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Heute unter anderem zu folgenden Themen: FDP-Krise; Arbeitsagentur nennt von der Leyens Pläne “schlechten Scherz”; Privatversicherte oft unzufrieden; Interview: Arbeitsmigration aus Polen; Prognos-Gutachten: Soziale Prävention; DGB-Vorschläge zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente; Die Nuklear-Nomaden; Moderne Verdrängung; Gegen den Strom – Über Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne; Interview mit BDI-Chef Keitel: Banker “katastrophal” überbezahlt; Niederlassungsfreiheit: Regierung entlastet Konzerne; ttt: gekaufte Wahrheit – Die Versuchstiere sind wir; Stirbt in Zukunft nur der Osten fürs Vaterland?; Vietnam – ein neuer „Tigerstaat“ in der Krise; Budgetsanierung durch Lohndumping; Schulen in Afghanistan: Ungestillter Bildungshunger; Skandal auf Seite 17; Revolutionen in Nordafrika; Der Staat macht Inventur (KR/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. FDP-Krise
  2. Arbeitsagentur nennt von der Leyens Pläne “schlechten Scherz”
  3. Privatversicherte oft unzufrieden
  4. Interview: Arbeitsmigration aus Polen
  5. Prognos-Gutachten: Soziale Prävention
  6. DGB-Vorschläge zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
  7. Die Nuklear-Nomaden
  8. Moderne Verdrängung
  9. Gegen den Strom – Über Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne
  10. Interview mit BDI-Chef Keitel: Banker “katastrophal” überbezahlt
  11. Niederlassungsfreiheit: Regierung entlastet Konzerne
  12. ttt: gekaufte Wahrheit – Die Versuchstiere sind wir
  13. Stirbt in Zukunft nur der Osten fürs Vaterland?
  14. Vietnam – ein neuer „Tigerstaat“ in der Krise
  15. Budgetsanierung durch Lohndumping
  16. Schulen in Afghanistan: Ungestillter Bildungshunger
  17. Skandal auf Seite 17
  18. Revolutionen in Nordafrika
  19. Der Staat macht Inventur

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. FDP-Krise
    1. Nirgendwo Liberale
      Die FDP hat sich weit entfernt von den Positionen ihrer Gründerjahre. Unter Guido Westerwelle ist sie zur Ich-AG verkommen. Und niemand ist da, der an die gute Tradition anknüpfen könnte. […]
      Die liberale FDP aber, zu der sie Guido Westerwelle formte, ist nichts anderes als das, was Heuss bekämpfte: der politische Arm der Wirtschaftslobby, die Ich-AG in der Parteienlandschaft.
      Braucht Deutschland die FDP? Das werden die Wähler entscheiden.Braucht dieses Land einen organisierten Liberalismus im Sinne von Theodor Heuss? Sollte er benötigt werden, kann ihn von allen deutschen Parteien die FDP am wenigsten liefern. […]
      Braucht Deutschland einen Liberalismus? Müßige Frage. Er ist nicht in Sicht. Denn es gibt seit langer Zeit schon keine Liberalen mehr.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    2. keine häme.
      Ob das Bauernopfer Westerwelle die FDP retten wird, ist wurscht. Kapital und FAZ haben sich längst auf Schwarz-Grün eingeschworen.
      Eigentlich wäre es ein Grund zu frohlocken. Westerwelle, neoliberaler Wadenbeißer seit den frühen 1980er Jahren, ist als FDP-Chef zurückgetreten worden. Dabei fuhr der Mann, der maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die FDP zu einer Ein-Punkt-Partei wurde, mit seiner Steuersenkungspartei vor anderthalb Jahren noch mehr als 14% bei der Bundestagswahl ein – das beste Ergebnis, das die FDP je bei einer Bundestagswahl erzielte. Und nun? Soll alles falsch gewesen sein? Dass Parteien, die in erster Linie mit einem Thema assoziiert werden, durchaus erfolgreich sein können, haben die Grünen gerade bewiesen: Das Thema Atomausstieg beflügelte die Umweltpartei in der vergangenen Woche derart, dass sie in Baden-Württemberg ihren ersten Ministerpräsidenten wird stellen können. […] Die Antwort liegt auf der Hand: Ob Westerwelle geht oder nicht, ist im Grunde schon längst egal. Er ist nur das eilig von der Partei dargebotene Bauernopfer. Die FDP hat nun – allem Anschein nach zu spät – realisiert, dass sich weite Teile des konservativen Bürgertums von ihr ab- und den Grünen zuwenden. Indem sie Westerwelle zum Verzicht drängt, glaubt die Partei, die Zuneigung der Chefstrategen der bürgerlichen Presse zurück gewinnen zu können.
      Quelle: prager frühling
  2. Arbeitsagentur nennt von der Leyens Pläne “schlechten Scherz”
    Es geht ums Geld, und da bedienen sich selbst sonst eher sachliche Behördenvertreter einer direkteren Sprache: “Ein schlechter Scherz” seien die Vorschläge von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, kritisiert Peter Clever, Verwaltungsratschef der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ihre Etatplanung sei “keine Basis für eine solide Politik”, die Sparvorschläge hätten “keine solide Gegenfinanzierung”. Was den BA-Mann so ärgert: Von der Leyen hat angekündigt, die Überweisungen aus der Mehrwertsteuer an die BA schrittweise zu halbieren. Von 2012 bis 2015 gehen der Behörde damit rund 11,5 Milliarden Euro verloren. Die BA fürchtet ein Dauerdefizit – zumal die Ministerin auch den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bei drei Prozent halten will. […]
    Die Politik habe die Finanzperspektiven der Bundesagentur “dramatisch verschlechtert”, weil sie ihr im Zuge des Hartz-IV-Kompromisses vier Milliarden Euro Steuermittel jährlich entziehe. Er könne von der Leyens Aussage nur “als schlechten Scherz” empfinden, sagte Clever, der in der BA die Arbeitgeber-Seite vertritt.
    Quelle: SPIEGEL Online
  3. Privatversicherte oft unzufrieden
    Die private Krankenversicherung gilt der schwarz-gelben Regierung als beispielhaft für die Absicherung von Gesundheitsrisiken. Das sehen allerdings eine ganze Reihe von deren Kunden anders.
    Viele Privatversicherte bereuen inzwischen offenbar den Wechsel von der gesetzlichen Krankenkasse zu einem privaten Anbieter, das hat eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest ergeben, die der Frankfurter Rundschau vorliegt. Jeder Zehnte würde demnach „auf keinen Fall“ mehr in die private Krankenversicherung wechseln, hätte er noch einmal die Wahl. Acht Prozent würden „wahrscheinlich“ nicht mehr wechseln, zehn Prozent könnten sich einen Wechsel „eventuell“ noch vorstellen. Damit hat rund jeder dritte Privatversicherte Zweifel, ob er bei den Privaten gut aufgehoben ist.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  4. Interview: Arbeitsmigration aus Polen
    Meine Schätzungen, dass bis zum Ende des Jahres 2012 (also innerhalb eines Zeitraums von anderthalb Jahren nach der endgültigen Öffnung des Arbeitsmarktes) bis zu einer Million Polen mit dem Ziel der Arbeitssuche nach Deutschland auswandern werden, können tatsächlich sehr hoch erscheinen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der deutsche Arbeitsmarkt bereits jetzt an zweiter Stelle steht, wenn es um die Anzahl der dort arbeitenden Polen geht. Diese Zahl wird derzeitig auf ca. 400.000 geschätzt und ist seit 2004 trotz des geschlossenen Arbeitsmarktes dynamisch angestiegen. Man nimmt an, dass in Großbritannien ca. 600.000 polnische Bürger arbeiten – auch wenn die Schätzungen hier weit auseinandergehen. Es handelt sich hier also bereits heute um durchaus vergleichbare Zahlen. Die Arbeitslosenrate beträgt in Polen aktuell ca. 13%, was bedeutet, dass in Polen über zwei Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter ohne Arbeit bleiben. Man nimmt außerdem an, dass diese Zahl in der nächsten Zeit noch ansteigen wird. Wenn man davon ausgeht, dass nur ein Viertel oder ein Drittel dieser Personen sich dafür entscheidet eine Arbeit in Deutschland zu suchen und zusätzlich die Faktoren berücksichtigt, die eine Migration begünstigen, wie z.B. persönliche Netzwerke, eine gute Kenntnis des deutschen Arbeitsmarktes durch polnische Arbeitnehmer sowie den wahrscheinlich wichtigsten Punkt, die geographische Nähe, dann erscheinen diese Schätzungen nicht übertrieben.
    Quelle: DGB Gegenblende
  5. Prognos-Gutachten: Soziale Prävention
    Bilanzierung der sozialen Folgekosten in Nordrhein-Westfalen.
    Quelle: GEW Online

    Anmerkung WL: Kurzfristig könnten in der Jugendbilanz durch eine vorbeugende Wirtschafts- und Sozialpolitik in NRW jedes Jahr rund 2,5 Mrd. Euro an direkten sozialen Folgekosten eingespart werden. Durch Investitionen im Bereich der stationären Jugendhilfe, durch frühe Förderung von Kindern und Jugendlichen könnten bei entsprechenden Investitionen bis zu 8 Milliarden pro Jahr eingespart werden.
    In NRW sind etwa 420.000 Mütter mit knapp 660.000 Kindern aufgrund fehlender Kinderbetreuung nicht erwerbstätig. Der entsprechende Ausbau bei den Kitas kostet zwar rund 1,5 Mrd. Euro pro Jahr, doch die Investition könnten sich rasch auszahlen, wenn die Mütter erwerbstätig sein könnten und entsprechende Steuern und Sozialabgaben bezahlten.
    Jedes Jahr verliert NRW mehr als 15 Mrd. Euro an Steuereinnahmen durch unzureichende Bildungsabschlüsse. In NRW hatten im Jahr 2009 etwa 1,4 Mio. Erwerbstätige keine abgeschlossene Berufsausbildung. Diese Menschen verdienen nicht nur deutlich weniger. Sie zahlen auch geringere Steuern und können insgesamt weniger Geld investieren oder zurücklegen.

    Bereits 2020 werden in NRW 630.000 qualifizierte Fachkräfte fehlen. Eine vorbeugende Politik müsste für mehr qualifizierten Arbeitskräften sorgen.

  6. DGB-Vorschläge zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
    Arbeitslosenquote
    Quelle: arbeitsmarkt aktuell [PDF – 639 KB]
  7. Die Nuklear-Nomaden
    Schlecht bezahlte Leiharbeiter verrichten in Atomkraftwerken oft wichtige Arbeiten. Dabei sind sie schlecht abgesichert: Wer eine bestimmte Strahlenwertgrenze übersteigt, verliert seinen Job. […]
    Seitdem die früher mehrheitlich staatlichen Energiekonzerne weltweit miteinander konkurrieren, heuern sie zunehmend billige Arbeitskräfte an. Ihre prekäre Situation ist kaum bekannt. Dabei sind sie es, die die gefährlichsten Arbeiten ausführen und etwa die Brennelemente austauschen. Auch in deutschen AKW sind zeitweise Subfirmen beschäftigt – mit schwer nachvollziehbaren Qualifikationen. „Bei Revisionen arbeiten pro Kraftwerksblock rund 1800 Menschen zusätzlich von sehr vielen unterschiedlichen Firmen“, sagt eine Sprecherin von Eon. Unter anderem schicke auch der französische Atomtechnik-Konzern Areva Personal, um die deutschen Atomkraftwerke zu überprüfen. In den RWE-Kraftwerken arbeiten pro Block dauerhaft nur rund 300 Personen. „Für Inspektionen kommen kurzfristig aber Hunderte sogenannte feste Freie hinzu“, sagt der Sprecher von RWE-Power Manfred Lang. Um die Brennelemente auszutauschen, werde ad hoc eine große „Mannschaft“ benötigt. Und auch die fünf deutschen Kraftwerke von RWE forderten Areva-Mitarbeiter an, die wiederum Subangestellte und Leiharbeiter sein könnten.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  8. Moderne Verdrängung
    Berlin: Landeseigene Wohnungsbaugesellschaft will ihren Bestand wettbewerbsfähig machen. Auf Kosten der derzeitigen Mieter. […]
    Jüngst flatterte den dortigen Mietern Post ins Haus. Schockte die HOWOGE seinerzeit die Bewohner ihrer 3127 Wohnungen in Buch noch mit einer Modernisierungsankündigung, die eine 100prozentige Mieterhöhung zur Folge haben sollte, sind es im zweiten Anlauf nunmehr »nur« noch etwa 70 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Intervention des Berliner Senats, der Nachbesserungen bei der Neuberechnung der Modernisierungsumlage gefordert hatte. Bei den Objekten, die im Sommer 2009 von der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau für rund 70 Millionen Euro erworben wurden, handelt es sich überwiegend um unsanierte Wohnungsbestände in DDR-Plattenbauweise, die nicht über die allgemein übliche Ausstattung verfügen. […]
    Die Nettokaltmiete beträgt demnach für Wohnungen mit einer Fläche unter 40 Quadratmeter »voraussichtlich« 6,60 Euro pro Quadratmeter, für solche zwischen 40 bis 60 Quadratmeter rund sechs Euro und für Wohnungen zwischen 60 und 90 Quadratmeter etwa 5,40 Euro. Die voraussichtlichen Betriebskosten werden mit 2,20 Euro pro Quadratmeter beziffert.
    Quelle: Junge Welt
  9. Gegen den Strom – Über Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne
    Interview mit dem Juristen Peter Becker
    Quelle: DLF Radio on demand
  10. Interview mit BDI-Chef Keitel: Banker “katastrophal” überbezahlt
    Ich will nicht über Einzelfälle richten. Aber der Banksektor zahlte Gehälter, die nicht daran gekoppelt waren, echte Werte zu schaffen. Das führte zu katastrophalen Übertreibungen. Ich bin auch nicht der Ansicht wie manche Investmentbanker, wonach man exorbitant hohe Gehälter zahlen muss, um gute Leute zu bekommen. Es gibt auch anderswo – zum Beispiel in der Industrie – kluge Köpfe. Manche Finanzleute haben sich ihren Personalmarkt selbst geschaffen. Das halte ich nicht für akzeptabel.
    Quelle: Stern

    Anmerkung Jens Berger: Keitels Aussagen über zu hoch bezahlte Banker sind sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzt, die – trotz Teilverstaatlichung – nun wieder hohe Boni zahlen will. Kann es etwa sein, dass Keitel Banker in Interviews für „katastrophal überbezahlt“ hält, als Banken-Aufsichtsrat aber diese Überbezahlung abnickt?

  11. Niederlassungsfreiheit: Regierung entlastet Konzerne
    Die Bundesregierung plant eine unternehmerfreundliche Steuerreform: Nach FTD-Informationen dürfen deutsche Firmen künftig Verluste aus dem Ausland verrechnen. Das dürfte Steuerausfälle in Milliardenhöhe zur Folge haben
    Die Bundesregierung erleichtert Unternehmen die steuerliche Verrechnung von Verlusten und Gewinnen. Dadurch sinkt in vielen Fällen die gesamte Steuerlast. Nach FTD-Informationen hat das Bundesfinanzministerium eine entsprechende Anweisung an die Finanzverwaltung mit sofortiger Wirkung herausgegeben. Gründet ein deutscher Konzern etwa eine britische Limited in London, die aber ihre Geschäftsleitung in Deutschland hat und hier auch wirtschaftlich aktiv ist, darf der Konzern mögliche Verluste dieser Tochter nun mit Gewinnen der Muttergesellschaft verrechnen.
    Gerichtsniederlage vermieden. Mit diesem Schritt kommt das Finanzministerium einer Forderung der Wirtschaft entgegen. Das Ressort von Wolfgang Schäuble (CDU) handelt allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Die EU-Kommission hatte bereits 2008 ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Das Finanzministerium wollte mit seinem Erlass einer Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof zuvorkommen.
    Brüssel ist der Auffassung, dass es gegen die Niederlassungsfreiheit in Europa verstößt, wenn Deutschland Unternehmen die Verlustverrechnung verwehrt, die in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gegründet wurden und in der Bundesrepublik aktiv sind und Steuern zahlen. Dieses Problem ist jetzt gelöst.
    Quelle: FTD
  12. ttt: gekaufte Wahrheit – Die Versuchstiere sind wir
    Quelle: YouTube
  13. Stirbt in Zukunft nur der Osten fürs Vaterland?
    Die regionale Zusammensetzung der Bundeswehr ist kein “Spiegel der Gesellschaft”, sondern des wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ost-West-Gefälles. […]
    In den neuen Bundesländern leben derzeit knapp 16 Prozent aller Bundesbürger. Der Ostdeutschenanteil in der Bundeswehr beträgt rund 30 Prozent. Im direkten Vergleich weisen ostdeutsche Bundeswehrangehörige einen höheren Bildungsgrad auf als westdeutsche. Im Osten verfügen 59 Prozent der Mannschaftsdienstgrade (Zeitsoldaten und freiwillig Wehrdienstleistende) über einen Realschul- und 23 Prozent über einen Hauptschulabschluss. Im Westen sind es 41 Prozent Real- und 38 Prozent Hauptschüler. Die Werte bei den Abiturienten sind mit rund 13 Prozent nahezu identisch. […]
    Im Osten hingegen kann die Personalgewinnung auf eine große Anzahl an schulisch hochqualifizierten Bewerbern zurückgreifen. Vor allem die wirtschaftlichen Strukturunterschiede zwischen Ost und West erklären die Personalzusammensetzung der Bundeswehr. […]
    Das ist die eine Seite. Der Bundeswehrberuf kann aber auch todsicher sein. Schon jetzt sei ihm „klar“, erklärte der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach seinem Dienstantritt, „dass man sich dauerhaft auf eine Bundeswehr im Einsatz einstellen“ müsse. Bezogen auf die Personalstruktur der Bundeswehr bedeutet diese Perspektive: Der sichere Arbeitsplatz könnte für noch mehr Ostdeutsche tödlich werden. Dieses herkunftsbedingte Todesrisiko wäre innerdeutscher Sprengstoff.
    Quelle: WELT
  14. Vietnam – ein neuer „Tigerstaat“ in der Krise
    Auslandsinvestitionen in Milliardenhöhe haben Vietnam in den vergangenen Jahren ein rasantes Wirtschaftswachstum beschert. Nach dem Scheitern sozialistischer Experimente (1976-1986) hat sich das Land erfolgreich als Produktionsstandort in Südostasien positioniert. Inzwischen wachsen die Probleme. Die Schattenseiten des Turbokapitalismus werden sichtbar und manche sprechen offen von Krise.
    2010 investierten transnationale Konzerne knapp zehn Milliarden US-Dollar in der Sozialistischen Republik Vietnam. Doch offenbart der Turbokapitalismus Schattenseiten: Inflation, Preissteigerungen für Nahrungsmittel, Strom und Benzin sowie ein hohes Handelsbilanzdefizit. Vietnams Wirtschaftspolitik, bislang ein ideologischer Spagat zwischen Konfuzius, Marx und Neoliberalismus, steckt in der Krise. Die kommunistische Machtelite in Hanoi steht unter Handlungsdruck. Über die künftige Strategie wird im Land kontrovers diskutiert. […]
    Jenseits beeindruckender Statistiken verbergen sich jedoch Begleiterscheinungen, die deutlich machen: Wirtschaftswachstum und soziale Entwicklung gehen nicht immer Hand in Hand. Ein regionales und soziales Gefälle ist in Vietnam unübersehbar. Neben den Wachstumspolen Saigon und Hanoi fällt das ländliche Umland wirtschaftlich deutlich ab. Bescheidener Wohlstand in den Städten kontrastiert mit dem harten Lebensalltag der Landbevölkerung. Drei Jahrzehnte nach Ende des Krieges lebt ein Großteil der Bauern noch immer am Rande des Existenzminimums. Vietnam zerfällt in Arm und Reich. Hohe Inflationsraten (mit über zehn Prozent die höchste in Südostasien) und Lebenshaltungskosten haben zu Arbeitslosigkeit und zu Massenstreiks in Fabriken ausländischer Investoren geführt. Im Februar 2011 wurde die Landeswährung Dong um 8,5 Prozent abgewertet, die Benzinpreise um 24 Prozent erhöht. Kopfzerbrechen bereitet den politisch Verantwortlichen das hohe Handelsbilanzdefizit (zwölf Milliarden US-Dollar), eine Schuldenlast von 30 Milliarden US-Dollar und besorgniserregend schwindende Devisenreserven. Die Leistungsbilanz neoliberaler Wirtschaftspolitik ist unausgewogen. […]
    Schärfer formulieren Globalisierungskritiker in Vietnam ihren Standpunkt. Sie sprechen von einer Rekolonialisierung Vietnams durch die Integration ihres Landes in die Arbeitsteilung globaler Produktionsstrukturen. Der Preis: die Aufgabe der wirtschaftspolitischen Souveränität. Der Weltmarkt diktiere Bedingungen, die Vietnam befolgen müsse oder aber von Konkurrenten verdrängt werde. In Zeiten der Globalisierung werde das wirtschaftliche Schicksal Vietnams nicht von der Regierung in Hanoi allein, sondern auch von anderen Akteuren (Internationaler Weltwährungsfond, Weltbank) maßgeblich beeinflusst. Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe würden in Konzernzentralen in Taiwan, Südkorea, Singapur, Japan und den USA getroffen. Vietnam habe sich zu einer Kolonie Transnationaler Konzerne entwickelt!
    Quelle: Eurasisches Magazin
  15. Budgetsanierung durch Lohndumping
    Während im US-Bundesstaat Wisconsin bereits zum zweiten Mal die im März vom republikanischen Gouverneur Scott Walker unterzeichneten gewerkschaftsfeindlichen Gesetze per Gerichtsurteil blockiert wurden, zog Ohio nun mit einer noch schärferen Gesetzesvorlage gegen Streikrecht und Tarifverträge nach..
    Quelle: Junge Welt
  16. Schulen in Afghanistan: Ungestillter Bildungshunger
    Die Nato-Soldaten werden Afghanistan bald verlassen. Was wird den Afghanen bleiben? Die großen Staudämme, die mit deutscher Hilfe und Know-how in den 1930er und 1960er Jahren gebaut wurden, haben nicht lange gehalten. Die kleine Amani-Oberrealschule, 1924 in Kabul gegründet, aber hat Afghanistan geprägt und auch Jahrzehnte des Kriegs überstanden. Jetzt verliert diese Schule ihren Ruf. Nur sieben Lehrkräfte aus Deutschland unterrichten dort noch. Sie betreuen die ungefähr 4500 Schüler, darunter auch 1350 Schülerinnen des Aischa-i-Durani Mädchengymnasiums. Die beiden deutschen Vorzeigeschulen, in denen früher die Elite Afghanistans ausgebildet wurde, erhalten 50.000 Euro pro Jahr für Lehrmittel. Insgesamt hat Deutschland nur eine Million Euro für die Förderung aller afghanischen Sekundarschulen veranschlagt. Die Zurückhaltung wird in Afghanistan genau registriert. Die Kabuler Bürger schicken ihre Kinder heute lieber in die türkische Schule. Präsident Karsai ist empört, dass wir die Amani-Oberrealschule nicht wieder zu einer Spitzenschule ausstatten wollen. Und das Gebäude verfällt. Wir könnten mit relativ wenig Geld hier viel erreichen. Das neue Afghanistan – jeder Zweite ist jünger als 18 – braucht dringend eine gebildete Schicht, um einmal Zentralpositionen im Staat besetzen zu können. Menschenrechte müssen gelehrt werden, gerade der zukünftigen Elite.
    Die Afghanen erwarten hier deutsche Hilfe, gilt ihnen doch Deutschland immer noch als akademisches Musterland. Der Minister für Höhere Bildung, Sarwar Danesh, sagte mir, er wünsche sich mehr und engere Kooperation mit Deutschland. Man wolle zwei oder drei Modelluniversitäten aufbauen – am liebsten mit Hilfe und Unterstützung der Bildungsnation Deutschland. Doch die ziert sich. Man wolle afghanischen Problemen nicht mit europäischen Lösungen begegnen, heißt es im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Deutschland plant, 2011 mit rund zweieinhalb Millionen Euro die höhere Bildung in Afghanistan zu fördern, anderthalb Millionen weniger als noch 2010. Man werde nicht alle Austausch- und Stipendienprogramme weiterführen können, meldet das Auswärtigen Amt. Schließlich müsse die geplante Verwaltungsakademie in Masar-i-Scharif gegenfinanziert werden. Also kürzt man bestehende DAAD-Projekte. Das hat große symbolische Wirkung: Ein deutscher Professor, der seit Jahren in Afghanistan lehrt, berichtet mir, dass seine afghanischen Partner zunehmend die Geduld mit Deutschland verlieren und Anschluss an die USA oder den Iran suchen. Aus Kostengründen, nicht aus Sympathie oder Inhaltlichem.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Orlando Pascheit: Für die Ende Januar beschlossene knapp einjährige Verlängerung des Bundeswehreinsatzes sind Ausgaben im Wert von 1,06 Milliarden Euro geplant. Für Wiederaufbau und Entwicklung werden 430 Millionen Euro bereitgestellt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dagegen hat für Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan jährlich drei Milliarden Euro berechnet. Das DIW berücksichtigt nicht nur die Ausgaben des Verteidigungsministeriums, sondern auch indirekte Kosten wie die Ausgaben anderer Ressorts, Finanzierungskosten, die gesellschaftlichen Kosten durch tote und verletzte Soldaten sowie die Opportunitätskosten durch unterbliebene Investitionen in anderen Bereichen. DIW-Experte Tilman Brück: „Durch den deutschen Kriegseinsatz fehlen insgesamt jährlich mindestens zwei Milliarden Euro für staatliche Investitionen zum Beispiel in Bildung, Forschung oder Entwicklungshilfe“. – Gegenüber diesen Summen sind die Ausgaben für Sekundarschulen und Hochschulen in Afghanistan geradezu lächerlich. Nachdem das massive militärische Engagement mehr Problem als Lösungen hinterlassen hat, ist es an der Zeit sich zu fragen, wie nachhaltige Entwicklung in Gegenwart der Taliban zu realisieren ist. Auch im Bereich der Bildung wird dies schwierig genug sein. So stellt sich z.B. Frage, wie sich die Taliban zur schulischen Ausbildung der Mädchen stellen werden. Und wenn sie dies verneinen, sollen wir dann weiter fördern? Wie die Ereignisse in Masar-i-Scharif zeigen, die Stadt soll im Juli an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden, kann Deutschland nicht nur auf die Regierung in Kabul setzen. Es wäre viel gewonnen wir im Bildungsbereich, auch den Taliban vermitteln könnten, dass auch sie einbezogen werden sollen. Im Gesundheitsbereich gibt das Roten Kreuz ein Beispiel, indem es Taliban Erster Hilfe ausbildet.

  17. Skandal auf Seite 17
    Viele japanische Medien berichten nur zögerlich über die Katastrophe von Fukushima. Am liebsten sind ihnen Heldengeschichten von den Rettungsversuchen am Reaktor. […]
    Die Zeitungen des Landes druckten seit der Katastrophe vor drei Wochen auf der ersten Seite am liebsten Berichte über die Versuche, die Reaktoren wieder unter Kontrolle zu bringen. Informationen über die steigende radioaktive Belastung in der Umgebung und im Meer und deren langfristige Folgen wurden, wenn überhaupt, lieber auf den Innenseiten in kleinen Meldungen versteckt.
    Der größte japanische Fernsehsender ließ sich eine andere Methode einfallen, über die Folgen der Katastrophe in der Umgebung von Fukushima zu berichten. NHK lässt minutenlang Bürgermeister der betroffenen Gemeinden unkommentiert zu Wort kommen. […]
    Allerdings geht den japanischen Journalisten angesichts ausführlicher und wiederholter öffentlicher Entschuldigungen die Geduld aus. Bei Pressekonferenzen wird plötzlich gefragt, was genau gemeint ist, wenn die Regierung erklärt, es würde „keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit“ bestehe.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  18. Revolutionen in Nordafrika
    1. Protestbewegung in Ägypten: Revolution nach Plan
      Die Initiatoren der Proteste in Ägypten hatten sich zuvor mit Mitstreitern aus Tunesien und einer Gruppe von erfahrenen Aktivisten in Serbien beraten – vor allem über das Internet. Sie folgten einer über lange Zeit entwickelten Strategie.
      Quelle: FAZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: Der bereits etwas ältere Artikel bringt in Erinnerung, dass die Mobilisierung der Bewegung und das Vorgehen der ägyptischen Opposition weitaus planvoller vonstatten gehen, als es uns durch die Medienberichterstattung vermittelt wurde. Allerdings wird die Rolle der Muslimbruderschaft mit ihrer Aufforderung, sich nach dem Freitagsgebet an den Protesten zu beteiligen, wie überhaupt die Bedeutung des Freitagsgebetes vernachlässigt. Aber die Geschichte und die Analyse dieser ersten revolutionären Phase sind noch zu schreiben. Den bisher besten Artikel bietet die NYT.
      In obigem Artikel wird auch Gene Sharp erwähnt, der als Theoretiker gewaltlosen Widerstands einen maßgeblichen Einfluss auf die Aktivisten in Tunesien und Kairo gehabt haben soll.

      In seiner Promotionsarbeit (The Politics of Non-Violent Action, 1973) hatte Sharp die Geschichte politischer Aufstände analysiert und sich vor allem mit den Strategien Mahatma Gandhis beschäftigt. Sein knapp 100 Seiten starkes Handbuch ‘From Dictatorship to Democracy’ mit seinen ‘198 Methods of Nonviolent Action’ gibt Handreichungen von Strategien des Hungerstreiks bis zum Enttarnen von Polizeispitzeln. Auszüge von ‘Das politische Äquivalent des Krieges – die gewaltlose Aktion’ kann hier heruntergeladen werden.

    2. Smart Bombs und Soft Targets; Über die verschwiegenen zivilen Opfer
      “74 Luftschläge am ersten Tag des NATO-Kommandos” meldet der Libyen-Ticker von n-tv, als handle es sich um die Wasserstandsmeldungen eines überschwemmten Flusses und als würden nicht jeden Tag durch den Krieg noch mehr Menschen getötet werden.
      Als die US-Militärs einst in Vietnam den Erfolg ihres Krieges empirisch nachweis- und messbar machen wollten, begannen sie, jeden Tag die Leichen der umgebrachten Vietcong zu zählen – mit verheerender öffentlicher Wirkung. Im zweiten Irak-Krieg verzichteten die US-Militärs offiziell auf diesen Body Count. Auch ist bis heute umstritten und unklar, wie viele zivile Opfer 1999 etwa die sechswöchige Bombardierung von Ex-Jugoslawien durch die NATO-Flieger während des Kosovo-Krieges gekostet hat. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 1200 und 2500 toten Zivilisten. Und doch nähert sich die Einsatzdauer im Libyen-Krieg allmählich der in EX-Jugoslawien an, auch wohnen in beiden Ländern und Hauptstädten vergleichbar viele Menschen.
      Quelle: Der Freitag
    3. Die großen Irrtümer in der Libyen-Berichterstattung
      Obwohl nur knapp drei Flugstunden von Deutschland entfernt, ist Libyen für die meisten hierzulande ein eher unbekanntes Land. Umso sorgfältiger müsste mit Informationen umgegangen werden, denn vieles wird durch ständige Wiederholung nicht überzeugender und schon gar nicht zur Wahrheit. Unsere Autorin hat mit Menschen in Libyen und mit Flüchtlingen auf Malta gesprochen. Sie stellt klar: Was derzeit in Libyen geschieht, ist kein Bürgerkrieg. Es ist ein ungleicher Kampf zwischen Gaddafi und der libyschen Bevölkerung. Die internationale Hilfe war bitter nötig. Die Furcht vor Islamismus in Libyen ist unberechtigt.
      Quelle: Eurasisches Magazin
  19. Der Staat macht Inventur
    Bei einem Drittel der Deutschen steht eine Volkszählung an. Datenschützer finden manche Fragen zu persönlich
    Unter deutschen Wohnungs- und Hauseigentümern herrscht Ratlosigkeit. Die erste große Volkszählung seit der Wiedervereinigung steht an. 17,5 Millionen Eigenheimbesitzer müssen zum Stichtag 9. Mai detaillierte Auskünfte über das Baujahr der Immobilie, Zahl der Wohnungen, Heizungsart und Eigentumsverhältnisse geben.
    Doch laut einer Umfrage des Online-Portals “Immobilienscout24.de” gibt ein Drittel der 1044 Befragten an, dass sie von der sogenannten Gebäude- und Wohnungszählung noch nie etwas gehört haben. […] Auch jetzt gibt es Proteste. Kritikern sind viele Fragen zu persönlich, manche würden die Ergebnisse sogar verfälschen. So sollen Bürger etwa ihre Religionszugehörigkeit angeben – eine Frage, die von der EU nicht gefordert wird. “Diese Frage gehört nicht in eine Volkszählung”, sagt Werner Hülsmann vom Arbeitskreis (AK) Zensus, der gegen die Befragung protestiert.
    Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sieht diese Frage ebenfalls kritisch, ebenfalls kritisch, verweist aber darauf, dass die Frage auf Wunsch der Kirchen aufgenommen wurde.
    Quelle: WELT

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