Berliner stimmen für Enteignung

Berliner stimmen für Enteignung

Berliner stimmen für Enteignung

Ein Artikel von: Tobias Riegel

In Berlin war der Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungskonzerne erfolgreich. Das ist zu begrüßen, das Ergebnis ist allerdings rechtlich nicht bindend. Zusätzlich erinnert der Vorgang an die Beteiligung von SPD und LINKE am ursprünglichen Ausverkauf der Wohnungen. Dennoch ist der aktuelle Einsatz von LINKEN-Politikern für das gute Abstimmungsergebnis hervorzuheben. In der Hauptstadt konnte sich bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus außerdem die SPD als stärkste Kraft durchsetzen: Das könnte die Enteignungspläne gefährden. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Berliner Bürger haben sich für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen, wie Medien berichten. 56,4 Prozent der Wähler stimmten demnach am Sonntag in einem Volksentscheid dafür, 39,0 Prozent lehnten das Vorhaben ab, wie die Landeswahlleitung am Montagmorgen mitteilte.

Gleichzeitig sei das nötige Mindestquorum für die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten erreicht worden. Damit ist der Berliner Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten“, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind. Dazu solle die Politik ein Gesetz erarbeiten.

„Missachtung des Volksentscheids wäre ein politischer Skandal“

Allerdings ist das Votum für die Politik rechtlich nicht bindend. Es wurde nämlich nicht über einen konkreten Gesetzentwurf abgestimmt, der durch den erfolgreichen Volksentscheid nun direkt beschlossen wäre. Dennoch wird sich das neugewählte Abgeordnetenhaus wohl mit dem Votum beschäftigen müssen. So will die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ die kommenden Koalitionsverhandlungen nach eigenen Angaben intensiv begleiten: „Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien, noch Abfangversuche. Eine Missachtung des Volksentscheids wäre ein politischer Skandal. Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist“, sagt Kalle Kunkel, Sprecher der Initiative. Und Sprecherin Joanna Kusiak ergänzt laut einer Mitteilung:

„Egal in welcher Zusammensetzung – die zukünftige Regierungskoalition wird die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umsetzen müssen. Die Forderung zur Vergesellschaftung vereint weit mehr Stimmen hinter sich als jede Partei. Wir Berliner:innen haben entschieden: Niemand darf mit unseren Wohnungen spekulieren.”

Der künftige Senat sei dazu aufgefordert, ein Gesetz zur Vergesellschaftung von rund 240.000 Wohnungen in Berlin zu erarbeiten. Betroffen wären alle privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt, ausgenommen die Genossenschaften. Im Blickfeld der Initiative stünde rund ein Dutzend Immobilienunternehmen.

Volksentscheid erinnert an Wohnungs-Ausverkauf durch SPD und LINKE

Das Ergebnis des Volksbegehrens ist erfreulich. Die Unterstützung von LINKEN-Politikern für die Initiative ebenfalls – diese Unterstützung sollte aber nicht vergessen machen, dass es auch Politiker der LINKEN waren, die nach 2002 am Verkauf zahlreicher städtischer Wohnungen mindestens indirekt beteiligt waren, wie etwa in diesem Artikel beschrieben wird:

„Die rot-rote Koalition stellt die Landesregierung, die den Rekord im Verkauf von landeseigenen Wohnungen hält und zugleich am wenigsten deswegen ins Gerede gekommen ist. Ein Grund zum Feiern für Finanzinvestoren wie Cerberus und Co. Es wurde stillschweigend verscherbelt, was das Zeug hält. Den Auftakt, den Verkauf der GSW, feierte man noch als lokale Rettungstat zugunsten der Haushaltskassen. Eine politische Opposition fand sich nur in den Reihen der Sozialdemokraten, wo Gerlinde Schermer und Hans-Georg Lorenz Zivilcourage und Standhaftigkeit zeigten. Der seinerzeit als PDS firmierende Koalitionspartner überließ es einer Lokalgröße aus Prenzlauer Berg, Dr. Michael Nelken, den Verkauf als „Notlagenverkauf“ emphatisch zu bejubeln und die Parteiklientel von den leeren Haushaltskassen zu überzeugen.“

Trotz dieser Beteiligung auch von LINKEN-Politikern an der Entstehung der Wohnungs-Misere in Berlin und trotz des durch Enteignung möglicherweise entstehenden Verlustgeschäfts ist es aber sehr zu begrüßen, dass aus den eigenen Fehlern gelernt wurde und die LINKE das wichtige Vorhaben mit zum Erfolg geführt hat.

Welche Koalition setzt den Volksentscheid um?

Da aber das Ergebnis nicht rechtlich bindend ist, braucht die Initiative starke Fürsprecher in der Politik. Neben vielen anderen Gründen ist auch aus diesem Grund ein Blick auf das Ergebnis der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus interessant – nicht nur im Bund und in Mecklenburg-Vorpommern konnte die SPD Erfolge erzielen: Auch die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus haben die Sozialdemokraten mit Spitzenkandidatin Franziska Giffey gewonnen, wenn auch mit weniger Abstand als erwartet und erst nach einer Zitterpartie unter Beteiligung der Grünen: In Berlin ist die SPD mit 21,4 Prozent der Stimmen laut Medienberichten stärkste Kraft geworden – vor den Grünen, die auf 18,9 Prozent kamen. Die CDU folgt mit 18,1 Prozent; die LINKE verliert mit 14 Prozent leicht gegenüber 2016; AfD (8 Prozent) und FDP (7,1 Prozent) schaffen erneut den Einzug ins Parlament. Dadurch wird Berlin, wie bisher, künftig wahrscheinlich von einem Dreierbündnis regiert werden.

SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey wird sehr wahrscheinlich die Nachfolge des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) antreten, der in den Bundestag wechseln wird. Er führte bisher ein Bündnis mit Grünen und LINKEN. Rechnerisch wäre eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün möglich. Dafür sprachen sich laut Medienberichten auch die Spitzenkandidaten von Grünen und LINKEN aus. Giffey tat dies laut RBB jedoch nicht direkt, sagte am Wahlabend aber, dass es nun „ein klares Votum für SPD und Grüne“ gebe. Die SPD werde im Fall des Wahlsiegs zwar „auch mit allen anderen Parteien sprechen“, aber der Wählerwille sei deutlich. Klar ist aber trotz Giffeys knappem Sieg, dass ihre indirekten strategischen Avancen in Richtung CDU und FDP im Wahlkampf nicht zum vermuteten (stärkeren) Erfolg geführt haben, wie auch die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Montagmorgen im Inforadio des rbb feststellte.

Was der Sieg der SPD in Berlin für Koalitionen und für die Umsetzung des Volksentscheids bedeutet, bleibt noch abzuwarten. Bezüglich des Volksentscheids stehen die Zeichen aber eher ungünstig – hier hat sich Giffey stets klar dagegen positioniert: Sie lehnt die Pläne ab, wie sie vor der Wahl etwa dem Deutschlandfunk erklärte:

„Ich finde wichtig, dass wir klarmachen, dass wir für bezahlbare Mieten stehen, aber nicht eben für einen Weg, der sagt, wir lösen es, indem wir Wohnungen enteignen‘, so Franziska Giffey. Durch Vergesellschaftung würden Milliardenhöhen an Entschädigungssummen fällig, ‘die nicht dazu führen, dass auch nur eine einzige neue Wohnung entsteht’, sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.“

Titelbild: Von Cineberg / shutterstock.com