Europa in die Abhängigkeit des US-Finanzsystems zu treiben: Unbezahlbar

Europa in die Abhängigkeit des US-Finanzsystems zu treiben: Unbezahlbar

Europa in die Abhängigkeit des US-Finanzsystems zu treiben: Unbezahlbar

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Der US-Finanzkonzern Mastercard stellt sein Produkt „Maestro“ im nächsten Jahr ein – die Brisanz dieser Meldung dürfte den allermeisten Lesern nicht bewusst sein. Hinter den Kulissen haben die US-Finanzgiganten Mastercard und Visa schon länger zum Angriff auf die bargeldlosen Bezahlsysteme geblasen, die in Europa und insbesondere in Deutschland noch weitestgehend unabhängig existieren. Das dürfte sich bald ändern und die Folgen wären verheerend. Schon in wenigen Jahren könnte das US-Finanzsystem bei jedem bargeldlosen Einkauf eine Art „zweite Umsatzsteuer“ abschöpfen und würde zudem die Macht über die dazugehörigen Daten haben. Wenn die EU digital souverän werden will, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, aktiv zu werden. Morgen könnte es schon zu spät sein. Von Jens Berger.

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Wir alle benutzen unsere Geldkarten. Zum Abheben von Bargeld am Automaten und oft auch zum Bezahlen im In- und im Ausland. Wie dabei hinter den Kulissen abgerechnet wird, interessiert uns in der Regel nicht. Das ist verständlich, sind die finanztechnischen Zusammenhänge doch recht komplex. Um die Brisanz des Themas zu verstehen, ist jedoch ein kleiner Einstieg in das Thema unumgänglich.

Auch wenn die weitverbreitete EC-Karte, um die es hier geht, oft noch umgangssprachlich als Eurocheque-Karte bezeichnet wird, gibt es Eurocheque-Karten bereits seit fast 20 Jahren nicht mehr. Der Begriff „EC“ ist heute markenrechtlich geschützt und gehört dem Finanzkonzern Mastercard. Dessen Dienstleistungen sind auch auf den meisten EC-Karten implementiert, spielen in Deutschland selbst jedoch kaum eine Rolle. Unsere „EC-Karte“ ist eine sogenannte Debit-Karte – das heißt vereinfacht ausgedrückt, dass beim Bezahlen nicht wie bei einer echten Kreditkarte ein Kredit gewährt und nebenbei Geld geschöpft wird, sondern dass bei der Benutzung in einem Geschäft eine elektronische Lastschrift vom Konto des Käufers auf das Konto des Verkäufers vorgenommen wird. Die Dienstleister im Umfeld sorgen lediglich dafür, dass die Gültigkeit der Karte und die Deckung des damit verbundenen Kontos überprüft und die Lastschrift dann gebucht wird. In Deutschland wird dies bei den Debitkarten der deutschen Banken in der Regel über das Girocard-System erledigt. Beim Geldautomaten kommt das Electronic Cash System zum Einsatz, das sich zwar auch EC abkürzt, aber nichts mit der gleichlautenden Marke von Mastercard zu tun hat.

Electronic Cash und Girocard sind Produkte, die von einem Zusammenschluss der deutschen Banken betrieben werden. Das Girocard-System ist in Deutschland dabei der unangefochtene Marktführer und kommt bei fast allen Bezahlvorgängen zum Einsatz. Dieses Verfahren hat viele Vorteile – die Gebühren sind niedrig, die Akzeptanz im Land ist groß und die Daten fließen nicht in die USA. Ein Nachteil ist, dass das Girocard-System für den stationären Gebrauch entwickelt wurde und daher beim Onlinehandel in der jetzigen Form nicht einsetzbar ist. Doch da dieses System ein rein deutsches Abrechnungssystem sind, hat es einen weiteren gravierenden Nachteil: Im Ausland lassen sich reine Girocard-Karten nicht benutzen. Daher haben die ausgebenden Banken fast allen EC-Karten eine Zusatzfunktion der beiden Finanzgiganten Mastercard und Visa spendiert – und die heißen Maestro (Mastercard) und v-pay (Visa) und sind für den Kunden eigentlich nur an den entsprechenden Symbolen auf der Karte erkennbar. Maestro ist auf den meisten Karten der Sparkassen implementiert, während die Volksbanken meist auf v-pay setzen. Diese beiden Funktionen kommen jedoch im Inland nur selten zum Einsatz. Wenn Sie aber im Ausland ihre EC-Karte am Automaten oder in einem Geschäft benutzen, wird die Abrechnung ganz automatisch über eines dieser beiden Systeme abgewickelt. Manchmal verlangen die Banken oder Geschäfte dafür Gebühren, oft sind diese Gebühren aber auch ganz einfach bereits auf die Preise umgelegt, so dass sie im Endeffekt alle Kunden, egal wie sie bezahlen, querfinanzieren.

Und diese Gebühren sind nicht gering. Für den Geschäftsbetreiber fallen hier je nach Kondition zwischen 0,3% und 3,0% an. Das heißt, wenn sie 100 Euro bezahlen, fließen dabei zwischen 30 Cent und drei Euro an Gebühren an den Finanzsektor ab. Das ist extrem viel, kostet die reine Überweisung den Dienstleister doch nur ein bis zwei Cent. Im Vergleich zu anderen Abwicklungsmethoden ist das jedoch sogar noch günstig. Wenn Sie nämlich nicht mit Maestro oder v-pay, sondern mit den „großen“ Produkten dieser Finanzkonzerne, also der Mastercard oder der Visa-Karte bezahlen, fallen zwischen 0,8% und 5,0% des Preises als Gebühren an. Sowohl die Mastercard als auch die Visa-Karte gibt es dabei sowohl als Debitkarten, bei denen die Lastschrift zeitnah vorgenommen wird, als auch als „echte“ Kreditkarten, bei denen technisch dem Kunden ein „revolvierender Kredit“ gewährt wird, der zu einem vereinbarten Datum wieder zurückgezahlt werden muss. Vor allem Letzteres lassen sich die Finanzkonzerne fürstlich bezahlen. Aus ökonomischer Sicht ist es also verständlich, dass die Kunden von den „preiswerten“ Debit- in teure Kreditprodukte getrieben werden sollen und noch verständlicher ist es, dass man es auf dem europäischen Markt darauf abgesehen hat, noch preiswertere Produkte wie die deutsche Girocard aus dem Markt zu drängen.

Vor diesem Hintergrund ist die Einstellung von Maestro strategisch schlau. Es wird in Fachkreisen davon ausgegangen, dass auch Visa diesem Schritt folgen wird und sein v-pay ebenfalls demnächst einstellt. Wenn deutsche Banken diese beiden Produkte nicht mehr anbieten können, wird das konkrete Folgen für die Kunden haben. Um die Nutzbarkeit der EC-Karte im Ausland zu gewährleisten, müssten die deutschen Banken entweder die Debitkarten-Funktionalität von Mastercard oder Visa parallel zur Girocard-Funktionalität implementieren – doch das ist technisch sehr aufwändig und von Mastercard und Visa auch nicht wirklich erwünscht. Die wahrscheinlichere Alternative wäre es, die EC-Karten gar nicht mehr als Girocard, sondern komplett als Debitkarte von Mastercard oder Visa auszugeben. Einige Direktbanken, die von Mastercard dafür Sonderkonditionen bekommen haben, sind diesen Weg bereits gegangen.

Wenn Mastercard und Visa als Monopolisten die Girocard erst einmal verdrängt haben, fließt nicht nur bei jeder einzelnen Transaktion ein Teil des Umsatzes als eine Art „zweite Umsatzsteuer“ in die USA, sondern sie haben dann auch die Marktmacht, ihre Gebühren neu aufzustellen und Konditionen durchzusetzen, die nur Monopolisten durchsetzen können. Deutschland und letztlich die gesamte EU wären dann bei der bargeldlosen Bezahlung mit Karte voll und ganz abhängig von zwei US-Konzernen. Mastercard und Visa hätten dann auch auf diesem Sektor ein marktbeherrschendes Monopol und könnten ihre Regeln durchsetzen, ohne dass die EU ernsthaft etwas dagegen unternehmen könnte. Oder will die EU-Kommission ihren Bürgern erklären, dass diese von morgen an nicht mehr mit ihren EC-Karten bezahlen können?

Unter diese Regeln fällt auch der Datenschutz. Sämtliche Transaktionsdaten würden dann in die USA abfließen und der gesamte Datenschutz der EU wäre ein stumpfes Schwert. Sowohl Mastercard als auch Visa sind US-Unternehmen, die der US-Politik Folge leisten. Was das konkret heißt, konnte man zum Beispiel beim Kampf der USA gegen Wikileaks und Julian Assange beobachten – damals hatte Visa Wikileaks auf Anweisungen der US-Regierung ganz einfach vom Zahlungsverkehr abgeschnitten.

Wenn Ursula von der Leyen über Europa spricht, skizziert sie immer wieder die „digitale Souveränität“ Europas als eines ihrer Kernprojekte. Sich beim bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht in die totale Abhängigkeit zweier US-Finanzkonzerne zu begeben, ist geradezu ein Musterbeispiel für digitale Souveränität. Doch zur Abwehr der drohenden Marktübernahme des gesamten Sektors durch Mastercard und Visa gibt es in Brüssel keinen Masterplan.

Dabei ist es nicht so, dass dieses Problem in Europa ignoriert wird. Erst im letzten Sommer gründeten 16 europäische Großbanken mit der „European Payments Initiative“ (EPI) ein Projekt, dass ganz direkt als europäische Konkurrenz zu den Debitkarten-Systemen von Mastercard und Visa aufgestellt werden soll. Dieses Projekt wird auch von der EZB und der Europäischen Kommission unterstützt. Es ist jedoch zurzeit nur ein Plan, der weit davon entfernt ist, konkret umgesetzt zu werden. Dies im Hinterkopf überrascht der Zeitpunkt der Einstellung von Maestro nicht. Mastercard setzt darauf, dass die EPI bis zum Auslaufen von Maestro kein konkurrenzfähiges System entwickelt und umgesetzt haben wird. Dann hätten die Banken kaum eine sinnvolle Alternative zur Debitkarte von Mastercard oder dem Konkurrenzprodukt von Visa.

Die Uhr tickt und ohne eine europäische Großanstrengung spielt die Zeit den US-Finanzgiganten in die Hände. Die EU müsste EPI nun höchste Priorität einräumen und mit geballter Energie und Macht verwirklichen. Doch davon ist leider nicht auszugehen. Das gesamte Thema führt ein Schattendasein und auch auf nationaler Ebene gibt es offenbar noch nicht einmal das nötige Problembewusstsein.

Dabei muss erwähnt werden, dass auch EPI eine zwar realistisch umsetzbare, aber alles andere als wünschenswerte Entwicklung darstellt. Es wäre gewissermaßen das kleinere von zwei Übeln. Die Vorteile wären, dass das Geld und die Daten in Europa bleiben und europäische Gesetze die Rahmenbedingungen bilden würden. Der Umstand, dass der Finanzsektor eine „zweite Umsatzsteuer“ erhebt und bei jeder Transaktion seinen „Zehnt“ einbehält, bleibt jedoch auch bei EPI gegeben – nur dass hier die EU-Banken abkassieren dürfen und nicht die US-Banken.

Dabei hat die EZB sogar bereits ein Abrechnungssystem in Entwicklung, das zumindest theoretisch eine echte Revolution sein könnte. Das TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) ist eine Schnittstelle, über die eine „echte“ Überweisung binnen maximal fünf Sekunden durchgeführt werden kann. Und dies zu einer Transaktionsgebühr von 0,2 Cent pro Überweisung. Würde man diese Funktion in eine Debitkarte implementieren, könnte man in der gesamten EU als Kunde am Tresen (oder online) in Echtzeit mit einer Karte den fälligen Betrag auf das Konto des Anbieters überweisen. Es gibt kein Kreditrisiko, Dienstleister wie Visa oder Mastercard werden schlicht nicht mehr benötigt. Theoretisch braucht es dafür noch nicht einmal die Banken, da eine TIPS-Transaktion auch über eine Smartphone-App abgewickelt werden könnte. Man braucht jedoch nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass diese Vorteile für den Finanzsektor eher Nachteile sind. Daher wird diese Revolution wohl ausbleiben.

Titelbild: Ralf Liebhold/shutterstock.com

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