Funktioniert der Trick von 1965 noch einmal zugunsten der CDU/CSU?

Funktioniert der Trick von 1965 noch einmal zugunsten der CDU/CSU?

Funktioniert der Trick von 1965 noch einmal zugunsten der CDU/CSU?

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

1965 schien die SPD so wie heute auf der Siegerstraße. Es wurde allenthalben, auch mit Unterstützung des CDU-Bundesgeschäftsführers, des Meinungsforschungsinstituts Emnid und der Meinungsforscherin Noelle-Neumann aus Allensbach, der Eindruck erweckt, es gebe ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und der Union. Das Wahlergebnis war dann ganz anders: die CDU/CSU lag bei 47,6 % Prozent, die SPD mit 39,3 % weit dahinter. Offensichtlich hat man die Parole vom möglichen Sieg der SPD und von der Niederlage der CDU/CSU ausgegeben, um CDU/CSU-Wähler zu mobilisieren. „Im Fernsehen brüstete sich der CDU-Geschäftsführer Josef Hermann Dufhues, die Kopf-an-Kopf-Propaganda sei eine Wahllist gewesen, um die Bürger an die Urne zu bringen.“ So berichtete „Der Spiegel“ am 28.9.1965, eine Woche nach der Wahl. Ausführlich siehe Anhang. Albrecht Müller.

Es könnte heute ähnlich sein. Die CDU- und CSU-Führungen in Berlin und München nutzen vermutlich die Ergebnisse der Meinungsforscher zur Mobilisierung ihrer eigenen Stammwähler. Es wird viele Wählerinnen und Wähler geben, die zwar mit CDU und CSU unzufrieden sind, aber einen Machtverlust dennoch nicht für angenehm und nicht für angemessen halten. Diese Stammwähler und ehemaligen Stammwähler der Union lassen sich mit dem Hinweis auf die allenthalben und immer wieder veröffentlichten Umfrageergebnisse motivieren und mobilisieren, um ihr Kreuz noch einmal bei CDU oder CSU zu machen und vor allem wählen zu gehen.

Nicht unerwähnt lassen will ich, dass die jetzige Konstellation mit dem Bild einer enorm aufholenden SPD auch einen anderen Effekt, einen konkurrierenden Effekt auslösen könnte: den sogenannten Bandwaggon-Effekt. Auf Deutsch könnte man sagen: Mitzieheffekt. Die SPD würde also wegen der von den Umfrageinstituten signalisierten Siegerpose zusätzlich profitieren. Ich vermute, dass der Effekt der Mobilisierung von ehemaligen CDU/CSU-Wählern durch den erweckten Eindruck vom drohenden Machtverlust der Union größer sein wird.

Zur aktuellen Situation. Hier ist die Übersicht über die neuesten Umfrageergebnisse:

Danach liegt die SPD bei den 2 neuesten Umfragen um 3 Punkte vorn. Naja. Mal sehen.

Anhang

Auszug aus „Der Spiegel“ vom 28.09.1965 DER SPIEGEL 40/1965
(gefettet vom Autor A.M.)

WAHLPROGNOSE

Gewerbe auf der Grenze

Schlag zwölf Uhr mittags am Freitag vor der Bundestagswahl hatte Notar Dr. Hans Daniels in seiner Bonner Kanzlei, Meckenheimer Straße 49, zwei längliche Kuverts versiegelt. Sie bargen die letzten Wahlprognosen des Instituts für Demoskopie in Allensbach und der Emnid-Institute in Bielefeld.

Zwei Tage später, am Wahlabend um 20.18 Uhr, brachen die beiden Konkurrenten, Allensbach-Chefin Professor Elisabeth Noelle-Neumann und der Emnid-Institutsleiter Karl-Georg Freiherr von Stackelberg, in der Bonner Beethovenhalle vor den Kameras des Zweiten Deutschen Fernsehens Siegel und Schweigen.

Die Professorin vom Bodensee, die noch wenige Tage vor der Bundestagswahl mit Verve ein Brust-an-Brust-Finish der beiden großen Parteien geweissagt hatte, enthüllte nun; sie erwarte einen 49,5-Prozent-Sieg der Christdemokraten und eine 38,5-Prozent-Niederlage der SPD. In der Beethovenhalle stieg Gelächter auf.

Die Demoskopie, so lehrt der Kölner Soziologe Professor Dr. Erwin Scheuch, 37, »ist ein Gewerbe auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Geschäft«. Die Wahlprognosen der beiden bekanntesten Demoskopier-Anstalten aus Allensbach und Bielefeld (Emnid), so argwöhnt der Kölner Professor hätten eher den politischen Commerz als die Wählermeinung repräsentiert.

Elisabeth Noelle: »Die CDU/CSU erringt einen klaren Sieg. Sie könnte vielleicht sogar die absolute Mehrheit im Bundestag gewinnen.«

Kontrahent Stackelberg machte einen langen Hals über die Noelle-Schulter, um die Prognose der Konkurrenz wenigstens ein paar Sekunden vor den Zuschauern zu erhaschen. Dann wandte er sich abrupt zur Seite und zog sein Orakel hervor.

Erneutes Staunen, denn der Bielefelder Demoskop blieb, wie schon anläßlich dreier vorangegangener Emnid-Umfragen, bei seinem Kopf-an-Kopf-Einlauf-Tip. CDU und SPD würden die Wahlstatt mit je 45 Prozent der Wählerstimmen verlassen. Der Branchenknoten schürzte sich.

Reichlich fünf Stunden später sprach Bundeswahlleiter Patrick Schmidt das Urteil in letzter Instanz: Die Christparteien lagen mit 47,6 Prozent weit vor den Sozialdemokraten mit 39,3 Prozent.

Elisabeth Noelle, deren Bonner Draht über das Bundespresseamt und die CDU spielt; hatte gesiegt. Die Allensbacher hatten buchstäblich im letzten Versuch noch den Wählertrend getroffen; Freiherr von Stackelberg hingegen – auch er steht dem Kanzler und der CDU nahe – hatte eine Fahrkarte demoskopiert.

FDP-Chef Erich Mende, der sich und seine Partei als Opfer falscher Meinungsbildner sieht, empörte sich: »Einer hat heute Ohrfeigen gekriegt: die Institute. Am schlimmsten benahm sich Allensbach. Das hat noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen prophezeit, als es schon lange das Gegenteil wußte. Die tendenziöse Meinungsmache hat uns schwer geschadet.« Die Pari-Parolen hätten der CDU zusätzlich Wähler an die Urnen getrieben. Der Verdacht wurde bestärkt: Im Fernsehen brüstete sich der CDU-Geschäftsführer Josef Hermann Dufhues, die Kopf-an-Kopf-Propaganda sei eine Wahllist gewesen, um die Bürger an die Urne zu bringen. …

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