Gleichschaltung statt eines offenen Diskurses

Gleichschaltung statt eines offenen Diskurses

Gleichschaltung statt eines offenen Diskurses

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Wieder einmal sind sich die Leitartikler der großen Medien erstaunlich einig. Von taz bis FAZ herrscht Konsens in der Ukraine-Frage. Putin ist der Alleinschuldige an der Eskalation und der Westen müsse nun gemeinsame Werte vorwärtsverteidigen und schwere Waffen liefern. Viereinhalb von fünf Talkshowexperten teilen diese Position. Da ist es fast schon erstaunlich, dass immerhin 45 Prozent der Bevölkerung diametral anderer Meinung sind. Weder die großen Zeitungen noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind heute repräsentativ für die gesellschaftliche Debatte. Anstatt den Diskurs abzubilden, wird die eigene Position propagiert. Die (Selbst-)Gleichschaltung der großen Medien hat ein erschreckendes Maß angenommen. Wer von Demokratie spricht, sollte daher beim Thema undemokratische Medien nicht schweigen. Von Jens Berger.

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Wenn man den Medien Gleichschaltung vorwirft, kann man sich sicher sein, dass man damit bei den Empfängern auf taube Ohren stößt. Gleichschaltung? Das ist Nazi-Vokabular. Und es sei unanständig, solche Vergleiche aufzustellen, schließlich lebten wir ja in einer Demokratie und niemand schreibe den Journalisten vor, was sie zu denken und zu schreiben hätten. Zumindest Letzteres ist richtig, macht die Sache aber auch nicht besser. Die Diskurseinengung und die Gleichförmigkeit der Positionen der leitenden Redakteure in den Chefetagen der großen Medienhäuser hat dazu geführt, dass „Querdenker“ in den klassischen Medien keine Chance haben. Wer einen Job im Medienzirkus bekommt, teilt in der Regel auch bei den „großen“ Themen die Position der Chefetage. Das war beim Thema Corona so und beim Thema „Krieg in der Ukraine“ ist diese Gleichförmigkeit sogar noch stärker ausgeprägt.

Mittlerweile wird dieses Phänomen sogar von der Branche selbst wahrgenommen. So schrieb die SZ-Redakteurin Nele Pollatschek in einer Art Kritik zur letzten Anne-Will-Sendung, es sei doch „einmal etwas Positives“, dass mit dem Soziologen Harald Welzer auch einmal ein Gast geladen war, der nicht mit dem Rest der Runde in fast allen Punkten einer Meinung war. Zuvor wären bei „Lanz, Illner, Maischberger oder Will fünf bis sechs Menschen ziemlich einig und hätten nur über Detailfragen diskutiert“ und nun „seien sich vier bis fünf Menschen einig darin“, dass sie „den einen, der es anders sieht, ziemlich unmöglich finden“. Ja, so kann man es sagen. Doch warum ist dies kein Anlass für eine weitergehende Kritik? Mag es vielleicht daran liegen, dass auch in der SZ diese gleichförmige Einheit beim Thema Ukraine vorliegt? Kann es ferner sein, dass die SZ sich darin nicht von anderen großen Zeitungen unterscheidet?

Wann kommen denn in der taz, dem SPIEGEL, der WELT oder der FAZ kritische Stimmen zum Krieg in der Ukraine zu Wort? Die Nachrichtenformate der Öffentlich-Rechtlichen gleichen hier ebenfalls der „Aktuellen Kamera“ und auch im Rundfunk gibt es keinen Diskurs, sondern nur eine Einheitsposition, bei der es nur noch um Detailfragen geht. Alle großen Medien wirken wie gleichgeschaltet. Und da ist er wieder, dieser “böse” Begriff aus dem Dritten Reich. Doch bevor man seinen Pawlow’schen Reflexen freien Lauf lässt, sollte man vielleicht erst einmal erörtern, wie genau die Gleichschaltung damals aus Lesersicht empfunden wurde. Dazu hat der große Publizist Sebastian Haffner in seinem empfehlenswerten Buch “Von Bismarck zu Hitler” einige bemerkenswerte Sätze geschrieben.

„Goebbels verbot die bürgerlichen Zeitungen nicht. Verboten waren alle früheren sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen. Man kann nicht einmal sagen, dass er die bürgerlichen Zeitungen so richtig nazifizierte. […] Sie schrieben auch, wie sie immer geschrieben hatten und sie sollten auch so schreiben. Es gab im Dritten Reich durchaus eine Art Pressevielfalt. Wer die Frankfurter Zeitung las, der bekam die Dinge in einem ganz anderen Ton und Stil dargestellt, als jemand, der den völkischen Beobachter las und auch der unterschied sich von den nationalsozialistischen Kampfblättern. Der Zeitungsleser hatte durchaus die Wahl, die Dinge so dargestellt zu sehen, wie er es sich wünschte“.
aus Sebastian Haffner – Von Bismarck zu Hitler

Gleichschaltung und Pressevielfalt waren also selbst im Dritten Reich kein Widerspruch. Und auch heute liest sich ein Kommentar in der FAZ ganz anders als ein Leitartikel in der taz. Beim Thema Ukraine kommen sie jedoch zum gleichen Ergebnis – nur halt in genau dem Ton und dem Stil, den die jeweilige Leserschaft von „ihrer“ Zeitung erwartet, so wie es diese Zeitungen schon immer geschrieben haben. So wird ein Diskurs simuliert, den es faktisch aber nicht gibt. Pressevielfalt muss nicht gleich Meinungsvielfalt sein. Wenn alle Journalisten einer Meinung sind, kann es durchaus sein, dass dies nur einen Teil des gesellschaftlichen Diskurses abbildet.

Und genau dies ist beim Thema „Krieg in der Ukraine“ der Fall. Es ist ja schon erstaunlich, dass trotz der massiven Meinungsmache in allen großen Medien immerhin 45% der Bevölkerung gegen die Lieferung schwerer Waffen durch die Bundesregierung an die Ukraine sind. Bei den Meinungsmachern in den Medien sind 99% für diese Lieferungen. Die Position von jedem zweiten Leser, Zuschauer oder Zuhörer wird also von den Medien im besten Fall ignoriert, im schlimmsten Fall gar bekämpft. Ist das demokratisch?

Wie soll ein demokratischer Willensbildungsprozess stattfinden, wenn man tagein, tagaus mit stets der gleichen Position indoktriniert wird? Nele Pollatschek hat ja in der SZ ganz richtig beobachtet, dass sich die meinungsmachende Mehrheit vor allem darin einig ist, dass sie denjenigen, der anderer Meinung ist, unmöglich findet. Welcher Politiker hat heute noch den Mut, sich einem Shitstorm auszusetzen? So wird nicht nur Meinung, sondern auch Politik gemacht. Dabei ist die Aufgabe der Medien doch eigentlich eher, die Politik zu kontrollieren und nicht, selbst Politik zu machen. Das ist aber heute der Fall. Nur wer kontrolliert die Medien?

Vielleicht sollte man dazu einmal Sebastian Haffner lesen. Wie es so weit kommen konnte, dass Teile des deutschen Volkes sich vor etwas mehr als 80 Jahren einen Krieg geradezu herbeigesehnt haben, beschreibt er in „Von Bismarck zu Hitler“ sehr anschaulich. Wie viele andere Historiker schreibt auch Haffner dabei den Journalisten einen großen Teil der Verantwortung zu.

Titelbild: cunaplus/shutterstock.com