Anne Will und die Reichsbürger

Anne Will und die Reichsbürger

Anne Will und die Reichsbürger

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Trommeln für verschärfte Gesetze: Die Razzien bei Reichsbürgern, die aufgeblasene Inszenierung des Vorgangs, das fragwürdige Verhalten mancher Medien und die politisch-juristischen Folgen wurden bei der Talkshow „Anne Will“ am Sonntag debattiert. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anlässlich der Razzien in der Reichsbürgerszene und der folgenden Debatte um die Angemessenheit des Polizeieinsatzes und die Rolle der Medien ist prinzipiell festzustellen: Mutmaßlich extremistische Royalisten oder rechtsradikale Netzwerke bei Polizei und Geheimdiensten sollten meiner Meinung nach nicht unterschätzt werden. Ich denke, es kann prinzipiell richtig sein, militante Verfassungsfeinde (möglichst vor potenziellen Taten) notfalls dingfest zu machen. Es gibt aber zahlreiche wichtige Einschränkungen zu dieser Aussage.

Verhalten mancher Medien inakzeptabel

So gibt es, neben vielen anderen, folgende Kriterien bei der Beurteilung solcher Einsätze: Zum einen sollten die Verhaftungen nicht genutzt werden, um anschließend Panikmache für verschärfte Gesetze darauf aufzubauen – es sei denn, das wäre wegen einer tatsächlich neu entstandenen Lage dringend geboten, etwa wegen einer konkreten und nun erst zutage getretenen Gesetzeslücke. Zum anderen muss die angebliche Gefahr angemessen hoch sein, wenn 3.000 hochgerüstete Polizisten gegen Verdächtige ausrücken, außerdem ist dabei militärische Kraftprotzerei zu vermeiden. Zu guter Letzt muss die Unschuldsvermutung gegenüber den Verdächtigen bis zu einem Urteil möglichst gewährleistet werden. Alle diese Kriterien wurden bei den Reichsbürger-Razzien nach aktuellem Wissensstand mutmaßlich verletzt. Und das in einem Maße, dass die NachDenkSeiten bisher nur mit einer Satire auf die Vorgänge reagiert haben.

Inakzeptabel war das Verhalten mancher Medien und die Tatsache, dass manche Journalisten offenbar in die Pläne für die Razzien im Vorfeld eingeweiht waren. Die Live-Bilder von den Verhaftungen und das unwürdige Vorführen von Verdächtigen (nicht Verurteilten) sind Verstöße gegen journalistische und juristische Grundsätze, etwa den der Unschuldsvermutung. Dieses offensichtliche Fehlverhalten kann auch Sympathien für die Verdächtigen wecken. Andererseits: Ein Zustand, bei dem das Pochen auf die Unschuldsvermutung bereits als Sympathie mit Verdächtigen gedeutet wird, ist dringend zu vermeiden.

Disziplinarrecht: Innenministerin rudert ein bisschen zurück

Zusätzlich bedenklich ist: Die pompösen Inszenierungen um die Razzien begünstigen nun fragwürdige Vorhaben – etwa eine geplante Änderung des Disziplinarrechts in Behörden. In der Talkshow „Maischberger“ hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu kürzlich laut Medien gesagt, für eine Kündigung von Mitarbeitern solle dann der bloße Verdacht auf „Demokratiefeindlichkeit“ ausreichen:

„Die Razzia in der Reichsbürger-Szene nimmt Innenministerin Faeser zum Anlass, noch einmal an die Umkehrung des Disziplinarrechts zu erinnern, die sie im Frühjahr eingeleitet hat. Bei Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes werde es künftig sehr einfach sein, sie zu entfernen. Für eine Kündigung reiche dann der bloße Verdacht auf Demokratiefeindlichkeit. ‘Da muss man die Möglichkeit haben, jemanden schnell rauszubekommen’, sagt die SPD-Politikerin. ‘Wir haben eine gute Idee gefunden, das zu tun.’“

In der Talkshow „Anne Will“ am Sonntag ist Faeser nun verbal ein bisschen zurückgerudert: Sie wolle das Disziplinarrecht aber doch so ändern, dass es keiner Verwaltungsgerichtsklage mehr bedürfe, um Bedienstete aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen – dies soll künftig mittels eines Verwaltungsaktes möglich sein. Anne Will fasste das zusammen: Behörden entfernen mutmaßlich extremistische Mitarbeiter künftig selber – die Betroffenen müssen dann vor Gericht gehen und den Gegenbeweis antreten.

Das Gesetz liegt noch nicht vor. Vielleicht wird momentan, etwa mit den Äußerungen Faesers, noch die Reaktion der Öffentlichkeit getestet. Die endgültigen Formulierungen werden sehr genau zu prüfen sein. Es ist eine Gratwanderung: Zum einen finde ich, wie eingangs gesagt, dass es möglich sein muss, erwiesene Rechtsextremisten aus Behörden zu entfernen – etwa das Beispiel NSU und die mutmaßliche Unterstützung durch diverse Staatsdiener haben das gezeigt. Zum anderen muss aber pauschale Gesinnungsschnüffelei unbedingt ausgeschlossen und ein Missbrauch der neuen Werkzeuge verhindert werden. Bereits die viel zu pauschalen Vokabeln wie „Demokratiefeindlichkeit“ als Synonym für Regierungskritik sind Signale dafür, dass das Vorhaben kritisch begleitet werden muss.

Politische Kritik = „Salatbar-Extremismus“?

Eine propagandistische Tendenz hat sich auch bei „Anne Will“ fortgesetzt: Unzufriedenheit mit der Regierung und politische Kritik wird teilweise viel zu pauschal mit Rechtsextremismus gleichgesetzt. Und das auch dann noch, wenn sogar die handelnden Akteure selber von „heterogenen Szenen“ sprechen: Anne Will und andere in der Runde sprachen etwa von einer „kruden Mischung aus Verschwörungsideologen, Reichsbürgern und selbsternannten Querdenkern“, oder auch von „Salatbar-Extremismus“, der die Gesellschaft bedrohen würde. Anne Will fragte an einer Stelle den anwesenden Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU): „Eine der Verdächtigen ist Polizistin und sie ist bereits als Coronaleugnerin aufgefallen – warum kriegen Sie die nicht aus dem Dienst?“ Vor solchen leichtfertigen Urteilen müssen die Bürger geschützt werden. Und es klingt natürlich immer gut, wenn man „gegen Nazis in Behörden“ vorgehen will – aber: Wer definiert denn den Status als Rechtsextremist, auch angesichts der aktuellen Unschärfe bei politischen Begriffen? Und kann das Prinzip des angestrebten neuen Disziplinarrechts nicht künftig auf alle unbequemen Mitarbeiter angewandt werden?

Einmal mehr fiel in der Talk-Runde auch eine (zumindest zur Schau gestellte) Naivität auf – also eine nur scheinbare „Überraschung“ über die zahlreichen Bürger, die sich momentan von vielen Exponenten der Politik und der Massenmedien in Deutschland bitter enttäuscht fühlen. Dabei wurde etwa von Kritikern der Corona-Politik vor genau diesen gesellschaftlichen Entwicklungen, vor Spaltung und vor Radikalisierung gewarnt. Grotesk: Wer vor Spaltungen und Radikalisierungen als Folge der destruktiven Corona-Politik gewarnt hatte, musste sich in den letzten Jahren von zahlreichen Politikern und Journalisten teils selbst als Extremist beschimpfen lassen. Jetzt sagen die gleichen Stimmen: „Aber wer hätte das denn auch ahnen können, dass es zu Radikalisierung führt, wenn wir den Menschen auf Basis eines Impfstatus den Zugang zur Gesellschaft verweigern?“ Corona ist natürlich nicht das einzige polarisierende Thema, das zu den heutigen gesellschaftlichen Gräben geführt hat. Bereits lange vorher wurden Spaltungen vor allem durch soziale Ungleichheiten gefördert.

Die sehr fragwürdige Rolle mancher Medien bei den Reichsbürger-Razzien hat bei „Anne Will“ der Journalist Florian Flade verteidigt – unter anderem mit dem Verhalten anderer Medien: Er hätte die Razzien für eine berichtenswerte Geschichte gehalten und das hätten ja viele andere Medien auch so gesehen. Journalisten aus dem „Rechercheverbund“ waren laut Flade bereits zwei Wochen vor den Razzien über den Einsatz informiert – durch „Recherche“ und „Kontakte“, wie er beteuert und nicht durch ein aktives „Einweihen“ von Behördenseite.

Was ist Symptom, was Ursache?

Der Aufwand bei den Razzien wird zum Teil genutzt, um eben diesen Aufwand zu rechtfertigen: Wenn die Pläne der Reichsbürger nicht so massiv gefährlich gewesen wären, dann hätte es ja den massiven Aufwand beim Einsatz nicht gebraucht. Die Stärke der Polizeikräfte soll also ein Indiz für die Angemessenheit eben jener Stärke sein. Faeser würde außerdem gerne private Kommunikation in Chats überwachen und beklagte bei Anne Will eine „abenteuerliche Diskussion“ in der Öffentlichkeit darüber, was alles geschützt werden müsse in der privaten Bürgerkommunikation. Laut Faeser solle mit ihrem Gesetzesvorhaben zum Disziplinarrecht selbstverständlich niemand unter Generalverdacht gestellt werden.

Symptome und Ursache müssen bei dem Thema Extremismus dringend stärker unterschieden werden. Wenigstens Ansätze in diese Richtung unternahm der ehemalige Innenminister Gerhart Baum, der ansonsten in der Sendung nicht durch besondere Weisheit auffiel. Viele Bürger seien „ausgewandert aus unserem demokratischen System“, so Baum. Aber er fragt immerhin: Wie kriegen wir diese Leute wieder zurück? Seine Vorschläge: Mit überzeugender Politik, durch Deeskalation und indem auf berechtigten Protest reagiert wird.

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Titelbild: Screenshot Talkshow „Anne Will“

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