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  1. Assange mit dem Rücken zur Wand – und die Bundesregierung stammelt wirres Zeug
  2. »Ende der Partei steht im Raum«
  3. Vom Drohen und Warnen
  4. Eine Stellvertreterniederlage bahnt sich an
  5. Die unhaltbaren Reaktionen von Selenskij
  6. Klaus von Dohnanyis “Nationale Interessen” – oder: Dynamit vom Elder Statesman
  7. Papier ist geduldig: Ukraine wird EU-Beitrittskandidat
  8. Habeck will Gasverbrauch von Industrie und Stromerzeugung reduzieren
  9. Energiepolitisch gespalten
  10. Größter deutscher Geflügelzüchter stoppt Klima-Werbung
  11. EU-Prüfer: Glyphosat weiter «nicht krebserregend»
  12. „Räuberische Taten“ der USA in Syrien
  13. “Der Amazonas ist ein Kriegsgebiet”
  14. Lanz‘ heißer Stuhl
  15. Twitter ist ein soziales Ghetto der digitalen Bohème
  16. Monopolmacht gemeinsam zurückdrängen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Verantwortlich für die Richtigkeit der zitierten Texte sind die jeweiligen Quellen und nicht die NachDenkSeiten. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Assange mit dem Rücken zur Wand – und die Bundesregierung stammelt wirres Zeug
    Die Bundesregierung gibt im Fall Julian Assange ein erbärmliches Bild ab.
    Der Auslieferungsentscheid der britischen Regierung im Fall Julian Assange sei ein Generalangriff auf die Pressefreiheit, sagt Sevim Dagdelen, Obfrau der Links-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik. Die Bundesregierung müsse sich laut und deutlich gegen die Auslieferung des Journalisten an die US-Regierung aussprechen und sich aktiv für seine Freilassung aus britischer Haft einsetzen. „Feiges Wegducken gilt nicht länger nach der politisch motivierten Entscheidung der britischen Regierung“, sagte Dagdelen anlässlich der Genehmigung des Antrags auf Auslieferung des Journalisten an die USA durch die britische Innenministerin Priti Patel.
    Die Sprecherin der Bundesregierung, Christiane Hoffmann, früher Journalistin beim der FAZ und beim Spiegel, sagte, im Fall Assange müssten „unterschiedliche Schutzgüter“ gegeneinander abgewogen werden. Die Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit müssten im „Spannungsfeld des staatlichen Geheimschutzes“ gesehen werden. Es gehe um „berechtigte Sicherheitsinteressen eines Staates“, wobei Hoffmann Kriegsverbrechen nicht als berechtigte Sicherheitsinteressen angesehen wissen will – wie sie auf Nachfrage des fassungslosen Fragestellers Thilo Jung in der Bundespressekonferenz sagte.
    Der EU-Parlamentarier Martin Sonneborn schrieb auf Twitter, „unsere Freiheit“ werde nicht am Hindukusch, sondern in Belmarsh verteidigt. Sonneborn hatte nach dem Amtsantritt von Baerbock ein Dossier über den Fall angelegt und die Außenministerin aufgefordert, Assange zu helfen. Vor ihrem Amtsantritt war Baerbock oft und energisch für den Wikileaks-Gründer eingetreten. Seitdem sie im Amt ist, ignoriert sie den Fall und handelt nicht im Rahmen ihrer durchaus vorhandenen Möglichkeiten.
    Quelle: Berliner Zeitung

    dazu: Martin Sonneborn über Julian Assange: „Böhmermann geht in den Knast nach Ankara“
    Martin Sonneborn sieht im Schweigen der Bundesregierung eine verhängnisvolle Entwicklung: Kritischer Journalismus ist nur noch unter Lebensgefahr möglich. (…)
    Was wäre die Lehre, wenn es nicht gelingt, Assange vor der Auslieferung zu bewahren?
    Dann ist das Prinzip der Meinungs- und Pressefreiheit erledigt. Und damit einer der Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie, die wir in Auseinandersetzungen mit China, Russland und dem Rest der Welt als zentrales Argument unserer moralischen Überlegenheit anzuführen pflegen.
    Aber das Exempel ist eigentlich bereits statuiert, mit oder ohne Auslieferung. Und kritischer Journalismus, zumal wenn er die Interessen der US-amerikanischen Regierung berührt, ist nur noch unter Lebensgefahr möglich.
    Wenn sich die internationalen Gepflogenheiten gegenüber einer freien Presse dahingehend verändern, dass Regierungen die Auslieferung ihnen missliebiger Journalisten erreichen können, wird es auch bei uns demnächst ein paar freie Redakteursstellen geben. Böhmermann geht in den Knast nach Ankara, in eine Doppelzelle mit Deniz Yücel, Georg Mascolo in ein Gefängnis auf den Cayman-Inseln. Und Oliver Schröm, der die Cum-Ex-Betrügereien aufgedeckt hat, wird an Bundeskanzler Olaf Scholz ausgeliefert. Smiley
    Quelle: Berliner Zeitung

  2. »Ende der Partei steht im Raum«
    Die Linke befindet sich in existentieller Krise. Parteitag in Erfurt letzte Chance zur Erneuerung. Ein Gespräch mit Sahra Wagenknecht (…)
    Wäre es nicht wieder mal an der Zeit, die Systemfrage zu stellen? Von Teilen ihrer Partei wird eine Programmdebatte eingefordert. Ist das Erfurter Programm, in dem der Kapitalismus als Ursache für Imperialismus und Krieg benannt wird, überholt, wie es der rechte Parteiflügel behauptet?
    Nein, gerade diese Passagen sind doch hochaktuell. Wir erleben ein immer brutaleres Ringen von Großmächten um ihren Einfluss auf der Welt. Um nichts anderes ging und geht es doch in all den Kriegen: im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien und jetzt in der Ukraine. Die USA sind eine absteigende Großmacht, die ihren Weltmachtstatus um jeden Preis erhalten will und dabei in Konkurrenz vor allem zu China steht, aber traditionell eben auch zu Russland. Russland will seinen Großmachtstatus zumindest in seinem unmittelbaren Nahbereich verteidigen und keine Ausweitung der US-Einflusssphäre mehr dulden. Das ist der Hintergrund für den Ukraine-Krieg. Auch zwischen den USA und China kündigen sich immer mehr Konflikte an; Wirtschaftskriege, aber auch die Gefahr von realen Kriegen wächst. Es geht immer um das Gleiche: um Macht, um geopolitischen Einfluss, um Rohstoffe und Absatzmärkte, letztlich um Profit. Insofern war Scholz’ »Zeitenwende«-Rhetorik völlig daneben. Die US-Kriege der letzten Jahrzehnte waren genauso brutal, genauso verbrecherisch und sind genauso zu verurteilen wie der Krieg, den wir jetzt in der Ukraine erleben.
    Die Linke wird als zutiefst zerstritten wahrgenommen. Es gab die Sexismusdebatte aus Hessen, der Ältestenrat wurde kalt entmachtet. Muss die Partei von innen erneuert werden?
    Die Partei braucht einen Neuanfang, personell und inhaltlich. Wir haben deshalb den Aufruf »Für eine populäre Linke« gestartet, der einen Weg aufzeigt, mit dem Die Linke wieder Profil gewinnen und erfolgreich werden könnte. In kurzer Zeit haben den Aufruf mehr als 5.000 Personen unterzeichnet und wir hoffen, dass es noch viel mehr werden. Das zeigt, dass es großen Rückhalt für unsere Positionen gibt.
    Droht ein Horrorszenario auf dem kommenden Parteitag? Steht die Spaltung der Partei im Raum?
    Zunächst einmal steht schlicht ein Ende der Partei im Raum. Wenn Die Linke den aktuellen Kurs fortsetzt, müssen wir davon ausgehen, dass sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird. Und von Wahl zu Wahl wird sie auch in immer weniger Länderparlamenten sein. Die Linke als eine politische Kraft links von der Sozialdemokratie wäre damit tot, was eine Tragödie wäre. Wahrscheinlich ist dieser Parteitag die letzte Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen, mit neuen Gesichtern, die für einen Neuanfang und für die Rückbesinnung auf den Gründungskonsens der Linken stehen. Ich hoffe, dass das gelingt.
    Quelle: junge Welt
  3. Vom Drohen und Warnen
    Eine inflationär verwendete Figurette der Volksbelehrung ist das Ankündigen verschiedenster Übel und Unglücke. Welche Botschaften stecken dahinter? (…)
    Die Warnungen und Drohungen aus Kiew haben allerdings ganz besondere Qualitäten, weil man auch bei gutem Willen nur schwer erkennen kann, warum Menschen, Politiker oder Staaten, die mit dem Rücken an der Wand stehen, sich gegenüber Dritten aufs Drohen mit dem eigenen Untergang verlegen sollten. Es ist nicht so, dass dies überhaupt keinen Sinn ergäbe; allerdings muss dieser von außen in das Argument eingeführt, also schon vorausgesetzt werden. Dies ist hier, offenkundig, ein machtpolitischer, strategischer Sinn: »Weltinnenpolitik«, wie sie neuerdings auch eigentlichen Friedensfreunden zügig von der Hand geht. Für den Fall, dass die Nato die derzeitige Regierung der Ukraine nicht bedingungslos dabei unterstützt, die Krim zurückzuerobern und Donezk zu befreien, »droht« der Präsident damit, den Krieg weiterzuführen, entweder bis zum Endsieg oder bis der letzte ukrainische Held gefallen ist. Und der radikal rechtsnationalistische Botschafter »droht« den deutschen Drückebergern derweil, dass 850.000 ukrainische Flüchtlinge sich von Deutschland nicht mehr versorgen lassen wollen werden, wenn der Botschafterarmee nicht zackzack 500 Leo2 geschenkt werden.
    Das ist nun einerseits eine Frage des Stils, oder auch der Sachkunde der infantil-wüsten Kriegsliteratur der aus allen Rohren schreibenden Gewalten. Das kann aber dahinstehen; es interessiert außerhalb der Kommunikationsberater und Expertenshows ja nicht wirklich. Letzten Endes ist es vielmehr eine Frage von Ja oder Nein: Ja, wird Deutschland mithilfe der ukrainischen Freunde die Krim für den Westen zurückerobern? Wenn man »Nein« sagen will, wofür allerhand spricht, müsste man dem mit dem eigenen Untergang drohenden Wertestaat einmal eine kleine Warnung zukommen lassen. Wenn die Antwort »Ja« heißt, darf man nicht verheimlichen, was das heißt, und sollte dringend zur klaren Drohung gegen die Bürgerin und den Bürger übergehen: Dann seid ihr dran, verehrte Menschen.
    Quelle: Thomas Fischer im SPIEGEL

    Anmerkung Jens Berger: Thomas Fischer in Höchstform. Es ist ein Genuss, einen der letzten schlauen und überaus wortgewaltigen kritischen Kolumnisten zu lesen, der in den großen Medien noch zu Wort kommt. Leider kommen auf einen Fischer hundert Lobos.

  4. Eine Stellvertreterniederlage bahnt sich an
    Die «drei Könige» Macron, Scholz und Draghi reisten nicht mit Geschenken nach Kiew, sondern mit der Forderung nach Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. (…)
    Wie sind der Besuch der drei Könige und ihre Aussagen an der Medienkonferenz zu einzuschätzen:

    1. Die EU-Spitze hält einen ukrainischen Sieg für unmöglich und Verhandlungen für unumgänglich, um einen russischen Diktatfrieden zu verhindern.
    2. Der Stellvertreterkrieg soll offenbar mit einer Stellvertreterniederlage enden. Obwohl die EU die Ukraine mit Waffen und Geld massiv unterstützt und mit den Sanktionen einen eigenen Wirtschaftskrieg entfesselt hat, schiebt sie die Pflicht, Verhandlungen mit Russland aufzunehmen, der Ukraine zu. Mit der sich abzeichnenden Niederlage will sie nichts zu tun haben.
    3. Der Riss in der NATO ist unübersehbar. Während die USA der Ukraine die gewünschten Anti-Schiffsraketen liefern – die Bedingung für die Freigabe des blockierten Getreides – befürwortet die EU schon jetzt, das Problem mit Verhandlungen zu lösen.
    4. Macron deutete zudem an, gegebenenfalls direkt mit Russland Verhandlungen aufzunehmen, falls die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland nicht zu einem Ergebnis führen. Die EU wird dann ihre Interessen vertreten und nicht die ihres möglichen künftigen Mitglieds.

    Zwei entscheidende Kriegsparteien fehlten in Kiew: Russland und die USA. Während sich die Position der USA zusehends schwächt, scheint diejenige von Russland kontinuierlich zu erstarken.
    Quelle: Zeitpunkt

    Anmerkung Christian Reimann: Merkwürdig ist allerdings, dass Georgien “erst nach der Erfüllung von Auflagen den Kandidatenstatus bekommen” soll. Offensichtlich gehen die EU-Kommission und auch die Bundesregierung von geringeren Problemen in der Ukraine aus. Anfang 2021 war jedoch in der “SZ” u.a. das zu lesen:

    “Selenskij führt das postsowjetische Herrschaftssystem fort und akzeptiert Korruption und Rechtlosigkeit im Austausch dafür, dass er und sein Apparat weitgehend die Kontrolle behalten. (…)

    Ein funktionierender Staat braucht unabhängige Institutionen – die gibt es unter Selenskij weiterhin nicht. Im Gegenteil, 2020 unterstellte er sich faktisch die zuvor halbwegs unabhängige Zentralbank und die Generalstaatsanwaltschaft; so gut wie alle angesehenen Reformer wurden gefeuert. Der Geheimdienst SBU, die atemberaubend korrupten Gerichte, die Gremien zur Richterauswahl und -entlassung: Sie alle bleiben unangetastet.

    Jetzt will sich der Präsident auch das halbwegs unabhängige Anti-Korruptions-Büro Nabu unterstellen, weil es zu Recht gegen mehrere Mitarbeiter Selenskijs ermittelt. Würden in der Ukraine nicht Milliarden geklaut, bräuchte das Land keine Kreditmilliarden aus dem Westen.”

    Kaum zu glauben ist, dass sich inzwischen die Situation in der Ukraine wesentlich gebessert hat. Bitte lesen Sie hierzu auch Scholz’ Unterwerfung in Kiew und die Gefahren eines ukrainischen EU-Beitritts und Die Glaubwürdigkeit der EU und dazu Kiew will rein mit einer Anmerkung.

  5. Die unhaltbaren Reaktionen von Selenskij
    Die Kommunikatoren in Kiew und Washington haben es geschafft, in der Öffentlichkeit die Vorstellung zu verbreiten, dass alles, was Selenskij sagt, wahr ist, infolgedessen ist jede objektive Analyse des Konflikts unmöglich geworden.
    Parallel zur Fortsetzung des militärischen Konflikts in der Ostukraine ist der Medienkrieg weiterhin in vollem Gange, und die Verursacher – sowie ihre bewussten oder unbewussten Multiplikatoren – übertreiben es zunehmend, wie die verlogene und skandalöse Reaktion von Vertretern der pro-russischen Kräfte auf den Tod des Journalisten Frédéric Leclerc-Imhoff von BFM TV zeigt. Aber dieses Lager ist nicht das einzige, das in Sachen Kommunikation über die Stränge schlägt, Selenskij und sein Umfeld zeichnen sich darin besonders aus.
    Nachdem die Europäische Union ein „sechstes Paket“ von Sanktionen gegen Russland verabschiedet hatte, erklärte der ukrainische Präsident die Zeit, die die Europäer brauchten, um ein Embargo gegen russisches Öl zu verhängen, für „inakzeptabel“. „Die sechste und die fünfte Runde liegen etwa 50 Tage auseinander, das ist eine Situation, die für uns nicht akzeptabel ist“, sagte er auf einer Pressekonferenz in Kiew am 31. Mai. Wieder einmal, nachdem er sein Land sowohl durch seine rücksichtslose Politik als auch durch die Befolgung der amerikanischen Richtlinien in einen Krieg gestürzt hat, erlaubte sich Zelenskij, die Europäer zu kritisieren.
    Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba kritisierte am 4. Juni Frankreich – obgleich es Waffen an Kiew liefert – nach der Erklärung Emmanuel Macrons, dass „man Russland nicht demütigen dürfe, um eine diplomatische Option zu behalten“. Selenskij selbst kritisierte die Äußerungen des französischen Präsidenten offen und erwiderte: „Russland demütigen? Seit acht Jahren bringen sie uns um“ (sic).
    Diese ständige belehrende Haltung und Neuinterpretation der Geschichte durch die ukrainischen Behörden beginnt, ihre Unterstützer und die Öffentlichkeit zu verärgern.
    Quelle: Overton Magazin
  6. Klaus von Dohnanyis “Nationale Interessen” – oder: Dynamit vom Elder Statesman
    Das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt: US-amerikanische Interessen stimmen nicht mehr mit den europäischen und deutschen überein
    Es sind bezeichnenderweise immer die nun richtig alten Elder Statesmen, die in Deutschland eine vollkommen andere, vom herrschenden Medienmainstream stark abweichende Sicht auf das westlich-russische Verhältnis und die Genese der gerade in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine eskalierenden Spannungen haben. Und zwar unabhängig von Parteienzugehörigkeit und ungeachtet der Tatsache, dass sie zu Hochzeiten des Kalten Krieges nicht selten in völlig konträren Lagern standen.
    Dies galt vor allem für die mittlerweile verstorbenen Spitzenpolitiker, die Ende der Achtziger Jahre zusammen mit der Sowjetunion den (ersten) Kalten Krieg so erfolgreich beendet hatten, dass kein einziger Schuss fiel: Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Egon Bahr, Richard von Weizsäcker – selbst der entschiedenste Protagonist des Nato-Nachrüstungsbeschlusses, Helmut Schmidt sprach sich gegen Ende seines Lebens für einen anderen Umgang gegenüber Russland aus!
    Quelle: Telepolis
  7. Papier ist geduldig: Ukraine wird EU-Beitrittskandidat
    Ihr den Kandidatenstatus nicht zu verleihen, das wäre zur Zeit ein nicht vermittelbarer Affront. Sie aber tatsächlich in die EU aufzunehmen – dazu ist außer einigen Staaten an der Ostflanke, denen ein EU-Mitglied Ukraine als verlässlicher Puffer gegen Russland dienen würde, kaum jemand bereit. Als mit Abstand ärmstes, gleichzeitig bevölkerungsreiches Mitgliedsland würde sie immenses EU-Geld verschlingen, und das auf Dauer. Ihr US-abhängiges Politmilieu würde eine eigenständige EU-Außenpolitik in noch weitere Ferne rücken.
    Und dann wäre da schließlich, was im EU-Jargon gern als mangelnde »Rechtsstaatlichkeit«, als unzulängliche »Korruptionsbekämpfung« umschrieben wird: Solange westeuropäische Investoren und Exporteure beim Armdrücken mit den tief verwurzelten einheimischen Oligarchen strukturell unterlegen sind, solange fehlt ein herausragendes Motiv, der Ukraine die EU-Mitgliedschaft anzudienen. Also hat längst die Suche nach Tempokontrollen auf dem Weg zum EU-Beitritt, auch nach Dauerparkplätzen, begonnen. Emmanuel Macron will Kiew ergänzend zum Kandidatenstatus einen »Fahrplan« verpassen. Olaf Scholz säuselt etwas über die Aufnahme in eine ominöse »europäische Familie«, Mario Draghi schlägt die Ukraine trocken einem nicht näher definierten »Bestand« der EU zu. Mitgliedschaft? Nun, das Papier, auf dem der Kandidatenstatus steht, ist geduldig.
    Apropos Geduld – die wird andernorts dünn: in den Nicht-EU-Staaten Südosteuropas, denen die Mitgliedschaft vor ziemlich genau 19 Jahren in Aussicht gestellt wurde, nämlich auf dem EU-Gipfel im Juni 2003 in Thessaloniki. Dass sie ihre Normen und Standards seither an die der Union anpassen, ohne mit der Mitgliedschaft, also mit Transferzahlungen belohnt zu werden, das ist für Brüssel sehr bequem, für die betroffenen Staaten aber nicht. Dass jetzt die Ukraine mit der Ernennung zum Beitrittskandidaten Bosnien-Herzegowina vor die Nase gesetzt wird, das diesen Status bis heute nicht erhalten hat, kommt dort, vorsichtig formuliert, nicht gut an. Die Regierungen einiger EU-Staaten warnen inzwischen denn auch vor den Folgen allzu offensichtlicher Ungleichbehandlung. Auf dem EU-Gipfel, der nächste Woche in der Sache entscheiden wird, steht deshalb womöglich noch Ärger bevor.
    Quelle: junge Welt
  8. Habeck will Gasverbrauch von Industrie und Stromerzeugung reduzieren
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will angesichts geringerer russischer Gaslieferungen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Gas einzusparen und die Vorsorge zu erhöhen. So soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und Industrie gesenkt und die Befüllung der Speicher vorangetrieben werden. Dazu stellt der Bund Milliardenmittel bereit, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Regierungskreisen erfuhr. Außerdem sollen mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Die Situation sei ernst, wird Habeck in dem fünfseitigen Papier zitiert, das der dpa vorlag. “Der Gasverbrauch muss weiter sinken, dafür muss mehr Gas in die Speicher, sonst wird es im Winter wirklich eng.”
    Quelle: Süddeutsche

    Anmerkung Christian Reimann: Die Energiekrise ist hausgemacht, aber anstatt einzugestehen, dass u.a. die Klimawende so schnell nicht zu schaffen ist und Sanktionen gegen Russland gescheitert sind, fordert Bundesminister Habeck von der Industrie – aber auch von der Bevölkerung – viel. Bitte lesen Sie hierzu auch Habeck ruft mit Aktion zum Energiesparen auf und dazu: Habecks kalte Dusche mit einer Anmerkung.

    dazu auch: DGB-Chefin Fahimi warnt vor „ökonomischem Selbstmord“ bei Klimaschutz
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt mit Blick auf den Klimaschutz vor Fehlern beim Umbau der Wirtschaft. „Es wäre ein eklatanter Fehler, auf Industrieproduktion in Deutschland zu verzichten, nur um sich die eigene Klimabilanz schönzurechnen“, sagte DGB-Chefin Yasmin Fahimi der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Freitag.
    Demnach sieht sie vor allem in energieintensiven Branchen wie Stahl, Chemie sowie in der Aluminium- und Kupferproduktion potenziell Jobs in Gefahr, aber auch in der Lebensmittelindustrie. „Auf all das zu verzichten und sich quasi vom Exportland zum Importland zu wandeln, wäre ökonomischer Selbstmord. Es kann nicht sein, dass wir uns über einen industriellen Rückbau ökologisch gesundschrumpfen“, sagte Fahimi. Es müsse durch die Transformation qualitatives Wachstum und mehr Beschäftigung geben.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung Christian Reimann: Mit dem Klimaargument „warnt“ die neue DGB-Chefin. Verschwiegen wird der Umstand, dass Deutschland auch durch den Verzicht auf preiswerte russische Energieträger der „ökonomische Selbstmord“ droht. Die genannten Branchen leben von günstiger Energie und wären bei erheblichen teureren Energiekosten kaum noch konkurrenzfähig. Das dürfte dem DGB und der Bundesregierung bekannt sein. Übrigens: Bereits vor einigen Wochen war auf „RT DE“ ähnliches zu lesen: Putin: Die EU begeht wirtschaftlichen Selbstmord. Aber das ist wohl lediglich russische Propaganda – auch wenn das Ergebnis der Aussagen verblüffend ähnlich ist.

  9. Energiepolitisch gespalten
    Die Zeichen stehen auf Konkurrenz: Kirsten Westphal sieht die USA und China für die Energiewende gut gerüstet – die EU eher weniger. (…)
    Wie steht es aber de facto um die Abstimmung auf europäischer Ebene, etwa beim Wasserstoff? Mir scheint, es wird weitestgehend auf nationaler Ebene geplant.
    Ja und nein. Ich fürchte, dass wir den Vorteil, den wir in Europa noch in der Technologieführerschaft haben, sehr schnell verspielen, weil andere Weltregionen sehr viel pragmatischer Wertschöpfungsketten etablieren. Wir möchten ambitionierte Qualitätskriterien und Nachhaltigkeitsstandards setzen. Für Drittländer kann das aber auch eine Hürde darstellen. Wer kann zu solch strengen Kriterien liefern? Auch das ist ein Teil dessen, was ich mit Lern- und Suchräumen meine. Die müssen wir uns leisten. Es ist ja auch so, dass uns die Brücke wegbricht – der Übergangsenergieträger russisches Pipeline-Gas. Auch stehen hinter der Ukraine als Wasserstofflieferant große Fragezeichen. Damit wird es noch schwieriger, die Systemtransformation zu schaffen und das nicht nur im Energiesektor, sondern auch in den energieintensiven Industrien. Denn auch die Möglichkeit, blauen und türkisen Wasserstoff einzusetzen, ist schwieriger geworden.
    Quelle: IPG Journal
  10. Größter deutscher Geflügelzüchter stoppt Klima-Werbung
    Der größte deutsche Geflügelproduzent, die PHW-Gruppe, stoppt irreführende Klima-Werbung auf ihren Produkten. foodwatch hatte den Konzern zuvor für die Bewerbung von Hähnchenfleisch als „klimaneutral“ abgemahnt. Aus Verbrauchersicht ist dieser Begriff irreführend, insbesondere wenn damit Produkte mit hohen Treibhausgas-Emissionen wie Fleisch vermarktet werden. Denn es wird der Eindruck vermittelt, dass sich die Produktion des Hähnchenfilets nicht schädlich auf das Klima auswirkt. Doch natürlich entstehen bei der Produktion eines Hähnchenbrustfilets Treibhausgas-Emissionen. Diese sollen zwar mit zugekauften Klima-Zertifikaten ausgeglichen werden. Doch viele Kompensationsprojekte halten nicht, was sie versprechen.
    Dreiviertel aller Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft entfallen auf die Tierhaltung. Aus foodwatch-Sicht ist es deshalb grundsätzlich irreführend, Fleisch als „klimaneutral“ zu bewerben. Für die Verbraucher:innen ist bei Klimawerbung in der Regel nicht ersichtlich, ob die Hersteller den eigenen Treibhausgas-Ausstoß ernsthaft reduziert haben. Viele Unternehmen rechnen ihre Produkte mit Hilfe von Kompensationsprojekten im globalen Süden klimafreundlich. Dieser „Ablasshandel“ ist kritisch zu sehen, da die bei der Produktion entstehenden Emissionen dadurch nicht rückgängig gemacht werden. Außerdem ist fraglich, wie langfristig die Projekte CO2 binden können: Laut einer Studie des Öko-Instituts können nur zwei Prozent der Projekte ihre versprochene Klimaschutzwirkung „sehr wahrscheinlich“ einhalten.
    Die PHW-Gruppe stellt das Hähnchenfleisch unter anderem im Auftrag von Rewe für die Eigenmarke Wilhelm Brandenburg her. foodwatch hatte sowohl Rewe als auch PHW abgemahnt. (…)
    Die Europäische Kommission hat im März einen Entwurf für die Regulierung von Umweltwerbung vorgelegt. Wenn die Richtlinie vom EU-Ministerrat und vom Europaparlament angenommen wird, müssten Unternehmen Vorgaben erfüllen für Klima-Werbung. foodwatch begrüßt die Initiative zum Schutz der Verbraucher:innen vor irreführender Werbung. Allerdings weist der Gesetzesentwurf große Schlupflöcher auf. Es ist weiterhin möglich, klimaintensive Produkte wie Fleisch, Heizöl und Einweg-Plastik als „klimapositiv“ zu bezeichnen.
    Quelle: foodwatch
  11. EU-Prüfer: Glyphosat weiter «nicht krebserregend»
    Die Europäische Chemikalienagentur ECHA hat Glyphosat Ende Mai erneut als «nicht krebserregend» eingestuft. Das umstrittene Herbizid behält damit seine in der EU seit 2017 gültige Einstufung als «augenschädigend und giftig für Wasserlebewesen».
    Die vorliegenden wissenschaftlichen Nachweise erfüllten die Voraussetzungen für eine Einstufung als krebserregende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Substanz nicht, begründete das Komitee für Risikoeinschätzung seine Entscheidung. (…)
    Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen kritisierten diesen Entscheid. HEAL, ein Dachverband europäischer Umwelt- und Gesundheitsverbände, wirft dem Komitee vor, Beweise ignoriert zu haben. Die EU stütze sich vor allem auf die Argumente der Industrie. Das Pestizid Actions Network (PAN) ist gleicher Meinung und weist auf Studien hin, nach denen Glyphosat bei Versuchstieren Krebs ausgelöst hat.
    Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), Teil der Weltgesundheitsorganisation WHO, hatte Glyphosat 2015 als «genotoxisch» und «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft.
    Die Gruppe Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) kritisiert, dass die ECHA nur die Gefährlichkeit des reinen Wirkstoffs Glyphosat beurteilt habe. Das verbreitete Pestizid komme aber in Unkrautvernichtungsmitteln nie allein, sondern in Kombination mit anderen Stoffen vor, was die Gefährlichkeit erhöhen könne. Das sehe sogar der Hersteller Monsanto (inzwischen Bayer) so. (…)
    Glyphosat könnte in der EU dennoch verboten werden. Theoretisch ginge das einfach durch Nichtstun. Die EU-Zulassung für das Herbizid läuft Ende 2022 aus. Die Risikobewertung der ECHA geht nun an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Diese müsste eigentlich abschliessend über Glyphosat entscheiden, bevor die Zulassung Ende des Jahres ausläuft.
    Die EFSA hat aber bereits angekündigt, dass sie sich bis Mitte 2023 Zeit lassen wird. Grund sei die grosse Menge an Kommentaren, die zu dem Totalherbizid eingingen, sowie eine aussergewöhnlich grosse Datenmenge. Im Raum steht deshalb eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um ein Jahr.
    Quelle: Infosperber
  12. „Räuberische Taten“ der USA in Syrien
    Vor kurzem haben mehrere Medien berichtet, dass die illegal in Syrien stationierten US-Truppen aus den von ihnen besetzten syrischen Ölfeldern Erdöl gestohlen und ins Ausland geschmuggelt hätten, um Profit zu erwerben. Der syrische Ölminister Bassam Tohme verurteilte die Handlungsweise der USA als „räuberische Taten“.
    2015 haben die USA unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung Truppen nach Syrien geschickt, was Syrien schwere humanitäre Katastrophen gebracht hat. Zu den Kriegsverbrechen der USA gehören das Verbot des freien Getreidehandels für syrische Landwirte, die Verbrennung von zahlreichen Feldern, der Diebstahl des Eigentums der syrischen Bevölkerung und die Plünderung der Ressourcen des Staates.
    Es ist offensichtlich, dass die von den USA befürwortete „auf Regeln basierende internationale Ordnung“ tatsächlich die Hegemonie der „Überlegenheit der Interessen der USA“ ist.
    Quelle: CRI online

    Anmerkung Christian Reimann: Sowohl im Umgang mit Syrien als auch mit der Ukraine spielen vor allem die US-Interessen eine Rolle. Die Doppelmoral des Westens und insbesondere der USA dürfte hinlänglich bekannt sein. Das Völkerrecht wird je nach Bedarf interpretiert oder sogar ignoriert. Bedauerlich ist, dass die deutsche Bundesregierung auch in diesen Fällen an der Seite der US-Regierung und deren Vermögenden im Hintergrund steht.

  13. “Der Amazonas ist ein Kriegsgebiet”
    Ein Doppelmord im brasilianischen Regenwald sorgt weltweit für Entsetzen. Ein früherer Topbeamter prangert Verflechtungen zwischen Politik und kriminellen Banden an.
    Hugo Loss, 36, hat jahrelang die Umweltfahndung bei der brasilianischen Naturschutzbehörde (Ibama) koordiniert. Seinen Teams waren spektakuläre Schläge gegen kriminelle Eindringlinge in den Amazonaswald gelungen – manchmal auch zusammen mit dem Indigenenexperten Bruno Araújo Pereira von der Indigenenschutzbehörde (Funai), der vor zwei Wochen zusammen mit dem britischen Journalisten Dom Phillips ermordet wurde. Hugo Loss wurde, genau wie der ermordete Pereira, unter der Regierung Bolsonaros kaltgestellt und auf Innendienstposten versetzt. Hier spricht er über die Verbindungen zwischen Politik und Umweltverbrechern im brasilianischen Regenwald.
    Quelle: Zeit Online
  14. Lanz‘ heißer Stuhl
    Eine Talkshow, in der sich alle, Gäste wie Moderator, gegen einen anderen Gast richten: Das hat es vor jener »Markus Lanz«-Ausgabe vom 2. Juni 2022 noch nicht gegeben? Doch, hat es. Und der ZDF-Moderator stammt aus jenem Stall, wo ein solches Konfrontationsformat entstand.
    Kurz bevor Lanz bei RTL anfing, wurde dort eine heute fast legendäre Talkshow eingestellt, die dem heutigen Sendeformat, das seinen Namen trägt, gar nicht so unähnlich war. Wie jenes aktuelle ZDF-Format war die Sendung seinerzeit nicht rein politisch gebunden, widmete sich auch gesellschaftlichen Themen – und lebte in erster Linie vom regelmäßigen Eklat.
    Der damalige Moderator hat sichtlich auf Lanz abgefärbt. Sein ganzer Stil ist von diesem Großmeister der Provo-Moderation geprägt. Er hat Lanz offensichtlich geprägt und war scheinbar – und etwas übertrieben gesagt – so eine Art Mentor für ihn. Olaf Kracht hieß der Mann und seine Sendung wurde als »Explosiv – Der heiße Stuhl« bekannt. (…)
    Lanz steckt so gesehen immer noch in dieser Krawallkultur der Neunzigerjahre fest, für die RTL von jeher eine Art rot-gelb-blaues Konservenglas war. Er pflegt einen Stil, der dem Zeitgeist entstammt, in dem er noch ein Twen war. Ja, er ist ein Confrontainer alter Schule. Natürlich nicht mehr ganz so direkt und durchschaubar wie die Meister der Gilde damals. Heute tarnt man diesen Stil in journalistischen Formaten – etwas, was man damals der RTL-Sendung nie und nimmer zusprach. Aber wie damals sind Gesprächsteilnehmer wieder als Rüpel eingeplant, die man aus Gründen höheren Anspruches als Experten vorstellt.
    Als Lanz bei RTL anheuerte, so viel Ehrlichkeit muss schon sein, war Krachts Format schon wieder aus dem Programm verschwunden. Aber dieser Stil aus ruppigen Zynismus, provokanter Arroganz und yuppiesken Zügen hat das Klima (und das Ansehen) jenes Senders auf viele Jahre geprägt.
    Als Markus Lanz beim ZDF landete, da geriet auch »Der heiße Stuhl «und sein Vermächtnis, diese vermeintliche Moderation auf Grundlage der Provokation und Eskalation, in den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Versehen sind die Pranger, die uns dieser Markus Lanz da als Talkshow andrehen will, allerdings nicht. Eher ein Bekenntnis zu einer Diskussionsunkultur, die er sich seinerzeit abgeschaut hat. Der Mann steckt noch immer in den ach so coolen und fetzigen Neunzigern fest, in denen man über alles laut und krachend talken wollte. Man könnte sagen: Er ist ein Ewiggestriger.
    Quelle: Roberto De Lapuente in Overton
  15. Twitter ist ein soziales Ghetto der digitalen Bohème
    Datenmacht bedroht die Demokratie. Um sie zu schützen, müssen wir die Enteignung unserer Gedanken, unseres Willens, unserer Privatsphäre durch Google, Facebook und Co. beenden.
    Vor wenigen Jahren verlautbarte eine Bundeskanzlerin, das Internet sei Neuland. Mittlerweile durchdringt Big Data unser Leben. Aber es findet kaum eine Debatte darüber statt, wie der Datenkapitalismus und die digitale Infrastruktur im 21. Jahrhundert eigentlich demokratisch gesteuert werden sollen.
    Die neuen Internet-Konzerne und die selbstverliebten Internet-Milliardäre von Amazon-Chef Jeff Bezos über Facebooks Mark Zuckerberg oder Teslas Elon Musk, der mit dem Bezahldienst PayPal reich wurde, sind mächtiger, als es Industriebarone jemals waren: Amazons Lieferfahrzeuge bringen die elektrische Zahnbürste in 24 Stunden – unbeeindruckt von Debatten um Ladenöffnungszeiten oder den Verkehrskollaps von Innenstädten.
    Der Algorithmus von Googles Suchmaschine ist ein schwarzes Loch, das mit jedem Suchbegriff Materie schluckt und immer mehr über uns erfährt. Ein Drittel der Menschheit bewegt sich unmittelbar oder über Apps im Universum von Facebook. Das Unternehmen drängt auf den Finanzmarkt. Zwei Milliarden Menschen haben kein Bankkonto, aber etliche von ihnen verfügen über ein Facebook-Konto. Die CDU warnte in ihrem Ahlener Programm von 1947 noch vor der „Zusammenballung wirtschaftlicher Kräfte“. Was würde ein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard wohl sagen, wenn er in der Welt von Amazon, Alibaba und Apple aufwachen würde?
    Die Gesetzgebung zur Kontrolle von Kartellen ist bereits unzureichend, um die Abzocke von Mineralölkonzernen an der Tankstelle zu beenden. Wie wollen wir dann erst Tech-Konzerne einhegen? Denn im Unterschied zur herkömmlichen Marktmacht ist Datenmacht ungleich stärker. Die Tech-Konzerne beobachten mit ihrem Datenradar in Echtzeit, wie Konsumenten neue Produkte und Dienstleistungen nutzen. Facebook kaufte WhatsApp daher, als der Messaging-Dienst ihm selbst zur Konkurrenz erwuchs. (…)
    Die Nutzung der Daten einer öffentlichen Suchmaschine müsste strengen Kriterien unterliegen und der Algorithmus offengelegt werden. Dieser sollte so gestaltet sein, dass etwa nicht-kommerzielle Angebote ohne Werbepartnerschaft leichter gefunden werden. Nutzer könnten ihre Schwarmintelligenz einbringen, um sinnvolle Apps zu entwickeln, die Nutzen stiften. Dies würde mehr Wettbewerb im Datenkapitalismus stiften
    Der Aufbau öffentlich-rechtlicher Strukturen im Internet wird jedoch durch das europäische Wettbewerbsrecht erschwert. Die Einführung neuer Dienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Unternehmen ist einem Public Service Test zu unterziehen. Sollten das ZDF oder der ORF eine Plattform einrichten wollen, auf der Nutzer Videos teilen, und somit YouTube Konkurrenz machen, wäre dies ein Verstoß gegen EU-Recht.
    Dabei sind es private Tech-Konzerne, die den Wettbewerb untergraben. Die Demokratie zu schützen bedeutet, die Enteignung unserer Gedanken durch Konzerne wie Google, Facebook und Co zu beenden.
    Quelle: Fabio De Masi in Berliner Zeitung
  16. Monopolmacht gemeinsam zurückdrängen
    Nicht nur in Deutschland und der EU, sondern auch auf den globalen Wirtschaftsmärkten nimmt die Marktkonzentration zu. Mit der Marktmacht wächst gleichzeitig auch die Lobbymacht von Monopolunternehmen. Mit unserer Fachtagung „Rebalancing Power: From Corporate Monopolies to Democratic Economies“ haben wir eine europäische Anti-Monoplbewegung angestoßen.
    Den einseitigen Einfluss und die große Macht, die wir bei den Internetplattformen feststellen, gibt es auch in vielen anderen Sektoren. Was ist das grundlegende Problem? Wir haben Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und kleinen- und mittleren Unternehmen zum Austausch zusammengebracht. Während der zweitägigen Tagung in Berlin setzten wir uns mit den Ursachen von Monopolmacht auseinander und analysierten die Instrumente, mit denen wir dagegen vorgehen können. (…)
    Die Instrumente gegen die Markt- und Machtkonzentration bei großen Konzernen betrachteten wir am zweiten Tag. Wir tauschten uns insbesondere auch über kartellrechtliche Ansätze aus, die uns die Kolleg:innen aus den USA vorstellten. In den Vereinigten Staaten gibt es bereits eine größere Bewegung gegen die Monopolmacht von Konzernen, die sich unter anderem für die Zerschlagung der großen Internetplattformen einsetzt. Diese Bewegung ist bereits in der Biden-Administration angekommen. So kommt etwa die Chefin der US-Kartellbehörde FTC, Lina Khan, aus der Bewegung. (…)
    Am Ende der Tagung waren die Teilnehmer:innen motiviert, gemeinsam die Monopolmacht von Konzernen zurückzudrängen. Der inhaltliche Austausch und die internationale Vernetzung sowie daraus entstandene Kontakte sind eine gute Grundlage für den Start einer Anti-Monopolbewegung. Diese Bewegung brauchen wir dringend in Europa, um politischen Druck für die Begrenzung von Konzernmacht aufzubauen. Einen ersten Anstoß haben wir mit unserer Zusammenkunft in Berlin geliefert – und werden nicht locker lassen.
    Quelle: LobbyControl

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