„Gleichgerichtete Leitmedien?“ Ein Vortrag von Florian Warweg beim Linken Forum Paderborn

„Gleichgerichtete Leitmedien?“ Ein Vortrag von Florian Warweg beim Linken Forum Paderborn

„Gleichgerichtete Leitmedien?“ Ein Vortrag von Florian Warweg beim Linken Forum Paderborn

Ein Artikel von: Redaktion

NachDenkSeiten-Redakteur Florian Warweg war vom Linken Forum Paderborn (gegründet vom Jugend-Soziologen Arno Klönne als pluralistisches lokales Linksbündnis) eingeladen worden, um über den aktuellen Zustand der bundesdeutschen Medien zu sprechen. Der Vortrag stand unter dem vorgegebenen Titel „Gleichgerichtete Leitmedien? Wie wird Realität ‚gemacht‘? Wie funktioniert Manipulation? Gibt es Alternativen?“ In dem Vortrag zeichnet Florian Warweg nach, welche Faktoren zu der aktuellen existenziellen Krise des Journalismus führten und welche Einfluss-, Repressions- und Manipulationsmechanismen dabei ihre Wirkung entfalten. Er greift hierzu als Analysemittel auf das „Propagandamodell“ von Noam Chomsky zurück und ergänzt dies um konkrete Beispiele aus seiner eigenen journalistischen Erfahrung. Die NachDenkSeiten dokumentieren für ihre Leser den Vortrag in Schrift- und Videoform. Von Redaktion.

Was ist in den letzten Jahren passiert? Was hat sich gesellschaftlich geändert? Was hat sich im journalistischen Feld geändert, dass das Vertrauen in die Medien und die Qualität der Berichterstattung so gelitten hat? Ich will heute versuchen, kurz nachzuzeichnen, was meiner Meinung nach die Bruchstellen für die derzeitige Situation sind, auch anhand meiner eigenen Vita, und dann aufzeigen, was es für methodische Mittel gibt, um, neben dem subjektiven Empfinden, sachlich-analytisch nachvollziehen zu können, was derzeit passiert.


Es gibt eine ungeheure Unzufriedenheit mit der aktuellen Verfasstheit der Medien in diesem Land. Und das sind nicht nur individuelle Empfindungen von Ihnen oder mir. Das bestätigen selbst Umfragen von bürgerlichen Umfrageinstituten.

So haben laut der letzten verfügbaren repräsentativen Allensbach-Umfrage 44 Prozent der befragten Bundesbürger das Gefühl, dass man seine Meinung nicht mehr frei äußern kann. Nur zum Vergleich: Bei derselben Umfrage im Jahr 2011 gaben damals nur 26 Prozent an, dieses Gefühl zu haben. Massiv gesunken ist auch das grundsätzliche Vertrauen in Medien: Eine ebenfalls repräsentative Umfrage von NTV kommt zu dem Ergebnis, dass sage und schreibe 54 Prozent der Bundesbürger sogenannten etablierten Medien nicht mehr vertrauen. Und eine kürzliche Forsa-Umfrage ergab zudem, dass satte 43 Prozent der Befragten erklärten, ihrem Eindruck nach sei der Journalismus in den letzten Jahren merkbar qualitativ schlechter geworden.

Das sind Zahlen, die haben es durchaus in sich.

In meinem eigenen Umfeld stellte insbesondere die extrem einseitige Ukraine-Berichterstattung in deutschen Medien ab 2014 einen ersten signifikanten Bruch dar. Mein eigenes diesbezügliches „Erweckungserlebnis“, um das kurz zu schildern, reicht etwas weiter zurück. Ich bin 1979 in Magdeburg, also der damaligen DDR, geboren. Und seit ich bewusst Erinnerungen habe, lief bei uns zuerst die Aktuelle Kamera um 19.30 Uhr und danach die Tagesschau. Als Radiosender hörten wir den NDR. Und selbst als 9- oder 10-Jähriger war man natürlich in der Lage, die Unterschiede wahrzunehmen zwischen dem, was in der Aktuellen Kamera verlautbart wurde und was in der Tagesschau oder bei den NDR-Nachrichten erzählt wurde. Das führte, wage ich zu behaupten, in Folge bei einem Großteil der in der DDR Sozialisierten zu einem kritischeren Medienkonsum. Zudem haben die etablierten „Leitmedien“ wie Spiegel, Süddeutsche oder Zeit im Osten nie eine vergleichbare Meinungsmacht wie im Westen der Republik entwickeln können. Sie müssen sich nur mal die Verkaufs- und Abozahlen besagter Medien in Magdeburg, Schwerin oder Dresden anschauen. Die sind quasi nicht existent.

Persönliches Schlüsselerlebnis

Aber zurück zu dem, was bei mir persönlich ein Schlüsselerlebnis war und den Blick erstmals wirklich geschärft hat für die Defizite in der Berichterstattung bundesdeutscher Medien.

Ich habe 2000 angefangen, in Tübingen Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Lateinamerika zu studieren. In diesem Zusammenhang hatte ich dann das Glück und die Möglichkeiten, fast ganz Lateinamerika zu bereisen, und ich studierte und arbeitete länger in Chile sowie Peru und forschte zu Kolumbien und Venezuela. Erst durch diese intensive Beschäftigung mit Lateinamerika wurde mir mit der Zeit bewusst, wie schlecht recherchiert, oberflächlich und vor allem unglaublich einseitig die Berichterstattung zu dieser Region in deutschen Medien war und auch weiterhin ist.

Insbesondere die Berichterstattung und die Art der genutzten Quellen zu Venezuela unter Chavez ab 2000 war geradezu hanebüchen. Es war in gewisser Weise eine Vorwegnahme der Ukraine-Berichterstattung. Zu Wort kamen fast ausschließlich Oppositionsvertreter und Unterstützer, als Quellen wurden ebenso, übrigens bis heute, fast nur Infos aus rechten Oppositionskreisen und entsprechenden Medien genutzt. Im Gegensatz zum medial hier verankerten Diskurs der angeblich staatlich kontrollierten Presselandschaft in Venezuela sind bis heute 80 Prozent aller TV- und Printmedien in privater Hand und stehen zudem überwiegend der rechtsliberalen bis rechtskonservativen Opposition nahe. So viel zum angeblichen Beleg für die „Chavez- oder Maduro-Diktatur“.

Ähnliche Erfahrung mit der Qualität der bundesdeutschen Auslandsberichterstattung hatten auch fast alle meine Kommilitonen gemacht, die längere Zeit in Nahost oder Afrika verbracht hatten. Ein Aspekt ist hier natürlich auch das komplette Zurückfahren von Auslandkorrespondenten. Selbst die ARD hat z.B. mittlerweile keinen einzigen Korrespondenten mehr im spanischsprachigen Teil Südamerikas. Ob Berichterstattung zu Chile, Bolivien, Venezuela oder Kolumbien – der einzige ARD-Korrespondent in der Region sitzt und berichtet aus dem brasilianischen Rio de Janeiro. Profunde Berichterstattung aus den restlichen 12 Ländern Südamerikas ist damit eigentlich ausgeschlossen. Verkauft wurde das Einstampfen des Korrespondentennetzes von der ARD übrigens als „crossmediale und zukunftsorientierte Strukturreform“.

Doch sind dies für die meisten Bundesbürger ohnehin periphere Regionen ohne persönlichen Zugang und Relevanz und eine einseitige Berichterstattung fällt ihnen da gar nicht auf. Dies änderte sich erst im Falle der Berichterstattung zur Ukraine-Krise ab 2014 und der sich damit auch signifikant ändernden Russland-Berichterstattung. Da gab es meiner Wahrnehmung nach einen ersten größeren Bruch im Medienvertrauen, zumindest in einem Teil der Gesellschaft. Es gab einfach mehr persönliche Bezugspunkte, mehr Wirtschaftskontakte, eigene Erfahrungswerte und Bekannte – sowie, nicht irrelevant – es gab ab 2014 mit RT DE, auch ein Medium, das in deutscher Sprache eine andere Perspektive ermöglichte und somit einen direkten Vergleich möglich machte, ähnlich wie meine zuvor geschilderte noch kindliche Erfahrung von Aktueller Kamera versus Tagesschau. So dass die Einseitigkeit offensichtlicher wurde.

Dazu kam ab 2020 eine sehr homogene, um nicht zu sagen hochtendenziöse, Berichterstattung zu den Corona-Maßnahmen in Deutschland selbst, die bei vielen Bundesbürgern wohl erstmals einen wirklichen bewusst wahrgenommenen Bruch darstellte zwischen medialer Darstellung und der eigenen, dieser medialen Darstellung oft diametral entgegenstehenden, Erfahrung.

Plötzlich bemerkten nicht nur eine Handvoll Nerds mit Regional-Expertise, sondern Millionen, dass alle Perspektiven, die der vorherrschenden Erzählung widersprachen, einfach ignoriert wurden. Und wenn dies nicht ausreichte, wurde versucht, diese Sichtweisen mit voller medialer Breitseite zu delegitimieren. Mit der Folge, dass sich Millionen Bundesbürger von den Medien in diesem Land nicht mehr mit ihrer Kritik, ihren Fragen und Wahrnehmungen repräsentiert fühlten.

Dies nur als grobe, unvollständige Zusammenfassung und Überblick über die meiner Meinung nach einschneidenden Momente in der medialen Berichterstattung der letzten Jahre und die dadurch provozierte Entfremdung von vielen Medienkonsumenten.

Doch habe ich bisher ja nur individuelle Wahrnehmungen und Erschütterungen anhand meiner eigenen Erfahrung und Beobachtung meines Umfeldes geschildert.

Dies erklärt aber natürlich nicht die Verfasstheit und Krise des bundesdeutschen Mediensystems an sich. Es gab in den letzten Jahren durchaus einige hilfreiche Veröffentlichungen, die versuchen, dieses Thema systematisch aufzubereiten.

In seinem Buch „Mainstream“ beschreibt der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger, Erstauflage 2016, das Verhältnis zwischen Alpha-Journalisten und Politik als Symbiose, bestimmt vom Tauschgeschäft „Information gegen Publizität“. Der Journalist bekommt Informationen und verschafft im Gegenzug seiner Quelle (oder deren Anliegen) Öffentlichkeit, eine gefährliche Nähe, so Krüger, welche die demokratische Funktion der Medien untergrabe. Der NSA-Whistleblower Edward Snowden hat übrigens gestern einen spannenden Ausschnitt aus einem Interview von 1983 mit dem CIA-Agenten Frank Snepp auf Twitter gepostet, der diese Nähe exemplarisch beleuchtet. Snepp schildert dort, wie er in Vietnam von 1969 bis 1976 im Auftrag der CIA-Chefetage die renommiertesten Korrespondenten von New York Times, Newsweek etc. mit angeblich exklusiven News versorgte. Das waren aber alles erfundene Geschichten, die nur dazu dienten, den Vietcong zu diffamieren und die Pro-Kriegsstimmung in den USA am Laufen zu halten. Fast alle Journalisten bissen an und wollten unbedingt die „exklusiven“ CIA-News. Kaum jemand versuchte, diese zu verifizieren, zu froh war man über die angeblichen Exklusiv-News. Snepp distanzierte sich später von seinem Agieren und ging an die Öffentlichkeit. Die CIA verklagte ihn darauf. Aber nicht etwa, weil er etwas Falsches gesagt hätte, sondern weil er aus Sicht des US-Geheimdienstes „Berufsgeheimnisse“ über den manipulativen Umgang der CIA mit der Presse verraten hatte.

Aber zurück zur medienwissenschaftlichen Aufbereitung der medialen Malaise.

Michael Meyen, Medienwissenschaftler an der Uni München, hat 2021 „DIE PROPAGANDA-MATRIX“ veröffentlicht, in welcher er von vier „Arenen“ ausgeht, welche die mediale Diskursordnung bestimmen.

1. Die herrschende Ideologie, 2. Die Medialisierung (also alles, was Menschen tun, damit sie oder was ihnen wichtig erscheint, gut in den Medien dargestellt wird), 3. Die Medienorganisation und 4. Das Journalistische Feld (also Berufsideologie, Prägungen etc.), Apropos Prägungen, hier ist z.B. bemerkenswert, dass die familiäre Weitergabe des Berufes von einer Generation zur nächsten bei Journalisten ähnlich hoch ausgeprägt ist wie sonst nur bei Medizinern und Anwälten. Was natürlich einen ebenso hohen sozialen Filter in der Branche mit sich bringt.

Die letzte Veröffentlichung in diesem Zusammenhang und die derzeit auch für Furore sorgt, ist das Buch die „Vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer. Sie diagnostizieren in diesem Buch ein „frappierend einheitliches Meinungsbild“, insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Krieg und die Forderung nach immer mehr Waffen und Delegitimierung aller Stimmen, die sich anders äußern. Und allein wie dieses Buch im Großteil des bundesdeutschen Feuilletons rezipiert wurde, bestätigt die These eindrucksvoll. Oder auch die skandalisierende Berichterstattung über den Vortrag der ehemaligen ARD-Moskau-Korrespondentin Krone-Schmalz in der VHS Reutlingen.

Ich persönlich finde aber für eine Analyse des Zustandes der deutschen Medienlandschaft einen Klassiker aus den 1980er Jahren zielführender. 1988 veröffentlichten Noam Chomsky und Edward Herman das Buch „Manufacturing Consent“, auf Deutsch wurde dies mit „Konsensfabrik“ übersetzt. Dieses Buch wurde Anfang der 2000er Jahre nochmals aktualisiert. Hauptthese ist, dass die Massenmedien „wirkungsvolle und mächtige ideologische Institutionen sind, die eine systemerhaltende Propagandafunktion erfüllen. Sie stützen sich auf die Kräfte des Marktes, internalisierte Annahmen und eine Selbstzensur, dabei besteht aber kein offener Zwang“.

Das von Chomsky & Co dafür entwickelte Propagandamodell umfasst fünf Filter und besagt, dass Medien in kapitalistischen Demokratien einen gesellschaftlichen Konsens im Sinne der wirtschaftlichen und politischen Eliten herstellen.

Die fünf Filter auf dem Weg zur Produktion von Konsens lauten:

  1. Größe, Besitzverhältnisse und Profitorientierung
  2. Werbung
  3. Quellen der Massenmedien
  4. Flak (negative Reaktion der Mächtigen auf kritische Berichterstattung)
  5. Herrschende Ideologie als Kontrollmechanismus (im Sinne eines Feindbildaufbaus)

Beginnen wir mit dem ersten Filter: Den Eigentumsverhältnissen. In Deutschland kontrolliert eine Handvoll von Konzern-Verlagen einen Großteil des Zeitungs- und allgemein Presse-Marktes.

Axel Springer SE, Bauer Media Group, Bertelsmann, Hubert Burda Media, die Funke Mediengruppe und die Holtzbrinck-Verlagsgruppe. Die genannten Konzerne dominieren aber nicht nur den Zeitungsmarkt, sondern auch die journalistische Ausbildung in diesem Land: Die Henri-Nannen-Schule gehört größtenteils Bertelsmann, dann gibt es noch die Burda-Journalisten-Schule, die Holtzbrinck-Schule sowie die Springer-Akademie. Bei den letzten Drei sagen die Namen ja schon, wer inhaltlich wie finanziell hinter diesen Journalisten-Schulen steht.

Daneben gibt es noch die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Besitz der SPD befindet und Anteile an sage und schreibe 40 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von ca. noch 2 Millionen hält. Der Gesellschaft gehört z.B. die hier in Paderborn vertriebene „Neue Westfälische“. Die hat übrigens in ihrem Hinweis auf die heutige Veranstaltung einfach aus Wikipedia zu den NachDenkSeiten zitiert, ohne dies kenntlich zu machen. Korrekt hätte es heißen müssen, falls der NW-Kollege anwesend ist: „laut einem nicht verifizierten Wikipediaeintrag heißt es über die NachDenkSeiten, dass…“

Denn was dort über die NachDenkSeiten verbreitet wird, ist, entgegen sonstigem Wikipedia-Standard, nicht mit Fußnote belegt.

Aber zurück zu Chomskys Filter-Modell:

Wir können davon ausgehen, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, profitorientierte Medienkonzerne, die wie dargelegt den Großteil der Presselandschaft in Deutschland dominieren, keine Redakteure einstellen, die z.B. das bestehende bundesrepublikanische kapitalistische Wirtschaftsmodell infrage stellen (eine der ganz wenigen Ausnahmen, die auch eher eine Alibi-Funktion erfüllen, ist der marxistisch-geprägte und argumentierende Dietmar Dath im FAZ-Feuilleton).

Halten wir zudem fest, dass ein Großteil aller überregionalen Tageszeitungen und auch Regionalzeitungen sich im Besitz von Konzernen befindet, welche ihre Printerzeugnisse zum größten Teil über Anzeigen-Werbung finanzieren oder besser gesagt finanzierten.

Denn beinahe ausnahmslos sinken seit mindestens anderthalb Jahrzehnten nicht nur massiv die Auflagen, sondern als direkte Konsequenz auch die Einnahmen via Anzeigen, und damit auch die Renditen. Um dies an einer konkreten Zahl deutlich zu machen:

2019 betrug das Anzeigengeschäft der deutschen Printmedien noch 2,1 Mrd. Euro. Ein Jahr später lag dies 2020 bei nur noch 1,7 Mrd. Ein fettes Minus von rund 400 Millionen Euro (und dabei sind in den 1,7 Mrd. die massiven staatlichen Querfinanzierungen etwa in Form von Werbekampagnen der Bundesregierung im Zuge der Corona-Krise, insbesondere des Gesundheitsministeriums, schon eingerechnet – der Rückgang wäre sonst noch signifikanter ausgefallen).

Damit sind wir auch schon beim zweiten Filter von Chomsky. Der Werbung bzw. dem Anzeigengeschäft. Im konkreten Fall führen die sinkenden Werbeeinnahmen zum einen zu einer größeren Abhängigkeit von den verbliebenen Werbepartnern und damit auch zu einem mutmaßlichen Anstieg der inneren Zensur-Schere. Vielleicht doch lieber auf die Enthüllungsstory über VW verzichten, denkt der verantwortliche Cicero-Redakteur (fiktives Beispiel), wissend, dass dieser Konzern als einer der wenigen relevanten Anzeigen-Kunden übriggeblieben ist.

Zum anderen führt dieser Niedergang an Werbeeinnahmen aus privaten Quellen zu einer zunehmenden Querfinanzierung durch staatliche Stellen, mit ähnlicher Konsequenz. Man wird sich in der PR-Abteilung und Redaktion von ZEIT oder Süddeutsche 3-mal überlegen, ob man z.B. die sozialen Auswirkungen gewisser Corona-Maßnahmen der Bundesregierung oder Aussagen des amtierenden Gesundheitsministers kritisiert, wenn aktuell die Hauptwerbeeinnahmen dieser Zeitungen aus dem Topf des Gesundheitsministeriums und anderer Ministerien stammen.

In diesem Zusammenhang sei auch beispielhaft auf die bereitgestellten 220 Millionen Euro für „Digitalisierung von Zeitungsverlagen“ im Nachtragshaushalt der Bundesregierung von 2020 verwiesen. Die z.B. in den staatlich finanzierten Erwerb von Zeitungs-Digitalabos für Schüler und Schulen flossen.

Die Aufgabe der Medien als Vierte Gewalt, als watch dog und Kontrolleur der Politik, insbesondere der Exekutive, wird angesichts dieser zunehmenden Querfinanzierung und damit auch zunehmender Abhängigkeit von Regierungszahlungen geradezu ad absurdum geführt.

Dies führt uns zugleich zum dritten Filter von Chomskys Modell, der Abhängigkeit der Massenmedien von gewissen Quellen.


Insbesondere die sogenannten „Leitmedien“ sind für ihre Berichterstattung abhängig von „offiziellen Quellen“, die zumeist von Behörden, Regierungsvertretern und Konzernen bereitgestellt werden. Angesichts von zunehmend ausgedünnten Redaktionen, selbst bei größeren Medien, führt dies zu zwei prinzipiellen und zunehmenden Einschränkungen sowie Abhängigkeiten:

Erstens: Man ist froh, überhaupt ein Statement/eine Information bekommen zu haben, am besten noch exklusiv. Da gibt es neben der Tatsache, dass der jeweilige Redakteur kaum noch die Recherchezeit hat, um die Aussagen dieser Quelle gegenzuchecken und zu hinterfragen, den anderen Aspekt, dass es auch grundsätzlich wenig Motivation gibt, dies zu tun, denn man will sich die Quelle (und zudem oft noch potenziellen Anzeigenkunden) ja gewogen halten.

Und um sich beispielhaft mal die Kräfteverhältnisse von einer potenziellen offiziellen „Quelle“ im Verhältnis zu Journalisten vor Augen zu führen: Im Bundespresseamt, das keine andere Aufgabe hat, als die Bundesregierung in ein gutes Licht zu stellen und Journalisten mit entsprechenden Infos zu versorgen, arbeiten insgesamt 480 feste Mitarbeiter. Das Budget beträgt über 180 Millionen Euro. Daneben gibt es Hunderte weitere Mitarbeiter in den Presseabteilungen der anderen Ministerien. Von diesem Personalschlüssel und Budget kann eine normale Redaktion nur träumen.

Zweitens: Die Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen nimmt massiv zu. Im konkreten deutschen Fall zeigt sich dies in der zunehmenden Bedeutung und Direktübernahme von Beiträgen der Deutschen Presseagentur (dpa), die in der Bundesrepublik eine De-facto-Monopolstellung inne hat.

Selbst bei Zeitungen, die sich eine gewisse diskursive Offenheit erlauben, wie etwa der Berliner Zeitung, setzt sich der Politik-Teil in der Printausgabe zu fast 100 Prozent aus Direktübernahmen von dpa-Artikeln zusammen. Das führt zu einer enormen diskursiven Dominanz und Framing-Möglichkeiten. Dies zeigt sich besonders ausgeprägt an Wochenenden, in denen die Online-Redaktionen noch dünner besetzt sind. Das Phänomen, dass zahlreiche Zeitungen und auch deren Online-Ausgaben oft genau identische Überschriften haben, zeigt sich aus diesem Grund auch insbesondere am Wochenende und bei den Montagsausgaben. Exklusiv-Geschichten der dpa kommen deswegen auch fast nur am Wochenende, weil man dann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen kann, dass fast alle Medien diese 1:1 übernehmen, weil sie Material, das ohne Personalaufwand erstellt werden kann, zur Veröffentlichung brauchen.

Zur Framing- und Manipulationsmacht der dpa ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung. So zitierte die dpa im Februar 2021 Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff in einer Tickermeldung, die so unter anderem direkt von der Süddeutschen, ZEIT und vielen anderen deutschen Medien übernommen wurde, mit den Worten:

„Es ist wichtig, direkt das russische Regime zu treffen“, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.”

Da ostdeutsche Ministerpräsidenten, im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen, den Terminus „Regime“ in Bezug auf Russland eigentlich nie öffentlich benutzen, fragte ich damals aus journalistischer Neugierde direkt beim Regierungssprecher von Sachsen-Anhalt, Dr. Matthias Schuppen, nach, ob Herr Haseloff dies wirklich so formuliert hat. Dieser schickte mir umgehend die autorisierten Zitate des Ministerpräsidenten und erklärte: „Von ‚Regime‘ ist darin keine Rede, es heißt dort ‚Verantwortliche‘“. Die dpa änderte dies zwar später, aber wirklich erst nach meiner damaligen Nachfrage beim Pressesprecher und dann bei der dpa.

Man stelle sich das Medienecho und insbesondere die Reaktion der selbsternannten „Faktenchecker“ (deren Rolle ist nochmal ein ganz eigenes Thema, das den heutigen Rahmen sprengen würde) vor, wenn nicht die dpa, sondern eine nicht-westliche Nachrichtenagentur wie die russische TASS oder die chinesische Xinhua einem deutschen Ministerpräsidenten ein verfälschtes Zitat in den Mund gelegt hätte.

Vor diesem Hintergrund wirft es natürlich auch ein bezeichnendes Licht, dass ausgerechnet die dpa, die täglich Dutzende Artikel raushaut, davon regelmäßig einige auf fragwürdiger Quellenbasis, mittlerweile eine der größten Faktencheck-Abteilungen in der Bundesrepublik führt und in diesem Zusammenhang auch mit Facebook zusammenarbeitet und dafür entsprechend entlohnt wird. Es ist, welch Überraschung, kein einziges Beispiel bekannt, dass dpa-Faktenchecker sich mal einen ihrer eigenen Artikel vorgenommen hätten.

Die rund 170 Gesellschafter der dpa sind übrigens ausschließlich Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten. Damit sind Gesellschafter und Kunden der Nachrichtenagentur größtenteils identisch. Ein verqueres Konstrukt.

Falls es doch mal dazu kommt, dass die Grenzen des Sagbaren aus Sicht der Politik- und Wirtschaftseliten übertreten werden, greift der vierte Filter. Chomsky und Herman nennen dies FLAK (in direkter Referenz auf die deutsche Flugabwehrkanone).

Bei Nicht-Gefallen von Berichterstattung wird es laut und hässlich und es wird mit schwerem Geschütz geschossen. Es folgen Anrufe, Drohungen, Anzeigen nicht mehr zu schalten, bis hin zur Absetzung oder Nicht-Verlängerung von Arbeitsverträgen. Ein eklatantes Beispiel ist etwa die Nicht-Verlängerung des Arbeitsvertrages des politisch der CDU nicht genehmen ZDF-Chefredakteurs und ehemaligen Weltspiegel-Moderators Nikolaus Brender 2009. Soviel übrigens auch zur proklamierten „Staatsferne“ des ZDF-Verwaltungsrats, in dem sich die Unionsparteien damals tatsächlich mit ihrer Forderung durchsetzen konnten, den ihnen zu „links“ agierenden Brender abzusetzen.

Unter „Flak“ fallen aber auch subtilere Einflussmaßnahmen, wie etwa die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall initiierte und finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Sie flankierte die mediale Durchsetzung der Agenda 2010. Und dies sehr erfolgreich. Im Ansatz zunächst kritische Berichterstattung zu Hartz IV, etwa im Spiegel, verschwand nach Interventionen der Initiative recht schnell, unter anderem indem es gelang, Begriffe wie „Reform“ oder „Eigenverantwortung“ in den medialen Diskurs im Sinne der Unternehmerverbände einzuführen. Damit änderte sich nachweislich das massenmediale Urteil zur damaligen rot-grünen Agendapolitik. Diesen Aspekt führt z.b. auch Christian Baron in einem spannenden Artikel im aktuellen Freitag aus.

Eine kleine, aber vielsagende Anekdote, wie diese „Flak“ auch aussehen kann, kann ich noch aus meiner Zeit in der Bundespressekonferenz beisteuern. Ein deutscher Mitarbeiter einer japanischen Nachrichtenagentur saß lange Zeit hinter mir in der BPK. Wir kamen dann irgendwann ins Gespräch und ich fragte ihn, wieso er zwar in der BPK sitzt, sich aber seit Monaten nie zu Wort meldet. Seine Antwort: Er hätte zu Beginn seiner Präsenz in der BPK eine Frage zu Assange gestellt. Am nächsten Tag hätte ihn der Chefredakteur in sein Büro bestellt. Die japanische Botschaft hätte sich bei ihm gemeldet und erklärt, das Auswärtige Amt hätte sich über die Frage in der BPK beschwert und zu verstehen gegeben, dass es besser wäre, dieses Thema nicht zu thematisieren. Der Chefredakteur nannte das „Info-Loop“ und erklärte ihm, dass dies durchaus üblich sei bei sensiblen Themen im „Gastland“. Seitdem saß der noch recht junge Journalist nur noch eingeschüchtert und schweigsam in der BPK. Er verließ dann nach einigen Monaten die BPK und die Agentur – weil sein Vertrag nicht verlängert wurde.

Abschließend führt Chomsky als fünften Filter „Herrschende Ideologie als Kontrollmechanismus“ im Sinne eines Feindbildaufbaus ein. Im Falle der USA der 1980er Jahre nennt Chomsky den Antikommunismus als wirkmächtigsten ideologischen Kit. Sie können jetzt einwenden, dass Antikommunismus heute nicht mehr so wirkmächtig ist wie noch in den 1980er Jahren. Damit haben Sie wohl recht. Aber lassen Sie mich aus der Einführung Chomskys zum fünften Filter zitieren:

„Wenn der Triumph des Kommunismus das schlimmste vorstellbare Ergebnis ist, wird die Unterstützung des Faschismus im Ausland als kleineres Übel gerechtfertigt. Die Ablehnung von Sozialdemokraten, die zu nachgiebig gegenüber den Kommunisten sind und ihnen „in die Hände spielen“, wird mit ähnlichen Begriffen rationalisiert. Die Liberalen im eigenen Land, die oft beschuldigt werden, prokommunistisch oder unzureichend antikommunistisch zu sein, sind ständig in der Defensive in einem kulturellen Milieu, in dem der Antikommunismus die vorherrschende Religion ist.“

Ersetzen Sie einfach „Kommunismus“ durch „Russland“ oder „Kreml“ und die Analyse von Chomsky ist plötzlich wieder hochaktuell und genau so als Filterelement auch auf Deutschland anwendbar. Einige Beispiele hatte ich ja schon genannt: Precht, Krone-Schmalz, den Umgang mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, oder Ulrike Guérot könnte man auch noch anführen.

Der Vorteil des Propagandamodells von Chomsky und Herman liegt meiner Ansicht nach vor allem darin begründet, dass es, im Gegensatz zu den in Deutschland prominenten Erklärungsansätzen, den Fokus vor allem auf die ökonomischen Bedingungen der massenmedialen Produktion von „Informationen“ und deren Manipulationen legt. Die Frage nach den Besitzverhältnissen der Medien fehlt zum Beispiel im neuen Buch von Precht und Welzer komplett. Ich glaube, auch aus eigenem Erleben, dass materialistische Aspekte eher als Erklärungsmuster für den Zustand der deutschen Medienlandschaft dienen als moralisch oder psychologisch argumentierende Ansätze.

Vor über hundert Jahren, im Jahr 1913, erklärte Léon Jouhaux, legendärer Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft CGT nach einer Schmutzkampagne aller Pariser Tageszeitungen gegen die linke französische Gewerkschaft wegen der Organisation einer umfassenden Streikbewegung:

« Que signifie une presse libre, si elle demeure aux mains des dominants? »

„Was bedeutet eine „freie“ Presse, wenn sie in den Händen der Herrschenden bleibt?“

Genau diese Frage können und müssen wir uns wohl heute noch genauso stellen.