Andrej Hunko (Die LINKE) über seinen Moskau-Besuch: „Es gibt ein großes Bedürfnis nach Austausch“

Andrej Hunko (Die LINKE) über seinen Moskau-Besuch: „Es gibt ein großes Bedürfnis nach Austausch“

Andrej Hunko (Die LINKE) über seinen Moskau-Besuch: „Es gibt ein großes Bedürfnis nach Austausch“

Ulrich Heyden
Ein Artikel von Ulrich Heyden

Der Aachener Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, der seit 2009 für DIE LINKE im Bundestag sitzt, besuchte vom 10. bis 12. Februar die russische Hauptstadt. Hunko reiste diesmal als Vertreter der Linken im Europarat, denn der Bundestag genehmigt zurzeit keine Auslandsreisen, angeblich wegen Corona. Hunko sprach in Moskau mit verschiedenen Regierungs- und Parlamentsvertretern, aber auch mit Vertretern der Opposition und der Zivilgesellschaft. Vor seinem Abflug nach Deutschland hatte Ulrich Heyden die Möglichkeit, den Abgeordneten für die NachDenkSeiten über seine Eindrücke zu befragen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Warum sind Sie gerade jetzt nach Moskau gefahren? Die Frage ist wahrscheinlich lächerlich. Alle wissen, es gibt eine Kriegsgefahr. Aber trotzdem: Ich hatte das Gefühl, dass die Reise doch überraschend war.

Wir haben ja als Abgeordnete die Möglichkeit zu Reisen und wenn solche Reisen Sinn machen, dann jetzt. Also gerade in einer Krise. Wir haben eine Zuspitzung der Beziehungen zwischen Ost und West und wir haben die drohende Auseinandersetzung an der russisch-ukrainischen Grenze. In deutschen Medien wird das Bild eines unmittelbar bevorstehenden Krieges gezeichnet. Und ich glaube, in so einer Situation ist es gerade wichtig, wenn du als Abgeordneter in das Land fährst, also Russland jetzt, um ein Bild von der Lage zu bekommen. Wie das auch von hier wahrgenommen wird, auch von unterschiedlichen Akteuren. Das war der Hauptgrund. Das war relativ kurzfristig organisiert. Es ist auch gar nicht so einfach. Der Bundestag genehmigt zurzeit keine Auslandsreisen.

Generell, oder nur nicht nach Russland?

Generell, da gehe ich von aus. Wegen Corona. Es gibt so eine allgemeine Corona-Nicht-Reise-Empfehlung. Da gibt’s manchmal Ausnahmen. Aber das ist im Augenblick alles nicht so einfach. Aber die Links-Fraktion im Europarat, die eine tolle Arbeit da macht, die hat meine Reise unterstützt und dann bin ich ziemlich spontan gefahren und habe auch wirklich ein tolles Programm hingekriegt. Ich habe viele, sehr wichtige, hochrangige Gespräche hier bekommen. Also, ich kann mir ein gutes Bild machen.

Und die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau hat das ein bisschen unterstützt?

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hier in Moskau hat das ganz großartig unterstützt, hat mich wirklich sehr gut begleitet, weil das wie gesagt kurzfristig war.

In Deutschland und in Europa trompeten die Medien täglich, dass es vielleicht bald einen Krieg gibt. Wie ist Ihr Eindruck nach drei Tagen in Moskau? Wird es diesen Krieg geben?

Naja, ich bin ja auch kein Prophet. Aber hier stellte sich die Lage doch ganz anders dar. Es gibt sicherlich große Zusammenziehungen von russischen Truppen an der ukrainischen Grenze. Vor allen Dingen mit dem Ziel, zu verhandeln, nicht um da einzumarschieren. Also sozusagen eine gewisse Drohkulisse aufzubauen, um bestimmte Themen diskutieren zu können. Russland geht es zu allererst um Sicherheitsgarantien, aber auch um eine europäische Sicherheitsarchitektur. Es gibt das Grundproblem, das wir schon lange haben und das für die Russen auch sehr schmerzlich ist. Es ist nie gelungen, so etwas wie eine europäische Sicherheitsarchitektur oder zumindest gegenseitige Sicherheitsgarantien zu entwickeln. Das war ja mal in den 1990er Jahren in der Diskussion. Dann kam die Nato-Osterweiterung. Anfänglich noch mit vielen Bauchschmerzen der russischen Seite. Die Nato-Osterweiterung widersprach den Zusagen, die Genscher und Baker 1990 gemacht haben.

Bei jedem weiteren Schritt der Nato-Osterweiterung sind die Töne aus Russland schärfer geworden, weil sie befürchten, dass bald Nato-Truppen, US-Truppen, vielleicht sogar Raketen an der russischen Grenze stehen. Das ist die große Angst in Russland, die ja historisch nicht völlig unbegründet ist.

Man muss ja wissen, dass Russland mehrfach in der Geschichte vom Westen, zuletzt im Zweiten Weltkrieg von den Nazis, überfallen wurde. Dieses russische Narrativ ist sehr breit in der russischen Gesellschaft verankert.

Es gab dann immer wieder Versuche, zum Beispiel unter Präsident Dmitri Medwedjew 2009/2010, Vorschläge für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und gemeinsame Sicherheitsgarantien zu machen. Das war ungefähr die Zeit, wo ich als Bundestagsabgeordneter angefangen habe. Ich erinnere mich, dass ich 2010 in St. Petersburg an meiner ersten Reise eines Europarat-Ausschusses teilgenommen habe.

Das war zum Jahrestag der Hungerblockade von Leningrad. Und mir ist aufgefallen, dass erstens außer mir kein Deutscher dort war, der den Toten gedacht hat und einen Kranz niedergelegt hat, und zweitens, dass diese Vorschläge, die vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedjew kamen, völlig ignoriert wurden.

Und irgendwann, so nehme ich das hier wahr, kommt halt der Punkt, dass man sagt, okay, dann müssen wir halt mehr drohen und mehr mit dem Säbel rasseln, was selten stattfindet. Aber es geht nicht darum, die Ukraine zu überfallen, sondern es geht darum, in ernsthafte, substantielle Gespräche zu kommen, um Sicherheitsgarantien festzuschreiben.

Gleichzeitig gibt es allerdings die Äußerung von russischer Seite, seit Mitte letzten Jahres, wenn die Ukraine die Volksrepubliken angreift, dass man dann die Volksrepubliken militärisch schützt. Das ist ja nun schon eine klare Ansage.

Ich habe dieses Szenario auch oft in den Gesprächen angesprochen, weil das tatsächlich auch ein Eskalationsszenario wäre. Es gibt schon ein Verständnis der russischen Seite, die sogenannten Volksrepubliken in Donezk und Lugansk zu unterstützen. Es ist aber nicht so, wie das manchmal auch dargestellt wird, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist.

Ich war damals auch oft da, als das passiert ist. Es war nach dem Umsturz im Februar 2014 in der Ukraine auch ein stückweit ein inner-ukrainischer Konflikt zwischen prorussischen Kräften, Föderalisten zunächst, später dann Separatisten. Und die werden von russischer Seite unterstützt, mit Logistik und sicherlich auch mit militärischer Unterstützung, aber nicht in dem Sinne, dass die russische Armee dort einmarschiert ist.

In Deutschland und im Westen wird wenig diskutiert, dass die ukrainische Armee jetzt auch mit etwa 100.000 Mann an der Kontaktlinie steht. Und wenn aus der ukrainischen Armee heraus bestimmte Bataillone – da gibt es ja auch rechtsextremistische Bataillone – vorpreschen, aus welchem Grund auch immer und von wem initiiert auch immer, dann hast du natürlich ein Eskalationsszenario, weil dann würde die russische Seite sehr wahrscheinlich reagieren und die Volksrepubliken verteidigen.

Das wäre dann eine ähnliche Situation wie im Sommer 2014. Das ist das gefährlichste Szenario. Aber das ist nicht so, dass dann praktisch die russische Armee unmotiviert einmarschieren würde, sondern das wäre dann eine Reaktion auf ein Vorpreschen rechtsextremistischer Bataillone.

Hatten Sie das Gefühl, dass die Geduld der Russen erschöpft ist?

Es gibt tatsächlich die Stimmung bei einigen Gesprächspartnern, die sagen, wir haben jetzt sieben Jahre Minsk-2-Verhandlungen. Im Februar 2015 wurde Minsk-2 abgeschlossen. Das sind genau sieben Jahre und es bewegt sich nichts. Vor allem die Ukraine hat die eigentlichen Punkte nicht umgesetzt, also Autonomie und Wahlen.

Minsk-2 ist praktisch eine Vorstellung davon, dass Donezk und Lugansk mit starken Autonomie-Rechten in die Ukraine reintegriert werden. Dafür muss es aber entsprechende Verfassungsänderungen geben in der Ukraine, ein bestimmtes Verfahren, wie dann durch Wahlen legitimierte Führungen in Lugansk und Donezk entstehen können.

Und das passiert halt nicht, weil die Ukraine Angst vor der Föderalisierung hat. Und deswegen sagen viele in Russland, man sollte die Volksrepubliken jetzt anerkennen, was Russland ja bisher vermieden hat. Damit würde dann praktisch die Rechtsgrundlage geschaffen, die sogenannten Volksrepubliken in den russischen militärischen Bereich zu integrieren. Und auch das ist wahrscheinlich ein Druckmittel, um bei Minsk-2 zu Fortschritten zu kommen.

Halten Sie es überhaupt für möglich, dass sich die Ukraine auf diese Forderungen einlässt? Dass Kiew bereit ist, den Volksrepubliken einen besonderen Status zu geben und sich mit Donezk und Lugansk an einen Tisch zu setzen?

Die Ukraine hat ja Minsk-2 unterschrieben. Aber jetzt sagen in der Ukraine viele Leute, ja, das haben wir aus der Position der Schwäche gemacht. Das ist nicht wirklich umsetzbar. Wir wollen eigentlich Minsk-2 nicht mehr. Das ist doch unser Territorium. Und daraus leitet sich dann für manche die Legitimation ab, dass man versucht, das militärisch zu lösen. D.h. einzelne Bataillone versuchen, in die Volksrepubliken einzudringen. Das wird dann zu schwersten Kämpfen kommen. Und dann wird auch die russische Armee die Separatisten soweit unterstützen, dass sie wiederum zurückschlagen können. Es gab Gesprächspartner, die verglichen das mit Krajina 1995.

In Jugoslawien?

Die Vertreibung der Krajjna-Serben (Serben, die in Kroatien lebten, UH) wird in Moskau als Szenario gesehen, wie die ukrainische Armee dann die prorussischen Separatisten in der Ost-Ukraine vertreiben könnte, um das Gebiet reintegrieren zu können. Das wird hier ganz offen als Szenarium diskutiert und als Gefahr gesehen, die man vermeiden möchte.

Sie sind ja in den letzten Jahren öfters in Moskau gewesen. Was ist Ihnen aufgefallen? Unterscheidet sich die Stimmung, die heute in Moskau herrscht, stark von Stimmungen, die Sie früher in Moskau erlebt haben?

Man spürt schon, dass die Gesprächsformate insgesamt weniger geworden sind. Es gab ja früher häufig Gespräche in Moskau. Jetzt kam Corona noch dazu. Ich war auch schon zweieinhalb Jahre nicht mehr hier. Man spürt, dass die Beziehungen auf einem Tiefpunkt sind. Gerade nach den Ereignissen in der letzten Woche, Schließung von „Russia Today Deutschland“, Schließung der Deutschen Welle in Russland. Das war der jüngste Tiefpunkt in den Beziehungen. Das merkt man schon.

Aber trotz alledem, wenn man als deutscher Abgeordneter hierher kommt, wird man sehr, sehr interessiert und freundlich aufgenommen, jedenfalls von den Gesprächspartnern, die ich hatte. Und es gibt ein großes Bedürfnis nach Austausch. Es gibt auch – wie soll ich es sagen – ein auseinanderdriftendes Universum an Diskursen. Die verschiedenen Diskurse gehen immer weiter auseinander.

In Russland?

Zwischen Russland und dem Westen. Zwischen Russland und Deutschland. Ich will das mal am Beispiel des Werte- und Interessensdiskurses deutlich machen. Darüber habe ich hier auch viel gesprochen. Die russische Seite versteht nicht, warum Deutschland nicht seine eigenen Interessen deutlich macht, über die man dann reden und wo man einen Kompromiss finden kann.

In Deutschland wird der ganze Konflikt moralisiert und als Werte-Konflikt dargestellt und scheint dann unlösbar. Nicht nur auf der politischen Ebene. Mein Eindruck ist, dass auch in der Breite der russischen Gesellschaft schlicht und ergreifend anders gedacht wird.

Nehmen wir das Beispiel North Stream 2. Das ist ja letztendlich ein Interessens-Projekt und dann wird das zum geopolitischen Spielball, aber nicht auf der Ebene eines Interessensausgleiches, sondern auf der Ebene eines fundamentalen Werte-Konflikts.

Werte-Konflikt, das heißt, der freie Westen, der die freie Ukraine unterstützt, muss sich vom Projekt North Stream 2 leider verabschieden?

Zum Beispiel. Nehmen wir die Verhaftung von Navalny, was ich ja auch kritisiert habe, egal was ich von ihm halte, aber ich finde es trotzdem falsch, den Konflikt so zu lösen. Aber das wird von vielen Kräften dann verbunden mit der Kappung von North Stream 2.

Das wird in Moskau so wahrgenommen: Die Deutschen agieren nur so, um den Amis zu gefallen und vor den Amis auf den Knien zu liegen. Das wird von Deutschland nicht so gesagt, sondern es kommt als Werte-Diskurs hierher.

In Deutschland wird das moralisch überladen. Das war immer so eine Tradition in Deutschland. Es gibt eine Denkschrift von Prinz Max von Baden von 1918 über den „ethischen Imperialismus“, wo die deutsche Außenpolitik sehr stark ethisch aufgeladen werden sollte und damit am Ende auch zugespitzter wird.

Ich bin ein Linker. Ich habe natürlich ein Werte-Fundament, auf dem ich Politik mache. Aber wenn ich von Interessen ausgehe, dann kann ich Kompromisse finden. Wenn ich aber alles zu einem Werte-Konflikt hochstilisiere, dann kommen wir in eine Situation, wo wir in Deutschland meinetwegen bestimmte Rechte, die ich teile, LGTB-Rechte meinetwegen, in den Mittelpunkt stellen und die russische Seite jetzt zunehmend anfängt, spiegelbildlich von orthodoxen Werten zu reden, Werten der orthodoxen Kirche. Und ich komme in eine völlig unlösbare Situation. Und das ist es, was ich versuche zu vermeiden. Und das wird hier nicht verstanden, dass im Westen so ein sehr moralisch aufgeladener Diskurs stattfindet, der dann eben auch sehr doppelbödig ist.

Und was ist die Moskauer Position? Wie geht Moskau an die internationale Politik ran?

Ich glaube, in Russland wird sehr viel klassischer in geopolitischen Dimensionen gedacht, die ja nun mal da sind…

… also Einflusssphären, befreundete Staaten …

Ja, auch West-Ost, Nato-Bedrohung vor allen Dingen. Es wird viel klassischer in diesen Kategorien gedacht, die auch im Westen da sind, aber …

… versteckt sind ….

… und überlagert sind von abstrakten …

… moralischen Kategorien…

Ja, dann aber eben auch doppelbödig sind. Warum reagiert man bei Russland so, aber warum liefert man weiter Waffen an die Türkei und Saudi-Arabien? Da kommt dieser doppelbödige Diskurs, der aber auch daher kommt, dass in Deutschland gar nicht offen über die außenpolitischen Kategorien geredet wird.

Welche Personen haben Sie in Moskau getroffen und was war für Sie besonders eindrucksvoll?

Ich habe Menschen getroffen aus dem Außenministerium, also Abteilungsleiter, die die offizielle Sichtweise dargestellt haben. Auch da gab es interessante Details. Zum Beispiel, dass sie die Vorschläge, die sie jetzt gemacht haben, mit den Sicherheitsgarantien, nicht ultimatistisch stellen. Also in dem Sinne, „bis dann muss die Antwort kommen, sonst schlagen wir zu“. Das ist nicht die Herangehensweise.

Ich habe verschiedene Vertreter der Linken getroffen, von den Parlamentsparteien, von der Kommunistischen Partei und Gerechtes Russland. Man kann natürlich darüber diskutieren, wie man diese Parteien bewertet. Ich habe hochrangige Vertreter vom Föderationsrat getroffen, denn die Duma hat diese Woche nicht getagt. Ich habe den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Föderationsrates, Konstantin Kosatschew, und Fjodor Lukjanow, einen sehr angesehenen Vordenker in der internationalen Politik, getroffen.

Ich habe mich mit einem Vertreter von Memorial getroffen, weil man die ja geschlossen hat, was wir auch kritisiert haben. Ich habe Vertreter der Russisch-deutschen Auslandshandelskammer getroffen.

Um bei Memorial nachzuhaken, was war Ihr Eindruck? Ich war ja auch auf Ihrem Treffen dabei, wo der Memorial-Vertreter sehr eindrücklich geschildert hat, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen und dass sie bereit sind, die geforderte Markierung als „ausländischer Agent“ zu akzeptieren. Memorial existiert ja seit Ende der 1980er Jahre und hat schon eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der Stalin-Verbrechen gespielt. Diese Organisation ist also jetzt nicht mehr legal.

Ich verurteile das auch. Das ist total wichtig, dass es so eine Aufarbeitung gibt. Und das ist für mich ein Teil einer durchaus stattfindenden autoritären Entwicklung hier. Auch wird das Gesetz über „ausländische Agenten“ immer weiter gefasst und führt natürlich zu einer Einschüchterung. Wobei ich den grundsätzlichen Ansatz habe – das unterscheidet mich in Deutschland wieder von Vielen – dass ich glaube, je mehr wir in Richtung Entspannung kommen mit Russland, desto besser wird die Menschenrechtssituation. Je mehr wir in eine Konfrontation kommen, je mehr wir sanktionieren und nur mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufen, desto schlechter wird die Situation hier.

Putin hat 2017 in Moskau am Gartenring ein Denkmal zum Terror während der Stalin-Zeit und den Gulags eingeweiht. Das ist ein großes Bronze-Relief. Im Prinzip ist Putin nicht gegen die Aufarbeitung der Stalin-Verbrechen.

Aber die Frage ist ja, wer kontrolliert das und wer bestimmt die Narrative. Ich kenne Memorial nicht so gut. Ich denke, diese Organisation nimmt auch zu aktuellen Fragen Stellung. Und ich weiß auch nicht, wie der russische Staatsapparat im Detail funktioniert. Ob das Verbot von Memorial ein Wunsch von Putin war, oder ob das die Eigendynamik eines durchaus autoritären Apparates ist. Ich sage, das ist falsch, aber ich sage auch, Konfrontation wird die Bedingungen nicht verbessern, sondern verschlechtern. Man muss auf die Proportionen achten. Man kann da nicht so rangehen, dass man sagt, „ihr macht jetzt das, sonst sanktionieren wir euch“. Diese moralische Überheblichkeit geht hier nach hinten los.

Was ist Ihrer Meinung nach das beste Mittel, die Kriegsgefahr zu stoppen?

Reden. Dialog auf allen Ebenen. Auf Regierungs-, parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Ebene. Es ist ja auch richtig, dass Olaf Scholz am Dienstag hier nach Moskau kommt. Man muss sich auch mal in die Position der anderen Seite hineinversetzen. Das heißt ja nicht, dass man diese Position übernehmen muss. Und das ist in den letzten Jahren leider total abgerissen.

Aber ist das nicht zum Teil sehr heuchlerisch, dass viele echte Scharfmacher – wie zum Beispiel der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch – immer sagen, wir müssen auf jeden Fall verhandeln und den Dialog aufrechterhalten? Man hat manchmal das Gefühl, dass dieses Vortragen von „wir müssen den Dialog aufrechterhalten“, nur eine Verkleidung dafür ist, dass man auf jeden Fall weitere Truppen stationiert und sich eigentlich auf einen Krieg vorbereitet.

Ja, aber Dialog heißt ja nicht, gleichzeitig Truppen zu stationieren. Die Position der Bundesregierung ist ja auch „Härte und Dialog“. Aber da bringt auch der Dialog wenig, wenn ich meinem Gegenüber das Gefühl vermittele, dass dieser Dialog nur in Zusammenhang mit weiteren Truppenstationierungen im Westen und einer Verstärkung der Nato-Ostflanke, mit neuen Manövern, jetzt kommt Defender 2022, läuft.

Das führt dann auch zu nichts. Man bräuchte wieder so etwas wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Da gab es ja die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die ja wirklich ein Stück weit etwas gelöst hat. Das war eine zwei Jahre dauernde Konferenz in Helsinki. Damals sind ja weitreichende Abrüstungsvereinbarungen entwickelt worden. Man müsste die KSZE-Nachfolgeorganisation OSZE stärken, aber leider ist die unterfinanziert.

Titelbild: Ulrich Heyden

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!