Spiegel-Spitzenjournalismus: Mit Baerbock im Flieger in die USA

Spiegel-Spitzenjournalismus: Mit Baerbock im Flieger in die USA

Spiegel-Spitzenjournalismus: Mit Baerbock im Flieger in die USA

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Die gerade neu beim Spiegel gelandete Journalistin Marina Kormbaki hebt ab: Mit dem Flieger von Außenministerin Annalena Baerbock. Flugziel: USA und Kanada. Das ist an und für sich keine Nachricht, schließlich ist es hinlänglich bekannte Praxis, dass Journalisten mit Regierungsmitgliedern im Flieger unterwegs sind. Das von Kormbaki veröffentlichte Foto auf Twitter bietet jedoch Anlass, ein paar Worte zum Thema kritische Distanz von Journalisten zu Politikern anzusprechen. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Da steht sie, die Regierungsmaschine. Blitzeblank und mit schwarz-rot-goldenen Streifen versehen. Davor, rechts im Bild auf der Treppe, die ins Flugzeug führt: Marina Kormbaki, frischgebackene Spiegeljournalistin. Auch wenn der Himmel grau ist und es nach Regen aussieht: Kormbakis Gesichtsausdruck vermittelt Freude. Man könnte auch sagen: Ein Lachen, wie ein „Honigkuchenpferd“. Das Foto hat sie auf ihrem Twitterkanal veröffentlicht, zusammen mit dem Tweet: „Große Freude! Ab heute berichte ich für @derspiegel – zunächst einmal von unterwegs: Mit Außenministerin Baerbock auf dem Weg nach USA & Kanada.

Soweit, so gut. Oder so schlecht. Je nach dem, wie man es sieht.

Nun lässt es sich, bis zu einem gewissen Grad, nachvollziehen, dass Journalisten mit einem gewissen Stolz und einer gewissen Freude erfüllt sind, wenn sie als Teil einer ausgewählten journalistischen „Elite“ in einem Regierungsflieger mitfliegen dürfen. Im Grunde genommen bräuchte man darüber auch gar nicht groß zu reden – würde der abgelieferte Journalismus dem entsprechen, wie Journalismus eben sein soll. Sprich: regierungskritisch.

Dass dem oft nicht so ist, das bestreiten allenfalls noch Euphemisten und Realitätsverweigerer. Oder eben Journalisten, die in Regierungsfliegern mitfliegen und, gewiss, ihre „Berichterstattung“ als unheimlich kritisch empfinden.

Ungebührliche Nähe?

Zeit also, noch mal etwas zum Thema Nähe zwischen Journalisten und Politikern zu sagen.

Spätestens seit der großen Journalistenstudie von Siegfried Weischenberg aus dem Jahr 2005 ist bekannt, dass Journalisten zu einem großen Teil aus der „veritablen Mittelschicht“ stammen (Damals: 68 Prozent. Heute dürften es mehr sein). Wer sich mit den Studien des französischen Soziologen Pierre Bourdieu auseinandersetzt, weiß: In der Mittelschicht gibt es einen ausgeprägten Hang zur Anerkennung der vorherrschenden Meinung. Etwas vereinfacht und zugespitzt gesagt: Mainstreamsichtweisen sind in dieser Schicht, zumindest tendenziell, sehr stark verankert. Das hat Gründe.

Zunächst: Mitglieder des Großbürgertums können sich aufgrund ihrer hohen sozialen Stellung und vor allem auch aufgrund ihrer beträchtlichen Kapitalvorteile eine „eigene Sicht“ leisten. Etwas vereinfacht gesagt: Sie müssen sich nicht mehr oder nur noch bedingt anpassen. Viele Mitglieder aus der Unterschicht werden, aller Voraussicht nach, den sozialen Aufstieg kaum schaffen. Auch sie müssen sich nur bedingt im Hinblick auf Mainstreammeinungen und Wahrnehmungen anpassen. Auch sie können sich ihre eigene Meinung leisten. Dass sie damit „anecken“ im Hinblick auf eine Karriere, ist tendenziell eher nicht zu erwarten. Anders sieht es bei der Mittelschicht aus. Hier ist es enorm wichtig, nicht „aus dem Rahmen“ zu fallen. Anpassung (politisch, sozial usw.) ist von elementarer Bedeutung im Hinblick auf Karriere und generell ein „Vorwärtskommen“ im Leben.

Diese Zeilen sind sehr knapp und holzschnittartig gehalten. An vielen Stellen müsste man einhaken, weiter erklären, Ausnahmen und Abweichungen und die Gründe dafür thematisieren. Doch das würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die Ausführungen dienen lediglich dazu, besser zu verstehen, warum sich viele Journalisten in der Tendenz mit einer konsequenten Kritik an der Regierung schwer tun.

Zurück zu dem Regierungsflieger, dem Foto und der Nähe zwischen Journalisten und Politikern: Wenn man sich das Foto anschaut, das Kormbaki zeigt, spricht einiges dafür, dass nicht nur ein wenig Stolz und Freude über ihre Reise in dem Regierungsflieger mitschwingt, sondern sehr viel.

Und an dieser Stelle tritt das Kernproblem offen zutage. Kann jemand, wer so stolz darüber ist, „dazuzugehören“, noch jene kritische journalistische Distanz im Umgang mit Politikern an den Tag legen, die für einen wahrlich kritischen politischen Journalismus notwendig ist?

Es ist immer wieder zu sehen, wie Journalisten sich Politikern regelrecht andienen (man denke auch nur daran, wie viele Journalisten zu Pressesprechern von Politikern werden). Man kann bei Interviews und bei anderen Gelegenheiten immer wieder beobachten, dass Journalisten offensichtlich großen Stolz empfinden, wenn sie mit Politikern „auf Augenhöhe“ interagieren dürfen. Sie präsentieren sich mit ihnen sogar bisweilen auf dem roten Teppich oder feiern mitunter gemeinsam eine große Sause im Hamburger Luxushotel „The Fontenay“.

Dieses Verhalten entspricht ziemlich genau einem „Mittelschichthabitus“, also auch einem Wunsch, endlich, wenn schon nicht ursprünglich, doch – irgendwie – „oben“ dabei zu sein.

Wer sich die Berichterstattung von Journalisten anschaut, die mit Regierungsmitgliedern auf Reisen sind, hat oft den Eindruck, reinste Hofberichterstattung zu erhalten. Kritik, die bisweilen in Berichten auftaucht, bewegt sich meistens an der Oberfläche, echte, harte journalistische Kritik ist selten zu beobachten. Die Journalisten, die in Regierungsfliegern mitfliegen, gehören eben in aller Regel großen Medien an, die Politik weiß, dass ein hoher Grad an Anpassung an die vorherrschenden Sichtweisen bei den mitreisenden Journalisten gegeben ist.

Wie Kormbaki einzuordnen ist, lässt sich aus ihrem Auftritt bei Lanz am 30. Juni dieses Jahres erkennen. Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine sagte sie: „…dass dieser Vernichtungskrieg, den Russland angezettelt hat, dass der hier sehr wohl zur Kenntnis genommen wird… .“ (28:40) Jede Wette: In dem Flieger und auf der gesamten Reise wird von keinem deutschen Journalisten das Wort „Stellvertreterkrieg“ ausgesprochen.

Marcus Klöckner bei Twitter: twitter.com/KlocknerMarcus

Titelbild: 09910190 / Shutterstock