Störfall Mappus

Jens Berger
Ein Artikel von:

Die momentan angedachte Kehrtwende in der Atompolitik ist für Stefan Mappus nicht nur ein ideologischer GAU. Unter der Regie von Mappus investiert das Land Baden-Württemberg momentan rund sechs Milliarden Euro in Deutschlands größtes Kernkraftunternehmen – die EnBW. Was bereits ohne Wende in der Atompolitik eine riskante Spekulation mit dem Geld des Steuerzahlers darstellt, erscheint im Lichte der aktuellen Diskussion als gigantisches Fehlmanagement. Die Rechnung wird in jedem Falle der Steuerzahler bezahlen. Schlauerweise hat Mappus jedoch dafür gesorgt, dass das Ausmaß der Verluste erst nach den Landtagswahlen offenbar wird. Von Jens Berger

Eine Abschaltung von Neckarwestheim I sei „völlig indiskutabel“ und wäre „das schiere Gegenteil von dem, was man unter Redlichkeit in der Politik versteht“. Diese Worte stammen von Stefan Mappus – dem Mann, der an diesem Montag eine sagenhafte 180°-Wende hingelegt hat und das Uraltkraftwerk Neckarwestheim I dauerhaft vom Netz genommen hat. Ist Mappus nun das Gegenteil von Redlichkeit in der Politik? Dem mag so sein, die Entscheidung, Neckarwestheim vom Netz zu nehmen, war dennoch korrekt. Paradoxerweise wird diese Entscheidung dem Steuerzahler jedoch noch arge Kopfschmerzen bereiten. Betreiber des Kernkraftwerks Neckarwestheim I ist die EnBW und die gehört seit wenigen Tagen mehrheitlich dem Land Baden-Württemberg. Die EnBW betreibt in Neckarwestheim und Philippsburg jeweils zwei Reaktoren. Neben Neckarwestheim I steht auch Philippsburg I auf der aktuellen Liste der Altreaktoren, die nun auf Wunsch der Bundesregierung vorübergehend vom Netz genommen werden.

Wenn es in Deutschland einen „Atomkonzern“ gibt, so ist dies die EnBW. Nach Brancheninformationen fährt sie 90% ihres Gewinns durch die Stromproduktion ein, 75% davon stammt aus den Atommeilern. Kein anderer Stromversorger hat einen derart hohen Atomstromanteil wie die EnBW – mehr als die Hälfte des Stroms [PDF – 7.2 MB], den die EnBW vertreibt, stammt aus den vier Kernkraftwerken, vermarktet wird er unter anderem über die bundesweit aktive Tochter „Yello Strom“. Da die alten Kernkraftwerke bereits abgeschrieben sind und der Steuerzahler die eigentlich anzusetzenden Nebenkosten (z.B. Versicherung für den Katastrophenfall und die Entsorgung des Atommülls) übernimmt, sind diese Anlagen echte „Cash-Cows“. Jeder Altmeiler der EnBW bringt dem Betreiber jedes Jahr einen Reingewinn von mehr als 100 Millionen Euro ein. Ohne Kernkraft würde EnBW die Hälfte der Stromkapazität wegfallen und das Unternehmen wäre gezwungen, diese Strommengen durch Einkäufe zu substituieren. Dies hätte jedoch maßgeblichen Einfluss auf das Betriebsergebnis und den Unternehmenswert der EnBW.

Stefan Mappus hat ohne Konsultation des Landtags in einer Nacht- und Nebelaktion die Übernahme der 45-Prozent-Beteiligung des französischen Stromriesen EDF durchgeboxt. Besonders pikant an diesem Deal ist auch der Umstand, dass Mappus das Geschäft über seinen alten Freund und Trauzeugen Dirk Notheis durchführen ließ. Der Kaufpreis für den EDF-Anteil beträgt 4,67 Milliarden Euro – erst vor zehn Jahren hatte das Land Baden-Württemberg seine Anteile an die EDF verkauft. Für Experten liegt dieser Preis, der immerhin 850 Millionen Euro über dem Börsenwert des Aktienpakets zur Zeit des Angebots liegt, ohnehin zu hoch. Nach dem Unglück von Fukushima erscheint er geradezu grotesk hoch. Laut Stuttgarter Nachrichten soll der Mappus-Intimus Notheis noch vor wenigen Wochen intern gewitzelt haben: „Der EnBW-Deal ist ein Bombengeschäft […], es sei denn, es geht irgendwo noch ein Atomkraftwerk in die Luft“. Dieser Fall ist eingetreten und nun rächen sich die Übernahmekonditionen für das Land Baden-Württemberg gleich doppelt.

Um die Übernahme rechtlich wasserdicht zu gestalten, musste das Land Baden-Württemberg nicht nur der EDF, sondern auch allen Kleinaktionären ein Übernahmeangebot machen. Bis zum 18. März können Kleinaktionäre in der ersten Phase ihre Anteile für den offiziellen Übernahmepreis von 41,50 Euro pro Aktie an die EnBW verkaufen. Bis zum Auslaufen des Übernahmeangebots ist die EnBW-Aktie de facto vom Markt abgekoppelt, da jeder Aktionär die Aktie zu einem günstigeren Preis aufkaufen und zum Übernahmepreis an die EnBW weiterreichen könnte. Die eigentliche Bewertung der Märkte kann daher erst nach Ablauf des Übernahmeangebots vorgenommen werden. Da Mappus sich so kurz vor den Wahlen jedoch nicht dem Risiko einer potentiellen Fehlinvestition aussetzen wollte, richtete Notheis eine – ansonsten eher ungewöhnliche – zweite Angebotsphase ein, die vom 24. März bis zum 6. April geht und somit den Wahlsonntag abdeckt. Anlässlich der aktuellen Ereignisse in Japan, Berlin und Stuttgart ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Kleinaktionäre die 41,50 Euro dankbar als Rettungsring annimmt. Das Land Baden-Württemberg muss dann 5,9 Milliarden Euro für die Beteiligung investieren. Sehr viel Geld für einen Atomkonzern, dessen Wert sich durch das Abschalten seiner Kernkraftwerke buchstäblich in Luft auflösen wird. Die eigentliche Rechnung wird dem Bürger dann am 7. April präsentiert, dem ersten Tag, an dem die Aktie wieder frei gehandelt werden wird. Man muss kein Prophet sein, wenn man bereits jetzt einen kolossalen Sturz des EnBW-Kurses vorhersagt.

Mappus Atom-Deal hat jedoch noch einen zweiten elementaren Haken. Die Übernahme wird nicht aus dem laufenden Haushalt, sondern über eine Sonderanleihe komplett fremdfinanziert. Das ist das Standardvorgehen von Private-Equity-Fonds – besser bekannt als „Heuschrecken“. So ein Deal kann nur dann aufgehen, wenn das übernommene Unternehmen die Fremdfinanzierung aus den laufenden Einnahmen finanziert. Stefan Mappus geht dabei von einer Dividende von mindestens 1,25 Euro pro Aktie aus. Solche Dividenden kann die EnBW jedoch nur ausschütten, wenn sie ihren billig produzierten Atomstrom zu Premiumpreisen verkauft. Ohne die Uralt-Meiler in Neckarwestheim und Philippsburg fällt jedoch das gesamte Übernahmekonzept zusammen wie ein Kartenhaus.

Die neue Landesregierung hat dann drei Optionen. Sie könnte beispielsweise die Dividende aus der EnBW herauspressen, die sich dann von großen Teilen ihrer Aktiva trennen muss. Dieses Vorgehen könnte man als Prinzip Heuschrecke bezeichnen. Am Ende hätte das Land zwar seine Fremdfinanzierung bedient, wäre dann jedoch Besitzer einer womöglich wertlosen Hülle. Der Verlierer wäre der Steuerzahler. Die zweite Option wäre die Finanzierung der anfallenden Übernahmekosten aus dem laufenden Haushalt. Der baden-württembergische Steuerzahler müsste dann ganz direkt für die Fehlinvestition Mappus geradestehen. Als letzte Option gäbe es dann noch das Nachverhandeln mit dem Bund. Es ist keineswegs ausgemacht, dass die Kraftwerksbetreiber die Abschaltung ihrer Meiler ohne weiteres akzeptieren. In diesem Falle würden dann bundesweit die Steuerzahler für Mappus Fehlinvestition geradestehen. Egal welche Option gezogen wird, der Steuerzahler verliert in jedem Fall.

Stefan Mappus hat sich aufgrund seiner ideologischen Verblendung verzockt. Wahrscheinlich ist der Mann, der lieber Kohle- und Gaskraftwerke als Kernkraftwerke stilllegen will und sich vor wenigen Monaten noch eine Laufzeitverlängerung von „15 Jahren plus“ vorstellen konnte, der größtmögliche Störfall für sein Land. Selbst wenn er am Wahlsonntag stillgelegt wird, muss der Bürger noch über Jahre hinweg an den Spätfolgen des Ministerpräsidenten-GAU leiden.