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  1. Wie Deutschland 2018 die Gaskrise probte – und dramatische Folgen erlebte
  2. Der Preis des “Freiheitsgases”
  3. Ukraine und der Westen: Die Geo-Ökonomie der Geo-Politik
  4. Strompreise: Vom Himmel fallende Milliardengewinne
  5. Krieg und Hunger
  6. Armut in Deutschland: »Wir sind keine Existenzhilfe«
  7. Thesenpapier-Autorengruppe: Corona: Integration in die Routineversorgung
  8. Russland ringt um seine Machtrolle
  9. Westmächte im Ukraine-Krieg: Wir sind nicht alle
  10. Sozialpsychologe Welzer warnt vor einer neuen “Ästhetik und Rhetorik des Krieges” in Deutschland
  11. Klimawandelbeschleunigungsprogramm
  12. Wahl in Ungarn: Orbans riskante Wette auf Putin
  13. Zurich entfernt ihr “Z”-Logo aus Social Media
  14. Saarland: Fast ein Viertel der Stimmen nutzlos

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wie Deutschland 2018 die Gaskrise probte – und dramatische Folgen erlebte
    Russland liefert weniger Gas, die Speicher leeren sich, die Versorgung ist gefährdet: Diesen Krisenfall haben Behörden und Wirtschaft bereits geübt. Viele Probleme wurden dabei festgestellt, aber nur wenige beseitigt.
    Es ist Ende Januar, seit Monaten sind die Temperaturen ungewöhnlich niedrig, „Rekordwinter“, sagen die Meteorologen, Deutschland bibbert – und es soll noch kälter werden: Minus 25 Grad in vielen Teilen Deutschlands, in Alpennähe sogar Minus 32 Grad. Ausgerechnet jetzt wird das Gas knapp, auch, weil Russland nicht wie geplant liefert.
    Am Morgen des 29. Januar 2019 warnen Fernnetzbetreiber vor Engpässen. Die Gasspeicher, bisher zu 40 Prozent gefüllt, werden sich leeren. Der Mangel trifft insbesondere Bayern und Baden-Württemberg, das industrielle Herz der Republik. Vielerorts muss die Produktion gestoppt werden, Privathaushalte und Krankenhäuser sind teils unversorgt. Es droht die Katastrophe. Was ist zu tun?
    Dieses Szenario wurde tatsächlich durchgespielt, 2018, im Rahmen der so genannten Lükex, der Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung („ex“ für exercise”). Regelmäßig werden solche Katastrophen geprobt: Grippe-Pandemie, Stromausfall, Cyber-Terrorismus, darauf will Deutschland vorbereitet sein – doch schon die Coronakrise hat gezeigt, wie wenig das trotz Übung gelingt.
    Quelle: WirtschaftsWoche
  2. Der Preis des “Freiheitsgases”
    Als vor drei Jahren Donald Trumps Energieminister Rick Perry nach Brüssel reiste, um den Europäern das US-Erdgas als “Freedom Gas” anzubieten, wurde er verlacht. Nur Polen zeigte damals Interesse. Wer zuletzt lacht: Am vergangenen Freitag schloss die EU ein Abkommen, das die US-Flüssiggasimporte der Gemeinschaft verdreifachen soll. Noch in diesem Jahr wollen die US-Amerikaner zusätzlich 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas schicken. Das wären 70 Prozent mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Langfristig sollen es 50 Milliarden Kubikmeter jährlich werden. Das könnte rund ein Drittel der Gaslieferungen, die bisher aus Russland in die EU kommen, ersetzen. […]
    Fracking hat aus den USA über die vergangenen Jahrzehnte den größten Erdölproduzenten vor Saudi-Arabien und Russland und auch die Nummer eins beim Erdgas gemacht. So erfolgreich waren Mitchell und seine Nachfolger, dass der Preis für Erdgas in den USA praktisch zusammenbrach. Während sich die heimische Industrie – vor allem die Chemiebranche – über den Standortvorteil freute, setzten sich die Öl- und Gasproduzenten in Washington für eine Aufhebung des Exportverbots ein, um neue Absatzmärkte und bessere Preise zu erschließen.
    Sie fanden einen unverhofften Verbündeten in Barack Obama. Er hatte seine Amtszeit nach der Finanzkrise 2008 begonnen und die US-Wirtschaft erlebte die Great Recession. Millionen Arbeitsplätze waren vernichtet worden. Eine Branche jedoch suchte händeringend Personal: die Fracker. Statt der im Wahlkampf angekündigten grünen Wende erklärte Obama bald die all-of-the-above-Doktrin für seine Energiepolitik. Alle Energiequellen sollten gleichermaßen gefördert werden. […]
    Nicht alle Texaner hat die jüngste Liefervereinbarung mit den Europäern in Jubel über neue Geschäfte und Arbeitsplätze versetzt. Umweltschützer, die seit Jahren gegen die Verschmutzung ihrer Region kämpfen, haben sich in einem offenen Brief an Präsident Biden gewandt. Seine Regierung solle ihre Heimat nicht zerstören, um Erdgas nach Europa zu liefern. Der jüngste Plan sei nicht nur gefährlich, sondern auch taub gegenüber der klaren Opposition der Bewohner des Rio Grande Valley von Süd Texas und der Ureinwohner dort, die seit Jahren den Ausbau der Frackingoperationen verhindern wollen, erklärte Emma Guevara, eine Aktivistin des Sierra Clubs. “Wir wollen nicht für fossile Brennstoffe geopfert werden.” Auch das amerikanische “Freiheitsgas” hat einen Preis, den Menschen mit ihrer Gesundheit und ihrer Umwelt zahlen.
    Quelle: Zeit Online
  3. Ukraine und der Westen: Die Geo-Ökonomie der Geo-Politik
    Der Ukraine-Krieg wirft die Frage nach den geopolitischen Konsequenzen einer De-Karbonisierung des globalen Kapitalismus auf. Entscheidend werden die sich ändernden Gewichte zwischen Industrie- und Ressourcenstaaten sein.
    Wenn, wie pointiert kommentiert wurde, der russische Überfall auf die Ukraine für den Westen einen ‚Putin-Schock‘ darstellt, dann gehört zum Schockhaften des Geschehens, dass der Krieg jenen Referenzrahmen fundamental zu verletzten scheint, innerhalb dessen in Westeuropa, besonders aber in Deutschland, Politik bislang vornehmlich verstanden wurde. Folgerichtig nimmt eine prominente Lesart des Geschehens schlicht an, dass Putin – den wir zwar als einen vor Gewalt nicht zurückschreckenden, dabei ja aber immer kühl-kalkulierenden Machtpolitiker kennengelernt haben – über Nacht irgendwie wahnsinnig geworden ist, und dass sich in einem hoch personalistischen politischen System keiner mehr traut, to speak truth to power, (parrhesia, παρῥησία), so dass sich sein persönlicher Wahn in all‘ seinen für die Welt katastrophalen Konsequenzen unkontrolliert und unkritisiert Bahn brechen kann.
    Die vornehmliche Antwort des Westens, nämlich die der wirtschaftlichen Sanktion, des Embargos, zeigt dabei an, welchen hegemonialen Referenzrahmen politischer Vernunft der Krieg aus seiner Sicht zu verletzen scheint: nämlich den einer wirtschaftlichen Entwicklung, die allgemeinen Wohlstand innerhalb eines liberalen Gesellschaftsmodells verspricht.
    Quelle: Makroskop
  4. Strompreise: Vom Himmel fallende Milliardengewinne
    Nach Schätzung der Internationale Energieagentur (IEA) könnten allein im laufenden Jahr 200 Milliarden Euro Jahr als “Windfall-Profits” auf die Stromerzeuger in der EU herabregnen
    Es ist erstaunlich, dass angesichts der Rekordpreise für Strom und Sprit an den Tankstellen in der deutschen Öffentlichkeit so wenig über enorme Spekulationsgewinne gesprochen wird, wie auch der Ökonom Heiner Flassbeck kürzlich im Telepolis-Interview richtig festgestellt hatte: Steigende Energiepreise: “Über Spekulation wird bisher ja überhaupt nicht gesprochen”.
    Die Gewinne werden derzeit zum Beispiel von Mineralölkonzernen eingefahren, die man durchaus als Kriegsgewinnler bezeichnen kann. Telepolis hatte kürzlich schon aufgezeigt, dass sich die hohen Spritpreise für Verbraucher an den Tankstellen nämlich nicht über hohe Ölpreise erklären lassen, wie allüberall suggeriert wird.
    Quelle: Telepolis
  5. Krieg und Hunger
    Russlands Invasion in die Ukraine und die vom Westen verhängten Sanktionen führen zu einer globalen Zunahme von Hunger und Unterernährung. Russland und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Getreideproduzenten weltweit; Russland und Belarus liegen bei der Düngemittelproduktion, die für die Agrarwirtschaft von höchster Bedeutung ist, global weit vorn. Moskau hat weitgehende Exportbeschränkungen für Getreide verhängt, um die Ernährung der Bevölkerung trotz sanktionsbedingt ausfallender Nahrungsmittelimporte zu sichern. Der Getreideexport der Ukraine ist durch den russischen Überfall zum Erliegen gekommen. Auch Düngemittel liefert Russland nicht mehr ins Ausland, da Transport und Bezahlung aufgrund der Sanktionen nicht wie gehabt abgewickelt werden können. Schon jetzt steigen in Ostafrika die Getreidepreise dramatisch; Beobachter warnen vor Hungersnöten. In der arabischen Welt kommt der Preisanstieg zu bereits bestehenden politischen und sozialen Spannungen hinzu; Warnungen vor Hungerrevolten und einem Umschlag in politische Aufstände werden laut. In Südamerika hat eine Kampagne begonnen, Düngemittel von Sanktionen auszunehmen.
    Quelle: German Foreign Policy
  6. Armut in Deutschland: »Wir sind keine Existenzhilfe«
    In der BRD sind mehr Menschen auf Tafeln angewiesen. Deren Verband kritisiert staatliches Versagen. Ein Gespräch mit Jochen Brühl
    Der Krieg in der Ukraine und die Preissteigerungen werden für die Tafeln zur Belastungsprobe. Es gibt weniger Spenden, zugleich nimmt die Nachfrage von Bedürftigen weiter zu. Wie stellt sich diese Mangelsituation aktuell dar?
    In den vergangenen Jahren schlitterten wir von einer Krise in die nächste. Seit zwei Jahren dauert die Pandemie an. Menschen erhielten während der Lockdowns nur Kurzarbeitergeld oder verloren ihre Jobs. Vor etwa einem Monat begann der Krieg in der Ukraine. Seither steigen durch die Geflüchteten die Zahlen derer an, die auf die Tafeln dringend angewiesen sind. Nicht nur in Gebieten wie Berlin, wo die meisten Geflüchteten ankommen, kommen mehr Betroffene zu den Tafeln. Insgesamt kommen mehr Menschen, die sich aufgrund steigender Energie- und Lebensmittelpreise keine Teilhabe mehr leisten können. Es ist ein bundesweiter Trend.
    Quelle: junge Welt
  7. Thesenpapier-Autorengruppe: Corona: Integration in die Routineversorgung
    Exakt zwei Jahre nach dem Beginn ihrer Veröffentlichungen legt die Autorengruppe ihre 6. Adhoc-Stellungnahme zu SARS-CoV-2/CoViD-19 vor. Besonders durch die Eigenschaft der asymptomatischen Übertragung hat die Epidemie den zu erwartenden Verlauf genommen und die einseitig auf containment beruhenden Maßnahmen bedeutungslos werden lassen. Das europäische Ausland hat (mit sehr wenigen Ausnahmen, s.u.) alle Beschränkungen eingestellt und belässt es bei der Kombination von Impfung und sich weiter verstärkender natürlicher Immunität.
    Unabhängig von jeglicher politischer Wortwahl spiegelt die weitgehende Unbestimmtheit der Regelungen der Novelle des Infektionsschutzgesetzes vom 18.3.2022 diese Situation wieder und lässt nur die eine Schlussfolgerung zu, nämlich dass die maßgeblichen politischen Kräfte eine Exit-Strategie zu finden versuchen, die ihnen zugleich Gesichtswahrung und Nachvollzug der epidemiologischen Entwicklung ermöglicht.
    Der Verzicht auf repräsentative Kohortenstudien und die Verwendung unsystematischer Tages-Stichproben hat dazu geführt, dass spätestens im Rahmen der Ausbreitung der Omikron-Variante von den vom RKI veröffentlichten Zahlen keinerlei Steuerungswirkung mehr ausgeht. Weder gibt es reliable Informationen zu zentralen Inputfaktoren wie der Impfquote oder der Bevölkerungs-bezogenen Immunität1 noch existieren verwertbare Output- und Outcomeparameter (z.B. Schwere der Erkrankung), da es offensichtlich in zwei Jahren nicht möglich war, zentrale Daten wie zur Komorbidität oder teilweise sogar zur Alterszusammensetzung zu integrieren und ein verlässlich arbeitendes Datenmonitoring aufzubauen. Durch die Quarantänisierung großer Bevölkerungsteile kommt es zwar zu erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Einbußen, Daten zur Charakterisierung dieser Personen (z.B. Alter, Impfstatus, Information, Betreuung) liegen jedoch nicht vor. Auch tägliche Angaben zur Sterblichkeit sind nicht verwertbar, weil nach wie vor die klassische infektiologische Differenzierung von durch bzw. mit SARS-CoV-2 verstorbenen Patienten nicht beachtet wird.
    Quelle: Matthias Schrappe
  8. Russland ringt um seine Machtrolle
    Mitten in unserem schönen Europa mit seiner wunderbaren Friedensordnung auf einmal wieder Krieg? Wie konnte es bloß dazu kommen? Ja, wie nur? Auf einmal, mitten im schönsten Frieden, ist da jedenfalls nicht ein Krieg ausgebrochen. Er ist auch nicht aus unerfindlichen Gründen von irgendeinem durchgeknallten russischen Autokraten vom Zaun gebrochen worden.
    Auch in dem Fall gilt: Die Gründe für den Krieg werden im Frieden geschaffen. Von Staaten, die es in ihrem Verkehr untereinander wieder einmal so weit gebracht haben, dass sie meinen, sich wechselseitig eine vernichtende Niederlage beibringen zu müssen. Im vorliegenden Fall sind die Gründe lange herangereift. Und dass es nun in der Ukraine losgeht, ist auch kein Zufall.
    Quelle: Telepolis

    dazu: Die Antwort der USA
    (Teil 2 und Schluss)
    1. Der Antrag auf Anerkennung russischer Sicherheitsinteressen: abgelehnt!
    Die Forderungen des Kreml, erklärt die US-Führung, sind definitiv “unerfüllbar”, die Nato-Osterweiterung ist und bleibt unhintergehbarer Besitzstand. Eine Anerkennung der russischen Sicherheitsinteressen ist für Amerika kategorisch ausgeschlossen; die würde ja auf die Annullierung all der strategischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte hinauslaufen, die den mächtigen Rivalen so erfolgreich in Bedrängnis gebracht haben.
    Quelle: Telepolis

  9. Westmächte im Ukraine-Krieg: Wir sind nicht alle
    Der Ukraine-Krieg ist ein Epochenbruch für die westliche Sicherheitsordnung und wird als globale Herausforderung dargestellt. Der globale Süden teilt diesen Blick nicht.
    Johannes Plagemann ist Research Fellow am GIGA Institut für Asienstudien in Hamburg. Dem Eindruck, die ganze Welt würde sich derzeit von Russland abwenden, setzt er entgegen: Im globalen Süden wollen sich viele Staaten und ihre Gesellschaften nicht so einfach entscheiden.
    Am 2. März hat eine überwältigende Mehrheit von 141 Staaten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Russland für den Angriff auf die Ukraine verurteilt. Ob auf Twitter, in den Nachrichtensendungen oder auf den Straßen bei den Antikriegsdemos: Im Westen herrscht eine Einigkeit im Umgang mit Russland, die die tiefen Gräben der jüngeren Vergangenheit – von Trump zu Brexit – vergessen macht. In Warschau und Washington, in Tokio und Canberra gilt: Russlands Einmarsch in der Ukraine ist ein Epochenbruch und verlangt nach einer grundlegenden Neuorientierung der internationalen Sicherheitspolitik. Auch traditionell russlandfreundliche Staaten wie Italien und Deutschland stimmen mit ein.
    Die vorgebliche Einigkeit in den Vereinten Nationen verdeckt, dass die große Mehrzahl der Staaten im globalen Süden eine ganz andere Wahrnehmung des Konflikts hat. Kleine und mittelgroße Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika teilen zwar ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber dem Einmarsch Russlands als Beispiel eines mächtigen Staates, der über die Interessen seines kleineren Nachbarn hinweggeht. Viel stärker wiegt aber die Ablehnung, sich in einen als europäisches Problem wahrgenommenen Konflikt hereinziehen zu lassen. Die westliche Darstellung des Krieges als globale Herausforderung überzeugt nicht, denn im Ringen zwischen den Großmächten der Welt haben kleinere und mittlere Staaten im globalen Süden wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. Zumal viele Staaten im globalen Süden konkrete Interessen an gedeihlichen Beziehungen zu Russland haben.
    Quelle: Zeit Online
  10. Sozialpsychologe Welzer warnt vor einer neuen “Ästhetik und Rhetorik des Krieges” in Deutschland
    Ich persönlich kriege sehr unangenehme Gefühle, wenn jemand “tapfer für sein Land” kämpft, wenn Zivilisten aufgefordert werden, Molotowcocktails zur privaten Verteidigung der Heimat zu basteln, wenn eine Ästhetik und Rhetorik des Krieges zelebriert wird, die wir seit Jahrzehnten für nicht mehr gesellschaftsfähig gehalten hatten. Ich fand es gut, in einer postheroischen Zeit zu leben, Deserteure und “Schwächlinge” zu rehabilitieren und Generäle als Kriegsverbrecher zu dekonstruieren, wenn sie es denn waren. Und auch wenn mir der neue Reinheitsfetischismus der Sprachpolizist*innen suspekt war und ist, scheint er mir immer noch moderner als das Gefühl, beim Lesen der Zeitung gerade den Sound von Heinrich Manns “Untertan” entgegengeweht zu bekommen.
    Kurz: Mich erschreckt es, wie rasend schnell ein Narrativ aktivierbar ist, das der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entstammt und – als hätte es die ganze Zeit als Untoter im mentalen Untergrund geschlummert – frisch aufgerufen werden kann, als seien zwischendurch nicht hundert Jahre und zwei Weltkriege vergangen. Als der Kanzler seine sogleich als “historisch” bezeichnete Rede im Bundestag hielt, in der er satte drei Tage nach Kriegsbeginn den kompletten turnaround der gemütlichen und bequemen bundesdeutschen Friedseligkeit verkündete, hätte es mich nicht gewundert, wenn der eine oder andere FDP-Abgeordnete gleich noch “Hurra, Hurra!” gerufen hätte.
    Quelle: stern
  11. Klimawandelbeschleunigungsprogramm
    Innerhalb weniger Tage vollzog die Bundesregierung eine, wie die „Welt“ titelt, „Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“. 100 Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr. Mit ihrem Aufrüstungsprogramm beerdigt die sozialdemokratisch-grün-liberale Regierung den Klimaschutz. Statt gesellschaftlich Ressourcen für einen Destruktiv-Sektor wie das Militär zu vergeuden, der besser heute als morgen abgeschafft werden sollte, wären Investitionen in anderen Sektoren dringend erforderlich.
    Was in der ganzen Debatte über Auswirkungen durch das Militär so gut wie gar nicht vorkommt, ist die Frage, welche Auswirkungen militärische Aktivitäten auf das Klima haben. Dabei ist offenkundig: Die Rüstungsindustrie und die Armeen zählen zu den stärksten Treibhausgasemittenten. Die Bundesregierung hat sich bisher nicht bemüht, die klimaschädlichen Emissionen durch das Militär zu erfassen. Es wurde bisher davon ausgegangen, dass die Bundeswehr für ca. ein Millionen Tonnen CO2-Emissionen verantwortlich zeichnet. Dies ist aber sicherlich eine sehr beschönigende Berechnung, wobei die Emissionen der Verwaltung, die ungefähr 50 Prozent der Gesamtemissionen der Bundesverwaltung ausmachen, nicht mitgerechnet wurden. Aber vor allem verursachen die alltäglichen Militärübungen eine Menge an Emissionen. So müssen Pilot:innen regelmäßig Flugstunden absolvieren, Panzer und Schiffe bewegt werden. Ein Panzer verbraucht auf 100 Kilometer 530 Liter Diesel und ein Eurofighter 3,5 Tonnen Treibstoff. 2018 verbrachten die Kampfjets der Bundeswehr 10.480 Stunden in der Luft und verursachten damit 115.280 Tonnen CO2. In den USA geht man davon aus, dass durch die militärischen Aktivitäten 2017 mindestens 80 Millionen Tonnen CO2 emittiert wurden. Jeden Tag wird damit der Klimawandel weiter vorangetrieben, ohne dass es eine Vereinbarung zur Beschränkung militärischer Aktivitäten gibt.
    Quelle: Die Freiheitsliebe
  12. Wahl in Ungarn: Orbans riskante Wette auf Putin
    Der Krieg in der Ukraine hat den Wahlkampf für die Parlamentswahl am 3. April in Ungarn auf den Kopf gestellt. Der amtierende Ministerpräsident Viktor Orban möchte seine jahrelang gepflegten Russland-Beziehungen nicht kappen und übt sich in einem Balanceakt zwischen Ost und West. Eine drohende Wirtschaftskrise und eine geeinte Opposition könnten die Karten jedoch neu mischen, prognostizieren Experten. […]
    Ungarn ist seit 1999 Mitglied der NATO und seit 2004 EU-Mitglied – die Regierung unter Orban sorgt jedoch immer wieder für Konflikte, wenn es etwa um Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit der Justiz, Menschenrechte von Asylbewerbern und Medienfreiheit geht. Dazu zählen Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), mehrere Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission und sogar ein EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren.
    EU-Sanktionen, die einen möglichen Ausstieg aus den russischen Energielieferungen beinhalten, möchte Orban um jeden Preis verhindern: Ungarn bezieht fast 100 Prozent seines Gases aus Russland – erst vergangenes Jahr unterzeichnete Orban einen 15-jährigen Liefervertrag. Auch zwei neue, zehn Milliarden Euro schwere Atomreaktoren sind mit der finanziellen Unterstützung Russlands geplant. In seiner Inszenierung als Stabilitätsgarant kommt der Krieg für Orban also zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.
    Es gehört seit jeher zur politischen Strategie Orbans, Brüssel in seinen Reden als bürokratischen Superstaat zu inszenieren, der Ungarn gegen den Willen der Bevölkerung einem Regulierungszwang unterwerfen möchte. Dabei gehört Ungarn zu jenen Ländern, die finanziell besonders von der Mitgliedschaft profitieren: Im Jahr 2020 war es mit 4,8 Milliarden Euro unter den vier größten Nettoempfängern und nahm somit etwa im Gegensatz zu Deutschland und Österreich mehr Fördermittel ein, als es einzahlte.
    Quelle: ORF
  13. Zurich entfernt ihr “Z”-Logo aus Social Media
    Weil das “Z” zum Symbol für die russische Kriegsmaschine geworden ist, ändert die Zurich-Versicherung in den Social-Media-Kanälen ihr Logo. Das “Z” wird dort durch den ausgeschriebenen Namen ersetzt.
    Quelle: W&V

    Anmerkung Albrecht Müller: Wahnsinnig.

  14. Saarland: Fast ein Viertel der Stimmen nutzlos
    Wahl lässt Debatte über Reform des Wahlrechts wieder aufflammen: Fünf-Prozent-Hürde soll auf den Prüfstand
    Grundsätzliche Kritik am Wahlausgang äußerte der Verein “Mehr Demokratie” am Montag. Denn mit 22,3 Prozent blieb fast jede vierte abgegebene Stimme wirkungslos, weil die gewählten Parteien die 5-Prozent-Hürde nicht überspringen konnten. (…)
    “Ein Parlament, in dem nur noch drei Parteien sitzen, wird der politischen Vielfalt nicht gerecht”, sagte Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher des Vereins “Mehr Demokratie”. Der Wille der Wähler werde hier nicht mehr richtig abgebildet. Im Saarland sei ein großer Teil der Wähler gar nicht im Parlament repräsentiert, weshalb die 5-Prozent-Hürde dringend auf den Prüfstand gehöre. Eine solche Hürde dürfe “nicht zu parteipolitischen Monokulturen führen”.
    Neben einer Absenkung der Sperrklausel auf drei Prozent abzusenken, schlägt der Verein vor, eine sogenannte Ersatzstimme einzuführen. Für den Fall, dass die bevorzugte Partei an der Sperrklausel scheitert, käme die abgegebene Stimme einer als Ersatz angegebenen Partei zugute. “Eine Ersatzstimme sorgt dafür, dass keine Stimme verloren geht und hilft, taktisches Wählen zu verhindern”, erläuterte Beck.
    Der Vorschlag einer Ersatzstimme wird unter Politikwissenschaftlern schon mehr als 30 Jahre diskutiert – ohne Erfolg. Weil sie das Wahlsystem komplexer mache, als es ohnehin schon ist, wird der Vorschlag in der Staatsrechtslehre immer wieder abgebürstet, hieß es vor einigen Jahren in der Zeitschrift für Parlamentsfragen. Doch die Kritik überzeuge nicht.
    Eine Sprecherin von “Mehr Demokratie” wies auf Nachfrage von Telepolis darauf hin, dass ein Wahlsystem mit Ersatzstimme nicht viel komplizierter als das Aktuelle wäre. Solche Wahlsysteme würden zum Beispiel in Australien und Neuseeland angewandt oder bei den Bürgermeisterwahlen in London.
    Quelle: Telepolis

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