Utopia oder: Das Kabarett ist eh tot

Utopia oder: Das Kabarett ist eh tot

Utopia oder: Das Kabarett ist eh tot

Ein Artikel von: Redaktion

Vielleicht löst das Wort „Abschiedstour“ bei Ihnen Verwunderung, Trauer oder gar Panik aus. Das macht nichts. Genau so ist es beabsichtigt. Ein Abschied steigert den Marktwert dieses Produkts. Dabei spielt es keine Rolle, um welchen Abschied es geht: Verabschiedet Christine Prayon sich von der Bühne? Möglich. Ist das Kabarett tot? Oder reden wir hier von einem Abschied im ganz großen Stil? Vom Ende des Kapitalismus? Möglich. REINGELEGT!! Natürlich nicht möglich. Der Kapitalismus ist das Hinterletzte, aber er ist alternativlos. Ende der Diskussion … Christine Prayon, unlängst von den „Kieler Nachrichten“ zu einer der besten der Kabarettzunft Deutschlands gekürt, legt mit „Abschiedstour. Eine Utopie“ nun das Buch zu ihrem derzeitigen Soloprogramm vor. Ein Auszug.

Wenn wir zum Beispiel rausfinden, nur so als Beispiel, ich kann mich jetzt auch irren, wenn wir also rausfinden, dass eine freie Gesellschaft eigentlich nur ohne Herrschaft möglich ist … und dass sie eigentlich auf die Bedürfnisse aller Menschen eingehen müsste, also eine inkludierende Gesellschaft, keine exkludierende wie die unsrige, bei der unser Wohlstand nur durch Ausbeutung anderer Menschen gewährleistet ist … Boah, wie macht man daraus jetzt ’ne Pointe?? Wenn man daran gewöhnt ist, so was zu sagen wie: Kennen Sie ein anderes Wort für Arschkriecher? Ich schon: Po-Falla!

(Tschuldigung.)

Nee, Utopien sind der Killer. Wenn’s witzig sein soll. Dystopien super. Aber Utopien, nee. Gut, dass ich aus der Nummer raus bin.

Transformation! Wie sieht so eine freie Gesellschaft aus und wie schafft man die? Reformen? Revolution? Und WER macht das? Wenn wir jemanden wählen, der uns das richten soll, haben wir dann nachher nicht wieder das Problem, dass die Alten zwar weg sind, aber die Neuen ja auch wieder was von oben verordnen? Im Interesse von … ja wem? Von allen? Wie soll das gehen, wenn Einzelne die Herrschaft haben? Heißt das also, wir müssten ALLE an dieser Dings … Transformation beteiligt sein? Auch mein Nachbar, für den ich jeden Tag Pakete von Zalando annehme und dessen Kinder nur aufs Smartphone glotzen? Auch die Lady, die mit ihrem Porsche Cayenne bei Feinstaubalarm aus ihrer Stadtrandvilla in die City fährt, um da einen Espresso zu trinken, und schlecht gelaunt wieder zurückfährt? Auch die Nazi-Fachverkäuferin beim Fleischer hinter der Theke? Auch der Kollege, der immer sagt, wir sollen aufhören zu jammern, es geht uns doch allen saugut? Mit solchen Gestalten Zukunft gestalten?

Wenn man echte Emanzipation will, müssen alle mitmachen dürfen, oder? Ich befürchte, keiner MACHT einen emanzipiert. Das heißt, wir müssten uns ganz viel darüber unterhalten, welche Formen des Wohnens, des Produzierens, aber auch des Liebens und Lebens wir eigentlich wollen. Und dann müssten wir das jetzt schon ausprobieren, in unserem Umfeld, in der Familie, in der Kita, an der Uni, am Arbeitsplatz. Und dann würden wir Fehler machen und alles wieder verwerfen. Und wieder reden. Und was Neues ausprobieren. Und so weiter. Das wäre am Anfang bestimmt noch ganz wacklig und die Erfolge wären selten und klein. Und es wäre leicht, die Sache zu diffamieren und kaputtzumachen. Aber wir sind ja viele, und wir würden das ja wollen, und deshalb würden wir sicherer werden. Experten in Sachen Neuland. Und vielleicht stellen wir dann fest, dass es das ja eigentlich schon ist: das, wohin wir uns auf den Weg gemacht haben. Dass es dieser WEG ist, das Scheitern und dann doch wieder einen Schritt weiterkommen und dann wieder scheitern und zwei Schritte weiterkommen … und dass die Idee, die Utopie ja nur der Motor für das Eigentliche ist und nicht das Ziel. Dass es gar nicht darum geht, diese Idee perfekt umzusetzen, aber dass du natürlich ’ne Idee brauchst, damit überhaupt was passiert.

Es gibt ja Leute, die sich tatsächlich schon so Modelle ausdenken, wie so was ganz konkret aussehen könnte, so ’ne freie Gesellschaft. Also, zum Beispiel, wie geht das, dass alle Menschen über das verfügen können, was sie wirklich zum Leben brauchen, für sich und ihre Kinder?

Geht natürlich NICHT. Wer soll das bezahlen?

Es gibt echt Leute, gut, das sind Freaks, Spinner, klar, die dieses Gemeinschaftliche so richtig, in echt ausprobieren: in Wohnprojekten, Genossenschaften, Foodsharing-Cafés, im digitalen Bereich, Open Source, Linux zum Beispiel … Ich meine, neu ist der Gedanke ja eh nicht. Gab’s im Mittelalter ja auch schon: Allmende und so … Die sich also überlegen: Wie lässt sich Wissen oder Nahrung oder Wohnraum teilen? Wie kann man das ALLES SELBST machen, strukturieren, ohne Hierarchie, ohne Herrschaft? Ohne Staat! Also jetzt nicht ohne Organisation, nur eben ohne Blockwart, ohne irgendeinen Aufseher oder Bestimmer oder Unterdrücker. Gleichberechtigt!

(Hier ist jetzt eine Pause zum Drüber-Nachdenken.)

Das geht ja gar nicht. Das ginge ja nur, wenn man dieses ganze Belohnungs- und Bestrafungsgedöns, dieses protestantische Arbeits-Ethos abschaffen würde … Aber das ist ja …

Es gibt Leute, die sagen, wir haben uns das alles selber eingebrockt, dann können wir’s auch selber wieder ausbrocken. Es gibt sogar Leute, die sagen, uns bleibt gar nichts Anderes übrig, wir MÜSSEN uns was Anderes überlegen.

(Noch eine Pause zum Drüber-Nachdenken.)

Also, wenn da was dran wääääre, da bin ich aber froh, dass ICH darüber NICHT mehr reden muss, weil man mit so was ja in den Verdacht kommt, Kommunismus gut zu finden, und DAS …

(Kurze Pause für Entrüstung.)

Also, ich lasse mir Vieles vorwerfen, dass ich keinen Humor habe, dass ich ’ne schlechte Mutter bin, aber eines verbitte ich mir: ICH BIN KEINE KOMMUNISTIN!

Ich bin … schon irgendwie links, aber … Kommunismus, das ist doch hier äh … Puhdys und Gulags und so. Das ist doch Stasi… Stali… Nismus. Nordkorea. Venezuela. Alles dasselbe. Kommunismus halt.

Tschuldigung, das Wort macht immer schlechte Laune, ich weiß. Aber das müssen Sie nicht so ernst nehmen, ist doch Unterhaltung. Ich bin doch Kabarettistin. Ach nee. Egal.

Es mag ja sein, dass all diese Vorstellungen von einer besseren Zukunft, von einem befriedigenderen Leben der Grundidee des Kommunismus entsprechen, aber ich sag mal, selbst wenn das so ist, möchte ich nichts damit zu tun haben. Geht gar nicht um die Sache. Es geht um das Wort. Wenn’s um die Sache ginge, müsste man sich ja wirklich mal damit beschäftigen, also mit der Idee dahinter, aber solange das Ding Kommunismus heißt, bin ich raus. Lieber Apokalypse als Kommunismus. Das sagen doch alle! Bertelsmann, Springer UND die BILD.

Hey, die Idee ist vielleicht schön, aber das FUNKTIONIERT nicht! Ham wir doch gesehen, hier DDR und so. Jajadaswarkommunismus. Ich muss es wissen. Ich bin Wessi. Okay, sagen wir mal: Es war EIN VERSUCH, so ’ne »Art Kommunismus« umzusetzen. Also eigentlich war’s kein Kommunismus, sondern autoritärer Realsozialismus. Staatssozialismus. Staatskapitalismus … Aber es HÄTTE WELCHER WERDEN SOLLEN, also kann man das SCHON Kommunismus nennen, obwohl’s ja eigentlich richtigen Kommunismus noch nie gab, aber da würde ich jetzt mit dem Differenzieren nicht so weit gehen, weil sonst kommt man ja GAR nicht zu der Schlussfolgerung, dass die Idee scheiße ist, und die Idee IST scheiße. Würde ich jetzt NICHT noch mal versuchen. Das FUNKTIONIERT NICHT!

Kapitalismus funktioniert. Gut, nicht für alle, aber … immerhin schon mal für ein Prozent. Und die, für die er nicht funktioniert, glauben aber, dass er irgendwann mal für sie funktionieren könnte. Das ist ja auch was: wenn der Glaube was bewegt.

Und ich glaube … nein, ich weiß, Kommunismus funktioniert nicht. Dafür ist der Mensch zu schlecht. Von Natur aus. So genetisch. Sagen alle. Bertelsmann, Springer, die BILD. Sogar renommierte Wissenschaftler*innen. Sarrazin zum Beispiel. Der Mensch ist ein Raubtier. Ne. Der kann gar nicht anders. Ich zum Beispiel. Wenn mein Sohn mit mir spielen möchte, sag ich immer: »Nee, du, ich kann in der Zeit ECHT was Anderes machen. Kannst du mal eine Sekunde nachdenken, bevor du mich so was fragst? Ich mein, da kann ich mal meine Homepage aktualisieren oder mir die Beine rasieren fürs Casting. Das ist ja rausgeschmissene Zeit, wenn ich mit dir jetzt einfach nur irgendwelche … Knetmännchen knete oder … so Türme baue, die nachher eh wieder umfallen …« Nee, da entscheide ich mich immer klipp und klar GEGEN mein Kind und FÜR die Arbeit, also für MICH, wenn ich die Wahl hab. Logo. Ich bin ja ein Raubtier.

Oder letztens im Kindergarten: Haben die gefragt, ob mal alle mit anpacken könnten – da müsste die Garderobe mal umgeräumt und frisch gestrichen werden. Hab ich denen gesagt: »Nee, Leute. Das ist mir so was von egal, wie das hier aussieht. Das macht mal schön ohne mich.« Oder hier der Nachbar. Wollte, dass ich ihm die Blumen gieße, während er im Urlaub ist. Hab ich zu ihm gesagt: »Geht’s noch? Da können Sie mal schön bei Google nach ’nem billigen Studenten schauen, der Ihnen das macht. Ich bin doch nicht Ihre Scheißgärtnerin!« Hat der gesagt: »Das ist aber nicht sehr nett von Ihnen.« Hab ich gesagt: »Hallo? Das ist menschlich. Ich bin ein Raubtier.«

Also, bitte verschont mich mit Kommunismus. Das funktioniert nicht!

Aber ’ne schöne Idee.

Lesetipp: Christine Prayon: „Abschiedstour. Eine Utopie“, 112 Seiten, Westend Verlag, 7.2.2022

Titelbild: Westend Verlag

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