht viel schreiben kann. Das Buch beweist das Gegenteil. Denn man konnte sie gefangen nehmen, aber nicht ihre Ideen, ihre Idee von einer solidarischen Gesellschaft, ihre ergreifende Mitmenschlichkeit, die auch beinhaltete, für Wärter, die ihre Liebschaften beeindrucken wollten, poetische Gedichte zu schreiben.

Keine Zeile, keine Minute haben sie ihre Feindschaft zu dieser Diktatur vergessen. Diese Sequenzen im Buch gehören zu den verstörendsten und eindrucksvollsten Schilderungen. Denn sie beweisen, dass man die „knallharten“ Positionen meist jenseits der Knastmauern findet, dort, wo sie selten auf die Probe gestellt werden.

Die Film „Tage wie Nächte / Compañeros – La noche de 12 años“ von Álvaro Brechner aus dem Jahr 2018 hat dieses Buch zur Grundlage:

„Unter der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 in Uruguay werden Tausende Menschen verhaftet, in geheime Gefängnisse verschleppt, gefoltert oder ermordet. Der Machtergreifung durch das Militär sind wirtschaftliche Probleme vorausgegangen. Gegen die Missstände rebelliert die Guerilla-Bewegung Tupamaros, zu deren Gründern José Mujica zählt. Während der Militärdiktatur ist er über insgesamt rund zwölf Jahre unter menschenunwürdigen Bedingungen weggeschlossen, überwiegend in Einzelhaft. Dieses Schicksal teilt er mit dem Schriftsteller Mauricio Rosencof und Eleuterio Fernández Huidobro. Mit Erniedrigungen, Nahrungsentzug und ständigen Verlegungen versucht man, die drei Staatsgeiseln zu brechen. Doch die Gefangenen finden immer wieder Wege, nicht vollends zu verzweifeln. Es gelingt ihnen, über Klopfzeichen miteinander zu kommunizieren. Und dann bleibt ihnen immer auch ihre Fantasie zur geistigen Flucht, Erinnerungen und Träume. Der Glaube an ein besseres Uruguay kann sich nur erfüllen, wenn sie überleben und nicht verbittern. Und so, unglaublich, aber wahr, wird es kommen: In den Jahren 2010 bis 2015 ist José Mujica Präsident von Uruguay, weltweit geachtet für seine eigene Bescheidenheit und eine umsichtige, menschennahe Politik.

In seinem dritten Langspielfilm erzählt Alvaro Brechner couragiert von der Geschichte Uruguays, mit einem wirkungsvollen Bildkonzept, einer sorgfältigen Ausstattung und nicht zuletzt mit einer Besetzung aus Stars wie Antonio de la Torre, Chino Darín, Alfonso Tort und Soledad Villamil. Auf Filmfestivals weltweit gewann der Film fast 50 Filmpreise und weitere 30 Nominierungen. Unter anderem erhielt „Tage wie Nächte“ den seit 2011 etablierten ARTE International Prize, mit dem ARTE jährlich ein künstlerisch herausragendes Projekt aus der Gesamtauswahl des Berlinale Co-Production Market auszeichnet.” (Text arte)

Der Film ist ab dem 14. Juli 2021 in der Arte-Mediathek zu sehen.

Der Film basiert auf dem Buch »Memorias del Calabozo« (Kerkerjahre), das in einer Neuauflage im Verlag Assoziation A in deutscher Übersetzung erschienen ist:

Mauricio Rosencof / Eleuterio Fernández Huidobro
Kerkerjahre. Als Geiseln der uruguayischen Militärdiktatur
Aus dem Spanischen von Lydia Hantke
ISBN 978-3-86241-466-6, 384 Seiten, 19,80 € (auch als E-Book)
assoziation-a.de/buch/Kerkerjahre

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