Interview mit Friedhelm Hengsbach – einem der letzten Intellektuellen mit einer eigenen Meinung

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

“Ich halte die Linkspartei für einen Segen – Eine CDU-geführte Regierung wird das fortsetzen, was Gerhard Schröder angefangen hat: die Deformation des Sozialstaats und die Entsolidarisierung. Ein Drittel der Bevölkerung ist im Parlament gar nicht mehr repräsentiert“, so Hengsbach.

Den Eindruck, unsere Intellektuellen seien ansonsten unfähig oder unwillig, den Charakter und die Folgen der Reformpolitik wahrzunehmen, gewinnt man, wenn man das Interview mit Friedhelm Hengsbach liest und seine Äußerungen zum Beispiel mit der Rede von Günter Grass vergleicht, die dieser im Wahlkampf pro Schröder hält und die in der Süddeutschen Zeitung vom 14.9. abgedruckt war. Grass spricht zu den Reformen nur nach, was gängige Meinung ist und ihm vermutlich aufgeschrieben worden ist.

Ähnlich ist das beim Aufruf der „Aktion für mehr Demokratie“ In diesem Aufruf wird behauptet, es gehe bei der Wahl „um eine Richtungsentscheidung“. Und es findet sich dort die erstaunliche Feststellung:

Nachdem sich die SPD von den gescheiterten neoliberal inspirierten Konzepten endlich wieder löst und ihren eigenen sozialdemokratischen Weg der Reformen geht, ist sie dabei, auf den Feldern Beschäftigungspolitik und soziale Sicherung verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Die vielen Intellektuellen, die dies unterschrieben haben, sind offensichtlich blind, jedenfalls nehmen sie nicht wahr, was um sie herum vorgeht und direkt die Folge der Reformpolitik Schröders und seiner Koalition ist: zum Beispiel die massive Propaganda für die Privatisierung der Altersvorsorge und gleichzeitig die gezielte Erosion des Vertrauens in die Gesetzliche Rente.

Ich mache dazu auf eine Kampagne von Allianz, Dresdner Bank und BILD aufmerksam: „Bild.T-Online und Allianz Leben präsentieren die Volks-Rente. Ohne sehen Sie ganz schön alt aus!“, so heißt es zu Beginn eines Textes bei Bild.T-Online.

Ähnliche Texte finden Sie in einer Reihe von Anzeigen in BILD und anderen Werbemitteln, mit denen jetzt eine Offensive von Allianz und Dresdner Bank zur weiteren Privatisierung der Altersvorsorge beworben und begleitet wird. In den Texten wird den Menschen immer wieder eingeredet, die gesetzliche Rente reiche nicht mehr. Wörtlich:

Wer nicht selbst fürs Alter vorsorgt, ist später arm dran. Denn die gesetzliche Rente läßt gegenüber dem vorherigen Einkommen große finanzielle Lücken. Ein sorgenfreier Lebensabend ist so kaum möglich.

Darüber, wie falsch diese Behauptungen sind, haben wir in den NachDenkSeiten schon mehrmals ausführlich erläutert.

Die Regierung Schröder hat den Vertrauensverlust der gesetzlichen Rente mit der Einführung der Riester-Rente und mit einer begleitenden Propaganda beschleunigt, nachdem in der Regierung Kohl damit begonnen worden war. Schwarz-gelb würde darauf aufbauen und vielleicht etwas schneller weitermachen. Das ist der einzige Unterschied. Eine Richtungsentscheidung steht da wie bei anderen Themen nicht an. Sie wird in diesem zutiefst verlogenen Wahlkampf immer nur behauptet. Wenn es eines Beweises der Richtigkeit des roten Fadens meines Buches „Die Reformenlüge“ bedurft hätte, der zu Ende gehende Wahlkampf hat wieder einmal gezeigt, wie nahe wir an dem sind, was George Orwell in „1984“ so skizziert hat:

Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.

Nahezu alle unsere Intellektuellen geben sich dafür her. Um so dankbarer muss man Friedhelm Hengsbach sein, dass er seine Stimme gegen diese selbst betriebene Gleichschaltung erhebt.