Die große Angst vor den wenigen Andersdenkenden

Die große Angst vor den wenigen Andersdenkenden

Die große Angst vor den wenigen Andersdenkenden

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Anhänger der selbstzerstörerischen Sanktionspolitik befinden sich in einer sehr komfortablen Lage: Ihre politischen Botschaften (die „richtigen“ Botschaften, die Botschaften der Regierung und ihrer Einflüsterer) schallen von morgens bis abends aus allen großen Kanälen. Wer sich angepasst äußert, bekommt umgehend den roten Teppich der Medien. Woher kommt dann aber die Aggression, mit der den wenigen Andersdenkenden, die sich öffentlich vorwagen, begegnet wird? Sie speist sich aus Angst: Die wird von der einen Seite aus Kalkül erzeugt, von der anderen mit Leidenschaft ausgelebt. Bei professionellen Meinungsmachern überrascht das Verhalten nicht – es ist eine Taktik. Doch es sind auch viele „normale“ Bürger davon erfasst. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

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Mit der aggressiven öffentlichen Diffamierung von Andersdenkenden sollen Debatten verhindert werden, bei denen man inhaltlich keine Chance hätte – diese Diffamierungen sind also ein Zeichen der argumentativen Schwäche. Sie sind ein Zeichen der Angst, ertappt zu werden. Sie sind Ausdruck einer Strategie der Vermeidung.

Die Überschrift dieses Artikels muss relativiert werden: Es gibt beim Thema Sanktionen sehr viele Andersdenkende – aber zumindest bisher (und vor allem in Westdeutschland) sind es noch nicht genug, die sich zum einen trauen, den Kopf rauszustrecken, und zum anderen eine wahrnehmbare Reichweite haben. Umso wichtiger ist das Engagement dieser Bürger (auch jener ohne eigene Reichweite) und umso höher sollte unsere Hochachtung sein.

Proteste als „neue, öffentlich sichtbare faschistische Bewegung“

Andersdenkende müssen sich bekanntlich warm anziehen, wenn sie sich entschließen, öffentlich gegen die massive Propaganda zur zerstörerischen Sanktionspolitik (und zuvor gegen die fatale Coronapolitik) Stellung zu beziehen. „Normale“ Bürger haben alleine kaum eine Chance, dagegen anzukommen, zumal sie sich vorher zunächst der betäubenden Wirkung der sich wiederholenden Meinungsmache entziehen müssen. Die Proteste, die momentan in Ostdeutschland entstehen, werden zudem (wie die engagierten Einzelpersonen) massiv diffamiert: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) warnte kürzlich laut Medien gar vor der „Bildung einer neuen, öffentlich sichtbaren faschistischen Bewegung“. Die Motivation für solche sprachlichen Ausfälle ist klar: Mit „Faschisten“ muss man sich nicht inhaltlich auseinandersetzen, die kann man auf ein „Sicherheitsrisiko“ reduzieren, eine Debatte wird dadurch gecancelt.

Dass sich die Regierung indirekt mit „der Demokratie“ gleichsetzt ist eine lächerliche, aber auch gefährliche Haltung. Die aktuelle Entwicklung in Frankreich zeigt aber auch, dass die Sorgen der Regierung vor einer breiten Protestbewegung gegen die aktuelle Anti-Bürger-Politik nicht ganz unbegründet sind.

Die Warnung vor harschen Reaktionen betrifft bekanntlich auch prominente Einzelkritiker wie Wagenknecht oder Guérot, kürzlich Precht und Welzer und ganz aktuell Roger Waters: Die Stadt München versucht gerade, ein Konzert des Mitbegründers von Pink Floyd zu verhindern, das für das nächste Jahr in einer städtischen Halle geplant ist. Zwar wird in München laut Medien sein angeblicher „Antisemitismus“ in den Vordergrund gestellt, aber vermutlich haben die Offiziellen momentan mehr Sorge vor der scharfen Kritik von Roger Waters an der Russland- und Sanktionspolitik des Westens.

Die Ahnung, in die Irre geführt worden zu sein

Wie gesagt: Die „richtige“ Botschaft, die Botschaft der Regierung und ihrer Einflüsterer schallt von morgens bis abends aus allen großen Medien- und Politik-Kanälen. Man könnte meinen, dass diese erdrückende Dominanz, diese Ungleichheit der Waffen im Meinungskampf den angepassten Bürgern eine Position der Stärke vermitteln würde, die Gelassenheit zur Folge haben müsste. Doch davon keine Spur: Ein öffentliches Abweichen von der „Anti-Putin-Religion“ wird meist nicht mit gelassener und fundierter inhaltlicher Kritik, sondern mit Aggressionen beantwortet. Woher stammt sie also, die Wut auch vieler „normaler” Bürger auf die Wenigen, die eine andere Botschaft haben und zudem in ihren Verbreitungswegen weit unterlegen sind? Ist der Grund dafür wirklich die Angst vor der „demokratiegefährdenden russischen Desinformation“, der man mit ehrlichem Zorn entgegentreten will? Oder ist es nicht eher das Prinzip „Bestrafe einen, erziehe hundert“? Oder ist es die Angst, bei Zurückhaltung selber als Andersdenkender identifiziert und beschimpft zu werden, mit den entsprechenden Folgen?

Oder ist es die Ahnung, erheblich in die Irre geführt worden zu sein? Schließlich sind die Sanktionspolitik und die zugehörigen Maßnahmen zur Ausweitung und Verlängerung des Ukrainekriegs weder politisch noch moralisch zu rechtfertigen. Sie lindern nicht das schreckliche Leid der Ukrainer. Sie sind ein wirtschaftspolitischer Angriff auf Europa. Der große Profiteur sind die USA. Die moralisch anklagende Gleichung „Gegen die Sanktionen = Gegen die Ukraine“ ist Betrug, wie wir hier beschrieben haben.

Es gibt vermutlich bei vielen Bürgern Sorgen vor dieser Einsicht, dass man selber einer emotionalen und verlogenen Propaganda aufgesessen war (bei den Sanktionen und bei der Coronapolitik) und das wird oft als peinlich empfunden – diese Sorgen können eine starke Abwehr gegen alle Erkenntnisse auslösen, die dieses konstruierte Weltbild gefährden könnten. Dieser Zustand betrifft mutmaßlich auch einige der beteiligten Propagandisten, aber vor allem die „normalen“ Bürger. Vielleicht haben unsere Leser noch andere Erklärungen für das Phänomen der aggressiven Abwehr, obwohl doch die massive Überlegenheit in den Verbreitungswegen Gelassenheit verleihen müsste.

Dass zahlreiche Journalisten und Politiker bei den Themen Coronapolitik und Sanktionspolitik die Diffamierung einer sachlichen Debatte vorziehen, ist verständlich: Das ist zum einen ihr Geschäft und zum anderen hätten sie argumentativ keine Chance. Ich habe aber auch privat die (rein subjektive und nicht repräsentative) Beobachtung gemacht: Je weniger sich Menschen abseits des Gleichklangs vieler großer Medien informieren, umso höher ist die Bereitschaft, einen sachlichen Austausch von Argumenten mit persönlichen Angriffen unmöglich zu machen – und sich dadurch die Debatte zu ersparen, sie also zu canceln.

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Titelbild: Ipatov / Shutterstock