Deutsche Militärpolitik à la Absurdistan

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Egal wie man zu dem Mehrheitsbeschluss im UN-Sicherheitsrat über die Durchsetzung eines Flugverbotes stehen mag, die Bundesregierung hat sich mit ihrer Begründung für ihre Enthaltung auf allen nur denkbaren Argumentationsebenen in groteske Widersprüche verwickelt und insgesamt unglaubwürdig gemacht. Sie treibt eine Militärpolitik à la Absurdistan. Wolfgang Lieb

Man kann sich, wie die Partei DIE LINKE auf den ethisch und nach historischen Erfahrungen gut vertretbaren Standpunkt stellen, dass Krieg kein Mittel zur Lösung von politischen Auseinandersetzungen ist, weil Krieg nicht nur immer auch Gewalt gegen Zivilisten bedeutet und Opfer unter Soldaten und Unschuldige kostet, sondern immer nur neue Gewalt hervorruft.

Wer eine solche Haltung einnimmt, muss Militäreinsätze und Krieg (vielleicht bis auf den im Grundgesetz vorgesehen „Verteidigungsfall“ und bis auf humanitäre Einsätze von UN-Friedenstruppen) für welche Ziele und Zwecke auch immer grundsätzlich ablehnen.

Damit im Folgenden keine Missverständnisse aufkommen können: Ich neige unter den gegebenen Verhältnissen auf der Welt eher dieser Position zu.

Die ersten Bombardements der 8 beteiligten NATO-Staaten bestätigen die Befürchtung, dass es auch in Libyen schon zu zahlreichen zivilen Opfern gekommen ist und kommen wird. Was haben eigentlich Bomben und Raketen auch auf das nicht von Aufständischen beherrschte Tripolis und Angriffe mit Marschflugkörpern auf Militärfahrzeuge und Ziele auf dem Boden mit der Durchsetzung eines Flugverbots zu tun? Das fragt sich wohl nicht nur die Arabische Liga, die ja zuvor einer Flugverbotszone zugestimmt hatte.
Geht es hier um die Verhinderung von weiterer Gewalt durch einen Waffenstillstand oder um eine militärische Unterstützung der Gaddafi-Gegner, also letztlich um einen Krieg gegen den libyschen Herrscher? Wäre ein solcher Krieg durch die UN-Resolution gedeckt?
Wird nicht schon jetzt deutlich, dass es einen langen Krieg geben wird? Denn Luftschläge entscheiden keine Kriege und wie so oft, stützt Gewalt von außen – jedenfalls zunächst einmal – die Gewalt und die Propaganda der Herrschenden im Innern.

Außenminister Westerwelle nahm in seiner Regierungserklärung zur aktuellen Entwicklung in Libyen zwar nicht eine moralisch fundierte Grundsatzposition einer Ablehnung von Militäreinsätzen ein, aber hinsichtlich der Nutzen- und Risikoabwägung eines Militäreinsatzes in Libyen folgt er dieser Argumentation:

„Es gibt keinen sogenannten chirurgischen Eingriff. Jeder Militäreinsatz wird auch zivile Opfer fordern. Das wissen wir aus leidvoller Erfahrung. Wenn wir abwägen, wie wir uns international verhalten und ob wir uns und wo wir uns beteiligen, dann muss in diese humanitäre Abwägung immer auch mit einbezogen werden, dass es Opfer gibt, auch zivile Opfer gibt.“

Beweist aber nicht gerade auch der Krieg in Afghanistan nahezu täglich, dass es keine chirurgischen Eingriffe gibt und jeder Militäreinsatz auch zivile Opfer kostet?

Er selbst erinnert an die „leidvollen Erfahrungen“ bei den Irak- oder den Afghanistaneinsätzen. Er zieht allerdings daraus nicht etwa die logische Schlussfolgerung, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan – weil es ja auch dort vor allem auch tausende „zivile Opfer“ gab und gibt – für nicht vertretbar zu halten, geschweige denn – wenn man schon auf die Opfer abstellt – die deutschen Soldaten zurückzuholen.

Im Gegenteil: Westerwelle deutete in seiner Regierungserklärung schon an, dass die Frage möglicher Luftüberwachungseinsätze in Afghanistan mit deutschen AWACS-Flugzeugen jetzt „auf der Tagesordnung“ stehe. Und die Kanzlerin machte deutlich was damit gemeint ist: Nämlich, dass Deutschland „zusätzliche Anforderungen“ z.B. mit AWACS-Aufklärungsflüge in Afghanistan übernehmen könnte, um amerikanische Kapazitäten für den Einsatz gegen Libyen freizusetzen.

Wie will aber die Bundesregierung begründen, dass zusätzliche Militäreinsätze der Bundeswehr in Afghanistan im Gegensatz zur Durchsetzung eines Flugverbots in Libyen gerechtfertigt seien?

Da es in Afghanistan um die Entlastung der amerikanischen Armee gehen soll, sind also nicht nur das ISAF-Mandat (“International Security Assistance Force”), sondern auch die „Operation Enduring Freedom“ (OEF) berührt. Eine solche Ausweitung von AWACS-Einsätzen ist schon deshalb widersprüchlich, weil es für diesen von den USA ausgerufenen Kriegseinsatz (im Rahmen der OEF) bis heute – im Gegensatz zu Libyen – noch nicht einmal ein Mandat der Vereinten Nationen gibt. In Afghanistan soll also die Bundeswehr (jedenfalls auch) einen Kriegseinsatz unterstützen, für den es kein UN-Mandat gibt. Bei einem Militäreinsatz durch die Ausrufung einer Flugverbotszone über Libyen auf der Grundlage eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrats und dazu noch mit Unterstützung der Arabischen Liga sollen jedoch noch nicht einmal deutsche Aufklärungsflugzeuge eingesetzt werden dürfen. Diese Logik verstehe, wer wolle.

Die Bundesregierung legt also auf unterschiedlichen Argumentationsebenen zweierlei Maß an:

  • Sie unterstützt einen Militäreinsatz in Afghanistan, der erwiesenermaßen sogar durch deutschen Befehl (z.B. durch den Angriff auf einen Tanklastwagen in der Nähe von Kundus) zivile Opfer kostete und weiter kosten wird. Sie lehnt eine Flugverbotszone über Libyen jedoch ab, obwohl die Luftangriffe durch die Gaddafi ergebene Luftwaffe zivile Opfer forderte.
  • Die Bundesregierung entzieht sich einem Mehrheitsbeschluss des UN-Sicherheitsrats im Hinblick auf Libyen und bietet als Kompensation für ihre Enthaltung die Unterstützung für einen zusätzlichen Militäreinsatz in Afghanistan an, ohne dass – jedenfalls für Einsätze im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ – ein solches UN-Mandat vorhanden wäre.

Geradezu absurd erscheint die Enthaltung im Sicherheitsrat, wenn man die Begründung der Bundesregierung dafür mit der inzwischen offiziellen Sicherheitsdoktrin für den Einsatz der Bundeswehr vergleicht.

Schon im Weißbuch zur Bundeswehr aus dem Jahre 2006 (abrufbar hier [PDF – 1.3 MB]) – also noch unter der Großen Koalition – wird als Ziel der deutschen Sicherheitspolitik unter anderem definiert, “den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern”. Und der zurückgetretene Verteidigungsminister zu Guttenberg hat im letzten November auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein klares Plädoyer für einen offenen und unverklemmten Umgang beim Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von wirtschaftlichen Interessen gehalten.

Militäreinsätze zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen also ja, der Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen für diejenigen, „die wegen ihres Eintretens für demokratische Prinzipien unterdrückt, gequält, gefoltert oder gemordet werden“ (Westerwelle) aber nein. Da mag Westerwelle noch so viel über das weltweite Eintreten der Bundesregierung für „freiheitliche und demokratische Werte“ fabulieren, ein groteskeres Missverhältnis zwischen Pathos und Handeln gibt es kaum noch.

Nebenbemerkung: Unbestreitbar ist Gaddafi ein korrupter Despot und übt seit 40 Jahren eine Willkürherrschaft aus, das hat den Westen insgesamt und speziell den französischen Präsidenten bis vor kurzem aber nicht daran gehindert, den libyschen Herrscher – wenn es ums Geschäft ging – zu hofieren. Und ist es denn so sicher, dass es sich bei den „Aufständischen“ in Libyen tatsächlich um eine Demokratiebewegung wie in Ägypten und Algerien handelt oder herrscht nicht vielmehr ein Stammeskrieg? Müsste „der Westen“ mit der gleichen Rechtfertigung nicht auch in Bahrain, im Jemen oder in Syrien militärisch zugunsten der Demonstranten eingreifen?

Die Bundesregierungen unter den Kanzlerschaften von Schröder und von Merkel haben sich beim Militäreinsatz in Afghanistan auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA auf Art. 24 Abs. 2 GG berufen.
Dort heißt es:

„Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“

Endlos wurde betont, dass man sich bei dem ISAF-Mandat auf Resolutionen des UN- Sicherheitsrates und auf die „Bündnistreue“ (kollektive Sicherheit) zu den NATO-Staaten, vor allem auch gegenüber den (angeblich von aus Afghanistan gesteuerten al-Quaida-Terroristen) angegriffenen USA berufe. Bei dem Beschluss zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, haben jedoch die USA und auch die anderen NATO-Staaten im Sicherheitsrat gleichfalls dafür gestimmt. Nur die nicht diesem westlichen Militärbündnis angehörigen Mitglieder Russland, China, Indien, Brasilien und Deutschland haben sich enthalten bzw. haben an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Warum gelten ein UN-Mandat und die „Bündnistreue“ oder die „Solidarität“ mit den NATO-Staaten als Begründung für den Afghanistan-Militäreinsatz, für die Einhaltung einer Flugverbotszone über Libyen aber nicht?

Im Übrigen hatte doch gerade Angela Merkel (gegen Schröder und Fischer) sogar den nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als völkerrechtswidrig eingestuften Irak-Krieg politisch unterstützt.

Man könnte als Begründung vielleicht die Behauptung des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck anführen, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Also weil angeblich afghanische oder in Afghanistan ausgebildete Terroristen einen (asymmetrischen) Krieg gegen Länder der westlichen Welt führten. Tatsächlich wird jedoch in Afghanistan schon längst kein Krieg mehr gegen al-Quaida-Terroristen (die gibt es dort gar nicht mehr) sondern gegen „den Taliban“ geführt, der Frauen und Mädchen und den angeblichen Wunsch der Afghanen nach Freiheit und Demokratie unterdrücke. Wo ist da also der Unterschied zu dem „schrecklichen Krieg gegen das eigene Volk“ (Westerwelle), den Gaddafi und seine Getreuen führen? Warum steht man da nicht „an der Seite derjenigen, die wegen ihres Eintretens für demokratische Prinzipien unterdrückt, gequält, gefoltert oder gemordet werden.“

Und hatte der „Diktator“ Gaddafi mit dem Bombenanschlag auf ein Verkehrsflugzeug über dem schottischen Lockerbie und dem von den Amerikanern gleichfalls dem libyschen Geheimdienst zugeschriebenen Attentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“ nicht etwa auch westliche Länder „angegriffen“?

Auch im Hinblick auf die Bezugnahme auf ein UN-Mandat, auf die „Bündnistreue“ und den Einsatz für Menschenrechte und Demokratie verstrickt sich die Bundesregierung mit ihrer Haltung im Sicherheitsrat somit nur in Widersprüche.

Diese Widersprüchlichkeiten finden sich allerdings keineswegs nur in der Haltung der Bundesregierung. So warnte etwa auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin: “Wer einen solchen Luftkrieg in Libyen möchte, tut gut daran, über die Folgen samt aller Kollateralschäden nachzudenken.” Dennoch hat seine Fraktion die letzte Verlängerung des Afghanistan-Mandats nicht etwa grundsätzlich abgelehnt, sondern nur deshalb, weil es zu „schwammig“ sei. Deshalb konnte auch Renate Künast bei ihrer Rede im Bundestag nur herumeiern, in dem sie zwar für die Grünen die UN-Resolution begrüßte, aber von Westerwelle nicht mehr abverlangte, als dass er in Sachen Menschenrechte „aktiver“ werde.

Auch die SPD verhedderte sich in diesen Widersprüchen. Vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrates erklärte ihr außenpolitischer Sprecher Rolf Mützenich noch „Die Erwägungen einzelner Staaten über militärische Maßnahmen sind weder hilfreich noch effektiv…Im schlimmsten Fall können sie eine weitere Eskalation befördern. Sie erschweren eine gemeinsame internationale Haltung.“

In der Bundestagsdebatte um die Regierungserklärung Westerwelles hörte sich das dann ganz anders an. Deutschland habe bei Krisen immer ein möglichst gemeinsames Vorgehen der internationalen Gemeinschaft unterstützt: „Es war deshalb ein Fehler, dass Außenminister Guido Westerwelle die Drohung mit einer Flugverbotszone kategorisch ausgeschlossen hat. Damit hat er seine Handlungsfreiheit (?) ohne Not eingeschränkt.“ Auf Konfrontation mit der Bundesregierung wollte Mützenich im Gegensatz zu Heidemarie Wieczorek-Zeul jedoch nicht gehen. Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel drückte sich um eine klare Aussagen und warf Westerwelle nur vor, Deutschland international isoliert und Europa gespalten zu haben. Ein inzwischen typisches sozialdemokratisches Sowohl-als-auch: Für die UN-Resolution zu Militäreinsätzen, aber gegen Militäreinsätze der Bundeswehr. Sollen doch andere die Beschlüsse ausführen.

Auch die Grünen und die SPD müssen sich also vorhalten lassen, dass sie bei ihrer Position zu Afghanistan und bei ihrer Haltung zu einer militärisch abzusichernden Flugverbotszone mit zweierlei Maßstäben messen. Wie sollte es auch anders sein, da doch diese Parteien früher den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr beschlossen haben und weiter daran festhalten.

Mützenich warf der Bundesregierung vor, sie folge nur „innenpolitischen Motiven“. Das dürfte die einzig rationale Erklärung für die Enthaltung der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat sein: Merkel und Westerwelle erhofften wohl vor den anstehenden Wahlen – nachdem CDU und FDP in ihrer Atompolitik gerade einen GAU erlebten – vor allem einen Wahlkampfcoup landen zu können, indem sie – wie einstmals Schröder kurz vor der Bundestagswahl 2002 – einen Militäreinsatz ablehnen und sich dafür noch rasch die Gunst einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler erschleichen möchten.

Vielleicht ist ja der überwiegende Teil der Bevölkerung gegen Militäreinsätze, aber vielleicht erkennen die Bürgerinnen und Bürger auch, wie opportunistisch und vor allem wie widersprüchlich sich die Bundesregierung mit ihrer Politik gegenüber Libyen und mit ihrer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat verhält.

Doch auf dem Sondergipfel von 22 Staatschefs in Paris – einen Tag nach der Regierungserklärung – schlug Merkel schon wieder einen Haken: “Aber jetzt gilt die Resolution, und wir wollen, dass sie erfolgreich durchgesetzt wird”, sagte sie und setzt die Militärpolitik der Bundesregierung à la Absurdistan fort.

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