Terror gegen Pipelines könnte Proteste gegen Medien, Regierung und USA auch anfachen

Terror gegen Pipelines könnte Proteste gegen Medien, Regierung und USA auch anfachen

Terror gegen Pipelines könnte Proteste gegen Medien, Regierung und USA auch anfachen

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Kürzlich habe ich in diesem Artikel beschrieben, wie die Zerstörung der Nord-Stream-Leitungen dem Protest in Deutschland ein wichtiges Symbol genommen hat und ihn schwächen kann. Dieses Urteil würde ich heute etwas relativieren. Die Dreistigkeit der terroristischen Anschläge auf Lebensadern der Infrastruktur Europas könnte Proteste in Deutschland nämlich auch anfachen: etwa gegen die Unterwürfigkeit gegenüber den USA, die bislang als die Hauptverdächtigen für die Anschläge zu gelten haben. Ein Loslösen Europas aus der Bevormundung durch die USA ist lange überfällig, auch unabhängig von der ungeklärten Urheberschaft der Anschläge. Das Verhalten fast aller Medien und Politiker, die den Hauptverdächtigen USA nach wie vor nicht nennen, ist bizarr. Alles zusammen könnte die Stimmung zum Kippen bringen – aber ist das wahrscheinlich? Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Forderung nach einer Neuverhandlung des Verhältnisses Deutschlands zu den USA ist abstrakt und weitreichend. Insofern ist sie nicht so griffig wie der einfache Slogan „Öffnet Nord Stream 2“. Diese Schwächung des Protestes durch die Zerstörung der Pipelines könnte sich aber unter Umständen auch wandeln, hin zu fundamentaleren Forderungen.

Insofern könnten die Anschläge auf europäische Infrastruktur für die Initiatoren (theoretisch) auch nach hinten losgehen – auch wenn das (vorerst) nicht wahrscheinlich ist, vor allem angesichts der Wirkung, die Medienkampagnen noch immer auf viele Bürger haben. Die aktuelle Berichterstattung zu den Terrorakten muss als bizarr bezeichnet werden: Es muss in alle Richtungen gedacht werden, aber den (mit Abstand) Hauptverdächtigen fast gar nicht zu erwähnen, ist ein neuer Tiefpunkt der meisten deutschen Medienschaffenden.

Andererseits – vielleicht ist es gerade diese Dreistigkeit (sowohl der Anschläge als auch der Reaktion der meisten deutschen Journalisten und, abgeschwächt, Politiker), die nun den Bogen überspannt: Eine „Schutzmacht“, die ihre bekannte Bereitschaft, andere Staaten zu terrorisieren, nun mutmaßlich auch offen gegen Europa richtet. Eine deutsche Regierung, die keine Anstalten macht, dem US-Wirtschaftskrieg gegen die eigene Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Journalisten und Politiker, die diesen Wirtschaftskrieg und den damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang als Heldengeschichte verkaufen und ihn dadurch erst möglich machen. Eigentlich ist das Protest-Potenzial riesig.

Erreicht die Wut einen kritischen Punkt?

Es ist natürlich nicht repräsentativ, aber mein Eindruck ist, dass viele Bürger (aus verschiedensten „Lagern“) ziemlich konkrete Ansichten darüber haben, welche Seite als Hauptverdächtiger der Terroranschläge zu gelten hat. Und dass es sehr wahrscheinlich nicht Russland ist, wie ihnen nun geradezu eingehämmert werden soll. Wird der Widerspruch zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung nun also noch größer, als er ohnehin schon lange ist? Wird durch die Empörung über das Medienverhalten – und in Verbindung mit anderen aktuellen dramatischen Entwicklungen – ein kritischer Punkt erreicht?

Das Erreichen eines solchen Kipppunktes ist nun durchaus möglich, auch wenn ich es (vorerst noch) für nicht wahrscheinlich halte. Auf jeden Fall ist massenhafter und absolut friedlicher Protest gegen eine skrupellose und verantwortungslose Bundesregierung jetzt wichtiger denn je. Die langfristig für Frieden und Wohlstand in Europa unabdingbare Verständigung und Normalisierung mit Russland wird nur auf Druck der Bevölkerung passieren. Darum sind auch Forderungen, die über „Entlastung“ hinausgehen, wie ein Ende der Sanktionen, weiterhin nötig und sinnvoll, auch wenn ein zentrales Argument nun zerstört wurde.

Dass die Sanktionen den Krieg nicht verkürzen und das Leid der Ukrainer nicht lindern, haben wir unter anderem hier beschrieben – die Sanktionspolitik fußt auf einer Lüge und ihre moralischen Fundamente sind längst zusammengebrochen. In ihrer Wirkung richten sich diese Sanktionen vor allem gegen Europa selber, ohne eine einzige positive Seite zu haben.

Man könnte den dreisten Akt der Einschüchterung durch Terror eigentlich auch als Steilvorlage nutzen für eine Notbremsung des momentanen Kamikazekurses der EU: Wenn die Europäer klug und strategisch handeln würden, würden sie den Vorfall gegen die USA skandalisieren (wenn eine seriöse Untersuchung zu dem Ergebnis einer US-Täterschaft käme) und ihn nutzen, um sich wenigstens etwas aus der US-Umklammerung zu lösen. Aber auch das ist leider kaum zu erwarten: Zu stark scheint der transatlantische Einfluss auf unsere Politiker zu sein, zu opportunistisch verhalten sich die meisten Redakteure und zu stark ist noch immer die Wirkung der Propaganda auf viele Bürger. Das ändert aber nichts daran, dass eine wenigstens teilweise Emanzipation von den USA im Interesse der Bürger liegen würde, auch unabhängig von der Pipeline-Frage.

Wer nicht ermittelt, wird zum Komplizen

Angesichts der hier beschriebenen Möglichkeit eines zumindest theoretisch möglichen Stimmungsumschwungs gegen die USA hätte auch Russland ein Motiv, die Pipelines unter falscher Flagge zu zerstören. Aber dieser massive Stimmungsumschwung ist wie gesagt alles andere als ausgemacht. Wahrscheinlicher ist, dass die momentane Kampagne durch fast alle Medien, die den Hauptverdächtigen einfach ausschließt, erfolgreich ist. Ich finde das Szenario der Falschen Flagge darum nicht naheliegend.

Die Bundesregierung hätte ebenfalls ein Motiv, die Anschläge zumindest insgeheim zu begrüßen: Wie die Anschläge die Proteste in Deutschland schwächen (mit den in diesem Text genannten Einschränkungen), habe ich kürzlich hier beschrieben. Die physische Zerstörung eines Arguments der Regierungskritiker nimmt zumindest kurzfristig Druck von den verantwortlichen Politikern. Unabhängig von der Täterschaft macht ein Verzicht auf eine Untersuchung in Richtung USA die Verantwortlichen zu mutmaßlichen Komplizen. Das bisherige Verhalten der deutschen Behörden ist darum fragwürdig und provozierend.

Dass die USA (oder Verbündete) mit Abstand als die Verdächtigen Nummer eins zu gelten haben, hat etwa Jens Berger hier und hier dargelegt. Zur Illustration der schweren Anschuldigung, dass mutmaßlich unsere „Schutzmacht“ lebenswichtige Infrastruktur zerstört hat, um mit diesem Terror eine Regierung gefügig zu machen und eigene Interessen zu bedienen, sind hier noch zwei Tweets angefügt:

Zum einen die bekannte Ankündigung des US-Präsidenten Joe Biden, Nord-Stream 2 „zu einem Ende zu bringen“:

Zum anderen eine damalige Einschätzung des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ zur praktischen Umsetzung dieser Ankündigung:

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Titelbild: Bahau / shutterstock.com