Billionen für die Ukraine – am Ende werden wir die Zeche zahlen

Billionen für die Ukraine – am Ende werden wir die Zeche zahlen

Billionen für die Ukraine – am Ende werden wir die Zeche zahlen

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Kriege kosten nicht nur Menschenleben, sondern auch sehr, sehr viel Geld. Derzeitige Schätzungen beziffern allein die Wiederaufbaukosten der Ukraine auf mehr als eine halbe Billion(!) Euro. Auf oberster EU-Ebene geht man bereits wie selbstverständlich davon aus, dass „Europa“ den Großteil dieser Summe stemmen wird. Bilaterale Hilfen aus den offiziellen Haushalten sind da jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. So viel Geld lässt sich nur über den Finanzsektor mobilisieren, doch der will Garantien. Dafür wird sogar bereits laut über die Einführung einer Form von Eurobonds nachgedacht. Die Rechnung dürfte am Ende der EU-Steuerzahler präsentiert bekommen. Von Jens Berger.

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Es ist noch gar nicht lange her, da lehnte vor allem Deutschland die Einführung von Eurobonds kategorisch ab. Eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden einzelner EU-Staaten sei nicht nur ein Tabubruch, sondern angeblich auch von den EU-Verträgen nicht gedeckt. Doch damals ging es ja auch darum, die Italiener und Griechen vor tiefgreifenden Kürzungen, Privatisierungen zu bewahren – etwas, was nicht im Interesse der neoliberalen Agenda war.

Lesen Sie dazu: Warum Eurobonds?

Heute geht es darum, die Nachkriegs-Ukraine an die EU zu binden; also ein Billiglohnparadies für europäische Konzerne zu schaffen. Dafür sind dann Eurobonds offenbar doch von den EU-Verträgen gedeckt, obgleich die Ukraine, anders als Italien oder Griechenland gar kein EU-Mitglied ist und es sehr wahrscheinlich ist, dass die „Vergemeinschaftung“ der Schulden zu sehr realen Kosten führt, die dann von den EU-Steuerzahlern übernommen werden „müssen“.

Um was geht es? Der Krieg hat die ökonomisch ohnehin schwer angeschlagene Ukraine faktisch an den Rand des Bankrotts gebracht. Während diskutiert wird, ob Russland die schätzungsweise 20 Milliarden Euro, die der Krieg die russische Seite jeden Monat kostet, lange wird aufbringen können, ist es unumstritten, dass die Ukraine ihre Kriegskosten ohne fremde Hilfe bereits heute niemals schultern könnte. Nach Angaben des ukrainischen Finanzministeriums kann die Ukraine zurzeit lediglich 62% ihrer Primärausgaben selber decken. Die Deckungslücke beträgt fünf bis sieben Milliarden US-Dollar pro Monat. Diese laufenden Kosten sollen nun durch „Darlehen“ der EU-Kommission aus dem EU-Haushalt gedeckt werden. Dafür will Brüssel für die kommenden drei Monate neun Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Ob dieses Geld jemals zurückbezahlt wird, ist mehr als ungewiss. Das weiß auch die EU-Kommission und will sich daher diese Darlehen über Ausfallgarantien durch die Mitgliedsstaaten absichern lassen. Die Steuerzahler von Athen bis Zwickau würden also für diese Schulden haften. Über die Einführung dieser „Gemeinschaftsdarlehen“ soll bereits am Mittwoch dieser Woche im Rahmen eines umfassenden „Finanzpakets“ der EU für die Ukraine abgestimmt werden. Die NachDenkSeiten werden darüber berichten. Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Geht es bei diesen Darlehen erst einmal „nur“ um die laufenden Kosten des Kriegs, stellen die Wiederaufbaukosten den Finanzaufwand dieser als Darlehen verpackten Hilfen bei weitem in den Schatten. Die direkten Schäden an Infrastruktur, staatlichen Einrichtungen und Privatbesitz, die bislang durch den Krieg entstanden sind, sind nur schwer zu beziffern. Die indirekten Kosten stellen eine noch größere Unbekannte dar. Ein Drittel der Unternehmen hat nach Angaben der ukrainischen Zentralbank den Betrieb komplett eingestellt, rund jeder siebte Ukrainer ist aus dem Land geflüchtet. Erste Schätzungen beziffern die sogenannten Wiederaufbaukosten auf 500 bis 600 Milliarden Euro – das Dreifache des Vorkriegs-BIPs der Ukraine. Da das BIP bereits jetzt um 45% eingebrochen ist, sprechen wir jedoch eher mindestens vom Sechsfachen des BIPs. Es sollte jedem klar sein, dass ein korrupter und dysfunktionaler Staat wie die Ukraine dies nie und nimmer selbst finanzieren kann.

Aktuelle Staatsanleihen der Ukraine werden zu rund einem Drittel des Nennwerts gehandelt. Sehr grob überschlagen, müsste die Ukraine ohne externe Garantien also die irrwitzige Summe von 1,5 Billionen Euro an den Finanzmärkten aufnehmen, um den Wiederaufbau zu finanzieren – überflüssig zu erwähnen, dass dies vollkommen unmöglich ist.

Die Finanzmärkte haben jedoch größtes Interesse daran, der Ukraine Geld zu geben – die conditio sine qua non dafür ist jedoch, dass die Kredite oder Anleihen von finanzstarker Seite voll abgesichert werden. Hierzu sind laut einer Meldung von Reuters auch bereits Gespräche im Gange und auf oberster europäischer Ebene scheint man sogar bereits sehr weitgehende Pläne zu haben. Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investmentbank EIB, einer Einrichtung der EU, die eigentlich als öffentliche Förderbank die EU (wieder)aufbauen soll, spricht bereits von „einer Art Marshallplan“ für die Ukraine und sieht seine Institution zusammen mit dem IWF und der Weltbank dafür in der Verantwortung. Es ging „dabei nicht um Millionen, sondern um Billionen“*, so Hoyer. Nun ging es darum, eine Struktur zu finden, die internationale Finanzmärkte mobilisiert.

„Wenn wir die Investoren-Community dazu bewegen wollen, uns ihr Geld zu geben, müssen wir ihnen Absicherungen geben“, so Hoyer. Und als Garantiegeber hat er sein eigenes Institut, die EIB, im Kopf. Nun ist die EIB aber eine – wenn auch öffentliche – Bank und nicht wie die EZB eine Zentralbank; das heißt, Verluste der EIB müssen durch den Steuerzahler ausgeglichen werden. Und dass die Ukraine selbst zu günstigen Zinsbedingungen diese Kredite nicht voll zurückzahlen wird, ist sehr wahrscheinlich. Den letzten Schuldenschnitt für ukrainische Staatsanleihen gab es 2015 – und das ohne einen großen Krieg, der die Volkswirtschaft massiv zerstört hat. Hinzu kommt, dass es hier um Fremdwährungsschulden geht, da die EIB-Bonds in Euro notiert sind. Welcher „Investor“ hätte auch Interesse an Anleihen in der Landeswährung Hrywnja? Ein zerstörtes Land wie die Ukraine müsste seine eigene Währung aber eigentlich abwerten, um irgendwann wieder konkurrenzfähig zu werden. Dieser Schritt wäre jedoch gleichbedeutend mit einer relativen Verteuerung der Fremdwährungsschulden und würde die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Zahlungsausfalls noch weiter erhöhen.

Nennen wir das Kind also lieber doch gleich beim Namen: Ginge es nach den derzeit kursierenden Plänen auf oberster europäischer Ebene, würde dies darauf hinauslaufen, dass der europäische Steuerzahler nahezu den gesamten Wiederaufbau der Ukraine finanziert. Um eine Größenordnung zu bekommen: Die EU hat 450 Millionen Einwohner und wir sprechen hier über mindestens 450 Milliarden Euro, also 1.000 Euro pro Kopf.

Wenn das die Idee ist, dann soll die EU diese Gelder doch gleich offiziell an die Ukrainer verschenken; dann würde zumindest nicht noch zusätzlich der Finanzsektor in Form der vom europäischen Steuerzahler abgesicherten Zinsaufschläge an dem ganzen Deal profitieren. Aber das wäre natürlich dem Wähler nicht so gut zu vermitteln. So zahlt der EU-Bürger die Geschenke an die Ukraine und die großen Fonds und Finanzkonzerne aus den USA und Großbritannien halten zusätzlich noch ihre Hand auf.

Und wo wir gerade beim Thema USA und Großbritannien sind. Wie kommen die EU-Granden eigentlich auf die absurde Idee, es sei Aufgabe der EU, den Wiederaufbau der Ukraine zu bezahlen? Die USA haben mit ihrer aggressiven Politik diesen Krieg provoziert und Russland ist es, dessen Bomben und Raketen den faktischen Schaden anrichten. Dann sollen die USA und Russland doch bitte auch den Wiederaufbau unter sich ausmachen. Rest-Europa ist weder moralisch noch sonst wie verpflichtet, die Kosten für diesen Stellvertreterkrieg auf osteuropäischem Boden zu übernehmen.

Doch diese Rechnung ignoriert offenbar die Interessen einiger europäischer Akteure. Am Wiederaufbau lässt sich schließlich viel Geld verdienen und so mancher europäische Konzern wird schon mit den Hufen scharren, um einen Teil des Kuchens abzubekommen. Eine „wiederaufgebaute“, nach neoliberalen Vorstellungen als Billiglohnparadies konzipierte Ukraine ist sicher ein Traum für EU-Konzerne; schließlich sind die Löhne in Rumänien, Polen und Bulgarien auch nicht mehr das, was sie mal waren. Und wenn man sich dieses „investorenfreundliche Umfeld“ vom EU-Steuerzahler finanzieren lassen kann … um so besser. Eigentlich müssten die Profiteure ja ein Dankesschreiben an Wladimir Putin schicken. Jede Bombe von heute lässt später die Kassen klingeln.

Titelbild: Oleksii Synelnykov/shutterstock.com

* Das ist kein Übersetzungsfehler. Im Original heißt das Zitat: „We are not talking about millions but trillions“.

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