Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Nach den Landtagswahlen; GAU in Japan; Kernkfraft-Debatte; Heinz-J. Bontrup: “Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren”; Dene wos guet geit – zur Rettung des Euro; USA: Wenn’s interessant wird, schaut man weg; Vermittlung der Rente mit 67 in Deutschland misslungen?; Unmoralisch – Religionsfreiheit für 30 Euro; 12.000 Behandlungsfehler werden jährlich nachgewiesen; Hamburg: Ich gehe von 40000 fehlenden Wohnungen aus; Nordafrika; Steinbrück – Der Schaufensterkandidat; Bouffier-Clan hält zusammen; Abstimmen ohne Stimme; Von wegen Wutbürger; Von Selbstkritik keine Spur;
Netz spottet über Hauptstadtjournalisten; Urban Priol auf der Anti-Atomkraft-Demo – Der Provokateur; zu guter Letzt: Volker Pispers; das Allerletzte: Paarungsverhalten als Ursache für die Kluft zwischen Arm und Reich. (MB/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Nach den Landtagswahlen
  2. GAU in Japan
  3. Kernkfraft-Debatte
  4. Heinz-J. Bontrup: “Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren”
  5. Dene wos guet geit – zur Rettung des Euro
  6. USA: Wenn’s interessant wird, schaut man weg
  7. Vermittlung der Rente mit 67 in Deutschland misslungen?
  8. Unmoralisch – Religionsfreiheit für 30 Euro
  9. 12.000 Behandlungsfehler werden jährlich nachgewiesen
  10. Hamburg: Ich gehe von 40000 fehlenden Wohnungen aus
  11. Nordafrika
  12. Steinbrück – Der Schaufensterkandidat
  13. Bouffier-Clan hält zusammen
  14. Abstimmen ohne Stimme
  15. Von wegen Wutbürger
  16. Von Selbstkritik keine Spur
  17. Netz spottet über Hauptstadtjournalisten
  18. Urban Priol auf der Anti-Atomkraft-Demo – Der Provokateur
  19. Zu guter Letzt: Volker Pispers
  20. Das Allerletzte: Paarungsverhalten als Ursache für die Kluft zwischen Arm und Reich

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Nach den Landtagswahlen
    1. Kretschmann kann Ministerpräsident
      CDU-Veteran Geißler analysiert den Wechsel in Baden-Württemberg, kritisiert die deutsche Libyen-Politik als schweren Fehler – und läutet das Totenglöckchen für die FDP. […]
      sueddeutsche.de: Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann pries Sie unlängst im sueddeutsche.de-Interview für Ihre Arbeit als Schlichter im Streit um Stuttgart 21. Kretschmann sprach von natürlicher Autorität und Ihrer Verankerung in beiden Lagern. Was halten Sie von ihm?
      Geißler: Fraglos rede ich über Winfried Kretschmann genauso freundlich. Das wissen auch die CDU-Leute in Baden-Württemberg. Kretschmann gehörte zu den Ersten, die eine Koalition von Grünen mit der CDU machen wollten, er traf auf Widerstand in den eigenen Reihen, aber auch bei der CDU. In beiden Parteien gab es Denkblockaden. Kretschmann gehört zu denjenigen, die in der Lage sind, auch über enge Horizonte hinaus zu denken.
      sueddeutsche.de: Kann er Ministerpräsident?
      Geißler: Ja, das kann der auf jeden Fall. Und wenn Grün-Rot das Land weiter voranbringen sollte, dann liegt es vor allem an seiner Persönlichkeit.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Anmerkung Jens Berger: Ähnlich anerkennende Worte für Kretschmann fand auch der ehemalige Grünen-Politiker und INSM-Doyen Oswald Metzger im gestrigen ARD-Morgenmagazin. Ob die Grünen das Lenin-Zitat „Sag mir, wer Dich lobt, und ich sage Dir, was Du falsch gemacht hast“ kennen?

    2. Die grüne Mega-Baustelle
      Die Bahn hat die Arbeiten an S21 vorläufig eingestellt. Den Gegnern reicht das nicht. Und die Grünen sitzen plötzlich zwischen den Stühlen. […]
      Die Zeiten des symbiotischen Miteinanders sind seit dem 27. März, 18 Uhr, vorbei. Seitdem sind die Grünen in einer neuen Rolle – sie dürfen nicht nur fordern, sie müssen als Regierungspartei auch liefern. Und das ist in Sachen S21 alles andere als einfach.
      Als erster wichtiger Akteur reagierte an diesem Dienstag die Bahn. Sie verhängte einen Baustopp für Stuttgart 21. “Bis zur Konstituierung der neuen Landesregierung wird die Deutsche Bahn keine neuen Fakten schaffen – weder in baulicher Hinsicht noch bezüglich der Vergabe von Aufträgen”, sagte Bahnvorstand Volker Kefer in Berlin. Alle bereits geschlossenen Verträge seien davon unberührt. […] Der Fahrplan der Grünen sieht vor, alle Fakten zu S21 nochmals genau unter die Lupe zu nehmen. Dann soll der sogenannte Stresstest ausgewertet werden. […]
      “Wir arbeiten weiter mit den Grünen zusammen, bisher lief das reibungslos. Einige der Grünen haben sich weit aus dem Fenster gelehnt, die können jetzt keine Kehrtwende machen”, sagt Gangolf Stocker, Sprecher des Bündnisses gegen Stuttgart 21 zu stern.de. Das klingt wie eine Drohung. Stockers Mitstreiter Hannes Rockenbauch, Stadtrat in Stuttgart, hat schon ein paar konkrete Forderungen. Er will, dass die S21-Gegner nun auch dazu eingeladen werden, den Stresstest zu überwachen. […]
      Sicher ist nur: Wird S21 eingestellt, wird das Land die Vertragspartner, die bereits an Bord sind, entschädigen müssen. Und das kostet Geld – Geld, das Kretschmann eigentlich nicht hat, weil ihm sein Vorgänger Stefan Mappus ein gigantisches Finanzrisiko namens EnBW hinterlassen hat.
      Quelle: Stern

      Anmerkung WL: Immer wieder wird die Drohkulisse mit dem gigantischen Finanzrisiko aufgebaut. Dabei ist die Bahn lediglich mit 1,47 Milliarden Euro an den derzeit weit über 4 Milliarden allein für den Tiefbahnhof beteiligt. Die Bahn ist aber nach wie vor zu 100 Prozent im Besitz des Bundes und die übrigen Kosten werden von Bund, Land und der Kommune getragen.
      Es sind also durchweg politische oder zumindest politisch steuerbare Kostenträger. Wenn also der politische Wille da wäre, auf das gigantische und verkehrspolitisch unsinnige Projekt zu verzichten, so vielen allenfalls die bisherigen Erschließungskosten an.

      Dazu:

      Bahn kauft sich Zeit mit Baustopp-Trick
      Wenn sich die Stuttgart-21-Gegner da mal nicht zu früh gefreut haben: Die Bahn unterbricht die Arbeiten am umstrittenen Bau des Hauptbahnhofs, bis die neue Regierung im Amt ist. Doch das Friedenssignal ist für den Staatskonzern nicht mehr als ein Hinhaltemanöver.
      Quelle: SPIEGEL Online

    3. Ein neues Zeitalter
      Die Demokratie, so blökt mancher Optimist, habe in Baden-Württemberg einen fulminanten Sieg eingefahren. Die ganze Pracht solcherlei zuversichtlicher Äußerungen entfaltet sich vor einem Hintergrund, der bedenklich stimmt: 58 Jahre hat dort die Union geherrscht; 58 Jahre voller Skandale und Liederlichkeiten, Verfilzungen und Protektionen; angefangen bei Ministerpräsidenten, die entweder relativ harmloses NSDAP-Mitglied waren, bis zu solchen, die in Hitler-Deutschland Unrecht sprachen; dazwischen immer wieder Filz, Schiebung, Bestechlichkeit und korruptes Zuschustern von Aufträgen an Kameraden aus der Wirtschaft – Stuttgart 21 war da nicht mal der Gipfel, es war nur der letzte Akt in einem jahrzehntelang konservierten Milieu aus Freundschaftsdienst und Kumpanei, Reaktion und Revisionismus (man erinnere sich nur an Oettingers Plädoyer für Filbinger).
      Quelle: ad sinistram
    4. Grünes Neuland
      Obwohl die baden-württembergischen Grünen Spitzenpersonal in der Bundespolitik stellen, dürfte es ihnen nicht leicht fallen, sämtliche Ministerien mit starken Kandidaten zu besetzen. Zumal sie nicht nur die Parteiflügel austarieren, sondern auch alle Regionen im Personaltableau unterbringen müssen. Außerdem muss die Frauenquote erfüllt werden. Um die Herausforderung, vor der er nun steht, sei Kretschmann „nicht zu beneiden“, sagt der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon, dem Tagesspiegel. Kretschmann stehe vor eine hochkomplexen Aufgabe. „Er hat eine grüne Landtagsfraktion, die noch nie regiert hat und in der die Hälfte der Abgeordneten neu ist. Auch die SPD-Landtagsfraktion ist des Regierens völlig entwöhnt. Das macht die Sache nicht einfacher“, meinte Salomon, einst selbst grüner Landtagsabgeordneter in Stuttgart.Als weiteres Problem sieht Salomon, Realpolitiker der ersten Stunde, die baden-württembergische Ministerialbürokratie, die nach fast 60 Jahren CDU-Herrschaft „konservativ durchgeflaggt“ sei.
      Quelle: Tagesspiegel
  2. GAU in Japan
    1. “Die Kernschmelze ist nun schon seit Längerem eingetreten”
      Edmund Lengfelder hält die Rettungsversuche für das Kernkraftwerk Fukushima für ein “hilfloses Unterfangen”. Man müsse das AKW ähnlich wie in Tschernobyl abdichten – und die Sperrzone auf 50 Kilometer ausweiten. […]
      Lengfelder: Die Kernschmelze ist nun schon seit Längerem eingetreten. Das kann man aus der Freisetzung der entsprechenden Radionuklide ableiten. Und nachdem eine Kühlung nicht mehr möglich ist und die Brennstäbe und möglicherweise auch das Inventar im Druckgefäß vor sich hinreagiert, ist einfach die Kernschmelze zwangsläufig da, und sie wird auch noch lange Zeit andauern.
      Quelle: Deutschlandradio
    2. EU: Grenzwerte hinter Rücken der Bürger dramatisch erhöht
      foodwatch und das Umweltinstitut München e.V. kritisieren die Informationspolitik der Bundesregierung: Die EU hat klammheimlich die Grenzwerte für Lebensmittel aus Japan erhöht und die Ministerin Aigner schweigt.
      Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner verweist seit Tagen auf “verstärkte Kontrollmaßnahmen” und “spezielle Schutzstandards” – sie informiert die Öffentlichkeit jedoch nicht darüber, dass die EU-weit geltenden Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln aus den betroffenen Regionen Japans am vergangenen Wochenende deutlich erhöht wurden. […]
      War bisher eine kumulierte Radioaktivität von Cäsium-134 und Cäsium-137 von maximal 600 Becquerel/Kilogramm zulässig, traten am vergangenen Wochenende bis zu 20-fach höhere Obergrenzen von bis zu 12.500 Becquerel/Kilogramm für bestimmte Produkte aus Japan in Kraft.
      Zwar gibt es in Europa derzeit keinen Anlass zur Sorge über hochbelastete Produkte aus Japan im Handel – dies rechtfertigt jedoch weder die lückenhafte Informationspolitik der Bundesregierung noch die Heraufsetzung der Grenzwerte. […]
      Mit der Eilverordnung 297/2011, in Kraft getreten am 27. März 2011, hat die Europäische Kommission diese Grenzen für Produkte aus den betroffenen japanischen Regionen deutlich heraufgesetzt: auf 400 Becquerel/Kilogramm für Säuglingsnahrung, auf 1000 Becquerel/Kilogramm für Milchprodukte und auf 1250 Becquerel/Kilogramm für andere Nahrungsmittel. Bestimmte Produkte wie Fischöl oder Gewürze dürfen diesen Wert sogar um das Zehnfache übersteigen, also bis zu 12.500 Becquerel/Kilogramm belastet sein – ein 20-faches des bisherigen Limits.
      Hintergrund für die Anhebung ist die nach der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1987 erlassene EU-Verordnung 3954/1987. Demnach können im Falle eines “nuklearen Notstandes” die Höchstgrenzen für die zulässige radioaktive Belastung von Lebensmitteln angehoben werden, um einer Nahrungsmittelknappheit vorzubeugen. “Diese Regelung jetzt in Kraft zu setzen, ist absurd, denn es gibt in Europa keinen nuklearen Notstand und erst recht keine Nahrungsmittelknappheit. Importe aus Japan spielen für die Versorgungssicherheit der europäischen Bürger überhaupt keine Rolle”, sagten Thilo Bode und Christina Hacker.
      Quelle 1: Glocalist
      Quelle 2: EU-Eilverordnung vom 26.3.2011 [PDF – 760 KB]
    3. Wird AKW-Betreiber Tepco verstaatlicht?
      Die japanische Regierung erwägt einem Bericht zufolge eine vorübergehende Verstaatlichung des Fukushima-Betreibers Tepco. Die Regierung könnte die Mehrheit übernehmen und in das Management des Stromkonzerns eingreifen, berichtete die Zeitung “Yomiuri” unter Berufung auf Regierungskreise. Der Minister für nationale Strategie, Koichiro Gemba, sagte laut der Nachrichtenagentur Kyodo, die Verstaatlichung sei eine Option. […]
      Nach einer Flut von Verkaufsordern wurden Tepco-Aktien an der Börse in Tokio vom Handel ausgesetzt. Zuvor hatte der Kurs um fast 20 Prozent nachgegeben.
      Quelle: Tagesschau

      Anmerkung Jens Berger: Das geplante Vorgehen der japanischen Regierung entspricht 1:1 dem altbekannten neoliberalen Dogma, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Mit Hinblick auf die Kosten, die künftig auf Tepco zukommen, dürfte der Konzern ohnehin bankrott sein. Warum lässt man Tepco dann nicht in eine geordnete Insolvenz gehen? Die Aktiva von Tepco kann der Staat danach immer noch zu einem günstigen Preis verstaatlichen. Eine Verstaatlichung des gesamten Konzerns hat den entscheidenden Nachteil für den japanischen Staat, dass er auch für die alten und zu erwartenden Forderungen des Privatkonzerns geradestehen muss. Den Finanzsektor wird es freuen.

  3. Kernkraft-Debatte
    1. Die Atombranche wehrt sich
      Nach der Wahl kommt der politische Druck – doch die Stromkonzerne machen deutlich, dass sie nicht kampflos aufgeben werden: “Ab jetzt haben Juristen das Sagen”, kündigt ein führender Atommanager an. […]
      Nach dem politischen Beben in Baden-Württemberg befürchten die Chef-Etagen der vier AKW-Betreiber RWE, EnBW, Vattenfall und Eon, dass die Abkehr von der einst so einflussreichen Branche drastischer ausfallen könnte als gedacht. “Es wird nicht beim Moratorium bleiben”, sagt ein Spitzenmanager am Montag. Die Betreiber der 17 Anlagen in Deutschland rechnen damit, dass die Politik bis zu acht Meiler aus dem Verkehr zieht. Doch sie befürchten, dass es noch schlimmer kommt zwischen Krümmel und Neckarwestheim.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung
    2. Die Stunde der Lobbyisten
      Die panikartig angeschobene Atomwende setzt die Produzenten alternativer Energien unter Hochspannung. Lobbyisten setzen auf die Netzwerke eingekaufter Politiker und versuchen, weitere Milliarden für ihre Klientel herauszuschlagen. Ehrlichkeit und Verbraucherinteressen kommen dabei unter die Räder.
      Quelle: Wirtschaftswoche
  4. Heinz-J. Bontrup: “Zur größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren”
    In Politik, Wirtschaft und der Mainstream-Wirtschaftswissenschaft wird die größte weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren hauptsächlich den deregulierten Finanz märkten und dem Fehlverhalten von Individuen im Finanz- und Bankensektor zugeschrieben. Manche sehen die Ursache auch in einer zu lockeren (expansiven) Geldpolitik in den USA nach dem Zusammenbruch der New Economy im Jahr 2000 und dem USamerikanischen Doppeldefizit im Staatshaushalt und der Leistungsbilanz. Solche Erklärungen greifen zu kurz. Die originäre Krisenursache ist eine ganz andere. Ihre Wurzeln sind im seit Mitte der 1970er Jahre vollzogenen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel hin zu einem neoliberalen Regime zu finden, das Markt und Wettbewerb als Regulierungsmechanismen gesellschaftlicher Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse verabsolutiert und die Welt privatisieren will.
    Quelle: DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt [PDF – 360 KB]

    Anmerkung WL: Auf rund 50 Seiten startet Bontrup mit einem Rückblick vom Liberalismus zum Keynesianismus bis zu dessen Aufkündigung.
    Er verweist auf die jahrzehntelange Umverteilung von unten nach oben und deren Folgen. Unterstützt werden die Einschätzungen durch umfangreiches Zahlenmaterial und einen ausführlichen Überblick über wirtschafts- politische Implikationen. Im Abschlusskapitel findet sich eine Zusammenfassung über dringend erforderliche Alternativen.
    An manchen Stellen hält Bontrup an seiner These fest, dass die Umverteilung von unten nach oben eine Ursache der Finanzspekulation sei. Siehe dazu kritisch Albrecht Müller, Ist die Geldschwemme Ursache der Finanzmarktkrise?

  5. Dene wos guet geit – zur Rettung des Euro
    Bundeskanzlerin Merkel kam in ihrer Regierungserklärung zum Europäischen Rat vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 zu folgender Schlussfolgerung:
    “Wir haben klargestellt, dass Handlungsbedarf vor allem bei den Ländern mit Wettbewerbsschwächen besteht; denn Konvergenz in der Europäischen Union, insbesondere in der Euro-Zone, darf natürlich nicht Annäherung an die Schwächeren sein, sondern muss immer an den Stärkeren unter uns ausgerichtet sein, damit Europa als Ganzes wettbewerbsfähig bleibt.”
    Und sie unterstrich ihr darwinistisches Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft im Verlauf ihrer Rede noch einmal mit den Worten:
    “Wir machen damit die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zur Chefsache. Wir orientieren uns nicht an den Schwächsten, sondern an den Besten, und zwar nicht nur innerhalb Europas. Die ausdrückliche Verpflichtung ist vielmehr, sich auch an unseren strategischen Partnern, das heißt, an den Besten der Welt zu orientieren. Wir könnten natürlich Stabilität des Euros und Solidarität im Euro-Raum erreichen und gleichzeitig den Abstand zur Weltspitze immer größer werden lassen. Das ist nicht unser Ziel. Wohlstand für die Menschen, Arbeitsplätze für die Menschen in Deutschland werden nur erreichbar sein, wenn wir in Europa an der Spitze der Welt dabei sind; das ist die simple, aber unabdingbare Wahrheit.”
    Was aber ist mit den Arbeitsplätzen außerhalb Deutschlands, und welche Arbeitsplätze entstehen dank der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ in Deutschland?
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  6. USA: Wenn’s interessant wird, schaut man weg
    Staatsdefizit, Firmengewinne, gesamtwirtschaftliche Ersparnis, derlei Größen hat man erst im dritten US-BIP-Bericht zum vierten Quartal erfahren. Nur schaut da keiner mehr hin. Obwohl diese Daten wohl mehr über den Zustand der Wirtschaft verraten als das Konsumwachstum hoch vier. So hat man beispielsweise erst vergangene Woche erfahren, dass der US-Staat im vierten Quartal ein Defizit von annualisierten 1538 Mrd. Dollar aufgewiesen hat – oder 10,3 Prozent des nominalen BIPs. Ferner lernt man, dass die nationale Nettoersparnis im elften Quartal nacheinander negativ gewesen ist, diesmal in Höhe von einem Prozent des Bruttonationaleinkommens. Anfang 1979 war diese Kennziffer noch zweistellig (plus zehn Prozent, versteht sich). So viel zu den Möglichkeiten der USA, ihren Kapitalstock aus eigener Kraft zu erhalten, geschweige denn auszubauen.
    Die Aktionäre sind dennoch glücklich und zufrieden, denn der Anteil der Nachsteuergewinne der Kapitalgesellschaften am Nettonationaleinkommen ist auf den höchsten Stand seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Aufzeichnung 1947 gestiegen. Er liegt damit um 43 Prozent über dem Durchschnitt und um 129 Prozent über dem Tiefstwert. Wen an den Märkten interessiert da schon die Zukunft des Landes? Ist doch fantastisch und sicher ganz nachhaltig, wenn die staatlichen Transfereinnahmen der Verbraucher nun 43 Prozent ihres privatwirtschaftlichen Lohneinkommens vor Steuern ausmachen.
    Quelle: FTD
  7. Vermittlung der Rente mit 67 in Deutschland misslungen?
    Die Rente mit 67 ruft in der Bevölkerung viel Kritik und Empörung hervor. Lediglich sieben Prozent der Deutschen sprachen sich in einer Forsa-Umfrage im vergangenen Sommer für das 67. Lebensjahr als Regelaltersgrenze aus. Viele wünschen sich gar eine Absenkung des Renteneintrittsalters noch unter die bis vor kurzem gültige Grenze von 65 Jahren. Viel deutlicher könnte die Ablehnung der Verlängerung der Lebensarbeitszeit kaum ausfallen. Professor Kai Arzheimer vom Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz will nun den Gründen für diese enorme Skepsis in der Bevölkerung auf den Grund gehen. Die Kölner Fritz-Thyssen-Stiftung wird das Projekt finanziell unterstützen.
    Arzheimer und sein Team vertreten die These, dass viele Bürger nicht hinreichend über die demografische Entwicklung, die Funktionsweise des gesetzlichen Rentensystems und die Konsequenzen einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft informiert sind. „Kurzum“, so Arzheimer, „vielen Bürgern ist trotz der breiten Diskussion in der Öffentlichkeit nicht bewusst, welche immensen Probleme durch den demografischen Wandel auf die gesetzliche Rente zukommen.
    Quelle: Informationsdienst Wissenschaft

    Anmerkung Jens Berger: Es ist erstaunlich, dass die Mainzer Forscher sich lediglich auf ein vermeintliches „Vermittlungsproblem“ konzentrieren. Auf die Idee, dass die Menschen die Rente mit 67 auch deshalb mehrheitlich ablehnen, weil sie den neoliberalen Phrasen der Talkshow-Ökonomen und der Politik nicht mehr trauen, kommen die Forscher anscheinend nicht. Der Schluss, die Menschen lehnten die Rente mit 67 ab, weil sie nicht informiert seien, ist ein Kurzschluss. Viele Menschen, darunter sicher auch viele Leser der NachDenkSeiten, lehnen die Rente mit 67 ab, weil sie – wahrscheinlich zu gut – informiert sind.

    Siehe die ganz praktische Antwort, warum eine „Vermittlung“ misslingt:

    Jeder zweite geht bereits jetzt mit Abschlägen in Rente
    Die Rente mit 67 dürfte ähnliche Effekte haben wie die bisherigen Reformen, die auf eine Verlängerung des Arbeitsleben zielten: Es erhöht sich zwar die Erwerbsbeteiligung Älterer, doch mehr Über-60-Jährige müssen die Zeit bis zur Rente mit prekären Jobs und in Arbeitslosigkeit überbrücken. Das hat längst deutliche Auswirkungen auf die Höhe der Altersversorgung: Gegenwärtig geht rund die Hälfte der Altersrentnerinnen und -rentner vorzeitig und mit Abschlägen in den Ruhestand. Lediglich Männer, die aus stabiler Beschäftigung in Rente gehen, schaffen es mehrheitlich, ohne Abschläge durchzukommen – und viele von ihnen haben die Altersteilzeit in Anspruch genommen. In allen anderen Gruppen – Frauen sowie Männer in gelegentlicher oder längerer Arbeitslosigkeit – müssen 60 bis 80 Prozent der Neurentner Abschläge hinnehmen.
    Quelle: Böckler Impuls 5/2011

  8. Unmoralisch – Religionsfreiheit für 30 Euro
    Man ist sich nah und das bezieht sich nicht nur auf die geografische Nachbarschaft. Die Allianz von Rathäusern und Kirchtürmen funktioniert immer noch sehr gut in Deutschland. Da spielen weltanschauliche Befindlichkeiten von Einzelnen nur eine sehr untergeordnete Rolle.
    Jüngstes Beispiel für den staatsreligiösen Irrsinn ist der Fall von Egon Fank, der von Hartz -IV-Leistungen im westfälischen Herford lebt und aus der Kirche austreten möchte. […] Der Austritt aus der Kirche gehört aus seiner Sicht zu diesem Grundrecht. Herr Fank betonte, dass er eigentlich nie in die Kirche eingetreten ist, sondern durch die Taufe im Kindesalter quasi Zwangsmitglied wurde. Ihm erschließt sich nicht, warum er nun für die Beendigung der Mitgliedschaft den Betrag von 30 Euro zahlen muss, während man aus allen anderen Vereinen völlig gratis austreten kann.
    Das Problem des Herrn Fank aus Herford ist ein schier unlösbares, denn die Austrittsgebühren sind durch das Recht gedeckt. Das Kirchenaustrittsgesetz (KiAustrG), das vom Nordrhein-Westfälischen Landtag vom 26. Mai 1981 beschlossen wurde, regelt die Praxis des Kirchenaustrittes eindeutig. […] Wäre es nicht ein Akt christlicher Barmherzigkeit seitens des Staates, der sich so gern mit diesen Attributen schmückt, bedürftigen Menschen eine Gebühr von 30 Euro einfach zu erlassen?
    Quelle: Humanistischer Pressedienst
  9. 12.000 Behandlungsfehler werden jährlich nachgewiesen
    Die Rechte von Patienten sind so undurchsichtig und kompliziert wie das gesamte Gesundheitssystem. Opferverbände und Verbraucherzentralen pochen seit Jahren auf mehr Transparenz.
    Quelle: Frankfurter Neue Presse
  10. Hamburg: Ich gehe von 40000 fehlenden Wohnungen aus
    Die Pläne des neuen Hamburger Senats sind bisher wenig überzeugend. Es mangelt vor allem an bezahlbarem Wohnraum. Gespräch mit Joachim Bischoff, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft
    Quelle: Junge Welt
  11. Nordafrika
    1. Völkerrechtler missbilligen Angriffe auf Gaddafi-Truppen
      Die militärische Unterstützung der Rebellen durch die “Koalition der Willigen” hat die völkerrechtliche Debatte um den Libyenkrieg weiter angeheizt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Luftangriffe auf Einheiten des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi als “unerlaubte Militärintervention”.
      “In dem Uno-Beschluss ist keine Rede davon, dass eine ausländische Koalition hier Partei ergreifen soll”, sagte Lawrow, der eine Feuerpause fordert. […]
      Der Hamburger Rechtsphilosoph und Völkerrechtler Reinhard Merkel, der die Intervention für eine Verletzung des internationalen Rechts hält, kritisiert die Bombardements der Städte Tripolis und Sirt. “Dort gab es keine Kämpfe”, sagte er der FTD, “solche Angriffe auf Truppen, die nicht schießen, sind unzulässig.” Doch Politiker der Koalition hätten erklärt, sie wollten Gaddafi stürzen. “Damit wurden sie Partei in einem Bürgerkrieg, das ist nicht durch die Uno gedeckt.”
      Quelle: FTD
    2. Ägypten nach der umstrittenen Abstimmung
      Das Verfassungsreferendum in Ägypten ist gelaufen und das Ergebnis mindestens zwiespältig. Von einem Sieg der Demokratie ist die Rede – oder eben von einem “Scheitern der Revolution”. Telepolis fragt hierzu Atef Botros.
      “Im September wird ein neues Parlament gewählt und Ende des Jahres auch ein neuer Präsident. Danach will sich die Armee in ihre Kasernen zurückziehen und die Geschicke des Landes den zivilen und demokratisch gewählten Institutionen überlassen. Unter dem neuen Präsidenten soll dann von einer Volksversammlung eine neue Verfassung ausgearbeitet werden. Die Verfassung, über deren Änderung man nun entschieden hat, ist zwar erst einmal nur vorläufig, durch die Verfassungsänderung steht man jetzt aber unter Druck, weil man sich darauf festgelegt hat, in sechs Monaten ein neues Parlament zu wählen. Das ist viel zu kurz, eine große Herausforderung für die neuen politischen Kräfte. – In den nächsten Monaten werden die politischen Kämpfe deshalb auf Hochtouren laufen. Alles wird davon abhängen, was die Ägypter daraus machen.”
      Quelle: Telepolis
    3. Frauen in Ägypten: Die Ruhe nach dem Sturm
      Die ägyptische Revolution wurde auch von Frauen getragen. Doch welche Rolle werden sie in Zukunft in dem Land spielen? Statt Forderungen zu stellen, warten viele von ihnen einfach ab. Die ägyptischen Frauenrechtsgruppen, von denen es etwa fünfzig gibt, überwiegend in Form von kleinen Nichtregierungsorganisationen, sind uneins, wie auf die Stärkung ihrer Rechte hingewirkt werden soll. In dem zuletzt wichtigsten Gremium des Landes, jenem, das die Verfassung überarbeitete, war keine einzige Frau vertreten. Es wurde dominiert von Männern, die dem alten Regime nahestanden. Keiner von ihnen hat die Rechte der Frauen zu seiner Sache erklärt. Die Frauenrechtlerin Nawal Al-Saadawi ist sich deshalb sicher: Die ägyptischen Männer werden die Rolle der Frauen keinesfalls freiwillig verbessern. Aus europäischer Perspektive, aus der Erfahrung, wie zählebig Geschlechterrollen sind und welche Ausdauer nötig ist, gesellschaftliche Muster aufzubrechen, würde man sich wünschen, dass die ägyptischen Aktivistinnen ihre Vorstellungen in dieser wichtigen Phase des Umbruchs mit Vehemenz verteidigen. Doch das passiert nicht. Viele von ihnen setzen auf Zurückhaltung. Die Rechte der Frauen dürften nicht aus der allgemeinen politischen Diskussion herausgelöst werden, meint etwa Mozn Hassan, die Direktorin der “Nazra Organization for feminist studies”, einer kleinen NGO in Kairo. Die derzeit verhandelten politischen und wirtschaftlichen Themen würden ohnehin auch unmittelbar Frauen betreffen, weshalb daran gearbeitet werden müsse, Forderungen nach Gleichberechtigung in deren Kontext zu formulieren. “Sie wieder gesondert zu behandeln birgt nur die Gefahr einer Radikalisierung”, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung.
      Die Revolution hat die schwelenden Konflikte in der ägyptischen Gesellschaft deutlich zutage treten lassen. Gerade die Frage nach dem künftigen Umgang mit den Frauen, aber auch mit der christlichen Minderheit im Land wird daher Auskunft darüber geben, in welche Richtung sich Ägypten politisch entwickelt – ob es ein säkularer und demokratischer oder ein islamisch geprägter Staat sein wird. Das ist die Gretchenfrage. Nicht nur für die Frauen steht alles auf dem Spiel.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: O.K, wir haben Landtagswahlen gehabt, die Katastrophe in Japan entwickelt sich zu einem noch nicht absehbaren Desaster, der Verlauf der kriegerische Intervention in Libyen ist offen und furchterregend, aber das Scheitern oder das Gelingen der ägyptische Revolution hat eine historische Dimension, die auch auf uns zurückwirken wird.

  12. Steinbrück – Der Schaufensterkandidat
    Steinbrück als Kanzler? Mit Verve versucht die SPD, den Ex-Finanzminister als Merkel-Herausforderer ins Gespräch zu bringen. Einen Gefallen tun sich die Genossen damit nicht – der Vorschlag zeigt nur, wie groß die Not ist. […]
    Seit kurzem hat die SPD ihre Zurückhaltung in der K-Frage aufgegeben. Zweieinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl beginnen die Genossen, sich auf die Suche nach einem geeigneten Herausforderer von Angela Merkel zu machen, und offensichtlich wollen sie das Publikum gern daran teilhaben lassen.
    Anders ist kaum zu erklären, mit welcher, nun ja, Aggressivität plötzlich vor allem ein Name zirkuliert wird: Peer Steinbrück. Seit der Ex-Finanzminister kürzlich im Bundestag Angela Merkels Regierungserklärung zur Euro-Rettung (ziemlich unspektakulär) konterte, ist er in aller Munde. Führende Genossen stimmen in Gesprächen wahre Hymnen auf den 64-Jährigen an. Gelobt wird sein scharfer Intellekt, gefeiert sein Comeback, von Kanzlerformat schwärmt Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionsgeschäftsführer, in der “Welt”.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Ein Kanzlerkandidat Steinbrück wäre zweifelsohne der Offenbarungseid der deutschen Sozialdemokratie. Es ist natürlich bezeichnend, dass der „Seeheimer“ Oppermann bereits jetzt Steinbrück ins Spiel bringt, fürchtet er wohl, dass die SPD nun die erstarkten Grünen programmatisch „links“ überholen könnte. Bezeichnend ist dabei, wir freundlich der Vorschlag der „Seeheimer“ von den Medien sekundiert wird.

  13. Bouffier-Clan hält zusammen
    Aus der Familie Bouffier ist nicht nur der Ministerpräsident politisch aktiv. Auch der Sohn, der Neffen und die Schwester engagieren sich für die CDU – und füreinander. In Gießen wurde eine Verhandlung wegen schwerer Körperverletzung gegen drei Neffen von Volker Bouffier sehr schnell beendet. […]
    Einer von Bouffiers Neffen wird das glimpfliche Urteil besonders erleichtert haben: Maximilian Pfeffer kandidiert auf der Kommunalwahlliste der CDU Gießen fürs Stadtparlament. Ebenso wie seine Mutter und Schwester des Ministerpräsidenten, Karin Bouffier-Pfeffer, die mit Listenplatz drei sicher ins Parlament einziehen wird. Auf der selben Liste kandidiert auch Volker Bouffiers Sohn. Er heißt ebenfalls Volker Bouffier und muss sich mit einem „Junior“-Zusatz von seinem mächtigen Vater abgrenzen. Früher kandidierte auch noch Ursula Bouffier, die Frau des Ministerpräsidenten – alles in der Stadt Gießen, in der ihr Mann bestens verdrahtet ist. […]
    Und wenn ihre Söhne in Schlägereien geraten wie etwa im Februar 2007 vor dem Vereinsheim des Männerturnvereins MTV 1846 Gießen, dann erreicht „ein Anruf“ den damaligen Innenminister Volker Bouffier – und er eilt am späten Abend persönlich zum Schauplatz der Keilerei und hat gleich auch noch Gießens Polizeipräsidenten Manfred Schweizer im Schlepptau. Bouffiers Neffen sorgten öfter schon mal für Probleme: Im 2009 drohte einem von ihnen an der Ricarda-Huch-Schule in Gießen Ungemach, weil er trotz aller Förderung und Bemühungen der Lehrer null Punkte in Geschichte bekommen hatte und nicht zum Abitur zugelassen werden sollte. Doch er wurde wie durch ein Wunder von höherer Stelle vor dem Durchfallen gerettet: Das Staatliche Schulamt schaltete sich ein und verfügte gegen das Votum der Lehrer, dass der Junge zugelassen werden müsse. „Das wäre bei keinem anderen Schüler passiert“, heißt es bis heute in Gießen. Der Familienclan rund um Ministerpräsident Volker Bouffier stehe offenbar unter einem besonderen Schutz.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  14. Abstimmen ohne Stimme
    Bei den hessischen Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag haben die Wähler so viele ungültige Wahlzettel wie nie zuvor abgegeben – die meisten davon waren leer. […] Bei den Kommunalwahlen am Sonntag waren mindestens 113 821 ungültige Stimmzettel abgegeben worden – so viele wie nie. Das entsprach 5,2 Prozent der Wähler. Diese Zahl wurde für das „Trendergebnis“ ermittelt. Dabei handelt es sich nach Hannappels Angaben im Wesentlichen um leere Stimmzettel.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  15. Von wegen Wutbürger
    Das politische Engagement erlebt einen bemerkenswerten Frühling. Erst reizte Stuttgart 21, dann mobilisierte die Affäre Guttenberg, jetzt bewegt die Katastrophe von Fukushima. Die Bürger gehen wieder auf die Straße, die Wähler gehen wieder wählen – und im Netz wird via Facebook jeden zweiten Tag eine Volksabstimmung organisiert – per Like-Button. Am vergangenen Samstag demonstrierten über 200.000 Menschen, die relativ hohe Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt (51,2 Prozent vs. 44,4 Prozent 2006), Rheinland-Pfalz (61,8 vs. 58,2 Prozent) und Baden-Württemberg (66,2 vs. 53,4 Prozent) wärmte jedem Demokraten das Herz. Selbst der Bundestag erlebt eine Hochphase. Wer sich jüngst die spritzigen und erhellenden Debatten zur Guttenberg-Affäre, zur Abstimmung im Uno-Sicherheitsrat, aber auch zur Atomdebatte ansah, konnte sich jede Talkshow am Abend schenken.
    Das sind spannende Phänomene. Sie deuten darauf hin, dass sich etwas verschiebt in der politischen Landschaft. Die Bürger, die Betroffenen, mischen sich stärker ein, mischen stärker mit. Der Citoyen, der politisch engagierte, aufgeklärte Bürger marschiert wieder in den öffentlichen Raum und verdrängt jenen eher defensiven Bürger, der vor allem in Frieden gelassen werden will. Mit dem Zerrbild des “Wutbürgers”, des ausgetickten Besitzstandwahrers und Innovationsverhinderers, das etwa Dirk Kurbjuweit im vergangenen Oktober im “Spiegel” zeichnete, ist es da nicht getan. Wer etwa gegen die Atomkraft ist, muss sich schon etwas einfallen lassen, woher der Strom kommen soll – und hinsichtlich Erneuerbarer Energien haben viele Bürger recht konkrete Vorstellungen.
    Quelle: Stern
  16. Von Selbstkritik keine Spur
    Nach den verlorenen Wahlen vom Sonntag schiebt die Führung der Linkspartei alles auf Fukushima. Und klagt, dass nur die Grünen von dem Thema profitiert hätten.
    Die Westausdehnung der Linken ist vorerst gestoppt. In Baden-Württemberg (2,8 Prozent) und Rheinland-Pfalz (3,0 Prozent) hat die Partei am Sonntag den Einzug in zwei weitere westdeutsche Parlamente deutlich verpasst. Während manche Parteigenossen deshalb von einem Desaster sprechen, zeigt sich das Spitzenduo nahezu unbeeindruckt. Die Parteichefs Klaus Ernst und Gesine Lötzsch begründeten das Ergebnis allein mit dem Thema Atomkraft. Davon hätten – ungerechtfertigterweise – nur die Grünen profitiert, die Linkspartei sei medial nicht wahrgenommen werden. Selbstkritik der Parteiführung sei deshalb nicht angebracht. Auch Parteivize Sahra Wagenknecht sprach gegenüber der taz von “Wahlen im Ausnahmezustand”, da das Thema Atomausstieg alles dominiert habe. Sie schoss zudem gegen die Grünen, die “in ihrer Regierungszeit ebenfalls mit der Atomlobby gekungelt haben”. Ihre Partei jedenfalls brauche jetzt keinen Kurswechsel. “Wir sind thematisch bereits breit aufgestellt”, so die Parteilinke.
    Quelle: taz

    Dazu:

    Wasch mir den Pelz. Wahldesaster der Linken
    Offensichtlich konnte Die Linke in einem Lagerwahlkampf mit krassen Verlusten der Regierungsparteien nicht punkten: In Baden-Württemberg verloren CDU/FDP und SPD mehr als zwölf Prozentpunkte, in Rheinland-Pfalz allein die SPD zehn Prozentpunkte. Nun erklärt Klaus Ernst das Abstimmungsergebnis damit, daß es am 27. März eine »absolute Ausnahmesituation« gegeben habe. Die Atomkatastrophe von Fukushima habe »ausschließlich den Grünen genutzt«. Tatsächlich orientierte der Wahlkampf der Linkspartei in erheblichem Maß auf das nackte Ziel Überwindung der Fünfprozenthürde. Zentraler Slogan und Websitename: »Linke-in-den-Landtag«. Die Wahlkampfthemen waren fast ausschließlich sozialen Fragen gewidmet. So erschien Die Linke in der ökologisch geprägten Zuspitzung als überflüssig. Zweideutigkeiten spielen eine ergänzende Rolle. Wer im Südweststaat einen Volksentscheid fordert, einen solchen in Berlin aber behindert, ist wenig glaubwürdig. Das wichtigste Linke-Plakat zum Thema AKW hat den Slogan »Strom zu sozialen Preisen. Ohne Atomkraft!« Im Linke-Wahlprogramm von Baden-Württemberg wird das Nein zu »Stuttgart 21« verbunden mit der Forderung nach einer »Schnellbahnstrecke Ulm–Stuttgart«. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Die Linke wirkt dann überzeugend, wenn sie soziale Fragen mit ökologischen Themen glaubwürdig und gleichberechtigt verbindet und auf eine antikapitalistische Zielsetzung – aktuell auf die Forderung nach der Enteignung der mörderischen Atomstromkonzerne – orientiert.
    Quelle: junge Welt

  17. Netz spottet über Hauptstadtjournalisten
    Müssen sich arrivierte Hauptstadtjournalisten mit neumodischem Zeug wie Twitter herumschlagen, um in Sachen Bundesregierung auf dem Laufenden zu bleiben? Ja, findet das Bundespresseamt. Manche Journalisten fühlen sich übergangen. Eine Posse über Herrschaftswissen in Zeiten des Netzes. […]
    Was die Sorgen um Verlässlichkeit anginge, sagte Steegmans: Ein kurzer Anruf beim Pressesprecher könne im Zweifelsfall die Authentizität eines Tweets klären. Aber den Kritikern gehe es doch um etwas anderes: “Sie wollen in Wahrheit doch wissen, ob es eine Benachteiligung ist, dass eine Information möglicherweise statt über den [Journalisten]-Verteiler über Twitter herausgegangen ist.” Und traf damit wohl ins Schwarze. Die Diskussion liest sich streckenweise wie eine chiffrierte Debatte über Herrschaftswissen, Deutungshoheit und Informationsprivilegien – dabei wäre doch die Frage, ob die Bundesregierung sich der Plattform eines Privatunternehmens bedienen sollte, um Informationen zu verbreiten, durchaus diskussionswürdig gewesen.
    So aber ging es, wie Steegmans richtig interpretierte, nur um diese Frage: Ob die Bundesregierung an den Presseagenturen vorbei mit der Öffentlichkeit kommunizieren darf. Was sie ja ohnehin längst tut, etwa im wöchentlichen Video-Podcast von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Den sich mittlerweile aber wohl auch nur noch Journalisten ansehen.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Dazu:

    Das Unbehagen der Hauptstadtjournalisten mit dem twitternden Regierungssprecher
    Quelle: Carta

  18. Urban Priol auf der Anti-Atomkraft-Demo – Der Provokateur
    Alles muss auf der Bühne irgendwie raus, findet der Kabarettist Urban Priol. Doch darf Satire wirklich alles? Bei der Anti-Atomkraft-Demo in München eckte der Unterfranke mit seinen Äußerungen über Rainer Brüderle an. […]
    Zumindest diese eine Passage, in der Priol mit einem Zitat von Wolfgang Bosbach, dem Innenexperten der CDU im Deutschen Bundestag ansetzte. Bosbach hat vor einem “Rückfall in die Terrorspirale der 70er Jahre” gewarnt, und Priol machte sich am Samstag lustig über diese Warnung vor einer möglichen neuen RAF.
    Er höre schon den Stammtisch, wie es dort wummere: “Die hätten heute wieder gut zu tun in Deutschland.” Andererseits, sagte Priol, würde für “die Nasen” von heute doch “keiner mehr Lösegeld zahlen”, das sei eher schon “was für die Vergnügungssteuer”. Einer wie der Brüderle, der “textet die doch so zu, bis die den Kofferraum aufsperren und sagen: Bitte geh’, bitte, bitte geh.” Es gab Zuhörer auf dem Odeonsplatz, denen der Atem gestockt hat bei diesen Sätzen. […]
    Priol hat die Passage schon seit Monaten im Programm. Größere Proteste, sagt sein Sprecher, habe es nie gegeben.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung Jens Berger: „Was darf Satire? Alles“ – Kurt Tucholsky. Es ist nicht sonderlich bemerkenswert, dass die „Qualitätspresse“ nun über Urban Priol herfällt, ist eher bemerkenswert, dass sie dies erst jetzt tut. Schließlich nahm Priol in seiner wunderbaren Sendung „Neues aus der Anstalt“ noch nie ein Blatt vor den Mund.

    Anmerkung unseres Lesers V.B.: Es ist schon interessant, wie “hinterhältig” dieser Lokal-Journalist auf die doch “bewährt” konservativen Verhältnisse und Mehrheiten beim ZDF anspielt, um gegen Urban Priol so für diese Äußerung auf der Demo “eins auf die Mütze geben” zu können. Und er dabei kein Wort zu der unverschämten “Analogie” des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach zu der Bedrohung durch ein heraufziehendes RAF-Szenarium verliert, das die eigentliche Provokation gegenüber den friedlichen Anti-Atom-Demonstranten darstellt.

  19. Zu guter Letzt: Volker Pispers
    Quelle: WDR 2
  20. Das Allerletzte: Wirtschaftsinstitut: Paarungsverhalten als Ursache für die Kluft zwischen Arm und Reich
    Warum geht die Schere zwischen Arm und Reich auseinander? Forscher haben dafür jetzt eine überraschende Antwort gefunden: Das Problem sind nicht die wachsenden Lohnunterschiede, sondern das Paarungsverhalten. Die Deutschen suchen sich häufiger Partner mit dem gleichen Einkommen. […]
    Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die SPIEGEL ONLINE exklusiv vorliegt, ist es in den vergangenen Jahren seltener geworden, dass ein gut verdienender Partner das geringe oder fehlende Einkommen des Anderen ausgleicht. Das bedeutet: Das traditionelle Famliienbild, in dem der Mann alleine für das Einkommen sorgt, ist ein Auslaufmodell. Der Anteil der Frauen, die mindestens Teilzeit arbeiten, ist dagegen seit 1998 stetig gestiegen.
    Die Untersuchung des wirtschaftsnahen Instituts zeigt zudem: Immer häufiger gesellen sich Geringverdiener und Gutverdiener mit Partnern, die ähnliche Einkommen haben. Vereinfacht könnte man sagen: Während früher der Chef oft die Sekretärin heiratete, leben heute eher die Managerin und der leitende Angestellte zusammen – oder der Putzmann und die Empfangsdame.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Der Inhalt der IW-Studie ist zweifelsohne brisant und weist auf eine Rückkehr der Klassengesellschaft hin. Wenn SPIEGEL und IW nun aber schlussfolgern, dass dieser Rollback nicht die Folge, sondern die Ursache für die wachsende Schere zwischen Arm und Reich ist, so zeugt dies schon von einer phänomenalen Realitätsverdrängung. Es ist ja nicht immer einfach, den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität zu erkennen, aber mit diesem Stück haben sich SPIEGEL und IW wahrlich selbst auf der nach unten offenen Niveauskala übertroffen.

    Ergänzung WL: Dem Institut der deutschen Wirtschaft ist offenbar kein Argument zu blöd, um die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich zu verschleiern. Der empirische Blödsinn dass sich der Prozentsatz der erwerbslosen Paare und der Anteil der vollerwerbstätigen Paare erhöht hat, fehlt dazu noch jede Logik. Wenn mehr Arme und mehr Reiche untereinander heiraten, dann heißt es doch nur, dass es eben mehr Arme und mehr Reiche gibt – eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft eben.

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