Hat die russisch-orthodoxe Kirche in der Ukraine noch eine Zukunft?

Hat die russisch-orthodoxe Kirche in der Ukraine noch eine Zukunft?

Hat die russisch-orthodoxe Kirche in der Ukraine noch eine Zukunft?

Susanne Bur
Ein Artikel von Susanne Bur

Gibt es eine wirkliche Säkularität zwischen Kirche und Staat? Wir kennen es aus unserer eigenen Geschichte, dass es Jahrhunderte benötigte, um den Einfluss der Kirchen von der staatlichen Welt auf die rein private Welt zu verlagern. Und doch, da die meisten Menschen meist eine religiöse Erziehung erhalten bzw. erhalten haben – welche Religion es auch sei – wird es immer Überschneidungen geben. Religion war auch sehr oft der Grund für Kriege, da es jede in sich trägt, die einzig wahre zu sein. Es war im Ukrainekrieg zu erwarten, dass es auch Konflikte zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und der Regierung der Ukraine kommen wird. Jetzt will der ukrainische Präsident Selenskyj den Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche auf das geistliche Leben in seinem Land stoppen. Von Susanne Bur.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dass derselbe Gott durchaus mehrere unterschiedliche klerikale Vereinigungen hat, die sich ihm zuwenden, das kennen wir auch. Es ist erst wenige Jahrzehnte her, als die Schulklassen in evangelische und katholische getrennt waren und Kinder auf dem Schulhof noch nicht einmal miteinander in den Pausen spielten, denn es lag so etwas Unterschwelliges in der Luft, die da drüben sind anders als wir.

Mittlerweile überwunden, Gott sei Dank, obwohl nicht er es war, der das änderte.

Beim Krieg in der Ukraine treffen zwei Ethnien aufeinander, die aufgrund der wie auch immer entstandenen Feindschaft in einer tief gespaltenen Gesellschaft leben. Die russische ist dabei die Minderheit, aber auch sie leben in diesem Land und es ist ihre Heimat. Und gerade in einem Krieg ist zu sehen, dass die Menschen sehr oft in der Religion, dem gemeinsamen Beten, der Suche nach Frieden, einen großen Halt finden.

Die russisch-orthodoxe Kirche ist dem Moskauer Patriarchen Kyrill unterstellt, der Putin sehr nahesteht. Er hat traditionell einen großen Einfluss auf die russisch-orthodoxe Kirche in der Ukraine, diesen Einfluss will Selenskyj jetzt unterbinden.

Am vergangenen Donnerstag verkündete er in seiner Videobotschaft, die Ukraine müsse ihre Unabhängigkeit auch auf religiösem Gebiet verteidigen. „Wir werden niemals irgendjemandem erlauben, ein Imperium innerhalb der ukrainischen Seele zu bilden.“

Doch was genau ist denn die ukrainische Seele? Darf ein Staatsmann befehlen, was die Seele eines Volkes zu sein hat, zumal in diesem Staat wie in allen Vielvölkerstaaten mehr Seelen leben als eine einzige? Es wird doch unentwegt behauptet, niemand hätte je vor dem Krieg etwas gegen die Russen im Land gehabt, somit auch nichts gegen deren Seelenleben einzuwenden.

Es leben nunmal Russen in diesem Staat, Menschen, die es zu ihrer eigenen Kirche hinzieht und nicht zu einer vorgeschriebenen „Staatskirche“. Gehört nicht die freie Ausübung der Religion zu einer Demokratie? Wo ist die rote Linie, um zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter? Können wir uns noch mit dieser Entwicklung in der Ukraine identifizieren?

Es ist nachvollziehbar, dass Selenskyj eine große Wut gegen Russen umtreibt. Aber wie soll es weitergehen, falls die Ukraine die russische Armee wirklich aus dem Land treibt, werden dann auch alle Russen mit vertrieben, alles Russische ausgemerzt?

Selenskyj argumentiert sein Vorgehen damit, dass zahlreiche Fakten zur Verbindung von Russland zu religiösen Kreisen existieren. Das Parlament soll nun ein Gesetz ausarbeiten, das religiösen Organisationen die Verbindung zu Russland verbieten wird. Ein Expertengutachten soll auch die Verbindungen der ukrainisch-orthodoxen Kirche zum russischen Patriarchen überprüfen.

Der ukrainische Geheimdienst SBU durchsuchte bereits nicht zum ersten Mal ein halbes Dutzend Klöster und Kirchen der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die teilweise immer noch dem Moskauer Patriarchen folgt. Die Behörden teilten über Telegram mit, die Hausdurchsuchungen seien Teil von Gegenmaßnahmen gegen Sabotagetätigkeiten russischer Geheimdienste. Die Kontrollen wurden dabei von Polizei und Nationalgarde in den westukrainischen Gebieten Schytomyr, Riwne und Transkarpatien unterstützt.

Bereits zuvor hatte der SBU in der vergangenen Woche Objekte beim Heiligtum der orthodoxen Kirche im Höhlenkloster in der Hauptstadt Kiew untersucht, das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Die Tagesschau schreibt dazu:

Ukrainische Nationalisten fordern seit Langem, der zweitgrößten orthodoxen Kirche den Komplex des Höhlenklosters zu entziehen. Dieser soll stattdessen der 2018 mit staatlicher Hilfe gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine, einem Zusammenschluss zweier nationaler Kirchen, übertragen werden.

Das 1051 gegründete Kiewer Höhenkloster ist mit seinen Reliquien ein Wallfahrtsort für orthodoxe Christen weit über die Ukraine hinaus. Die bedeutendste Abtei der Ukraine ist Amtssitz von Metropolit Onufri, dem Kirchenoberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Die Kirche unterstand bis Ende Mai dem Moskauer Patriarchen Kyrill I., der ein Anhänger des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist.

Ebenso wurden Razzien in den westukrainischen Gebieten Bukowina, Iwano-Frankiws und Ternopil durchgeführt. Die russisch-orthodoxe Kirche wiederum beruft sich für ihre Unterstützung Putins darauf, dass sie Schutz vor den Übergriffen durch ukrainische Nationalisten brauche. Russland wirft der Ukraine vor, die Religionsfreiheit einzuschränken.

So viel zur Säkularität von Kirche und Staat. Beide Kirchen sind aktuell ein moralischer Halt für viele Gläubige. Die Konkurrenz zwischen beiden verhindert jedoch, dass die Religion ein Teil der ukrainischen Kriegsführung wird.

Die Frage, die uns bleibt, ist, wie wir das bewerten. Überschreitet Selenskyj hier eine rote Linie mit dem Verbot, ist auch der Eingriff in die religiöse Welt für uns kein Problem?

Wäre es nicht zu vergleichen damit, dass wir hier bei uns als Beispiel den Islam verbieten?

Alles nicht so einfach. Eine weitere Eskalationsstufe wird erreicht. Ich muss Steinmeier widersprechen, wenn er sagt, es sei nicht die Zeit für Gespräche. Es ist allerhöchste Zeit für Gespräche, es muss ein Ausweg, eine Deeskalation gefunden werden.

Ohne Frieden ist alles nichts. (Willy Brandt)

Titelbild: Pecherska-Lavra Kloster in Kiew, Quelle Flickr cc

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