„Wenn die ideale Haltung eines Menschen ein gewisses Maß überschreitet, dann ist Misstrauen völlig am Platze“

„Wenn die ideale Haltung eines Menschen ein gewisses Maß überschreitet, dann ist Misstrauen völlig am Platze“

„Wenn die ideale Haltung eines Menschen ein gewisses Maß überschreitet, dann ist Misstrauen völlig am Platze“

Udo Brandes
Ein Artikel von Udo Brandes

Stellen Sie sich vor, Sie lernen auf einer Party einen Arzt kennen und fragen diesen, was denn seine Motivation zum Arztberuf gewesen sei. Und der Arzt antwortet: „Die Kohle natürlich.“ Viele Menschen wären angesichts so einer Antwort wahrscheinlich schockiert und würden diesen Arzt nicht sympathisch finden – und sich nicht bei ihm behandeln lassen. Nicht so unser Autor Udo Brandes. Er meint: So ein Arzt ist ehrlich. Und das sei schon mal eine gute Grundlage. Man sollte sich lieber vor den „demonstrativen Menschen- und Menschheitsrettern“ in Acht nehmen. Denn diese seien oft von gar nicht so schönen Motiven angetrieben.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer prägte den Begriff des „Helfersyndroms“ (Wolfgang Schmidbauer, Hilflose Helfer, Über die seelische Problematik der helfenden Berufe). Grob vereinfacht beschreibt er darin, dass Menschen, die in Helferberufen arbeiten, dies gar nicht so selten deshalb tun, um eigene seelische Beschädigungen oder unerfüllte seelische Bedürfnisse zu kompensieren. Warum sind Helferberufe dabei hilfreich? Weil der Helfer immer die Rolle des Starken, Wissenden, über den Dingen Stehenden hat – und sich dementsprechend stark, sicher und souverän fühlen kann. Und seine eigenen Gefühle von Schwäche, Hilflosigkeit und Bedürftigkeit verdrängen oder abspalten kann – solange er in der Rolle bleiben kann. Denn

„seine persönlichen Beziehungen, seine eigene Partner- oder Elternschaft sind ebenso unvollkommen und gestört wie die seiner Klienten“ (Schmidbauer, S. 218).

Das Problem beim Helfersyndrom-Helfer (und das ist jetzt meine Interpretation, die möglicherweise von Schmidbauers Sicht etwas abweicht): Er hat eigentlich kein echtes Interesse daran, dass sein Klient oder Patient gesund wird oder psychisch erstarkt. Denn er braucht bedürftige und schwache Menschen um sich, um sich selbst stark und selbstbewusst fühlen zu können.

Auch in der Politik gibt es so etwas wie ein Helfersyndrom. Es äußert sich darin, dass Politiker oder politische Aktivisten sich mit großer moralischer Geste für die Benachteiligten, Ausgebeuteten, Unterdrückten oder die Rettung der Erde oder der Menschheit engagieren. Kurz: Für das Gute.

Leiden Linke unter einem Helfersyndrom?

Viele Leser werden jetzt wahrscheinlich fragen: Wollen Sie etwa behaupten, dass Linke, die diese Agenda verfolgen, unter einem Helfersyndrom leiden? Meine Antwort: Nein, wenn es sich um „echte“ Linke handelt. Und das sind Linke, die sich für oder gegen etwas engagieren, weil es in ihrem politischen Interesse liegt.

Der 2015 verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr, einer der Architekten der Ostpolitik der SPD, hat dies einmal gut auf den Punkt gebracht:

„Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte’ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen“ (Zitiert nach Michael Lüders: Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte, C. H. Beck-Verlag, München 2017).

Dieser Satz von Egon Bahr lässt ein Konzept wie die „werteorientierte Außenpolitik“ als das erscheinen, was es ist: scheinheilig. Egon Bahr hat dies anlässlich einer Diskussion mit Schülern in der Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg auch noch mal anders auf den Punkt gebracht. Dort gab er den Schülern Folgendes mit auf den Weg:

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ (Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung vom 04.12.2013)

Sind Menschen, die ihr politisches Engagement mit einem Ideal begründen, sich also zum Beispiel für Demokratie oder Naturschutz engagieren wollen, also immer Scheinheilige? Nein, das wäre nun auch übertrieben. Es geht nicht nur um handfeste materielle Interessen oder nur um Machtausübung, sondern auch um ideelle Werte oder weltanschauliche Grundhaltungen.

Also zum Beispiel, dass man es nicht mitangucken kann, wenn Tiere grausam an der Vermüllung der Meere durch Plastik verenden. Etwa wenn Vögel kleine Plastikteile für Beutetiere halten und an ihre Jungen verfüttern. Oder Delphine oder Schildkröten sich in Fischernetzen oder anderem Plastikmüll verheddern.

Außerdem gibt es durchaus eine gesunde Form von Macht- und Geltungsstreben. Denn Macht zu haben, mitmischen zu können, Einfluss ausüben zu können, etwas zu gelten, das macht auch Spaß. Und das muss man keineswegs negativ bewerten. Denn es gibt auch eine gesunde Form narzisstischer Bestätigung, die Freude an der Selbstwirksamkeit und Selbstentfaltung. Ehrgeiz muss also nicht unbedingt „psychologisch verdächtig“ sein. Aber wie gesagt: Auch die Altruisten handeln nicht nur selbstlos.

Wer dies leugnet und vorgibt, aus rein altruistischen Motiven Gutes tun zu wollen, der macht sich selbst etwas vor. Der Arzt und Psychologe Alfred Adler (und Begründer der Individualpsychologie) hat dies sehr schön in seinem Buch „Menschenkenntnis“ auf den Punkt gebracht:

„Wenn die ideale Haltung eines Menschen ein gewisses Maß überschreitet, wenn seine Güte und Menschlichkeit Formen annimmt, die schon auffällig sind, dann ist Misstrauen vollständig am Platz.“ (Alfred Adler, Menschenkenntnis).

Die dunklen Seiten der Guten

Ein gutes Beispiel dafür ist die katholische Ordensschwester Mutter Teresa, die international berühmt wurde für ihre Hilfeleistungen für Arme, Obdachlose, Kranke und Sterbende. 1979 bekam sie für ihre Arbeit den Friedensnobelpreis. In der Katholischen Kirche wird Mutter Teresa als Heilige verehrt und galt lange Zeit als Vorbild für Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. Mittlerweile jedoch haben Wissenschaftler, die ihre Arbeit durchleuchteten, begründete Zweifel daran. Bei Wikipedia heißt es dazu:

„Inzwischen sind aber sowohl ihre Arbeit als auch ihre Person umstritten, unter anderem wegen der sozialen und hygienischen Zustände in den von ihrem Orden betriebenen Sterbehäusern, der intransparenten Verwendung von Spendengeldern sowie dem vermuteten Hauptziel der Missionierung anstatt der bedingungslosen Hilfe“ (Wen das Thema interessiert: Bei Wikipedia finden sich Literaturhinweise mit kritischen Texten zur Arbeit Mutter Teresas).

Wikipedia zitiert u. a. den Autor Aroup Chatterjee. Nach dessen Recherchen seien leicht heilbare Patienten vom Sterbehaus nicht immer in ein Krankenhaus eingewiesen worden, sondern es sei ihnen bisweilen durch die Behandlung im Sterbehaus womöglich sogar geschadet worden, beispielsweise durch die Verwendung nicht sterilisierter, mehrfach verwendeter Spritzen. Weiterhin soll die Gabe von Schmerzmitteln untersagt worden sein. Laut Mutter Teresa sei durch das Leid eine besondere Nähe zu Jesus Christus erfahrbar, Schmerzen und Leiden daher positiv zu bewerten. Während sie selbst laut des Autoren Serge Larivée kurz vor ihrem Tod palliativmedizinische Methoden in Anspruch genommen habe, um ihr Leiden lindern zu lassen.

Ich halte diese kritischen Berichte durchaus für glaubhaft. Denn nach meiner Erfahrung sind Menschen, die demonstrativ ihr „Gutsein“ zur Schau tragen, mit äußerster Vorsicht zu genießen. Dahinter stehen oft ganz und gar nicht altruistische Motive, sondern verdrängte Triebe aggressiver Natur (zum Beispiel das Streben nach Macht, Geltung oder Besitz). Solche Triebe sind nicht an sich schlecht. Sie werden nur zum Problem, wenn sie verdrängt und verleugnet werden und keiner bewussten Kontrolle und Einbindung unterliegen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Verleugnung und Unterdrückung sexueller Bedürfnisse von Geistlichen in der Katholischen Kirche. Oder wie ist es anders zu erklären, dass es ausgerechnet in der Katholischen Kirche zu massenhaftem Kindesmissbrauch durch Geistliche kommen konnte? Die Ursache dafür ist oft, und hier wird es psychoanalytisch, ein strenges Über-Ich, das ganz natürliche triebhafte Reaktionen verbietet. Menschen dürfen dann keine „bösen“ Gedanken oder Gelüste haben. Das gilt nicht nur für Sexualität. Es gibt auch noch andere Formen der Askese, die Menschen wie eine katholische Monstranz des moralisch einwandfreien Lebens vor sich her tragen. Etwa den Veganismus, wenn er fanatisch betrieben wird.

Wozu „moralische“ Menschen fähig sind

Wohin die Selbstgerechtigkeit von Moralaposteln führen kann, dafür findet sich ein Beispiel in einem Buch des Psychoanalytikers Arno Gruen. Er zitiert aus einem Bericht über einen Fall, der sich am 7. Februar 1968 im US-Staat Arizona ereignete. Es geht um eine junge Frau namens Linda:

„Linda kam nach einer Tanzveranstaltung in Tempe am Freitagabend nicht nach Hause. Am Samstag gab sie zu, die Nacht mit einem Leutnant der Luftwaffe verbracht zu haben. Die Eltern beschlossen eine Strafe, die Linda eine Lehre sein sollte. Sie befahlen ihr, den Hund zu erschießen, der ihr seit zwei Jahren gehörte. Am Sonntag brachten sie Linda und den Hund in die Wüste in der Nähe ihres Hauses. Das Mädchen musste ein Grab schaufeln, dann hielt die Mutter den Hund fest. Der Vater gab seiner Tochter eine Pistole und befahl ihr, den Hund zu erschießen. Stattdessen setzte das Mädchen aber die Pistole an ihre rechte Schläfe und erschoss sich selbst“ (Arno Gruen, Wider den Gehorsam, Stuttgart 2014, S. 66).

So ein grausames Verhalten (der Eltern) ist das Ergebnis moralisierenden Schwarz-Weiß-Denkens. Dabei spielt es keine Rolle, ob es, wie in diesem Fall, um eine stockkonservative Moral geht oder um eine liberale, „weltoffene“ Moral. Nicht die Inhalte sind entscheidend, sondern das rigide Unterscheiden zwischen „gut“ und „böse“. Anders ausgedrückt: Die politisch Korrekten sind mit ihren rigiden Forderungen und Verhaltensweisen den Eltern aus diesem Fallbeispiel weitaus ähnlicher, als ihnen lieb sein wird. Hinter ihrer moralischen Fassade verbirgt sich eine enorme Feindseligkeit und Lust an der Vernichtung, die totalitäre Züge hat.

Ein gutes Beispiel dafür berichtete kürzlich der Literaturwissenschaftler Torsten Teichert. Dieser war früher Sozialdemokrat und persönlicher Referent des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi. Er trat aus der SPD aus und war für genau 97 Tage Mitglied bei der Linkspartei. In einem Interview mit dem Magazin Cicero (siehe hier) beschrieb er, wie es ihm dort erging:

„Ich habe in einer Rede Jeremy Corbyn erwähnt, den ehemaligen britischen Labour-Chef. Ein junger Mann warf mir deswegen in Anwesenheit des gesamten Bezirksvorstands vor, ich solle mich gefälligst von Corbyn distanzieren, weil er Antisemit sei, sonst stünde ich selbst unter Verdacht, ein Antisemit zu sein. Ich persönlich halte Corbyn nicht für einen Antisemiten, weiß aber, dass es auch andere Meinungen gibt. Interessant ist die Zwangslogik, die aus den Verdächtigungen entsteht: Ich muss uns jetzt beweisen, dass ich kein Antisemit bin. Sie sehen: Es geht schnell ins Persönliche über, und diese Attacken kommen ganz stark aus der Bewegungslinken, deren Vertreter die reine Lehre der vier heiligen Säulen vertreten (Teichert meint sogenannte „Bewegungslinke“, die sich kaum für ökonomische Verteilungsfragen interessieren, dafür aber um so mehr für Antirassismus, Feminismus, Migrationsverbundenheit und Ökologie; UB). Zwischen diesen, die ja offenbar in der Mehrheit sind, und dem Wagenknecht-Flügel gibt es keine Bündnisse mehr. Denunziationen stehen auf der Tagesordnung. Die Partei ist so mit sich beschäftigt, dass sie ihren eigentlichen Gegner aus den Augen verliert.“

So eine Kombination aus Feindseligkeit, Herrschsucht und Bösartigkeit bei gleichzeitig hochmoralischer Fassade ist typisch für Menschen, die in ihrer Kindheit nicht „böse“ sein oder um etwas konkurrieren oder kämpfen durften, sondern immer „gut“ sein mussten. Diese Menschen konnten also ihre Aggression nicht offen zeigen und deshalb auch nicht lernen, sie konstruktiv zu integrieren und in vernünftige Bahnen zu lenken. Aber was psychisch unterdrückt oder verdrängt wird, ist nicht verschwunden. Und so kommen die Agressionen der „Guten“ unter dem Deckmantel des moralisch Guten wieder zum Vorschein. Dann aber oft um so bösartiger.

Wenn man im Spiegel etwas sieht, was man nicht wahrhaben will

Ein Beispiel dafür wäre die Kabarettistin Sarah Bosetti, die in sehr feindseliger Weise gegen Ungeimpfte hetzte und diese mit einem Blinddarm verglich:

„Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes“ (Quelle: Bosettis Twitterseite).

Der CDU-Politiker Arnold Vaatz sah darin „Vernichtungsphantasien gegen Menschen“ und meinte, hier würde offen eine Argumentationskette der Nazis aufgegriffen und verwies auf eine ähnliche Äußerung des SS-Arztes Fritz Klein. Dieser verglich Juden mit einem eiternden Blinddarm, der aus dem Volkskörper entfernt werden müsse. Deshalb legte er eine Programmbeschwerde beim ZDF ein, das Bosetti mit diesem Satz in einer Sendung auftreten lassen hatte.

Man kann natürlich darüber streiten, ob man dies gleichsetzen kann. Aber wer sich mit dem Thema „Politik und Sprache“ beschäftigt hat, der weiß, dass Körpermetaphern nahezu immer ein sprachliches Symptom für Hass und Gewaltbereitschaft sind. Das sollten eigentlich gerade Linke wissen, die ständig einen rassistischen Sprachgebrauch anprangern. Aber genau das ist das Tückische unbewusster Triebregungen: Sie entziehen sich der bewussten Kontrolle und bahnen sich einen Weg ans Tageslicht. Wenn ein Mensch das, was er wirklich denkt, verbergen will oder seine wirkliche Haltung sogar vor sich selbst verleugnet, hinterlässt sein Denken bzw. seine wahre Haltung doch Spuren in seiner Sprache. Und wenn er sich noch so sehr dagegen wehrt.

Als nach dieser Äußerung Bosettis ein Shitstorm gegen sie losbrach, war dies aus Bosettis Sicht natürlich das Werk böser Rechtsradikaler (siehe dazu Bosettis Video auf Youtube hier). Bosetti konnte nicht ertragen, was sie unfreiwillig über sich offenbart hatte. In ihrem „Entschuldigungsvideo“ erklärte sie, „Blinddarm“ sei kein „belastetes“ Wort wie etwa das „N-Wort“. Und sie habe das Wort nicht wie ein Nazi gebraucht. Menschen mit Körperteilen zu vergleichen, sei ja nicht unüblich. Ein Blinddarm sei nichts Negatives.

Mit anderen Worten: Sie hatte nicht die geringsten Zweifel an sich und dem, was ihre Sprache über sie verriet. Stattdessen stilisierte sie sich zum Opfer eines rechtsradikalen Shitstorms und beklagte, dass in der Öffentlichkeit jetzt immer in Bezug auf sie wieder ein Gefühl des „Da war doch mal was“ von Leuten wiederbelebt würde, die selber zu Recht für ihre eigene, echte Menschenfeindlichkeit kritisiert würden. Dass ihre Hetze gegen Ungeimpfte vielleicht Ausdruck eines menschenfeindlichen Hasses gewesen sein könnte: auf diesen Gedanken kam Bosetti in ihrem Rechtfertigungsvideo nicht.

So sind sie, die Moralisten. Ambivalenz können sie nicht ertragen. Erst recht nicht, wenn es sie selbst und ihr Verhalten betrifft. Sie selbst sind stets nur die Guten. Basta! Und die Anderen die Bösen. Und wehe, ein Anderer hat eine andere Meinung: Der ist böse.

Und das macht sie so gefährlich. Denn wer keine anderen Meinungen ertragen kann, neigt dazu, diese zu unterdrücken, wenn er die Macht dazu hat. So wie es jetzt von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgemacht wird. Sie hat eine neue Kategorie in den Verfassungsschutzbericht einführen lassen. Dort gibt es jetzt die Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Dort heißt es unter anderem:

„Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip“ (Verfassunsschutzbericht 2021, S. 112).

Man ist also ein Verfassungs- und Demokratiefeind, wenn man es wagt, die Regierung, eine Behörde oder sonstige Institutionen des Staates oder einen Repräsentanten des Staates zu kritisieren. Da bin ich wohl mein Leben lang falsch informiert gewesen oder habe in der Schule nicht richtig aufgepasst. Ich dachte nämlich immer, genau das, dass man eine Regierung kritisieren und delegitimieren darf, genau das sei die Essenz von Demokratie. Und das Umgekehrte, wenn Kritiker der Regierung von eben dieser als Staatsfeinde behandelt werden, dass das typisch sei für autoritäre und totalitäre Staaten.

Aber da muss ich mich wohl geirrt haben. Und es ist natürlich vollkommen demokratisch und verfassungskonform, wenn vor Demonstrationen gewarnt wird. So wie das ein Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes bezüglich einer neu angemeldeten Demonstration gemacht hat. Das Motto der Demonstration: „Für Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung – gegen Spaltung und Extremismus“. Das geht natürlich zu weit. Davor musste der Verfassungsschutz natürlich warnen. Und das tat ein Sprecher desselben dann auch:

„Niemand hat etwas gegen Demonstrationen, die Versammlungsfreiheit ist und bleibt ein hohes Gut in unserer Demokratie. Aber wer am Samstag dort in Niendorf und Poppenbüttel mitmacht, steht Seite an Seite mit Feinden unserer Demokratie“ (Quelle: mopo.de).

Aha. Mir fällt dazu ein berühmter Satz ein: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Und wir wissen ja alle: Es ist auch niemals eine Mauer gebaut worden.

Titelbild: Triff/shutterstock.com

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