Die Hochrüstung der Welt – das Erbe von 16 Jahren Merkel

Die Hochrüstung der Welt – das Erbe von 16 Jahren Merkel

Die Hochrüstung der Welt – das Erbe von 16 Jahren Merkel

Jakob Reimann
Ein Artikel von Jakob Reimann

Die Ära Merkel geht ihrem Ende entgegen. Die Rüstungsexportpolitik der letzten 16 Jahre ist verheerend: Angela Merkel verkaufte Waffen im Wert von über 92 Milliarden Euro an 165 Länder der Welt (von 193 anerkannten). Diese Länder stellen über 98 Prozent der Weltbevölkerung. Die Hälfte aller Genehmigungen ging an sogenannte Drittländer, an die Verkäufe eigentlich tabu sein sollten; darunter viele Länder, die mit Waffenembargos belegt sind. Auch schwerstes Kriegsgerät wie Panzer, U-Boote und Kampfjets wurde an Länder auf jedem Kontinent verteilt. Die Hochrüstung der Welt ist das katastrophale Erbe der Merkel-Jahre. Von Jakob Reimann.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Merkel – das Ende einer Ära“ – so oder so ähnlich betitelte Essays werden wir in deutschen Leitartikeln in den nächsten Wochen wohl in Hülle und Fülle präsentiert bekommen. Trotz kritischer Töne werden diese im Grundtenor, so vermute ich, eher Würdigung denn Abrechnung sein. Ich habe kein Interesse an pauschalem Merkel-Bashing, sehe pragmatisch durchaus gute Entscheidungen in ihrer Kanzlerinnenschaft – die im Ganzen geprägt war von Opportunismus statt Überzeugung, von Durchmerkeln statt Visionen für eine lebenswerte Zukunft – und daneben eine Vielzahl katastrophaler, verheerender Politiken. Um eine dieser Verheerungen soll es in dieser Analyse gehen: die Rüstungsexportpolitik der Kanzlerin, um die Hochrüstung der Welt.

An (fast) jedes Land

Jedes Jahr im Juni legt die Bundesregierung ihren Rüstungsexportbericht vor; entsprechend den Vorgaben der EU-Verträge ist jeder Mitgliedsstaat zur Übermittlung von „Informationen über seine Ausfuhren von Militärtechnologie und Militärgütern“ verpflichtet. Das – in typisch „deutscher“ Akribie – vom Bundeswirtschaftsministerium verfasste Dokument enthält eine Fülle an Informationen über den Verkauf von Waffen made in Germany. Ich analysierte die 15 Berichte der Merkel-Jahre – das Ergebnis kann in folgender Grafik zusammengefasst werden.

In 16 Jahren unter Angela Merkel als Kanzlerin wurden Rüstungsexporte im Wert von 92.166.460.000 Euro an 165 Länder genehmigt, über 92 Milliarden also. Da es in der Retrospektive eines Sechzehnjahreszeitraums nur bedingt zweckführend ist, die jeweiligen Geldwerte einfach aufzusummieren, wurden alle Zahlen inflationsbereinigt (was die Diskrepanz dieser Zahl etwa zu Meldungen bei Zeit Online, ZDF oder dem Handelsblatt erklärt, die wiederum von dpa abgeschrieben haben). Kanzlerin Angela Merkel hat also an 165 der gegenwärtig von der UN anerkannten 193 Staaten dieser Welt Waffen verkauft. Hinzu kommen Verkäufe an 17 Territorien, die (teil-)autonom sind oder deren Status völkerrechtlich ungeklärt oder umstritten ist und die in den Berichten der Bundesregierung daher separat aufgeführt werden; dazu zählen etwa Kosovo, Taiwan, die Westsahara, Grönland, Hongkong, die Caymans oder das nur von der Türkei anerkannte Nordzypern.

Werte für einzelne Jahreszahlen zu vergleichen, ist oft wenig zweckführend, da seltenere Großverkäufe in einem konkreten Jahr besonders stark ins Gewicht fallen und langfristige Trends so auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar sind.

Im statistischen Mittel gehen die Verkäufe von 2006 bis 2020 klar nach oben. Aus der berechneten Trendlinie geht hervor, dass über den Zeitraum der Merkel-Ära statistisch jedes Jahr Waffen im Wert von über 100 Millionen Euro mehr exportiert wurden. (In absoluten Zahlen ohne Inflationsbereinigung läge dieser Wert noch deutlich darüber.) Genehmigte Waffenverkäufe an sogenannte Drittländer steigen statistisch gar um 120 Millionen Euro jährlich (Trendlinie nicht eingezeichnet). Diese Länder gehören weder der EU oder der NATO an, noch sind sie, wie etwa die Schweiz, Japan oder Australien, den NATO-Mitgliedern gleichgestellt. Der Anteil an Verkäufen an diese Drittländer lag in mehreren Jahren bei über 60 Prozent und beträgt im Mittel über die Merkel-Jahre 49 Prozent – jede zweite Waffe wurde also an Länder verkauft, die eigentlich tabu sein sollten und an die nur in Ausnahmefällen verkauft werden darf. Lieferungen an diese Länder unterliegen nach deutschem wie EU-Recht strengsten Auflagen, wie die Regierung auch in jedem Bericht ausführlich darlegt. So darf an keine Länder verkauft werden, die Terrorismus unterstützen, mit den Waffen die eigene Bevölkerung unterdrücken, wenn es bewaffnete Konflikte in diesem Land gibt oder wenn auch nur „das Risiko besteht“, dass die Waffen „zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land“ verwendet werden. Ein erneuter Blick auf die Karte spricht all diesen Regeln maximalen Hohn.

Besonders hervorzuheben seien in diesem Geiste des Rechtsbruchs etwa die acht Länder der gegen den Jemen Krieg führenden Saudi-Emirate-Koalition (die allesamt in jedem Kriegsjahr Genehmigungen erhielten), die Philippinen unter dem wahnsinnigen Despoten Duterte (der sich selbst mit Hitler verglich), mehrere Bürgerkriegsländer und zerfallende Staaten in Afrika, Ungarn unter dem rechtsextremen Orban (der in den letzten beiden Jahren gar die Empfängercharts anführte) oder die auf dem halben Globus Krieg führenden USA.

Schweres Kriegsgerät für die Welt

Im Gegensatz etwa zu Gewehren oder auch gepanzerten Fahrzeugen müssen Ausfuhren schwerer Waffensysteme wie Panzer, Kriegsschiffe und Kampfjets jährlich auch an das UN-Waffenregister gemeldet werden und sind daher in den Rüstungsexportberichten gesondert ausgewiesen. In die Merkel-Jahre fallen weit über dreitausend derartiger Ausfuhren, zwei Drittel davon Panzer. Der Kassenschlager ist hier der Leopard-Kampfpanzer, von dem Merkel über 1.700 verkauft hat. Die meisten gingen an Griechenland, gefolgt von der Türkei – das mit diesen später mehrfach illegal die autonomen kurdischen Gebiete in Nordsyrien überfiel und schwere Kriegsverbrechen beging. Doch Berlin belieferte bekanntlich auch die kurdischen Peschmerga im benachbarten Irak mit Milan-Panzerabwehrraketen, sodass in Rojava final deutsche Panzer von deutschen Raketen zerstört wurden: Ein makabrer Treppenwitz der Geschichte, über den wohl nur die gierigen Aktionäre deutscher Rüstungsschmieden lachen dürften.

Griechenland gönnt sich nach den USA und der Türkei die größte Panzerflotte unter allen NATO-Staaten. Der Großteil der über 1.300 Panzer der Hellenischen Kräfte stammt aus deutscher Produktion und das Land verschuldete sich dafür in Milliardenhöhe. Während im Zuge der sogenannten „Griechenland-Krise“ die von Deutschland dominierte Troika Griechenland zwang, seine Gesundheits- und Sozialsysteme beinahe auf Entwicklungslandniveau zu dezimieren und seine öffentliche Infrastruktur – samt Inseln – an ausländische Investoren zu verschachern, müssen die deutschen Panzerrechnungen dennoch auf „Hellas“ und Pfennig beglichen werden. Der Leopard wird von der korrupten Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann gebaut. 2014 kam ans Licht, dass KMW allein für die Griechenland-Verkäufe 26 Millionen Euro Schmiergelder an bestechliche Bürokraten in Athen gezahlt hatte – was Merkel zur, wenigstens unwissenden, Kollaborateurin dieser Korruptionsaffäre macht.

Weiter wurde ans UN-Waffenregister gemeldet, dass die Kanzlerin neben tausenden Panzern über 300 Haubitzen (der Großteil wiederum an Griechenland), 17 Kampfjets, 14 U-Boote (unter anderem an Israel, Ägypten und Kolumbien), über 500 Marschflugkörper (die meisten an Südkorea), Artilleriesysteme (an Frankreich), mehrere Kriegsschiffe sowie 35 Kampfhubschrauber (die meisten an den Irak) verkaufte und so schweres Kriegsgerät über den gesamten Globus verteilte.

In jedem Exportbericht sind auch all jene Länder aufgelistet, die im Berichtszeitraum internationalen Waffenembargos unterliegen. So ist Russland bekanntlich seit 2014 mit einem Rüstungsembargo belegt, was die Kanzlerin jedoch nicht davon abhielt, hunderte Anträge für Gewehre, Pistolen und Satellitentechnik zu genehmigen. Analoges gilt etwa für Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Bosnien und Herzegowina, China, Irak, Kongo, Libanon, Ruanda, Sierra Leone oder Usbekistan. Alle waren sie zum Zeitpunkt der Genehmigungen mit Waffenembargos belegt – jeder einzelne Verkauf wird damit zu einem Fall für Den Haag.

Die Farce der „restriktiven Rüstungsexportpolitik“

Wollen deutsche Waffen in die Welt verkauft werden, entscheidet darüber der Bundessicherheitsrat – ein im Geheimen tagendes Gremium ohne Kontrolle durch den Bundestag oder auch nur Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament unter Vorsitz der Kanzlerin mit den Ministerinnen und Ministern acht relevanter Häuser (Kanzleramt, Auswärtiges, Verteidigung, Finanzen, Inneres, Justiz, Wirtschaft und Entwicklung) sowie vier beratenden Mitgliedern (interessant: neben dem Generalinspekteur der Bundeswehr ist auch der Chef des Presse- und Informationsamtes mit dabei; schließlich muss Seibert am Ende in der BPK für die Entscheidungen dieses Gremiums seinen Kopf hinhalten).

Neben den 165 Ländern, an die der Sicherheitsrat seit 2006 Rüstungsanfragen im Wert von über 92 Milliarden Euro durchwinkte, verkauften die vier Merkel-Kabinette an lediglich 28 Staaten dieser Welt keine Waffen. Einige dieser Länder (unter anderem Myanmar, Simbabwe, Swasiland, Suriname) beantragten zwar mehrfach deutsches Kriegsgerät, doch wurden sie „Opfer“ der – wie die Bundesregierung mantraartig in jedem ihrer Berichte eloquent und vermeintlich faktenbasiert hervorhebt – „restriktiven Rüstungsexportpolitik“: jene Handvoll Anträge also, die zur Gesichtswahrung dann doch abgelehnt werden. Das sind jedes Jahr ein paar Dutzend Anfragen im Gesamtwert von kleinen, oft einstelligen Millionenbeträgen, denen tausende bewilligter Anträge in Milliardenhöhe gegenüberstehen. In ihren 16 Jahren genehmigte die Kanzlerin insgesamt stolze 210.505 Anträge und lehnte magere 1.321 ab. Den genehmigten Rüstungsgütern im Wert von insgesamt 92 Milliarden Euro stehen nur etwas mehr als 400 Millionen abgelehnter gegenüber – eine Genehmigungsquote von über 99,3 Prozent: Jedes Mal also, wenn die Regierung eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“ herbeifantasiert, lügt sie uns an.

Zu den Ländern, denen Merkel keine Waffen verkaufte, gehören neben Guinea, Kuba, Malawi, Myanmar, Nordkorea und Simbabwe pazifische Inselstaaten wie Nauru, Mikronesien oder Tuvalu, Karibikstaaten wie St. Lucia, Grenada oder Dominica oder auch Gambia, Suriname und Monaco. Diese 28 Länder werden zusammen von 145 Millionen Menschen bewohnt und stellen demnach unter zwei Prozent der Weltbevölkerung. In der Umkehr heißt das: Angela Merkel hat in Länder, die über 98 Prozent der Weltbevölkerung stellen, Waffen verkauft.

Das ist das katastrophale rüstungspolitische Erbe der Ära Merkel: die Überschwemmung der Erde mit Kriegsgerät, die Hochrüstung der Welt, deutsche Waffen in jedem nur erdenklichen Konflikt auf dem Globus.

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