Ohne Einsicht in die Bedeutung der Meinungsmache versteht auch Professor Krugman die Welt nicht mehr.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Paul Krugman ist ein kluger Mann. Wir zitieren ihn oft und meist mit Respekt und Wohlwollen. Gestern erschien in der Frankfurter Rundschau ein Kommentar aus der New York Times der beispielhaft zeigt, wie sich auch kluge Leute erfolglos abmühen, die Welt zu verstehen, wenn sie nicht verinnerlicht haben, welche Bedeutung Meinungsmache für die öffentliche Meinungsbildung und damit für politische Entscheidungen hat. Ich gehe auf diesen Vorgang nicht ein, um Paul Krugman zu kritisieren, sondern um Nachdenkseiten-Lesern und Interessierten an diesem Beispiel sichtbar zu machen, wie erfolgreich man analysieren kann, wenn man Orwells und unseren Denkansatz begriffen hat. Albrecht Müller

Krugman stellt mit Recht für die USA fest, „die Markt-Radikalen haben sich in allem geirrt“. Und er wundert sich darüber, dass sie trotzdem „die Politik stärker als je zuvor dominieren“.
Krugman stellt fest, die Markt-Radikalen hätten auch weltweit so falsch gelegen wie in den USA – und sie hätten auch weltweit kaum Konsequenzen zu spüren bekommen.
Krugman zeigt am Fall des heutigen Schatzkanzlers Großbritanniens, George Osborne, dass dieser noch 2006 Irland als ein leuchtendes Beispiel langfristiger Wirtschaftspolitik gefeiert habe. Er weist darauf hin, dass die Konservativen noch 2010 die irische Sparpolitik als gewaltigen Erfolg bejubelten. Sie war kein Erfolg. „Aber solche Fehler scheinen nicht zu interessieren“, rätselt Krugman.

Er sucht nach verschiedenen Ursachen; aber er kommt nicht auf die Idee zu untersuchen, welche Bedeutung Propaganda und Meinungsmache dafür haben, dass die Markt-Radikalen als erfolgreich gelten, obwohl sie gescheitert sind.
Krugman sucht die Erklärung beispielsweise in den gängigen Lehren der Ökonomie und in der Politik der Anpassung seines Präsidenten Obama. Dieser habe die Rhetorik der Republikaner übernommen.

Das sind durchaus Elemente der Erklärung: die Verstärkung der Propaganda der Neoliberalen und Rechten durch Anpassung der Sprache und durch Entgegenkommen in der Politik haben es diesen erleichtert, trotz Versagens die Politik weiter zu beherrschen.
Aber die eigentlichen Gründe dafür, dass heute die Sanktionen gegen eine falsche Politik ausbleiben, liegen darin begründet, dass es den herrschenden Meinungsführern möglich ist, „aus Mist Marmelade zu machen“. Paul Krugman hätte einfach nur beobachten müssen, wie Angela Merkel das macht. Sie wiederholt unentwegt die gleichen Behauptungen. Sie kennt ihren Orwell, unseren Orwell: wenn man immer wieder das Gleiche sagt und dies von einigen anderen auch sagen lässt, dann wird die Lüge zur Wahrheit. Wolfgang Lieb hat Merkels Tricks in seiner gestrigen Analyse der Neujahrsansprache ausreichend belegt.

Vielleicht sollte Professor Krugman einen des Deutschen mächtigen Assistenten oder Freund bitten, ihm gelegentlich Einsicht in die Nachdenkseiten zu verschaffen oder ihm den einschlägigen Passus aus der „Vorbemerkung des Autors zu unser aller Betroffenheit“ im Buch „Meinungsmache“ zu übersetzen. Dann erspart er sich so manchen mühsamen und zugleich erfolglosen Erklärungsversuch.

Hier das einschlägige Zitat von den Seiten 8 und 9 der „Meinungsmache“. Der letzte Satz dieses Textes vom Juni 2009 betrifft übrigens direkt das Rätselraten des Professor Krugman vom 3. Januar 2011:

„Wie auch immer – ich habe gelernt zu beobachten, welchen Einfluss Meinungsmache und Meinungsbildung auf politische Entscheidungen haben. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen komme ich zu fünf Feststellungen:

Erstens: Meinung macht Politik. Die öffentliche Meinung ist oft maßgeblich für die politischen Entscheidungen.

Zweitens: In vielen Fällen bestimmt allein die veröffentlichte Meinung, also die von den tonangebenden Personen, Gruppen und Medien mehrheitlich vertretene Meinung, die politischen Entscheidungen.

Drittens: Meinung kann man machen. Das wissen auch jene, die zur Durchsetzung ihrer Interessen politische Entscheidungen bestimmen wollen.

Viertens: Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen. Die öffentliche Meinungsbildung ist zum Einfallstor für den politischen Einfluss der neoliberalen Ideologie und der damit verbundenen finanziellen und politischen Interessen geworden. In einer von Medien und Geld geprägten Gesellschaft ist das zum Problem der Mehrheit unseres Volkes geworden, zum Problem des sogenannten Mittelstands und vor allem der Arbeitnehmerschaft und der Gewerkschaften, denn diese Mehrheit und ihre Interessen werden zunehmend kaltgestellt. Das erklärt die breite und wachsende Kluft zwischen den Interessen der Mehrheit und den von oben eingeleiteten politischen Entscheidungen.

Fünftens: Die totale Manipulation ist möglich. Die gleichgerichtete Prägung des Denkens vieler Menschen ist möglich. George Orwell schrieb in seinem Roman »1984«:
»Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.«

Wenn Sie diese Beobachtung von George Orwell gelegentlich zu Rate ziehen, werden Sie vieles, was um uns herum vorgeht, um vieles besser verstehen, als wenn Sie nach objektiven, in der Sache liegenden Erklärungen von für Sie rätselhaften Vorgängen suchen. Diese Mühe ist in der Regel nämlich müßig, denn das, was wir täglich hören und sehen und was uns als demokratisch gesonnene Staatsbürger häufig das Leben so schwer macht, sind in Wahrheit Mythen, Legenden und Lügen. Sie bestimmen in weitem Maß die öffentliche Debatte und damit auch die politischen Entscheidungen, die sich massiv auf unsere konkrete Lebenssituation am Arbeitsplatz, bei der sozialen Absicherung oder im Alter auswirken. Sie berühren und betreffen ganz unmittelbar unseren Alltag. Wenn Sie die Wirkung perfekter Meinungsmache durchschauen, dann werden Sie auch verstehen, dass wir als Steuerzahler so lautlos die Wettschulden derer bezahlen, die sich auf den internationalen Finanzmärkten verspekuliert haben und das Casino so weiterbetreiben, als wäre nichts geschehen.“

Fazit:

Wenn man die Rolle der Meinungsmache nicht zur Erklärung von öffentlicher Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einbezieht, dann wird man heute viele politische Entscheidungen nicht mehr erklären können und man kann schon gar nicht erklären, warum die neoliberalen Wissenschaftler und die neoliberalen Politiker nicht schon lange aus dem Tempel gejagt worden sind.

Weil wir in diesen Tagen an einigen Beispielen vor exerziert bekommen, wie richtig die oben zitierte fünfte Beobachtung ist, dass nämlich die totale Manipulation möglich ist, werde ich auf einige dieser Beispiele in einem meiner nächsten Beiträge eingehen.

Vorweg schon eine einschlägige Mail eines Nachdenkseiten-Nutzers, der schon weiter ist als Professor Krugman:

„Als regelmässiger Leser der NDS und auch Ihrer Bücher möchte ich Sie kurz auf einen m.E. völlig manipulativen, desinformierenden, ja verlogenen Beitrag der gestrigen WISO-Sendung aufmerksam machen:
Ein gutes Beispiel, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Regierungsauftrag Propaganda und Schönfärberei betreibt und durch das Wiederholen der ewig gleichen Unwahrheiten (wie dem Ende der Krise, dem Jobwunder, dem Wirtschaftswunder…) ungeniert und platt Meinungsmache betreibt. Man ist vom ZDF zwar einiges gewohnt, aber in dieser perfiden Form – als angeblich kritischer Beitrag über die Arbeit der “Wirtschaftsforscher” – hat man das lange nicht mehr geniessen dürfen.
Ich bin Ihnen als Leser dankbar dafür, dass Sie mich durch Ihre Arbeit weitestgehend gegen solcherlei Gehirnwäschen immunisiert haben.“

So ist es gedacht …
und noch eine Nachbemerkung, zu Irland:

Nicht nur der britische Schatzkanzler hat von der neoliberalen Entwicklung Irlands geschwärmt, auch die CDU Vorsitzende Angela Merkel hat uns 2003 Irland als Vorbild empfohlen. Siehe dazu die einschlägigen Seiten und Zitate aus „Die Reformlüge“ von 2004 hier in den NDS.

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