Peru – Das Regierungsprogramm Pedro Castillos und der menschen- und umweltverschleißende Bergbau der sogenannten „Industrieländer“

Peru – Das Regierungsprogramm Pedro Castillos und der menschen- und umweltverschleißende Bergbau der sogenannten „Industrieländer“

Peru – Das Regierungsprogramm Pedro Castillos und der menschen- und umweltverschleißende Bergbau der sogenannten „Industrieländer“

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Nach wochenlangen vergeblichen Wahlannullierungs-Manövern der rechtsradikalen und korrupten Opposition unter Führung der Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori wurde der linke Grundschullehrer und Wahlsieger Pedro Castillo Terrones am vergangenen 28. Juli als neuer Staatspräsident Perus vereidigt. Doch kaum einen Monat im Amt, wird das Kabinett des neuen Staatschefs seit Wochen von einer Legitimationskrise geschüttelt, die zeitgleich von der rechtsradikalen Szene auf den Straßen als auch von linken, vermeintlichen Verbündeten – wie Vladimir Cerrón, dem Chef von Castillos Partei Peru Libre (Freies Peru) – hinter vorgehaltener Hand gestrickt wird. Von Frederico Füllgraf.

Doch der Kraftprobe drittes Hindernis ist obendrein das erforderliche Vertrauensvotum des Parlaments. Gegen 9 Uhr am Morgen des 26. August begleitete der bedächtige Präsident sein volles Kabinett mit 19 Ministern unter Führung von Guido Bellido bis zum Ausgang des Präsidentenpalastes und wünschte ihm klaren Kopf und viel Glück für seine erste Feuerprobe: die Zustimmung des Kongresses (ein Ein-Kammer-Parlament) der Republik. Laut Verfassung muss das Kabinett vor Ablauf der ersten 30 Tage nach seiner Vereidigung eine Vertrauensabstimmung beantragen. Sollte die Mehrheit des Kongresses allerdings für ein Misstrauensvotum stimmen, wären Premier Guido Bellido und alle 19 Minister zum Rücktritt gezwungen. Castillos Partei verfügt gerade mal über 37 der 130 Parlamentsmandate, die Vertrauensbestätigung benötigt 66 Stimmen, die die lockere Regierungskoalition Castillos mit insgesamt 79 Stimmen durchsetzen könnte, doch selbst nach mehr als 12-stündiger Anhörung musste das Parlament die unsichere Abstimmung auf den 27. August vertagen.

Kraftprobe in den eigenen Reihen und der „Terruqueo“ auf den Straßen

So nervenzerreibend die Nominierung der 19 Regierungsminister sich einerseits über Wochen in die Länge zog, so schlagartig musste Castillo die Ernennung einiger Minister unter massivem Druck innerhalb des eigenen Kabinetts und in der Öffentlichkeit zurücknehmen. So zum Beispiel die in weiten Teilen Lateinamerikas begrüßte Ernennung des 85-jährigen Schriftstellers, Soziologen, bildenden Künstlers und Professors an zwei renommierten Universitäten Limas, Dr. Héctor Béjar Rivera. In den 1960er Jahren gründete Béjar zusammen mit Javier Heraud die Guerilla-Bewegung der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Das wollte ihm die peruanische Rechte zwar nur zögernd verzeihen, schließlich bezeichnete auch er die Jahre später in Szene getretene, gewalttätige Organisation Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) als terroristisch.

Doch Béjars jüngstes „Vergehen“ war eine Erklärung von Ende November 2020, als die neue Regierung noch gar nicht existierte. Darin bezog er die Streitkräfte, insbesondere die Marine, in den Terrorismus-Vorwurf ein. Nämlich mit dem von durchgesickerten CIA-Berichten bestätigten Hinweis auf staatsterroristische Praktiken wie Folter und Erschießungen von Oppositionellen durch die Uniformierten vor und während des Fujimori-Regimes. Die faktisch korrekte Schuldzuweisung stieß jedoch auf lagerübergreifende Empörung von der Marine bis zu moderateren Kabinettsmitgliedern Castillos. Béjar musste seinen Hut nehmen, noch bevor er ihn in seinem Büro überhaupt abgenommen hatte, und wurde durch den eher konservativen Juristen und Karriere-Diplomaten Óscar Maúrtua ersetzt.

Indes machte Castillos eigene Partei dem frischgebackenen Präsidenten das Regieren schwer. Der Grundschullehrer aus dem tiefen Peru machte Karriere als Gewerkschaftsführer, war bis zur Aufstellung seiner Kandidatur zum Jahresbeginn 2021 jedoch niemals Mitglied einer politischen Partei gewesen. Diese Mitgliedschaft bot ihm die im Jahr 2016 gegründete und sich als „sozialistisch, marxistisch-leninistisch, anti-amerikanisch und anti-imperialistisch“ selbst definierende und zur Partei mutierte Bewegung Peru Libre (Freies Peru). Ein Mitgliedschafts-Angebot, das nach dem Kalkül ihres Vorsitzenden, dem Neurochirurgen Vladimir Cerrón, ihm das Recht zubillige, Castillo Minister-Vorschläge zu unterbreiten, ihn zur Nominierung seiner Vorschläge zu nötigen und die politische Zusammensetzung des Kabinetts – insbesondere die Abgabe mehrerer Ministerien an die links-sozialdemokratische Koalitionspartei Juntos por el Peru (Zusammen für Peru) – zu kritisieren.

Der sich linksradikal gebarende Cerrón ist allerdings eine schillernde Figur, dem mehrere Korruptions-Klagen anhängen und der von 85 Prozent der Peruaner als Hinter- oder Frontmann der Regierung Castillo vehement abgelehnt wird. Eine ähnliche Abneigung trifft zudem den frischernannten Premierminister Guido Bellido und den Präsidenten selbst, der mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er habe den identitären Belangen von Frauen und Homosexuellen weder eine Zeile in seiner Wahlkampagne noch in seinem Regierungsprogramm gewidmet. Bellido hingegen mit der Anklage gegen seine mehrfachen frauenfeindlichen und homophoben Ausfälle.

Als reiche der in den eigenen Reihen erzeugte Stress nicht, sieht sich Castillo auch nach seiner Amtsübernahme durch die seit Jahresbeginn anhaltenden Aufmärsche rechtsradikaler bis faschistischer Gruppierungen herausgefordert. Hassreden, Androhungen von Wahlannullierung und Militärputsch, Umzüge mit faschistischen Symbolen und Glorifizierung der Vizekönige der spanischen Kolonialepoche. Der rechtsextreme Spuk tobt nicht nur in Washingtons Capitol und im Brasilien Bolsonaros, sondern neuerdings auch im peruanischen Lima. Die rechtsextreme Szene hat sich auf Castillo mit den hanebüchenen Unterstellungen eingeschossen, die Peru-Libre-Partei sei „kommunistisch“ oder „terroristisch“. Die Diffamierungswelle machte in Peru längst Schule mit der Bezeichnung „Terruqueo“, das bedeutet „Terrorismus-Hetze”.

Doch das Repertoire des Schwachsinns bedient sich eines breiten Angebots von Verschwörungsgarn und paranoiden Behauptungen der weltweit wiedererwachten, doch allem Anschein nach von harten neoliberalen Denkfabriken ausgekochten und gesteuerten „Bürgerbegehren“. Darunter der „Schutz der abendländischen Familie vor Homosexualität”, die „Gefahr” des „kulturellen Marxismus“, sowie die „Überfremdung durch Emigranten”; ein Repertoire, das von Beobachtern als rechtsradikale Eskalation „by appointment of Donald Trump & Jair Bolsonaro“ verdächtigt wird.

Jedoch einen vollen Monat nach Amtsübernahme, so tönt mehr als die Hälfte Perus, die Castillo ihre Stimme gab, sei es nun an der Zeit, das nur vage umrissene Regierungsprogramm näher zu erläutern und in Taten umzusetzen. Ein darin angesprochenes Szenario ist der peruanische Bergbau; für die einen Perus Glanzleistung, für die anderen sein Verderb.

Der internationale Bergbau, der Menschenverschleiß und die Zerstörung des Anden-Massivs

Dass die vom Bergbau betroffenen oder von ihm beschäftigten Bevölkerungsteile seit Jahren für klare und akzeptable Umwelt- und Sicherheitsmaßnahmen kämpfen und dass der neue Präsident als Sprecher dieser Anliegen anerkannt wird, verdeutlicht ein Hinweis aus den jüngsten Präsidentschaftswahlen: 88 Prozent der Wähler in Bergbau-Distrikten wie Cotabambas, Espinar y Chumbivilcas stimmten für Pedro Castillo. Diese Regierungsbezirke sind der Standort riesiger und konfliktbeladener Kupferminen, zumeist transnationalen Ursprungs, wie Las Bambas, in Händen von Chinas MMG Ltd, Antapaccay im Besitz des anglo-schweizerischen Konzerns Glencore, oder Constancia, kontrolliert von Kanadas Hudbay Minerals. In einem Satz: Die 10 größten Bergbaukonzerne in Peru haben entweder eine einheimische Minderheitsbeteiligung oder allesamt ihren Hauptsitz im Ausland.

Nach neuesten Erhebungen erhielt Castillo starke Zustimmung nicht nur in Gebieten, in denen große Minen in Betrieb sind, sondern auch dort, wo neue Minen ausgehoben werden. So zum Beispiel 86,3 Prozent der Stimmen im südlichen Bezirk Torata, wo Anglo American und Japans Mitsubishi die 5,3 Milliarden Dollar schwere Kupfermine Quellaveco erschließen, die ab 2022 mit der Produktion beginnen soll. In der Gegend von Haquira, in der sich ein 1,8-Milliarden-Dollar-Projekt von Kanadas First Quantum befindet, entschieden sich gar 96 Prozent der Einwohner für Castillo gegenüber Fujimori.

Der Bergbausektor macht nahezu 60 Prozent der Gesamtexporte Perus aus und soll – so sehen es die Konzerne – von entscheidender Bedeutung für Peru sein, „das sich von der weltweit tödlichsten COVID-19-Epidemie pro Kopf erholen möchte, die die Wirtschaft zum Einsturz gebracht und die Armut erhöht hat“. Die Bergbauunternehmen warteten auf das Wahlergebnis in der Hoffnung, dass eine geteilte und zersplitterte Abstimmung im Parlament, in der keine Partei die Mehrheit besitzt, dazu beitragen wird, „drastische Reformen abzumildern“. Die Konzerne fühlten sich zu Unrecht vom neuen Präsidenten behandelt, der ihnen die „Plünderung von Perus Bodenschätzen“ vorgeworfen hatte, und befürchten seine Ankündigung, der Staat solle bis zu 70 Prozent der Bergbaugewinne einbehalten, um sie in Gesundheits- und Bildungsprogramme, insbesondere in mineralreichen Gebieten mit hoher Armutsrate, zu investieren.

Die internationale Jagd nach Rohstoffen in der Bergkette der Anden und ihren Amazonas-Ausläufern betreibt auch ein nahezu illegaler Bergbausektor mit katastrophalen Auswirkungen auf Umwelt und Menschenwürde, den ich bereits 2015 mit dem Titel „Goldrausch in Südamerika: Ausbeutung von Mensch und Natur“ beschrieb. Die skrupellose, sklavenähnliche Ausbeutung von dahinsterbenden Goldgräbern in eisigen 6.000 Metern Höhe findet ihr Gewaltpendant in der Repression von Polizei und Militär gegen Proteste und Aufstände der Kupferminen-Arbeiter, von denen seit 2004 nach offiziellen Angaben mindestens 45 Menschen durch Totschlag oder im Kugelhagel den Tod fanden; allesamt 17 Jahre später von der Justiz straflos gebliebene Tötungen.

Die Regierung stellt die Interessen der Unternehmen über die der Bevölkerung und schafft dafür sogar extra Gesetze. Zum Beispiel viel zu lasche Umweltbestimmungen. Grenzwerte für Schadstoffe in Luft, Wasser und Böden, die es den Bergbau-Unternehmen nicht gerade schwermachen, umso mehr dafür aber den Menschen, die in dieser Umgebung leben müssen, berichtete der Deutschlandfunk in einem Feature aus dem Jahr 2015. Ein erzürnter und kämpferischer Pater berichtet: „Die Kinder hier im Dorf sind bei Größe und Gewicht ganz klar unter den Normalwerten, viele sehen aus wie 7 oder 8 Jahre, sind aber fast doppelt so alt. Das liegt daran, dass die meisten Familien hier keine eigenen Wasserleitungen haben und das (vom Bergbau) verseuchte Wasser aus dem Fluss trinken müssen.“ Horrorgeschichten wie diese grassieren entlang der mehr als 5.000 Kilometer vom Bergbau ausgeplünderten Bergkette der Anden von Chile über Bolivien und Peru bis Ecuador.

Im Juni 2014 unterzeichnete die damalige Bundesregierung ein „strategisches Rohstoffabkommen” mit Peru. Ein Jahr später gründete die Deutsch-Peruanische Industrie- und Handelskammer das „Kompetenzzentrum Bergbau und Rohstoffe der AHK Peru” (gefördert vom BMWi), das die Umsetzung des Rohstoffabkommens koordiniert. Es diene als Plattform für ein künftiges Engagement der deutschen Zulieferwirtschaft auf allen Stufen der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung. Für die deutschen rohstoffverarbeitenden Unternehmen eröffnet sie Chancen für die Diversifizierung ihrer Rohstoffquellen, hieß es in einer offiziellen Mitteilung.

Deutsche Hilfswerke und Umweltverbände äußerten von Anbeginn scharfe Kritik an dieser „Partnerschaft”. Die Unterzeichnung des Rohstoffabkommens komme zu einem schlechten Zeitpunkt, erklärte damals das katholische Hilfswerk Misereor. Die peruanische Regierung habe ein Gesetzespaket verabschiedet, das die ohnehin schwache Regulierung des Rohstoffsektors weiter aufweiche. Mit der Unterzeichnung des Abkommens sende die Bundesregierung ein Signal an die peruanische Regierung, das einer Ausweitung des Rohstoffsektors vor dringend notwendigen rechtlichen Regeln Vorrang gebe. Ferner warf Misereor der Bundesregierung mangelnde Transparenz vor: Das Abkommen sei ohne Einbeziehung des peruanischen Kongresses oder der peruanischen Zivilgesellschaft verhandelt worden. Während der Laufzeit des Abkommens gelte es daher, ein „transparentes Monitoring der menschenrechtlichen Folgen vorzunehmen und die Förderung deutscher Wirtschaftsaktivitäten an die verbindliche Einhaltung von Menschenrechten zu koppeln“.

Die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch sparte nicht an scharfer Kritik an der Rohstoffpartnerschaft. „Wir müssen trotz gegenteiliger Ankündigungen damit rechnen, dass hier deutsche Rohstoffsicherheit auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt durchgesetzt wird“, hieß es. Amnesty International und Survival International sorgten sich um die Rechte der indigenen Bevölkerung in Peru. Für den Abbau wertvoller Mineralien würde den Ureinwohnern Land weggenommen, Sicherheitskräfte gingen brutal gegen Aktivisten vor.

Rohstoffe aus Peru spielen für die deutsche Wirtschaft eine wichtige Rolle. So kommen fast 25 Prozent der deutschen Kupferkonzentrat-Importe aus dem Andenland, auch Blei, Zinn, Silber und andere Mineralien bezieht Deutschland aus Peru. Sieben Jahre später wäre es daher an der Zeit, die menschen- und umweltrechtlichen Selbstauflagen des Abkommens kritisch zu überprüfen und mit der Regierung Pedro Castillo neu auszuhandeln.*

* 30.08.2021 10:30 Uhr: Satz hinzugefügt.

Titelbild: cesar loayza acero/shutterstock.com

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