Der Fall Djokovic – ein skurriles Portrait einer geisteskranken Gesellschaft

Der Fall Djokovic – ein skurriles Portrait einer geisteskranken Gesellschaft

Der Fall Djokovic – ein skurriles Portrait einer geisteskranken Gesellschaft

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Während tausende Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte auch hierzulande aufgrund ihres „Impfstatus“ um ihren Job bangen, beherrscht ein anderer Ungeimpfer weltweit die Schlagzeilen. Der serbische Tennisstar Novak Djokovic kämpft um seine Einreise nach Australien und die Teilnahme an den Australian Open. Ein Politikum, bei dem es um restriktive Einreisebestimmungen, absurde Pandemiemaßnahmen und eine noch absurdere Zero-Covid-Politik, aber auch um soziale Ungleichheiten, die Hybris junger Millionäre und die Macht des Kommerzspektakels Sport geht. Kafka hätte seine Freude an dieser Geschichte gehabt, die in der Außenbetrachtung wie ein skurriles Portrait einer geisteskranken Gesellschaft wirkt. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein junger Mann, Sportler, topfit und pumperlgsund, will an einem internationalen Tennisturnier teilnehmen, darf aber nicht einreisen, da er laut Gesetz eine Gefährdung für die nationale Gesundheit darstellt. Nein, dieser Sportler hat keine ansteckende Krankheit. Er ist nachweislich „virenfrei“. Sein Vergehen? Novak Djokovic ist nicht gegen Corona geimpft. Und die restriktiven australischen Einreisebestimmungen schreiben diese Impfung vor.

Neben China gehört Australien weltweit zu den Ländern mit den restriktivsten Coronagesetzen. Von Beginn der Pandemie an verfolgt man down under die sogenannte Zero-Covid-Strategie. Die Millionenmetropole Melbourne war ganze 262 Tage in einem harten Lockdown, da es dort vereinzelt positive Testergebnisse gegeben hat. Und was hat das Ganze genutzt? Nichts. Obgleich in Australien zur Zeit Sommer ist, vermeldet das Land in Relation zur Einwohnerzahl fast so viele Neuinfektionen wie die winterliche EU und die USA zusammen.

Quelle: Financial Times

Warum ein nachweislich testnegativer Sportler dann nicht einreisen darf, weiß wohl auch nur die australische Regierung. Und die steht mächtig unter Druck, da das ganze Versagen ihrer ideologisch getriebenen Lockdown-Politik nun offenbar wird. Da kommt der vielleicht weltweit bekannteste Impfgegner natürlich genau richtig, um ein Exempel zu statuieren.

Doch spulen wir die Geschichte besser ein wenig zurück, um sie in Gänze zu verstehen. Novak Djokovic könnte man wohl als Enfant terrible des weißen Sports bezeichnen. Wer ihn nicht mag, bezeichnet ihn als arrogant, abgehoben und egozentrisch. Seine Fans würden die gleichen Charakterzüge als willens- und charakterstark bezeichnen. Ein Typ eben. Solche Figuren braucht der Sport. Tennis ist nicht wegen des netten Jimmy Connors ein Publikumsmagnet geworden, sondern wegen dessen Rivalität zum „Bad Guy“ John McEnroe. Vor der Ära Djokovic drohte der Sport durch die Dominanz netter, aber langweiliger Champions in der Gunst des Publikums und damit der Sponsoren zu verschwinden.

Dass die Dauer-Nummer-Eins der Tennis-Weltrangliste und 86-fache Titelgewinner Novak Djokovic der Meinung ist, für ihn gälten die sinnfreien australischen Coronagesetze nicht, mag verständlich sein. Während alleinerziehende Mütter aus den unteren Schichten weltweit während der Lockdowns in den Nervenzusammenbruch und den finanziellen Ruin getrieben wurden, erzielte die High Society Milliardengewinne an den Börsen und konnte sich mit ihren Privatjets und Yachten vergleichsweise frei bewegen. Und wer eigene Köche und ein Catering-Team hat, macht sich auch wenig Sorgen über geschlossene Restaurants. Privatpartys gibt es immer irgendwo.

So erledigten dann auch die Veranstalter der Australian Open zusammen mit Djokovics Management die leidigen Formalitäten. Die Sponsoren des Turniers hätten es nicht gerne gesehen, wenn der Publikumsmagnet Nummer Eins wegen einer so albernen Sache wie wegen seines Impfstatus sich das Turnier von der heimischen Villa in der spanischen Millionärsenklave Marbella aus im Fernsehen anschauen müsste. Also „erfand“ man offenbar einen positiven PCR-Test, datiert auf den 16. Dezember – sechs Tage nach Ablauf der eigentlichen Frist – mit dem man eine Ausnahmegenehmigung für Genesene hätte erwirken können. Und da offenbar die serbischen Behörden für ihren Nationalhelden beide Augen zugedrückt haben, konnten die emsigen Bienen im Hintergrund auch das Visum für den Star besorgen. Vor dem Virus sind alle gleich? Aber nicht doch. Diese Ammenmärchen sind kaum mehr als Durchhalteparolen.

Sowohl die Krankheit Covid 19 als auch die Schäden der Maßnahmen treffen vor allem Arme. Und auch die Kampagne gegen Ungeimpfte ist vor allem eine Kampagne gegen arme Ungeimpfte. Während die ungeimpfte Krankenschwester durch einen Jobverlust ins Bodenlose fällt, kann der ungeimpfte Tennismillionär weiter seiner lukrativen Tätigkeit nachgehen. Das ist freilich nicht Djokovic, sondern den Gesetzgebern vorzuwerfen, die einmal mehr darauf pfeifen, welche Folgen ihre Gesetze für „die da unten“ haben. In einer besseren Welt könnten sowohl die Krankenschwester als auch Djokovic unabhängig vom Impfstatus ihrem Job nachgehen.

Nun geht es beim Fall Djokovic aber nicht nur um einen Tennisspieler, sondern um die Akzeptanz dieser wahnwitzigen Gesetze. Mit Fug und Recht würden die Ausnahmeregelungen für die Oberschicht – zumal wenn sie, im Fall Djokovic, auf mehr als fragwürdigen Daten beruhen – das „normale Volk“ noch mehr gegen die Coronapolitik aufbringen, als es vor allem in Australien schon heute der Fall ist. Vorhang auf für ein Drama der absurden Art.

Als Novak Djokovic am letzten Mittwoch um 23.30 Uhr aus der ersten Klasse seines Fliegers ausstieg, ahnte er sicher nicht, was in den nächsten Stunden geschehen sollte. Anstatt den ungeimpften, aber mit einem vom australischen Staat auf Grundlage einer Sondergenehmigung erteilten Visum ausstaffierten Sportler durchzuwinken, musste der Superstar bis 7.42 Uhr in einem Verhörzimmer ausharren. Dann schließlich verwehrte ihm der – immer wieder mit seinen Vorgesetzten telefonierende – kleine Beamte die Einreise und erklärte sein Visum für ungültig. Der millionenschwere Star wurde in ein Abschiebe-„Hotel“ chauffiert, in dem außer ihm nur die abgelehnten Asylbewerber hausen müssen, die das Glück hatten, überhaupt bis zum Flughafen zu kommen. Der Rest muss in kargen Internierungslagern versauern, die auf unwirtlichen Südseeinseln betrieben werden und in denen Folter und Missbrauch an der Tagesordnung sind. Die einen sind halt sogar im australischen Abschiebesystem gleicher als die anderen. Und ja, Australien gehört zu uns, dem sich selbst beweihräuchernden Wertewesten.

Aber zurück zu Novak Djokovic. Dessen Abschiebung hat der kleine Beamte in Melbourne „dummerweise“ bereits um 7.42 Uhr unterschrieben, obgleich der ungeimpfte Superstar noch bis 8.30 Uhr Zeit gehabt hätte, irgendwelche Belege einzureichen, mit denen die Visaerteilung doch noch über die Bühne gegangen wäre. Ein Richter erkannte den Formfehler und erklärte den Entzug des Visums für ungültig und das Visum damit im Umkehrschluss für gültig. Djokovic durfte das Abschiebe-„Hotel“ verlassen und endlich standesgemäß im gebuchten Fünf-Sterne-Plus-Ressort absteigen, um sich zusammen mit seiner Entourage und seinen Bediensteten auf das Turnier vorzubereiten.

Für die australische Regierung ist dies freilich ein Desaster. Der Einwanderungsminister Alex Hawke hat bereits angekündigt, von seinem persönlichen Recht Gebrauch zu machen und Djokovic’ Visum par ordre du mufti abermals zu widerrufen. Egal was nun folgt, für die australische Regierung ist die Sache ein Desaster. Weist sie den Tennisstar aus, schafft sie einen Märtyrer und bringt ihr Volk noch mehr gegen sich auf. Lässt sie ihn am Turnier teilnehmen, schafft sie den Beleg dafür, dass ihre absurden und restriktiven Coronagesetze nicht für alle gelten, was deren Akzeptanz noch weiter untergräbt, als es ohnehin schon der Fall ist. Ein klassisches Catch 22, eine Zwickmühle, aus der es kein Entkommen gibt. Und das ist auch gut so.

Letztlich zeigt die Posse rund um den ungeimpften Superstar einmal mehr, in welch absurden Rechtfertigungsketten die Deutungshoheit hinter der Coronapolitik steckt. Wir dürfen bei all den Details nicht das Wesentliche vergessen: Hier geht es darum, einem Gesunden die Einreise zu verbieten, weil er angeblich eine Gefahr für die nationale Gesundheit darstellt. Absurd! Und je absurder etwas ist, desto verbissener sind einmal mehr die Gegenreaktionen.

Wie kaum anders zu erwarten, schimpfen nun die Medien wie Rohrspatzen über den „grenzenlos egoistischen und völlig skrupellosen“ (sic!) Sportler. Der hätte „in seiner Vorbildrolle versagt“. Dass solche Zeilen den Autoren nicht selbst peinlich sind. Sportstars sind alles, aber keine Vorbilder. Außer man definiert die Vorbildfunktion nur nach dem Kontostand, der Anzahl der im Besitz befindlichen Supersportwagen, Luxusuhren, Villen und Gespielinnen. Aber nach rund vierzig Jahren neoliberaler Gehirnwäsche denkt man wohl so.

Und wenn am 30. Januar der Sieger der Australian Open gekürt wird, kann die Welt auch wieder in ihre „neue Normalität“ zurückkehren. Die ungeimpfte Krankenschwester hat ihren Job verloren und muss ihre kleine Wohnung kündigen, während der ungeimpfte Tennis-Superstar sich im heimischen Marbella in seiner Villa von seinen Personal Coaches trainieren und vom Privatkoch verköstigen lässt – als Australian-Open-Gewinner oder nicht. So ist sie nun einmal, unsere geisteskranke Welt. Aber zumindest die Unterhaltung ist gut.

Titelbild: pdrocha/shutterstock.com

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