Leserbriefe zur Schließung des Goethe-Instituts Toulouse und damit zugleich zur Kulturpolitik der Bundesregierung

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Zwei mit den Goethe-Instituten und speziell mit dem Goethe-Institut in Toulouse/Frankreich verbundene Leser der NachDenkSeiten empören sich darüber, dass das Goethe-Institut in Toulouse geschlossen wird. Sie wenden sich mit Briefen an die Bundesregierung und an die Zentralverwaltung des Goethe-Instituts in München – mit wirklich triftigen Argumenten, allerdings auch sehr engagiert bis „sauer“. Wir geben Ihnen diese Briefe zur Kenntnis, auch deshalb, weil darin ein ganz anderer als der übliche Bereich von Politik und Kultur angesprochen wird – die deutsche Kulturpolitik im Ausland. Es wird in den Texten verständlich, dass und warum die betroffenen Menschen empört sind. Wir alle haben Gründe, diese Art von Kulturpolitik zu hinterfragen. Albrecht Müller.

  1. Brief an die Bundesregierung und die Zentralverwaltung des Goethe-Instituts vom 4. Oktober

    Rainer Kubis
    Am Feuerschlösschen 8
    D 53604 Bad Honnef

    An die Bundesregierung in Berlin
    An die Zentralverwaltung des Goethe-Instituts München

    Honnef, den 04. Oktober 2022

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
    sehr geehrte Damen und Herren Ministerinnen und Minister,
    sehr geehrte Damen und Herren der Zentralverwaltung des Goethe-Instituts,

    das Faktum: den Lehrern/Innen des Goethe-Instituts Toulouse wurde der Arbeitsvertrag zum 11. Oktober 2022 gekündigt, mit anderen Worten : die Sprachabteilung wird geschlossen, und in Kürze auch die Kulturabteilung, da die Immobilie, in der das Goethe-Institut untergebracht war, verkauft werden soll.

    Sie haben es anscheinend für nicht nötig gehalten, diese Schließung zu verhindern. 60 Jahre nach der Rede des General de Gaulle in Bonn werden die deutsche Kultur in Frankreich abgebaut und damit die deutsch-französischen Beziehungen einmal mehr belastet. 60 Jahre Arbeit, Aufopferung, Hingabe, das Engagement vieler, werden einmal mehr über den Haufen geworfen, für einen lächerlichen Betrag von 26 Millionen Euro Einsparung in einem Bereich, in dem nie gespart werden sollte. Können Sie sich wirklich guten Gewissens noch im Spiegel ansehen ? Was für ein Bild gibt die Bundesrepublik derzeit im Ausland ab? Unberechenbar, unzuverlässig, unbegreiflich.

    Damit verbinden sich weitere Fragen: die BRD, das Land, dessen Finanzhaushalt angeblich im Gleichgewicht steht, und das in Europa eine Vorreiterrolle spielt, mit erhobenem Finger auf all die Länder zeigt, deren Haushalt nicht so gut zu sein scheint, wo steht dieses Land wirklich? Es ist einfach, bei den Haushaltsdiskussionen in Europa den Bundeshaushalt vorzulegen, ohne die miserable Finanzlage der Länder und Kommunen. Es ist einfach, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wenn seit 20 Jahren weder in das Straßen- noch in das Eisenbahnnetz und die Flusswege investiert wurde, und heute z. Bsp. über 4500 Autobahnbrücken zu renovieren sind. Es ist einfach, seine Krankenhäuser im wahrsten Sinne des Wortes kaputtgehen zu lassen, und damit Situationen hervorzurufen, die viele deutsche Bürger/Innen vor z. T. fast unlösbare Probleme stellen. Es ist einfach, die Leitung von Altenheimen an ausländische Firmen abzutreten, wobei die Leidtragenden sowohl die alten Menschen wie die zahlreichen Mitarbeiter/Innen sind, von denen einige Überstunden machen müssen, um Ferien zu bekommen, weil bei gewissen ausländischen Trägern die deutsche Gesetzgebung nur sehr spärlich und ohne wirkliche Überwachung von den Ämtern zum Tragen kommt. Es ist einfach, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wenn seit 20 Jahren fast nichts ins Digitale investiert wurde.

    Zentrale Frage: wo ist das von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern in den letzten 30 Jahren hart erwirtschaftete Geld geblieben? Was wurde daraus gemacht, dass sich dieses Land heute in einem zum Teil haarsträubenden Zustand befindet? Wie erklären Sie, dass man Sonderfonds für Militär (von dem die meisten Gelder nach Amerika gehen !!) und Energieprobleme einrichtet, aber keinen für die Kultur? Aber das Wort „Sonderfond“ sagt ja schon alles: taucht im Haushalt nicht auf, belastet also angeblich nicht den Steuerzahler. Und auch nicht den Staatshaushalt bei internationalen Debatten und Absprachen. Ein bedachteres und vernünftigeres Vorgehen beim Bau der Hamburger Philharmonie und des Berliner Flughafens hätten dem Steuerzahler über 5 Milliarden € erspart. Mit dem Betrag waren die kulturellen Ausgaben für das europäische Ausland erst einmal gedeckt.

    Außerdem war für das Jahr 2022 der Kulturhaushalt der BRD aufgestockt worden, auf 2,9 Milliarden €. Wie begründen Sie angesichts dieses Faktums die Einsparung von 26 Millionen, und damit, selbst als geringere Konsequenz, die Schließung des Goethe-Instituts Toulouse? Und keiner in der Zentralverwaltung des Goethe-Instituts reagiert ? Wurde auch ihnen Kommunikation untersagt, wie der Leiterin des Toulouser Instituts? Eigenartig.

    Angesichts solcher Irrwege stellt sich die Frage, wohin dieses Land gesteuert wird? Und wie die denken, die es steuern sollen und wollen?

    Deutschland wird für andere Europäer zu einem uninteressanten, unzuverlässigen Partner. Es sollte sich erst wieder einmal seiner kulturellen Geschichte und Tugenden bewusst werden, aufhören, mit dem Finger auf andere zu zeigen, und nie vergessen: Kultur und Begegnung schaffen Annäherung und Vertrauen, bilden die Grundlage. Auch wenn es noch Jahre braucht, um zu einem wirklichen Europa mit gemeinsamen Vorstellungen, Zielsetzungen, Zielen zu gelangen. Schumann, de Gaulle, Adenauer hatten den Weg eingefädelt und gezeigt. Es ist traurig und bedrückend, dass diesem bemerkenswerten Weg jetzt so radikale Hürden in den Weg gelegt werden. Dass damit fast extremistische Reaktionen in anderen Ländern ausgelöst werden, ist leider nicht mehr als eine logische Folge.

    Mit tief bedrückten sorgevollen Grüßen

    Rainer Kubis

    P. S. : Mein Schwiegervater, Franzose, 5 Jahre im Offiziersgefangenenlager in Soest, später Präsident der Industrie- und Handelskammer Paris, hat immer für die deutsch-französische Freundschaft gearbeitet. Mein Schwager, Franzose, hat „nur“ 150 Städtepartnerschaften in die Wege geleitet; meine Frau hat als erste Collège-Leiterin im Pariser Umfeld Englisch und Deutsch als 1. Fremdsprache in der 6ème eingeführt; ich selbst habe nur 30 Jahre ununterbrochen Schüleraustausch und 20 Jahre Schülerjahresaustausch organisiert und durchgeführt, und nur 38 Jahre am Goethe-Institut Toulouse gearbeitet. Unsere Beiträge sind bescheidene Beiträge zur deutsch-französischen Freundschaft; viele andere Personen und Persönlichkeiten, die wirkliche Akteure der deutsch-französischen Freundschaft waren und sind, haben noch wesentlich mehr geleistet. Aber wer und was sind Sie?

  2. Schreiben von Xavier Labourdique an die Zentralverwaltung des Goethe-Instituts. Xavier Labourdique ist seit 20 Jahren treuer technischer Mitarbeiter des Goethe-Instituts Toulouse

    Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Lentz,
    sehr geehrte Herren des Vorstands,

    hiermit erlaube ich mir, Ihnen zu schreiben, um Sie auf die Lage Ihres Instituts aufmerksam zu machen. Ich weiß natürlich, dass in unserem Verwaltungssystem ein so kleiner Angestellter wie ich sich in keinem Fall an den Vorstand zu wenden hat. Die Umstände lassen mir jedoch heute keine andere Wahl, weder beruflich noch menschlich.

    Gerade dieses sehr hierarchisierte Modell zwingt mich zu diesem Brief, da unsere lokale Leitung vor Ort zum Schweigen verpflichtet wurde, und die Leitungen in Paris oder Brüssel uns nicht verteidigen, vermutlich aus denselben Gründen, wage ich zu hoffen.

    Ich bin sicher, dass die von Ihnen beschlossene Schließung Ihres Toulouser Instituts, über die Sie diesen Sommer entschieden haben, ein schwerwiegender Fehler und eine enorme menschliche, kulturelle und historische Ressourcenverschwendung ist. Daraus leite ich ab, dass diese ohne eine eingehende Kenntnis der Lage vor Ort durchgezogen wurde.

    Mangels einschlägiger Argumente ist die regionale Leitung von Süd-West-Europa nur 2 Stunden nach Toulouse gekommen, um zu versuchen, diese grausame und unverständliche Entscheidung zu rechtfertigen. Uns wurden lediglich die Einschränkungen in Verbindung mit der geopolitischen Lage mitgeteilt, aber es wurde nie auf nur eine unserer konkreten Fragen geantwortet; gearbeitet wurde mit Zahlen aus den Jahren 2015-2016, einer Stagnation, angeblich auf den aktuellen Zahlen aufbauend, wobei wir aus einer Pandemie herauskommend durch das außerordentliche Engagement unseres pädagogischen Teams bewiesen haben, wie dynamisch die Sprachabteilung ist. Als Beleg führe ich eine 30-prozentige Zunahme unserer Voreinschreibungen an für September 2022! Aber das Paradoxon: unsere Lehrkräfte werden zur Zeit bezahlt, und unsere Studenten haben keinen Unterricht …. Noch viel schlimmer : in unserem 60-jährigen Institut finden nur Italienisch- und Griechischkurse statt (Saalvermietung als Beitrag zur Kosteneinsparung !) !

    Anscheinend haben Sie nie über die genauen lokalen Zahlen verfügt, die belegen, dass das Toulouser Goethe-Institut das ist, was in Frankreich das geringste Defizit aufweist. Anscheinend ist Ihnen auch nicht klar, wie es in dem Kontext dieser Hauptstadt von Airbus und der zweitgrößten Universitätsstadt Frankreichs nach Paris aussieht.

    Wenn die Pariser Leitung nichts von einem Opfer wissen will und gegenüber den Medien nur von Restrukturierung und einem Übergang zu Online-Kursen spricht, dann verschweigt sie wissentlich die 150 Studenten, deren Aus- bzw. Weiterbildung von heute auf morgen abgebrochen wurde, und deren finanzielle Unterstützung für viele auf immer verloren ist. Was auch verschwiegen wird, ist die plötzliche Aufhebung der Möglichkeit, Prüfungen abzulegen wie auch das brutale Ende der materiellen und pädagogischen Unterstützung der Deutschlehrer an den Schulen und Gymnasien der Region.

    Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Lenz, sehr geehrte Herren des Vorstands, glauben Sie wirklich, dass hunderte von Personen durch Frankreich fahren, um gutem Unterricht folgen zu können, wesentliche Prüfungen abzulegen oder pädagogische und materielle Hilfestellungen zu bekommen, und so ihre Beziehung zur deutschen Sprache aufrecht erhalten?

    Nein! Ihre Preisgabe des Instituts wird sich gravierend auf die Attraktivität der deutschen Sprache in den kommenden Jahren auswirken.

    Schon jetzt fallen zahlreiche partnerschaftliche linguistische Projekte mit den lokalen Universitäten, Gebietskörperschaften, Vereinen und Unternehmen unter den Tisch, wegen einer Entscheidung, die weder auf humaner noch buchhalterischer noch kultureller Ebene nachvollziehbar ist.

    Gleichzeitig werden 7 meiner Kolleginnen, ihrer Aufgabe ergeben und in jeder Hinsicht exemplarisch, in unwürdiger und fast brutaler Form „bedankt“ (entlassen ), ohne das aktuelle Programm zu Ende führen zu dürfen. Das Bild, das die Zentralverwaltung und damit Deutschland hier abgeben, ist ein schwer lädiertes.

    Ein Kollektiv unserer Studenten hat eine Online-Petition gestartet, die bis jetzt von mehr als 3000 Personen unterzeichnet wurde ( der Link ). Unsere Studenten haben einen ganzen Tag lang während unseres „Tags der offenen Tür“ eine Demo gemacht, am 10. September 2022, und eine große Demo wird diesen Samstag (08. Oktober 2022) in den Toulouser Straßen mit Unterstützung der Stadtverwaltung und des Bürgermeisters stattfinden.

    Sie scheinen den Abbau dieser hervorragenden Sprachabteilung zusätzlich noch durch die Absicht zu belegen, die Immobilie zu verkaufen, in dem sie untergebracht ist. Unsere Kulturabteilung muss sich zu Recht Sorgen machen, denn die Kosten nehmen ja nicht ab, während die Sprachabteilung rentabel war.

    Es ist eindeutig, dass der eventuelle Ertrag eines Verkaufs der Immobilie dem Goethe-Institut nichts bringt, und dass das Außenministerium lediglich den Hypothekarwert reinholt angesichts der kommerziellen Ausrichtung der Räume und Einrichtungen.

    Über die finanziellen und menschlichen Aspekte hinausgehend, und die Anerkennung Ihres bemerkenswerten Teams hier vor Ort beschädigt Ihre schwerwiegende Entscheidung das Herz der Begegnungen, der Kultur und der deutsch-französischen Freundschaft im gesamten Südwesten Frankreichs. Diese beschlossene Schließung würde damit zu einer schwarzen Seite in der Geschichte der menschlichen Beziehungen, die unsere zwei Völker verbindet, in einer Region, wo so viele deutsch-französische Paare und Familien sich für menschliche, kulturelle, oder berufliche Projekte zusammenschließen.

    Ihre Vorgänger haben in der Vergangenheit gezeigt, wie sehr es ihnen daran gelegen war, dieses Institut hier aufzubauen und zu erhalten, als wesentlichen und vitalen Vektor der deutsch-französischen Freundschaft, seit dem Freundschaftsvertrag zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem General Charles de Gaulle.

    In der Hoffnung, dass auch Ihnen die Ausstrahlung deutscher Kultur und Sprache am Herzen liegen, wende ich mich an Sie mit der Bitte, alles zu unternehmen, was in Ihren Kräften steht, diese inhaltlich und formal völlig unbegründete Entscheidung gründlich zu überdenken und rückgängig zu machen.

    Bitte nehmen Sie den Ausdruck meiner Hochachtung entgegen !

    Xavier Labourdique


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