Schröder im Team der Koalitionsverhandler – und keiner wundert sich.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Ich gebe zu, ich war so naiv zu hoffen, in einer großen Koalition wären die beiden großen Parteien von ihrer gegenseitigen Polemik gegen eine aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik befreit; klammheimlich hatte ich gehofft, sie würden im Interesse der Arbeitslosen und der um ihren Job Bangenden und zum Wohle des überwiegenden Teils der auf den Binnenmarkt orientierten Wirtschaft den Knoten durchhauen und (schon vor Klärung der Personalfragen) wenigstens einen neuen Akzent setzen: Wir als Staat investieren, wir ermuntern alle andern das gleiche zu tun, die Grundstrukturen unserer Gesellschaft stimmen, jetzt geht es los mit der Ankurbelung der Wirtschaft. Nichts davon. Die bislang völlig erfolglosen Agenda-Reformer haben weiter das Sagen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, dann war die Befürchtung, dass es mit den Reformen und mit prozyklischen und absolut kontraproduktiven Sparversuchen auch in einer großen Koalition weiter gehen würde, viel größer als die oben beschriebene Hoffnung. Die Befürchtung wird immer mehr zur traurigen Gewissheit. Dafür sprechen:
Erstens die als Minister nominierten Personen aus den Reihen der SPD und zweitens das Ausbleiben jeder beschäftigungspolitischen Initiative und die dürftigen inhaltlichen Festlegungen bei den Sondierungsgesprächen, und drittens die Tatsache, dass Gerhard Schröder sich und die SPD öffentlich auf die Fortsetzung seiner Reformpolitik festlegt und auch noch Mitglied in der Verhandlungskommission der SPD bleiben darf.

Das ist ein grotesker Vorgang. Da hat einer als Vorsitzender und Bundeskanzler seine Partei inhaltlich und personell verarmt, Neuwahlen angezettelt, die Mehrheit verloren, er scheidet aus der aktiven Politik aus und bleibt dennoch Teil des Gremiums, das die Zukunft maßgeblich bestimmt.
Niemand hinterfragt das – weder in der SPD noch in den Medien, noch in den anderen Parteien, die neuen Oppositionsparteien gibt es wohl noch nicht, jedenfalls – so muss man fairerweise sagen – wird eine solche Kritik an diesem Vorgang – sollte es sie geben – in den Medien nicht wiedergegeben.

Schröder wird alles, was nach Kurskorrektur aussehen könnte, zu vermeiden suchen – schon um sein Denkmal zu pflegen. Denn jede Korrektur wäre ja eine Kritik an seinem Kurs, den er fortzusetzen dringend empfiehlt. Die Kurskorrektur wäre aber notwendig, vor allem in der Beschäftigungspolitik. Es müsste endlich auch in der praktischen Politik die Erkenntnis wirksam werden, dass mit der Fortsetzung der Hartz-Reformen wie auch mit weiteren Steuererleichterungen für die Unternehmen keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Und nicht einmal wirksam gespart wird, weil die Konjunktur auf diese Weise nicht anspringt. Schröder wird auch der Garant dafür sein, dass es keine wirkliche Korrektur der Privatisierungspolitik gibt – vor allem nicht bei der Altersvorsorge.
Gerhard Schröder wird dafür sorgen, dass der Wahlaufruf der Intellektuellen, Gewerkschafter und anderer Bürger, der vor der Wahl zu seinen Gunsten unterschrieben und veröffentlicht worden ist, Lügen gestraft wird. Dort heißt es, wie schon am 4.10. in den NachDenkSeiten zitiert und aufgespießt: „Nachdem sich die SPD von den gescheiterten neoliberal inspirierten Konzepten endlich wieder löst und ihren eigenen sozialdemokratischen Weg der Reformen geht, ist sie dabei, auf den Feldern Beschäftigungspolitik und soziale Sicherung verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.“ Schon jetzt ist erkennbar, dass dies eine vergebliche Hoffnung war.

Schröder hatte sichtlich auch bei der Personalauswahl den meisten Einfluss: Sein Kanzleramtsminister Steinmeier – und einer seiner loyalsten Freunde und Ratgeber – bekommt das wichtigste Ressort, er wird Außenminister; der Schröder inhaltlich nahe stehende Steinbrück wird Finanzminister; von Steinbrück gibt es Äußerungen gegen Konjunkturprogramme, die vorurteilsbeladener und mit weniger gesamtwirtschaftlichen Sachverstand auch nicht von Westerwelle kommen könnten; Schröders Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten in Niedersachsen, Gabriel, wird Umweltminister; und der immer Kanzler-loyale Müntefering wird Vizekanzler; auch die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Justizministerin Zypris stehen Schröder nahe. Alle jedenfalls haben sich als Teil der neoliberalen Reformer in der SPD dienstbar gemacht.
Selbst das Schröder-Prinzip, solche zu fördern und zu befördern, die Wahlen verloren haben, ist von Müntefering umgesetzt worden. Wieder werden zwei abgewählte Ministerpräsidenten weiter promoviert: Steinbrück und Gabriel.

Diese weitere Beteiligung Gerhard Schröders an wichtigen Entscheidungen ist offenbar möglich, obwohl es gärt. Dazu habe ich eine schöne Einlassung im Tagesspiegel vom 12.10. gefunden. Dort heißt es unter der Überschrift „Was in den Köpfen vorgeht“ : „Die SPD macht der Tauschhandel fassungslos. In der Union sind viele über den Ämterverlust erbost. Wie gehen beide Seiten mit dem Ergebnis der Sondierung um?

Es gibt auch am Tag danach noch Menschen in der SPD, die können es einfach nicht fassen. Der Kieler Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels zählt ganz sicher dazu. “Ich bin konsterniert, darüber, dass wir jetzt Frau Merkel wählen sollen”, sagt er: “Dafür wäre das ganze Theater nicht nötig gewesen.” (…)
Recht hat er, der Abgeordnete Bartels aus Kiel. Schade nur dass er das nicht früher merkte.