Selenskyj – tragischer Held oder gewissenloser Zündler?

Selenskyj – tragischer Held oder gewissenloser Zündler?

Selenskyj – tragischer Held oder gewissenloser Zündler?

Peter Vonnahme
Ein Artikel von Peter Vonnahme

Seit Kriegsbeginn leuchtet Selenskyjs Stern am westlichen Himmel. Er genießt in olivgrünen T-Shirts seine Rolle als Tag und Nacht präsenter Kriegsheld. In seiner Begeisterung über sich selbst ist kein Raum mehr für den Gedanken, dass er gerade dabei sein könnte, das ihm anvertraute Volk in den Untergang zu führen. Der Gedanke drängt sich ihm derzeit auch nicht auf. Immerhin ist es den ukrainischen Streitkräften gelungen, den russischen Vormarsch auf Kiew zu stoppen, vorerst. Doch bei nüchternem Nachdenken wird klar, dass der Untergang nach wie vor droht. Aus der Sicht der Betroffenen ist Untergang nämlich nicht nur die totale militärische Niederlage im Waffengang, sondern auch der totale Ruin eines Landes in einem auszehrenden Zermürbungskrieg. Dessen Folgen sind grauenvoll, Zusammenbruch der Versorgung, Hunger, Krankheit, Elend, Flucht, Massensterben. Nach Letzterem sieht es im Moment aus. Es ist nämlich nicht damit zu rechnen, dass die militärischen Rückschläge der letzten Tage den „versteinerten“ Kriegsherrn Putin zum Rückzug seiner Truppen bewegen werden. Nach der Analyse schlauer Kreml-Astrologen kann es sich der Diktator nicht erlauben, Schwäche zu zeigen, weil dann seine Tage an der Spitze Russlands gezählt wären. Also wird er sein Zerstörungswerk intensivieren. Von Peter Vonnahme.

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Was könnte die Ukraine noch retten? Vielleicht ihr eigener Präsident? Aus Mitleid mit seinem geschundenen Volk? Kaum. Selenskyj wird die Waffen nicht niederlegen. Schließlich ist er zum allseits bewunderten Kriegshelden aufgestiegen und Helden ziehen es vor, lieber mit fliegenden Fahnen unterzugehen als vor dem Feind niederzuknien. Also wird Selenskyj – bestärkt durch die aktuellen Probleme des Aggressors – unbeirrt weitermachen. Er verlangt vom Westen mehr und schwerere Waffen, mit guten Aussichten auf Erfolg. Vor allem aber vertraut er seiner letzten Trumpfkarte. Er lässt nichts unversucht, Deutschland, die EU und damit die Nato irgendwie in den Krieg hineinzuziehen. Dazu schöpft er das gesamte Arsenal der psychologischen Kriegsführung aus. Er vermeldet Verluste der Russen, belobigt sein Volk für seinen Patriotismus und versprüht zwischendurch Siegeszuversicht.

Als sehr wirkungsvoll hat sich erwiesen, die Deutschen der Feigheit und der Verblendung zu bezichtigen. Sie, die Deutschen, sprächen immer nur von „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ und füllten mit dem Weiterbezug von russischem Erdgas Putins Kriegskasse. Frieren für die Not leidende Ukraine sei nicht ihr Ding. Sie übersähen sogar, dass sie auf mittlere Sicht selbst zur Beute der Russen werden. Selenskyjs dramatische Appelle stießen hierzulande auf viel positive Resonanz in Politik und Medien. Dann geschah Außergewöhnliches. Der Kriegsheld durfte sich per Video-Schalte unmittelbar an den Deutschen Bundestag wenden. Das tat er mit viel Pathos und rhetorischem Geschick. Sein Kampfesmut und seine harsche Kritik an Deutschland waren so eindrucksvoll, dass sich am Ende seiner Rede ein Großteil der Abgeordneten von ihren Sitzen erhob und Beifall klatschte. Die Getadelten belohnten die ihnen zuteilgewordene Standpauke mit stehenden Ovationen. Hierin zeigt sich die wahre Größe unserer Volksvertreter.

An dieser Stelle hätte es sich angeboten, Selenskyj sofort zu antworten und die deutsche Haltung darzulegen, etwa das Interesse, eine Ausweitung des Krieges zu vermeiden. Der Bundeskanzler hätte sagen können, dass man die ukrainischen Sorgen und Wünsche verstehen könne, dass Regierung und Parlament aber auch – und vor allem – den Interessen der deutschen Bevölkerung verpflichtet seien, etwa dem Wunsch nach warmen Stuben im Winter und Energie für die Volkswirtschaft. Deshalb stehe es Selenskyj nicht zu, den Weiterbezug von russischem Erdgas so vehement zu kritisieren. Der Bundestagsauftritt Selenskyjs hätte auch genutzt werden können, ihm und seinem großmäuligen Botschafter Melnyk zu verdeutlichen, dass es ungehörig ist, Deutschland in jeder Rede zu maßregeln und gleichzeitig weitere Hilfen einzufordern. Doch Scholz zog es vor zu schweigen.

Unübersehbar ist, dass Selenskyjs verbales Trommelfeuer auf Deutschland Wirkung zeigt. Bekanntlich weigerte sich die Regierung zunächst, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Als die Kritik daran zunahm, schickte die Bundeswehr Stahlhelme. Nach weiteren Vorwürfen Selenskyjs lieferte sie Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen. Wie zu erwarten war, folgte sogleich die Forderung nach wirksameren Waffen. Rote Linien sind ein Bild von gestern. Der Kanzler sprach von einer Zeitenwende und machte über Nacht zusätzlich hundert Milliarden Euro für militärische Aus- und Aufrüstung locker. Selbstverständlich gab es auch mehr Geld für die Ukraine zum Ankauf von Waffen. Selenskyjs Widerständigkeit gegen Russland, den aktuellen Lieblingsfeind der Deutschen, macht vieles möglich, was bisher als undenkbar galt. Es erinnert an David gegen Goliath. In Selenskyjs Steinschleuder sind jedoch nicht Kieselsteine, sondern Worte, die das Potential zum Weltenbrand haben.

Der Zündler

Gleichzeitig wird die Ukraine in ein Trümmerfeld geschossen. Immer mehr Menschen versuchen, ihr Leben in Luftschutzkellern zu retten. Blutvergießen und Flüchtlingsströme verstärken sich. Dem ukrainischen Präsidenten fällt angesichts des allgegenwärtigen Grauens in seinem Land nichts Besseres ein, als nach neuen Waffen zu rufen. Andere Wege, das Leid seines Volkes zu beenden, sieht er nicht. Auf Putins Erbarmen zu hoffen, ist müßig. Damit ist der Weg des überfallenen Landes in den Untergang vorgezeichnet.

Außerdem ist der Weltfrieden in Gefahr. Das erste Alarmzeichen war am 4. März die Blitzmeldung vom Beschuss des größten ukrainischen Atomkraftwerks in Saporischschja durch russische Truppen. Selenskyj warf Russland sofort „Nuklear-Terror“ vor. Er sagte, offenbar wolle Russland die Atomkatastrophe von Tschernobyl wiederholen. Glücklicherweise musste er bald einräumen, dass kein AKW, sondern ein Schulungsgebäude beschossen worden ist und dass keine radioaktiven Stoffe ausgetreten sind. Das Drehbuch hinter der Falschmeldung ist simpel, aber hochgefährlich. Offensichtlich sollte im Westen der Eindruck entstehen, dass durch die von Russland verursachte Freisetzung von Radioaktivität die Sicherheit von Nato-Staaten bedroht ist, willkommener Anlass für die Ausrufung des Bündnisfalls.

Ein paar Tage später konnte man lesen, „Der Krieg rückt dem Nato-Territorium bedrohlich nahe. … Die USA bereiten sich auf das Schlimmste vor“. Hintergrund waren Raketeneinschläge auf einem ukrainischen Militärstützpunkt nahe der polnischen Grenze. Die unmittelbare Folge war, dass die Nato-Ostflanke nochmals militärisch verstärkt worden ist. Besonnene Stimmen warnten vor Panik. Es sei anzunehmen, dass Putin mit dem Krieg in der Ukraine voll ausgelastet ist und kein Interesse an einem zusätzlichen, weit gefährlicheren Krieg mit der Nato habe. Trotzdem, die Eskalationsschraube war damit eine Windung weitergedreht.

Gestern meldeten die Agenturen, dass sich in der Ukraine Hinweise auf einen russischen Angriff mit Chemiewaffen verdichten. Das ist von besonderer Bedeutung, weil US-Präsident Biden wenige Tage zuvor Russland ausdrücklich vor dem Einsatz von Bio- und Chemiewaffen in der Ukraine gewarnt hatte. Es war in diesem Zusammenhang wiederholt von roten Linien die Rede.

Es ist unübersehbar, dass diese Horrormeldungen kein Zufall sind, sondern Teil einer zynischen Strategie. Da spielt jemand bewusst mit dem Feuer. Es drängt sich die Frage auf, wem nützen diese Bedrohungsszenarien? Angesichts der Häufigkeit und des örtlichen Bezugs der Schreckensnachrichten liegt die Antwort auf der Hand: Selenskyj. Er will unbedingt in die Nato, zumindest aber eine militärische Unterstützung durch das Militärbündnis. Was liegt da näher, als einen Bündnisfall zu konstruieren? Folgerichtig fordert er seit Wochen mit Nachdruck ein Flugverbot für russische Flugzeuge und Helikopter über der Ukraine. Er weiß, dass damit eine direkte Konfrontation der Atommächte USA und Russland fast unvermeidlich wäre. Wenn er gleichwohl auf eine Flugverbotszone drängt, zockt er mit dem größten denkbaren Einsatz, dem Weltfrieden. Die Lunte für den Dritten – und wahrscheinlich letzten – Weltkrieg wäre damit gelegt. So verständlich Selenskyjs Wunsch ist, sein Land vor dem Untergang zu bewahren, der Preis, den er bereit ist, hierfür zu bezahlen, ist zu hoch. Selenskyj hat sich als engstirniger und verantwortungsloser Zündler demaskiert. Der Respekt, den er in Europa und in den USA genießt, ist unangemessen.

Nachtrag

Eigentlich war der Text hier zu Ende. Aber dann erreichte mich ein Hinweis auf Bertolt Brechts Theaterstück „Der kaukasische Kreidekreis“, der mein Urteil über Selenskyj stützt. Im Stück streiten sich die leibliche Mutter eines Kindes und dessen Pflegemutter, die Magd Grusche, um das Kind. Der Richter stellt das Kind in einen Kreidekreis. Dann sagt er, die Frauen sollen versuchen, das Kind aus dem Kreis herauszuziehen, die Stärkere dürfe das Kind behalten. Als die leibliche Mutter nach Kräften zieht, lässt Grusche das Kind los. Der Richter spricht ihr das Kind zu. Sie sei die wahre Mutter, weil sie dem Kind nicht wehtun wolle.

Gemessen an Brechts Parabel wäre Selenskyj nicht der „wahre“ Vater der Ukraine. Andernfalls wäre erwartbar, dass er, um seinem Volk weiteres Leid zu ersparen, die Waffen niederlegt. Er aber will noch mehr Waffen und weiterkämpfen, bis sein Land ruiniert ist.

Zur Klarstellung: Mir ist bewusst, dass diese Geschichte nur einen sehr speziellen Blick auf die Person Selenskyj zulässt, wichtige Fragen jedoch offenlässt. Deren Beantwortung ist nicht Gegenstand dieses Essays, sondern Sache der Diplomatie nach dem hoffentlich baldigen Schweigen der Waffen.

Titelbild: Drop of Light/shutterstock.com

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