Asyl für russische Deserteure? Die Nagelprobe für den Wertewesten

Asyl für russische Deserteure? Die Nagelprobe für den Wertewesten

Asyl für russische Deserteure? Die Nagelprobe für den Wertewesten

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die Waffen nieder! Wer heute als russischer Soldat Bertha von Suttners Ausspruch befolgt und desertiert, dem drohen nach den jüngst verschärften russischen Gesetzen bis zu zehn Jahre Haft. Eigentlich sollten die Deserteure ein Musterbeispiel für das europäische Asylrecht sein. Dem ist jedoch nicht so. Polen und die baltischen Staaten lehnen nicht nur das Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ab, sondern haben auch gleich ihre Grenzen zu Russland komplett geschlossen. In Deutschland gibt man sich offen für Asylanträge, tut jedoch gleichzeitig auch nichts, um es russischen Deserteuren überhaupt zu ermöglichen, dieses Asylrecht in Anspruch zu nehmen. Damit zeigt der Westen, was ihm die Werte eigentlich bedeuten, die ja angeblich in der Ukraine verteidigt werden. Nichts. Von Jens Berger.

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Juristisch ist die Sache eigentlich glasklar – wer sich weigert, mit der Waffe in der Hand in den Krieg zu ziehen, weil er befürchtet, sich an völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen zu beteiligen, und dafür Verfolgung befürchten muss, hat ein Anrecht auf politisches Asyl, sofern dies die einzige Möglichkeit ist, dem Dienst an der Waffe zu entsagen. Das stellte der Europäische Gerichtshof 2015 in seinem Urteil im Fall Andre Shepherd fest. Der US-Soldat hatte während des Irak-Kriegs in Deutschland politisches Asyl beantragt. Nachdem die EU Russlands Invasion eindeutig als völkerrechtswidrig gegeißelt hat, es in Russland hohe Strafen für Deserteure gibt und für sie keine ernstzunehmende Möglichkeit besteht, der Einberufung zu widersprechen, sollte die Gesetzeslage in der EU demnach eindeutig sein.

Das sehen die baltischen Staaten und Polen jedoch anders. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis erklärte dazu, sein Land würde „denjenigen, die vor ihrer Verantwortung davonlaufen“, kein Asyl geben. „Russen sollten bleiben und kämpfen. Gegen Putin“, so Landsbergis. Via Twitter gab er sogar noch hilfreiche Tipps – die Soldaten könnten sich ja auch in Kriegsgefangenschaft begeben oder meutern. Den Kriegsdienst zu verweigern, sei jedoch „keine Option“. Ins gleiche Horn blies am Wochenende die estnische Premierministerin Kaja Kallas – „jeder Bürger ist verantwortlich für die Taten seines Staates. Daher gewähren wir Russen, die aus ihrem Land fliehen, kein Asyl. Sie sollten sich lieber dem Krieg entgegenstellen.“ Ist das die vielgepriesene feministische Außenpolitik?

Das ist eine krude Logik. Demnach wäre übrigens auch jeder Litauer und jeder Este, der vor 1990 im Lande lebte, voll und ganz für alle Taten der Sowjetunion verantwortlich. Das kann ja wohl kein ernsthafter Debattenansatz sein. Die Genfer Konvention sagt eindeutig, dass es im völkerrechtlichen Sinn keine Kollektivschuld und dementsprechend auch keine Kollektivstrafe gibt. Kollektivstrafen werden sogar selbst als Kriegsverbrechen angesehen. Würde man der baltisch-polnischen „Logik“ folgen, gäbe es gar kein politisches Asyl. Denn was hier für russische Soldaten gelte, müsste dann unisono für politisch Verfolgte aus allen Ländern gelten – „bleibt zuhause und kämpft gegen Eure Regierung, anstatt ins Ausland zu fliehen“. Wenn das die Werte des Westens sind, dann Gute Nacht.

Zumindest oberflächlich ist die deutsche Politik in diesem Punkt zum Glück anderer Meinung. Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien befürworten ein politisches Asyl für russische Deserteure. Das ist jedoch auch leicht gesagt, da Deutschland bekanntlich keine gemeinsame Grenze mit Russland hat und für russische Asylbewerber die gleichen Regeln wie für Asylbewerber aus allen anderen Ländern gelten – inklusive der „Sichere-Drittstaaten-Regelung“. Da es keine direkten Flüge zwischen Deutschland und Russland mehr gibt, müssen Deserteure jedoch über einen solchen „sicheren Drittstaat“ kommen; sei es die Türkei, sei es Georgien oder Finnland, das als einziger EU-Staat überhaupt noch eine offene Grenze zu Russland unterhält.

Würde es Deutschland also mit dem politischen Asyl ernst nehmen, würde man flüchtenden Russen humanitäre Visa erteilen, so dass sie über einen Drittstaat nach Deutschland kommen können. Doch das ist natürlich nicht der Fall. So gewährt Deutschland „großzügig“ ein Recht, das die Bedürftigen nicht in Anspruch nehmen können. Wie schwer es ist, ohne gültiges Visum beispielsweise von der Türkei in die EU zu kommen und hier einen Asylantrag zu stellen, wissen tausende Flüchtlinge in den Lagern in Griechenland nur zu genau.

Schon in der Bibel steht: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ Und die Taten des „Wertewestens“ stehen einmal mehr weit hinter den vorgeblichen Werten zurück. Flüchtlinge aus der Ukraine dürfen übrigens ohne Visum nach Deutschland einreisen.

Titelbild: Anelo/shutterstock.com