Willy Brandts Entspannungspolitik – einst gestaltet – heute verspielt – künftig überlebensnotwendig

Willy Brandts Entspannungspolitik – einst gestaltet – heute verspielt – künftig überlebensnotwendig

Willy Brandts Entspannungspolitik – einst gestaltet – heute verspielt – künftig überlebensnotwendig

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

In der Evangelischen Landeskirche Baden haben sich einige friedenspolitisch aktive Mitmenschen zu einem Forum FriedensEthik (FFE) zusammengeschlossen. Diese Vereinigung hatte für Samstag, den 6. November 2021, zu einem FFE-Studientag eingeladen. Das Thema der Tagung lautete:Für eine neue Verständigung mit Russland“. Mir war aufgetragen, über Willy Brandts Entspannungspolitik und was daraus geworden ist und heute notwendig wäre, zu sprechen. Den Text dieses Vortrags geben wir hiermit den Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten zur Kenntnis. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Noch eine Vorbemerkung: In der Spannung zwischen zwei von mir verwendeten Abbildungen kommt das Auf und Ab des Umgangs mit anderen Völkern seit 1945 sehr gut zum Ausdruck.

Die Aggression des Kalten Krieges hier:

Und die Politik der Versöhnung und der Zusammenarbeit hier:

Nun aber zum Text der Rede:

Willy Brandts Entspannungspolitik – einst gestaltet – heute verspielt – künftig überlebensnotwendig. Von Albrecht Müller

1950 hatte ich die Aufgabe übernommen, meinen damals 80-jährigen kranken Großvater täglich zu besuchen und ihm ein stärkendes Getränk zuzubereiten. Er war Bauer von Beruf und nie im Krieg, aber er war kriegsbegeistert und zeigte mir deshalb stolz eine Illustrierte mit großen Bildern aus dem Siebziger-Krieg des vorletzten Jahrhunderts. Und er warb dafür, die Deutschen sollten demnächst wieder in den Krieg ziehen. Gegen die Welschen, die Wackes, die Franzosen. Im Ersten Weltkrieg hatte mein Großvater seinen ältesten Sohn verloren. In Frankreich. Aber das hatte bei ihm nicht bewirkt, dem Krieg gegen unseren Nachbarn abzuschwören.

Heute lebe ich 12 km von der französischen Grenze entfernt. Und wenn wir Deutschen nicht gerade wie im vergangenen Jahr vom Wahn der Coronapolitik gepackt werden und die Grenzen zum Elsass schließen, dann leben wir friedlich und in vielem gemeinsam mit Elsässern und anderen Franzosen zusammen. Niemand käme heute auf die Idee, 2 Prozent mehr für Rüstung und die atomare Teilhabe der Bundesrepublik zu verlangen, um gegen Frankreich gut gerüstet zu sein. Aber wir rüsten gegen den anderen großen Nachbarn im Osten auf. Und unsere Noch-Verteidigungsministerin begleitet diese Aufrüstung wie mein Großvater vor 70 Jahren mit martialischen Worten. Man müsse Russland den Einsatz militärischer Mittel androhen – so Kramp-Karrenbauer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 21. Oktober.

Warum verstehen wir uns mit dem einen Volk und gegen das andere rüsten wir auf und zeigen ihm zur Abschreckung unser Waffenarsenal? Warum führen wir überhaupt Kriege? Warum haben wir nicht beherzigt, was gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und danach von vielen wiederholt und uns Kindern quasi eingebläut worden war: Nie wieder Krieg!

Mein Heimatdorf liegt genau zwischen Mannheim und Heilbronn, und auch zwischen Bruchsal und Pforzheim im Südwesten und Würzburg im Nordosten. Den feuerroten Himmel über allen fünf brennenden Städten habe ich als 6-Jähriger nachts gesehen. Unser Bahnhof wurde bombardiert. Nachbarn starben. Und dann kam das ganze Elend der Ausgebombten und der Flüchtlinge, der Kriegerwitwen, der Kriegswaisen und der Kriegsheimkehrer: Anti-Kriegs-Lehrmaterial am laufenden Band.

Nie wieder Krieg – auch der Politiker Gustav Heinemann und mit ihm ein paar andere Politiker wie zum Beispiel Erhard Eppler hatten das beherzigt und gründeten Anfang der Fünfzigerjahre die Gesamtdeutsche Volkspartei, die GVP. Sie wollten auf Wiederbewaffnung und den Beitritt zur NATO verzichten und dafür die deutsche Einheit erreichen. Unrealistisch war das nicht. Aber die Mehrheit der Deutschen war damals schon aufgehetzt gegen die Russen. Wir kennen das CDU-Plakat vom Bundestagswahlkampf 1953 – mit optisch perfekter Hetze, in der Tradition schon lange geübter Hetze gegen das Slawische.

Das Plakat wurde später übrigens auch von der NPD verwendet.

Die Propaganda wurde von Konservativen und ehemaligen Nazis freudig aufgegriffen. Sie verfing. Wir gehörten fortan zu den Guten und verachteten die Slawen, die Russen, und alles, was östlich von uns lag. Die Propaganda war perfekt gemacht. Die GVP hatte bei der Bundestagswahl 1953 auch deshalb keine Chance und blieb weit unter der 5-Prozent-Hürde.

Damit war diese Chance zu einem frühen Friedensschluss auch mit den osteuropäischen Ländern vertan.

Der Kalte Krieg kam richtig auf Touren.

Mitten in der heißen Phase des Kalten Krieges, ausgangs der Fünfzigerjahre, hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, einen kleinen Kreis von Menschen um sich geschart, die vom Kalten Krieg und von der Politik der Stärke und Abschreckung wegwollten. Der spätere Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Grabert, der zu diesem Kreis gehörte, hat mir später einmal davon erzählt.

Von den neuen Überlegungen berichteten Willy Brandt und sein Pressesprecher Egon Bahr im Sommer 1963 auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing. „Wandel durch Annäherung“ hieß die Formel damals. Damit war gemeint, dass man im damaligen Westen eine Veränderung im Osten, also in der DDR, in der Sowjetunion, in Tschechien, in Polen, in Ungarn usw. erreichen wollte und erwartete, wenn die fanatische Konfrontation durch Zusammenarbeit ersetzt würde.

Daraus wurde dann – zunächst vorsichtig beginnend mit der Regierungsbeteiligung der SPD in der Großen Koalition ab 1966 und im Streit mit dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger und der CDU/CSU – die neue Ostpolitik. Das sollte heißen Verständigung, Versöhnung und dann Vertrags-, Entspannungs- und Friedenspolitik. Es ging nicht richtig voran in der damaligen Großen Koalition, aber es kam dann die Bundestagswahl 1969. Sie war entscheidend für den Beginn der Entspannungspolitik. Ich hatte das Glück, ab August 1968 mit dabei zu sein, zunächst als Redenschreiber des Bundeswirtschaftsministers, dann als Mitwirkender bei der Planung des Wahlkampfes 1969 und nach der Wahl verantwortlich für den Wahlkampf 1972.

Der am 21. Oktober 1969 gewählte Bundeskanzler Brandt verkündete im Deutschen Bundestag bei seiner ersten Regierungserklärung am 28.10.1969:

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, …. Im Innern und nach außen.

Gute Nachbarn von allen, nicht nur von Franzosen, auch von den Polen, auch von den Holländern und den Tschechen, und den Russen.

Die neue Ostpolitik wurde ab 1970 in Verträgen mit Moskau, mit Warschau, mit Prag praktisch umgesetzt. In den Verträgen wurde der sogenannte Gewaltverzicht vereinbart.

Dann kamen die neuen Partner 1975 in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der KSZE, zusammen. Daraus wurde später die OSZE.

Es gab immer auch Rückschläge – zum Beispiel die sogenannten SS 20 der Sowjetunion und die Antwort: die Nachrüstung. Aber insgesamt kamen der Dialog und die Zusammenarbeit zwischen West und Ost voran. Diese Politik fand dann 1989 mit dem Mauerfall und 1990 mit der Charta von Paris einen krönenden Abschluss.

Die Präambel der Charta von Paris wäre auch heute noch wegweisend:

„Wir, die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sind in einer Zeit tiefgreifenden Wandels und historischer Erwartungen in Paris zusammengetreten. Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern und Frauen, die Willensstärke der Völker und die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit an.“

Die treibende Kraft der Entspannungspolitik war in Deutschland und in Europa die Sozialdemokratie. Heute kaum zu glauben.

Das Berliner Grundsatzprogramm der SPD von 1989 – wegweisend

Hinzuweisen bleibt noch auf ein wichtiges und vergessen gemachtes Ereignis des Jahres 1989: Die Parteitagsdelegierten der SPD trafen sich am 20. Dezember, also anderthalb Monate nach dem Mauerfall, in Berlin zur Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms, des Berliner Grundsatzprogramms.

Ich war damals Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion und hatte das Vergnügen, mit Egon Bahr zusammen an der Endfassung des Berliner Programm-Entwurfs zu arbeiten. Das betraf auch den sicherheitspolitischen und außenpolitischen Teil.

Viele Zeitgenossinnen und -genossen kennen und wissen nicht, was in diesem Programm steht. Wahrscheinlich ist auch vieles in Ihrem Kreis nicht bekannt. Deshalb zitiere ich einige wichtige Aussagen:

Schon die Überschrift des einschlägigen Kapitels weist den Weg:

III. Frieden in gemeinsamer Sicherheit.

Ich zitiere aus dem Text:

  • Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein; dies gilt erst recht im Zeitalter atomarer, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen.
  • Frieden bedeutet nicht nur das Schweigen der Waffen, Frieden bedeutet auch das Zusammenleben der Völker ohne Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Friedenspolitik umfasst auch Zusammenarbeit der Völker in Fragen der Ökonomie, Ökologie, Kultur und Menschenrechte.

Gemeinsame Sicherheit

  • Ost und West haben den Versuch, Sicherheit gegeneinander zu errüsten, mit immer mehr Unsicherheit bezahlt.

Ein wahres Wort auch für heute.

  • Kein Land in Europa kann heute sicherer sein als der mögliche Gegner. Jeder muss also schon im eigenen Interesse Mitverantwortung übernehmen für die Sicherheit des anderen. Darauf beruht das Prinzip gemeinsamer Sicherheit. Es verlangt, dass jede Seite der anderen Existenzberechtigung und Friedensfähigkeit zubilligt.

Wegweisende Sätze sind das. Und weiter gehts:

  • Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen.

Sie haben richtig gehört: Nicht nur den Warschauer Pakt, auch die NATO soll aufgelöst werden. Das ist jedenfalls das Ziel.

  • Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktion zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.
  • Die Bundeswehr hat ihren Platz im Konzept gemeinsamer Sicherheit. Sie hat ausschließlich der Landesverteidigung zu dienen.
  • Die europäische Gemeinschaft ist ein Baustein einer regional gegliederten Weltgesellschaft. Sie ist eine Chance für den Frieden und die soziale Demokratie. Ganz Europa muss eine Zone des Friedens werden.

Ganz Europa!

Dann heißt es auch noch zu Europa,

  • Die europäische Gemeinschaft soll durch eine gemeinsame Außenpolitik dem Frieden dienen, ihren Völkern in internationalen Beziehungen mehr Gewicht verleihen und der Konfrontation der Weltmächte entgegenwirken. Die historische Perspektive der EG liegt nicht darin, eine eigene Vormachtrolle zu übernehmen. Statt in militärischer Stärke findet sie ihre Identität als weltweit gefragter Partner für Handel und Industrie, für Technik und Wissenschaft, für eine intakte Umwelt und eine dauerhafte Entwicklung der Dritten Welt.

So und ähnlich geht es weiter. Als Sozialdemokrat im Herzen muss man sich schämen, dass die eigene Partei ihre eigenen Erkenntnisse und Willenserklärungen seit 1990 so außer Acht gelassen hat.

Wichtig: vertrauensbildende Maßnahmen

Noch einmal zurück zum Konzept der Ost- und Verständigungspolitik.

Es gab die erwähnten Verträge. Es gab Regeln für den Umgang miteinander:

Wichtig war, sich in die Lage des Partners und früheren Gegners im Osten versetzen zu können.

Wichtig war, immer darauf zu achten, kein Misstrauen zu säen und stattdessen Vertrauen zu bilden. Dafür wurde ein etwas bürokratisches Wort kreiert: „vertrauensbildende Maßnahmen“. Die Praxis entsprach den Vorgaben und Überlegungen, zum Beispiel:

Egon Bahr, der die Verträge im Auftrag der Bundesregierung aushandelte, hatte eine besonders vertrauensvolle Atmosphäre und Zusammenarbeit mit seinem Verhandlungspartner und späteren sowjetischen Botschafter in Bonn, Walentin Falin, aufgebaut.

Bundeskanzler Willy Brandt hat am 7. Dezember 1970 mit dem Kniefall in Warschau ein Vertrauenskapital geschaffen, von dem wir vermutlich bis heute zehren.

Vergleichen Sie diesen Vorgang mal mit dem zuvor gezeigten Plakat der CDU von 1953. Hier wird der Unterschied zwischen der Politik der Abschreckung und Stärke einerseits und der Versöhnungs- und Entspannungspolitik andererseits visuell und markant sichtbar.

1971 erhielt Willy Brandt den Friedensnobelpreis. Das war wiederum eine enorm vertrauensbildende Entscheidung.

Die Spitzenpolitiker wie auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gingen vertrauensvoll und freundschaftlich mit den Partnern im Osten um. Auch mit vielleicht nebensächlichen Gesten des Zusammenlebens:

1970-1972 war ich für die Öffentlichkeitsarbeit und die Wahlkämpfe der SPD verantwortlich. Dazu gehörte auch, Meinungsumfragen zu veranlassen und den Überblick über Meinungsumfragen insgesamt zu behalten. Eines Tages meldete sich in meinem Büro ein Legationsrat der sowjetischen Botschaft mit Namen Abraschkin. Ob er mich mal besuchen könne. Er berichtete mir beim ersten Treffen, dass er bei der Sowjetischen Botschaft dafür verantwortlich sei, periodisch nach Moskau zu melden, wie es um die Meinungslage des deutschen Volkes stünde. Deshalb würde er sich gerne öfter mit mir treffen. Ich willigte ein und informierte ihn dann regelmäßig vom Stand der Meinung des deutschen Volkes, insbesondere darüber, ob unsere Ostpolitik eine Mehrheit hat.

Zur Vertrauensbildung, die ein wichtiges Element der Friedenspolitik war, gehörte damals auch die unkomplizierte Zusammenarbeit mit Medien aus dem Ostblock. Davon will ich auch deshalb berichten, weil heute die Lage so viel anders ist. Die Politikerinnen und Politiker der sozialliberalen Koalition verkehrten nicht nur mit den Offiziellen von der Botschaft, sondern auch mit sowjetischen Journalisten auf völlig normale und menschliche Weise. Es gibt Fotos von Willy Brandt im Wahlkampf-Sonderzug in der Runde deutscher und ausländischer Journalisten, unter anderen mit dem russischen Journalisten Grigoriew.

Zu unserer Volleyball-Mannschaft auf dem Bonner Venusberg gehörten neben deutschen auch sowjetische Journalisten. Heute hingegen werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des russischen Mediums RT Deutsch wie Aussätzige behandelt.

Dabei schwingt mit, was wir in jenen Zeiten erlebt haben, als von Feindsendern die Rede war.

An diesem kleinen Beispiel können Sie sehen, wie weit heruntergekommen wir inzwischen sind.

Heute verspielt“

heißt es mit Recht in dem mir gestellten Thema.

Wie kam es zum Abschied von der Vertragspolitik und Verständigungspolitik gegenüber Russland?

Vorweg die Anmerkung: Es fing nicht mit dem Konflikt in der Ukraine, nicht mit dem Maidan und auch nicht mit der sogenannten Annexion der Krim an. Das war eher schon der Schlusspunkt einer fatalen Fehlentwicklung.

Ja, es ist unglaublich viel an Kapital der Verständigung und der Vertrauensbildung verspielt worden. Wie das geschehen ist, will ich jetzt berichten:

Stellen Sie sich vor, Sie seien der Chef eines Rüstungsbetriebs und würden verfolgen, wie die Strategie der Abschreckung durch die gegenseitige Erklärung ehemaliger Feinde auf Gewaltverzicht abgelöst wird. Sie hätten diese Politik als geschäftsschädigend betrachtet.

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein US-amerikanischer Stratege vom Kaliber Zbigniew Brzeziński und hätten gerade ein Buch in Arbeit, in dem Sie eine Strategie der Vorherrschaft für die aus Ihrer Sicht einzige Weltmacht, die USA, entwickelt. Dann wäre klar, dass Russland aus Europa hinauskomplimentiert werden muss und keine Weltmacht bleiben darf.

Stellen Sie sich vor, Sie seien Pole oder Balte aus dem dortigen eher konservativen bis rechten Lager und Sie seien der Meinung, Ihr Volk hätte noch ein paar Rechnungen mit den Russen offen. Dann würden Sie die Entspannungspolitik so schnell wie möglich loswerden wollen.

Stellen Sie sich vor, Sie seien bei der NATO in Brüssel tätig oder auch nur Teil einer der NATO-Streitkräfte und ihr beruflicher Aufstieg sei sowohl mit der Existenz als auch der weiteren Ausdehnung der NATO verbunden, dann würden Sie selbstverständlich gegen die Auflösung der NATO Front machen und Sie würden sogar dafür eintreten, dass ihr Operationsbereich nach Osten ausgedehnt wird. Und Sie würden außerdem dafür eintreten, dass die Bundeswehr und die NATO insgesamt ihren Operationsbereich weltweit ausdehnen und Auslandseinsätze zur Gewohnheit werden.

Stellen Sie sich vor, Sie würden zu einem neokonservativen Thinktank des Westens, zum Beispiel zu Stratfor von George Friedman, gehören und seien wie Ihre Kolleginnen und Kollegen überzeugt davon, dass unsere Demokratie wunderbar ist und dass wir die Aufgabe hätten, überall auf der Welt durch Regime Change dafür zu sorgen, dass Ihre Ideologie zum Durchbruch kommt und realisiert wird. Dann käme auch Russland auf die Tagesordnung. Es ist ja oft unausgesprochen so, dass westliche Kreise meinen, nicht nur in Syrien oder Libyen oder im Irak sei ein Regime Change notwendig, auch in Russland!

Stellen Sie sich vor, Sie würden die Erfahrung gemacht haben (wie einige in Ihrem Umfeld), dass man sein Einkommen und Vermögen dann besonders schnell und effektiv vermehren kann, wenn man auf das Vermögen anderer zugreifen kann. Dann würden Sie in Russland eine überaus attraktive Ansammlung von Vermögenswerten, von Rohstoffen und Ländereien sehen. Und dann würden Sie es gerne so einrichten, wie das im Ansatz zu Zeiten des Präsidenten Jelzin in den neunziger Jahren war: Da haben westliche Regierungen und westliche Kreise und westliche Konzerne in Russland zugegriffen, zusammen mit den dortigen Oligarchen und Ausbeutern. Das Russland Jelzins war zwar ein bisschen chaotisch, aber sehr hilfreich für die eigene Vermögensmehrung. Und angesichts dieser in jeder Hinsicht lukrativen Jelzin-Zeit muss Putin als ein Typ betrachtet werden, den man schnellstens loswerden muss. Ein Weg zu diesem Ziel ist die Agitation. Deshalb nennen sie Putin gerne einen Machthaber, einen Autokraten und – in der Steigerungsform – einen Diktator.

Sie finden übrigens zu den Verhältnissen in der Jelzin-Zeit gute Informationen in Naomi Kleins großem Buch: Schock-Strategie.

Es gab einige markante Stationen der Wiederbelebung der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland.

Auf einige will ich hinweisen:

  • Helmut Kohl, der hierzulande auch nach dem Fall der Mauer und geistig auf der Basis der Charta von Paris bis 1998 regierte, kam nach Auskunft seines Parteifreundes und Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) oft aufgewühlt von Besuchen aus den USA zurück. Er hat dort feststellen müssen, dass die Regierenden in den USA sich schon bald nach 1990 von den Bekenntnissen der Zusammenarbeit und der friedlichen Koexistenz absetzten.
  • Nato-Osterweiterung. Das war 1990 nicht vorgesehen. 1997 wurde Polen, Tschechien und Ungarn der Beitritt angeboten. Danach weiteren. Heute gehören nahezu alle Staaten an der Grenze zu Russland der NATO an.
  • Die seit 1997 vollzogene NATO-Osterweiterung entspricht nicht dem Geist der Übereinkunft von 1990 und der Charta von Paris. Russland muss es so empfinden, dass die Ausdehnung der NATO gegen Russland gerichtet ist. Dafür spricht auch folgender Vorgang:
  • Vom 28. bis zum 30. April 2000 fand in Bratislava eine vom State Department und dem American Enterprise Institute arrangierte und getragene Konferenz statt. Sie diente erkennbar dem Versuch, Russland aus Europa hinauszudrängen. Willy Wimmer hat dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 2.5.2000 einen Brief geschrieben und darin die Beschlüsse dieser Konferenz festgehalten. Siehe dazu wikipedia.org/wiki/Bratislava-Konferenz. In Ziffer 7 heißt es:

    „Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.“

    Gemeint ist damit eine Linie von Finnland bis zum Schwarzen Meer. Links, also westlich dieser Linie, leben die Guten, rechts die Bösen.

    Im weiteren Verlauf ist dann auch praktisch im Geist von Bratislava verfahren worden: In den Ländern an der Grenze zu Russland werden NATO-Manöver abgehalten, dorthin wird schweres Kriegsmaterial transportiert und wieder zurück. Flugzeuge werden in die Nähe der russischen Grenze verlagert. Russland wird in vielfältiger Weise als Feind betrachtet.

  • Eine beachtliche Rolle spielte auch der im März 1999 begonnene Kosovo-Krieg. Dieser galt einem Freund Russlands, Rest-Jugoslawien. Insbesondere sollte aber damit eine Bresche für die Erweiterung des Einsatzgebietes der NATO und auch der Bundeswehr geschlagen werden. In dem erwähnten Papier der Konferenz von Bratislava gibt es auch dazu einen unmissverständlichen Text, die Nummer 6:

    „Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpretation der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.“

  • Es ging dann weiter mit dem Versuch, die Ukraine in die EU einzubinden und der NATO anzunähern. Die USA investierten in der Ukraine 5 Milliarden $ – 5 Milliarden, nicht 5 Millionen – für den Aufbau von NGOs, für Propaganda und Wühlarbeit. Alles gegen Russland – so musste man es aus Moskauer Sicht sehen.

Die Abkehr von der Entspannungspolitik und die Hinwendung zu einer neuen Politik der Konfrontation mit Russland ist von den Treibern dieser Entwicklung bei 2 wichtigen Pfeilern unserer politischen Willensbildung abgesichert worden:

  1. Bei den Parteien, die Träger der Entspannungspolitik waren
  2. Bei den Medien

In der SPD, also bei der Initiatorin der Entspannungspolitik, finden Sie nicht mehr viel vom Geist eines Willy Brandt. Er wird zwar ständig gefeiert und wer etwas auf sich hält, lässt sich gerne mit dem Brandt-Monument im Willy-Brandt-Haus ablichten, aber die entscheidenden Akteure, vielleicht mit der Ausnahme des Fraktionsvorsitzenden Mützenich, sind anders unterwegs.

Das gilt mindestens genauso für die Bündnis-Grünen. Die kommen zwar von der Friedensbewegung. Aber sie sind offenbar nachhaltig von den Realos und Atlantikern unterwandert. Fücks, Joschka Fischer, Baerbock, Özdemir, Göring-Eckardt – den Geist der Friedenspolitik muss man mit der Lupe suchen. Die Spitzenkandidatin Baerbock wurde offensichtlich von Atlantikern ausgeguckt. Auf Substanz kam es dabei offensichtlich nicht an, Hauptsache gegen Russland.

Bei den Medien ist die entspannungsfeindliche Linie offensichtlich systematisch verankert worden. Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung – allesamt Medien, die mit der Entspannungspolitik der sechziger und siebziger Jahre eng verwoben waren, wurden gekippt. Die „Anstalt des ZDF“ brachte am 29.4.2014 ein exzellentes Stück – ein Tafel-Stück mit der Zuordnung bedeutender deutscher Journalisten zu atlantischen Interessen. Transatlantische Swingerclubs, wie Max Uthoff meinte. Hier ist der einschlägige Ausschnitt: youtube.com/watch?v=1LONPFtP1GY

Die Verantwortlichen in Russland haben den Aufbau der neuen Front an ihrer Westgrenze erstaunlich lange nicht wahrgenommen oder nicht ernst genommen. Dazu nur ein Indiz von vielen:

Präsident Putin hat noch am 25. September 2001, also ein Jahr und 5 Monate nach der Konferenz in Bratislava, im Deutschen Bundestag eine insgesamt freundliche Rede gehalten. Er hat eine Zusammenarbeit in einer die Kontinente übergreifenden Völkergemeinschaft, von Lissabon bis Wladiwostok, angeboten und dafür geworben. Das war erstaunlich, denn auch dem russischen Präsidenten musste zu diesem Zeitpunkt bekannt sein, wes’ Geistes Kind die Akteure im Westen sind. Sie setzten nicht mehr auf Kooperation, sondern auf Konfrontation, auf Abschreckung und Politik der Stärke, und ganz deutlich auf den Ausschluss Russlands aus der Gemeinschaft Europas.

Die damals in Deutschland verantwortlichen Politikerinnen und Politiker haben diesen Abschied von der entspannungspolitischen Linie vermutlich nicht aus innerer Überzeugung vertreten, sondern auf Geheiß des großen Verbündeten im Westen. Und es war ihnen offensichtlich peinlich, dass sie mehr wussten als Putin. Zum Beleg verweise ich auf eine Aufnahme eines Teils der Regierungsbank während der erwähnten Passage in der Rede von Putin am 25.9.2001:

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer und der Innenminister Schily und auch die Justizministerin Herta Däubler-Gmelin brachten mit ihrer Körpersprache deutlich zum Ausdruck, was sie von dem Angebot des russischen Präsidenten halten: nichts, weil die USA untersagt hatten, darauf einzugehen.

Wahrscheinlich ist die Fehleinschätzung der Lage durch die Verantwortlichen Russlands auch ein Grund dafür, dass sie später umso enttäuschter waren. Das war dann zum Beispiel erkennbar in Putins Rede auf der Sicherheitskonferenz in München im Jahre 2007. Die Russen hatten die Hand ausgestreckt und diese war zurückgeschlagen worden. Jetzt gilt nicht mehr das Projekt „Gemeinsame Sicherheit“. Jetzt gilt Abschreckung und Politik der Stärke und das Denken im Freund-Feind-Schema.

Da ich auf ein langes Leben zurückblicke und obendrein früh politisch und vor allem friedenspolitisch interessiert war, habe ich das ganze Auf und Ab und Auf und Ab auch persönlich so erlebt. Und oft wundere ich mich heute über markante Wiederholungen. Zum Beispiel über die Vorstellung und den moralischen Niedergang einer Verteidigungsministerin aus dem Saarland. Frau Kramp-Karrenbauer redet als gewesene Verteidigungsministerin so wie ihre Vorläufer von der Jungen Union und dem RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie vermag wahrscheinlich auch gar nicht anders zu denken als in Kategorien von Freund und Feind, von Abschreckung und Politik der Stärke und der Drohung mit militärischer Gewalt.

Eine neue Entspannungspolitik ist dringend notwendig. Sie ist überlebensnotwendig, wie es im Thema heißt.

Sie ist notwendig, weil es ohne neue Verständigung und ohne einen Abbau der Spannungen und der gegenseitigen Rüstungen ausgesprochen gefährlich werden kann.

Die Kriegsgefahr ist größer geworden. Das will ich an 9 Punkten, an 9 Risiken für den Frieden, sichtbar machen:

  1. Der erste ist die erwähnte Feststellung, dass die Werbung für den militärischen Einsatz, dass Kriegstreiberei wieder hoffähig geworden ist. Kriege zu führen, wird als selbstverständlicher Teil der Politik betrachtet.
  2. Es gibt unter den Menschen geringeren Widerstand gegen Kriege. Das hat viel damit zu tun, dass die meisten heute lebenden Menschen keine unmittelbare Kriegserfahrung mehr haben, nicht mehr haben können. Damit schwindet auch die Angst und die Sorge, es könnte zu einem Krieg kommen. Kriege werden ja auch tatsächlich geführt.
  3. Die Regime-Change-Absichten der USA und einiger Gefolgsleute sind höchst gefährlich, gerade wenn sie wie im Falle der Ukraine ein Land in der Nähe Russlands betreffen, oder Russland selbst.
  4. Die sogenannte Annexion der Krim oder – wie Russland sagt – die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation und die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine können zu Kriegen führen. Die Ukraine will die Krim zurückhaben und rüstet auf. Russland will sich darauf nicht einlassen. Eine immer wiederkehrende Gelegenheit zur militärischen Aggression.
  5. Im heutigen Ost-West-Konflikt gibt es viele verschiedene Akteure und es gibt viele Gelegenheiten und Möglichkeiten, an denen sich militärische Konflikte entzünden können. Die baltischen Staaten, die Ukraine, die Balkanstaaten, die Rüstungswirtschaft bei uns, in den USA, in Großbritannien, irgendwelche rechts-konservativ denkenden Funktionäre – sie alle können zündeln und die Ursache von kleinen und größer werdenden Konflikten werden. Im Oktober 2021 konnten wir übrigens beispielhaft beobachten, wie Konflikte hochgeschaukelt werden: die NATO verlangt, dass acht russische Mitarbeiter der russischen Botschaft bei der NATO das Land verlassen, Russland schließt daraufhin seine NATO-Botschaft, Kramp-Karrenbauer macht ihre erwähnte feindselige Bemerkung, der deutsche Militärattache wird in Moskau einbestellt usw.
  6. Es gibt russische Minderheiten in mehreren möglichen Konfliktregionen. Wenn unter diesen ein Blutbad angerichtet wird, dann steht der Krieg vor der Tür.
  7. Ein möglicher Konflikt der USA und seiner Verbündeten in Ostasien kann auch der Zünder für einen Konflikt bei uns in Europa sein. Damit sind wir eng verwoben mit allem, was sich zwischen USA und China und zwischen USA und Formosa und China abspielt.
  8. So wie wir erfolgreich darauf setzen konnten, dass die Strategie des „Wandels durch Annäherung“ dazu führen könnte und wird, dass sich in Russland, in der Sowjetunion und im Warschauer Pakt Kräfte durchsetzen, die Konflikte friedlich lösen wollen und auf gemeinsame Sicherheit in Europa setzen, so kann umgekehrt die neue Konfrontation zu inneren Veränderungen in Russland führen, die uns dem heißen Konflikt näherbringen. Das wäre dann „Schlimmer Wandel durch Konfrontation“.

    Ich muss mich oft verteidigen, weil ich in Putin anders als die Mehrheit der Beobachter und der Agitatoren im Westen nicht das Per-se-Schlechte sehe. Ich frage mich voller Sorge, was und wer danach kommt. Woher wissen wir, woher wissen die streitbaren Agitatoren des Westens, dass Friedlicheres, Besseres, Kooperationbereiteres nachkommt? Und: Glaubt hier jemand, dass der Westen sicher sein kann, bei einem personellen Wechsel einen vernünftigeren Außenminister präsentiert zu bekommen, als der jetzige Außenminister Lawrow das ist? Ich habe den Eindruck, dass hierzulande und im gesamten Westen Spielernaturen unterwegs sind.

  9. Europa, genauer gesagt die Europäische Union und ihre Organe und Einrichtungen, und einzelne Länder können, mehr als wir bisher gedacht haben, zur Ursache und zum Katalysator kriegerischer Konflikte werden. Diese Feststellung mag Sie irritieren. Aber beachten Sie bitte zwei Vorgänge, auf die ich hinweisen will und muss:

    Erster Vorgang: Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron hatten im Juni 2021 ein EU-Gipfeltreffen mit Putin vorgeschlagen – als Beitrag zur Entspannungspolitik sozusagen. Zur Reaktion zitiere ich der Einfachheit halber die FAZ vom 24. Juni 2021 https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/balten-entsetzt-ueber-merkels-vorstoss-fuer-gipfel-mit-putin-17406020.html:

    Soll die Europäische Union ein Gipfeltreffen mit Wladimir Putin abhalten? Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen das. Sie haben damit am Donnerstag erheblichen Wirbel beim Europäischen Rat verursacht. Denn ihr Vorschlag landete erst in letzter Minute auf dem Tisch der Regierungschefs, und er legte sogleich die Bruchlinien in Europa offen, wenn es um Russland geht: im Westen viel Unterstützung, im Osten helles Entsetzen.

    Die osteuropäischen EU-Mitglieder haben diesen Vorstoß abgeblockt. In der EU sind Mehrheiten sichtbar, die sich gegen Freundschaft mit Russland wenden.

    Das wurde in einer berichtenden Sendung des ZDF noch einmal besonders deutlich. Merkels und Macrons Initiative wurde in Brüssel quasi auf den Kopf gestellt. Ich zitiere das ZDF:

    EU-Gipfel in Brüssel-

    Härterer Kurs gegenüber Russland beschlossen

    25.06.2021 05:30 Uhr

    Mit der Androhung neuer Wirtschaftssanktionen will die EU ihre Gangart gegenüber Russland verschärfen. Merkels Vorschlag für Spitzentreffen mit Putin erbrachte keine Einigung.

    Der zweite Vorgang: Die neue Feindseligkeit statt neuer Entspannung zeigte sich dann kurze Zeit später noch in einem Beschluss des Europäischen Parlaments. Dort wurde Mitte September 2021 beschlossen – ich zitiere Teile einer Pressemitteilung des Europäischen Parlaments:

    Abgeordnete fordern neue EU-Strategie zur Förderung der Demokratie in Russland

    • Die EU muss zwischen dem russischen Volk und dem russischen Regime unterscheiden
    • Zusammenarbeit mit Partnerländern und der Zivilgesellschaft intensivieren, um pro-demokratische Tendenzen in Russland zu stärken
    • Nötigenfalls Sanktionen verhängen, Ströme „schmutzigen Geldes“ aufdecken und Menschenrechtsaktivisten unterstützen

    Und weiter heißt es in der offiziellen Pressemitteilung des Europäischen Parlaments:

    Die EU soll sich gegen die aggressive Politik des Kremls wehren und gleichzeitig den Grundstein für eine Zusammenarbeit mit einem künftigen demokratischen Russland legen.

    Bei der Bewertung des Stands der Beziehungen zwischen der EU und Russland macht das Europäische Parlament deutlich, dass es „zwischen dem russischen Volk und dem russischen Regime von Präsident Putin als stagnierende autoritäre Kleptokratie, angeführt von einem Präsidenten auf Lebenszeit, umgeben von einem Kreis von Oligarchen unterscheidet“.

    Die Abgeordneten betonen jedoch, dass eine demokratische Zukunft für Russland möglich ist und dass der Rat eine EU-Strategie für dieses Szenario annehmen muss, die auch ein „breites Angebot an Anreizen und Bedingungen für die Stärkung von Tendenzen hin zu Freiheit und Demokratie im Inland enthält.“

    Der Text wurde mit 494 Stimmen bei 103 Gegenstimmen und 72 Enthaltungen angenommen.

Daraus muss man wohl schließen: Eine neue Verständigung mit Russland ist zusammen mit der Mehrheit in EU-Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich. Eine bittere Erkenntnis.

Die Mehrheit der EU-Staaten wird nach meinem Eindruck von den USA gesteuert und im Inneren gerade in osteuropäischen Staaten von antirussischen Kräften mitbestimmt. Das sind 2 Probleme, die man gerade bei entspannungspolitischen Überlegungen beachten sollte. Deshalb gibt es gute Gründe, sicherheitspolitisch wichtige Entscheidungen nicht in die Hände der EU zu legen.

Man muss so insgesamt leider feststellen, dass die Europäische Union im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU und der NATO zur Belastung für eine „neue Verständigung mit Russland“ geworden ist.

Mein Fazit: Wenn wir Verständigung und Frieden mit Russland wollen, müssen wir uns aus der Umklammerung und Fremdbestimmung durch westliche, durch US-amerikanische und europäische Partner lösen. Das ist die bittere Wahrheit.

Wir werden auch den USA und der NATO sagen müssen: Wir wollen Freunde sein und bleiben, auch mit ihnen, aber wir wollen künftig keine Waffenbrüder mehr bleiben und sein, wenn es gegen Russland geht und auch nicht gegen China. Wir verständigen uns lieber mit den Russen, als sie zu bekriegen, so wie wir ja auch ausgesprochen gerne in Frieden mit Frankreich, mit den Niederlanden und anderen Partnern und Nachbarn in Europa leben wollen.

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – nach Westen wie nach Osten.